Kundgebung gegen den rechten Terror Essen

12. Januar 2019

, , , ,

Das Bündnis „Essen stellt sich quer“ rief zur Kundgebung gegen rechten Terror auf.

Zur Kundgebung hatte das Bündnis „Essen stellt sich quer“ aufgerufen. Anlass war die Amok-Fahrt des aus Essen stammenden Andreas N., der aus einer mutmaßlich rassistischen Motivation heraus sein Auto als Waffe gegen Menschen eingesetzt und es gezielt und mehrfach in Menschenmassen gesteuert hat. Ziel waren dabei als „ausländisch“ wahrgenommene Mitbürgerinnen und Mitbürger: Bei den Opfern des Anschlags handelt es ich unter anderem um Menschen aus Syrien und Afghanistan. Er handelte in Tötungsabsicht. Rund 180 Personen folgten dem Aufruf. Eine politische Einschätzung der Vorkommnisse durch das Bündnis Essen stellt sich quer wurde auf der Versammlung vorgetragen. Wir dokumentieren die von Christian Baumann vorgetragene Rede.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

vorgestern standen die meisten von uns gelassen und im Kreise von Freundinnen und Freunden, Bekannten und Verwandten und haben fröhlich in das kommende Jahr 2019 geblickt. Man feiert den Jahreswechsel, macht sich gute Vorsätze, hofft, dass die Welt ein Stückchen besser wird.

Das Jahr 2019 beginnt für uns nun aber mit einer schier unfassbaren Gewalttat. Der aus Essen stammende Andreas N. setzt sich kurz vor Mitternacht in seinen silberfarbenen Mercedes und beginnt eine Amok-Fahrt. Sein Ziel sind dabei Menschengruppen, in die er sein Fahrzeug steuert. Er lenkt seinen Wagen bewusst und gezielt in die Menschenmengen. Er will verletzten, will töten. Abgesehen hat N. es vor allem auf als „ausländisch“ aussehende Menschen. Viele der Attackierten stammen aus Syrien und Afghanistan.

N.’s Fahrt beginnt in Bottrop er versucht einen Passanten anzufahren, der der Attacke aber ausweichen kann. Danach fährt er weiter und steuert in eine ausgelassen feiernde Gruppe von Menschen, die gerade mit Böllern und Raketen das neue Jahr begrüßen wollte. Vier Menschen, darunter ein Kind, werden dabei verletzt. Eine 46 Jährige dabei so schwer, dass sie zeitweise in Lebensgefahr schwebt. Danach fährt N. nach Essen, überrollt den Fuß einer Person und versucht zwei weitere Male Menschenansammlungen zu überfahren. Glücklicher Weise können sich diese Personen retten und sind mit einem Schrecken davongekommen.

Die alarmierte Polizei stellt den mutmaßlichen Täter schließlich und nimmt ihn fest. Noch bei der Ingewahrsamnahme äußert sich Andreas N. massiv rassistisch. Er gibt an, die, Zitat, „vielen Ausländer“ seien ein „Problem“ für Deutschland.

Die Tat lässt fassungslos zurück. Obwohl sich der Vorfall noch früh morgens am ersten Januar ereignet, erfährt die breite Öffentlichkeit erst gegen Mittag davon. Wie viele andere auch, werden auch wir davon überrascht. Schnell wird klar: Bei dem Vorfall handelt es sich nicht um einen Unfall, sondern um zielgerichtetes Handeln. Da die Faktenlage aber nicht geklärt ist und Mutmaßungen bei allem Verständnis für die Brisanz des Themas nicht förderlich sind, entschlossen wir uns zunächst dazu abzuwarten und die Sache richtig einordnen zu können. Heute, jetzt, wissen wir, dass der mutmaßliche Täter tatsächlich in rassistischer Tötungsabsicht gehandelt hat. Eine Zäsur. Für alle von uns.

Die Tat benennen wir, weil wir es heute wissen, als das, was sie ist: Die Tat eines Rechtsradikalen. Die Tat richtete sich gezielt gegen vermeintliche „Ausländer“. Sie war rassistisch motiviert. Es wurde in Tötungsabsicht gehandelt. Getötet werden sollte aufgrund von exzessivem Menschenhass, weil das Leben der Attackierten für nicht lebenswert erachtet wurde. Das Weltbild des Täters offenbart sich damit als geschlossen rechtes. Die Radikalität der Tat steht außer Zweifel.

Es ist nicht das erste Mal, dass Rechte einen derartigen Terroranschlag verüben. Am 12. August 2017 steuert ein Rechtsradikaler in Charlottesville, USA, sein Auto in eine Gruppe Menschen, die gegen einen Neo-Nazi-Aufmarsch demonstrieren. Auch er nutzt sein Auto dabei als Waffe, überfährt mehrere Menschen. 19 Personen werden verletzt. Eine Person stirbt. Der Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, reagiert unangemessen, relativiert den Anschlag und benennt ihn nicht, als das, was er eigentlich ist: Ein Terroranschlag weißer Rassisten.

Das zumindest passiert so nicht bei diesem Anschlag: Ministerpräsident Laschet positioniert sich ganz klar: „Wir stehen zusammen gegen rechte Gewalt“. Liebe Freundinnen und Freunde – das stimmt! Wir sind mehr, wir schauen nicht weg, wir stellen uns den Rechten und ihrem Terror entgegen, und das machen wir in aller Deutlichkeit klar!

Eine Sache, liebe Freundinnen und Freunde, wurde gleich zu Beginn der Berichterstattung erwähnt: Der Tatverdächtige Andreas N. soll an einer psychischen Erkrankung, an Schizophrenie, leiden. Der Hinweis wird von vielen als Relativierung der Tat aufgefasst. Und tatsächlich war in der Vergangenheit auffällig, dass, sobald ein Täter keine Migrationsgeschichte hatte, die Tat recht schnell psychologisiert und behauptet wurde, es handle sich um verwirrte Einzeltäter. Anders aber, als in den vergangenen Fällen, geschieht der Hinweis bei diesem Vorfall basierend auf gefestigten Recherchen und nicht, wie sonst, Mutmaßungen.

Einige Kommentator*innen, auch auf unserer Facebook-Seite, lassen sich dazu hinreißen die Tat als die eines Verwirrten darzustellen. Dagegen spricht, dass die Tat gezielt ausgeführt wurde. Dass sie nicht aus einem Impuls heraus gesteuert war, sondern über einen langen Zeitraum zielgerichtet durchgeführt wurde. Es fällt leicht, unvorstellbare Gewalttaten auf die Psyche der Täter*innen zu schieben. Aber es verkennt die, wie Hannah Arendt es nannte, Banalität des Bösen. So schwer es fällt – es gibt Menschen, die andere aufgrund von äußeren Merkmalen abwerten, hassen, ja, sogar töten wollen.

Gespeist wird dieser Menschenhass durch das gesellschaftliche Klima. Den gestrigen Terroranschlag im Hinterkopf, klingen die Aussagen eines Alexander Gaulands wie „Wir werden sie jagen“, wie ein Menetekel. Der Hass auf als ausländisch gelesene Menschen sitzt tief verankert. Das zeigt sich auch in der Berichterstattung über den Vorfall: Gesagt wird, es handle sich um einen „fremdenfeindlichen“ Anschlag. „Fremd“ bedeutet in aller Regel nicht viel mehr als „nicht dazu gehörend“. Aber selbstverständlich, liebe Freundinnen und Freunde, gehören alle hier lebenden Menschen auch hier hin. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, machen sie mit aus, und sind nicht „fremd“. Die Bezeichnung des Anschlags als „fremdenfeindlich“ schafft, wenn auch ungewollt, ein Bild, dass die Opfer nicht zu uns gehören würden. Benennen wir den Anschlag, als das, was er war: Rassistisch.

Das hat im übrigen auch nichts damit zu tun, ob N. von, wie inzwischen in fast jedem zum Thema veröffentlichten Artikel steht, Harz IV bezogen hat, oder nicht. Es war tiefsitzender, menschenfeindlicher Rassismus, der N. zu seiner Tat veranlasst hat! Und den gibt es in jeder gesellschaftlichen Schicht, ob reich, ob arm, ob „oben“ oder vermeintlich „unten“.

Beobachten wir nun, in den folgenden Tagen, die Aufarbeitung des Anschlags, kritisch. Bislang konnte N. keinem größeren rechten Netzwerk zugeordnet werden, wie auch die Hausdurchsuchung wohl ergeben hat. Damit dürfen wir uns aber nicht direkt zufrieden geben. Selbst Einzeltäter*innen radikalisieren sich mit Hilfe anderer. Sei es im Privaten, sei es in Parteien, sei es im Internet.

Hier sind zum einen die Behörden gefordert, die aber bislang nicht durch ihre Recherche geglänzt haben. Bis zur Selbstenttarnung des NSUs, waren den Behörden beispielsweise die rechten Strukturen und deren Verquickungen gar nicht bekannt. Auch hier ging man immer von einem Trio aus, verkennend, dass hinter den drei Terroristinnen und Terroristen ein riesiges Netzwerk steht und existiert.

Die Offenlegung und die Austrocknung dieser rechten Strukturen muss nun das vordringlichste Anliegen sein und ist unser aller Bürger*innenpflicht.

Hoffen wir und arbeiten wir, liebe Freundinnen und Freunde, gemeinsam gegen rechte Hetze. Lasst uns gemeinsam widersprechen, lass uns uns querstellen. Immer dann, wenn Rassistinnen und Rassisten, wenn Rechte die Deutungshoheit für sich reklamieren: Auf der Straße, der Schule und Uni, im Betrieb oder in der Kneipe. Unsere Gedanken sind heute bei den Angehörigen und Betroffenen dieses Anschlags. Wir sind heilfroh über die Meldung, dass die schwerverletzte Person inzwischen außer Lebensgefahr ist. Allen Verletzten wünschen wir eine schnelle und nachhaltige Genesung!

Wir wollen, dass sich das Klima ändert, dass sich so etwas niemals wiederholen kann! Dafür stehen wir ein. Gemeinsam, Hand in Hand! Vielen Dank!