Der Verfassungsschutz muss weg und nicht nur seine Spitze

22. September 2018

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Von Ulrich Sander

Hans Georg Maaßen wird als der höchste deutsche Beamte mit Nazisympathien und – connektions seit Hans Globke in Erinnerung bleiben, auch wenn er an anderer Stelle als beim Verfassungsschutz tätig werden sollte. Dies obwohl er das Parlament belogen hat, nicht in einer Kleinigkeit, sondern bei der Aufklärung des bislang größten islamistischen Terroranschlags auf deutschem Boden. Er log hinsichtlich der konspirativen Kontakte zur AfD. Er stellte sich gegen Frau Merkel, die von Hetzjagden in Chemnitz gesprochen hatte und erklärte der verblüfften Öffentlichkeit, dass ein Video mit den Jagdszenen von Chemnitz gar nicht die gezeigten rechten Gewalttaten zeigte bzw. dass es sich dabei um falsche Informationen der linksextremistischen Szene handelt.

Das Reinwaschen der Naziszene gehört seit vielen Jahren zum Haupttätigkeitsfeld des Amts für Verfassungsbruch, wie ich es mal nennen möchte. Ich war bei jenem Treffen des Bundesinnenministeriums von 1991 in Hahnenklee im Harz dabei, als rund hundert junge DDR-Journalisten auf die Linie des Verfassungsschutzes gebracht werden sollten. Der immer noch populäre Antifaschismus sei endgültig zu überwinden. An seine Stelle gehöre der Antitotalitarismus, der Rechts und Links auf eine Stufe stelle, wobei der linke Antifaschismus gefährlicher sei, weil immer noch vorhanden, während der Nazismus überwunden sei. Die Linken setzten „auf die traditionelle Zugkraft des Antifaschismus, um so ihre Bündnisfähigkeit zurückzugewinnen.“ Es hieß: „Vielleicht werden die frühen neunziger Jahre dereinst als eine Inkubationszeit für den Beginn eines Anti-Antifaschismus gelten.“ (das schrieb der Hauptreferent der Tagung im Harz, E. Jesse, in der FAZ am 28.8.1991) Der Sieg des 3. Oktober 1990 sei dann vollkommen, wenn der Antifaschismus überwunden ist.

So wie Maaßen die AfD politisch beriet, wurde schon 1990 seitens des Innenministeriums des Herrn Schäuble den Neonazis geraten, eine Anti-Antifa-Kampagne aufzubauen und die Organisationsform der Autonomen der „führerlosen“ Bewegung zu übernehmen, um ohne Verfolgung zu bleiben. So ging es immer weiter: Sowohl die Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ als auch der Schwur von Buchenwald wurden als verfassungsfeindlich dargestellt, weil ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit der Rechten oder weil antikapitalistisch. Hunderte von V-Leuten wurden von den VS-Behörden mit viel Geld ausgestattet, um die rechten Bewegungen zu fördern. Die V-Leute des VS, deren Akten geschreddert wurden, spielten eine nie aufklärte Rolle bei den Verbrechen des NSU.

Maaßen kam in sein Amt, als in der Öffentlichkeit allgemein die Forderung nach Reduzierung, wenn nicht gar Beseitigung des VS erhoben wurde. Das Ergebnis: Der VS wurde nicht beseitigt sondern verdoppelt. Maaßen betätigt sich als V-Mann der Rechten. Mit seiner Entfernung aus dem Amt würde kein Problem gelöst. Kein neuer Mann an der Spitze ist erforderlich, sondern die Beseitigung des ganzen Apparats.

Ein Geheimdienst und sein Schützling AfD

Der Minister und CSU-Chef Horst Seehofer hält an VS-Chef Maaßen fest und will die AfD vor VS-Beobachtungen bewahren. Die Migrationsfrage und nichts anderes sei die „Mutter aller Probleme“. Eine Leserbriefschreiberin der „Süddeutschen“ hielt ihm entgegen, ob er es nicht mal mit dem Kapitalismus und den Kriegen als Ursache aller Probleme versuchen wolle. Im Zuge der Auseinandersetzungen um die AfD und deren Zustimmung zu den pogromartigen Entwicklungen in Chemnitz und zur Zusammenarbeit mit den Braunen wird die Diskussion immer prinzipieller. Der Kapitalismus wird in Frage gestellt, aber diese Fragestellung gilt als verfassungsfeindlich, wie der Prozess von Silvia Gingold gegen den VS in Hessen offenbarte.

Ausgangspunkt des aktuellen Streits war ein Interview des VS-Chefs Hans-Georg Maaßen in der „Bild“-Zeitung, in dem der oberste Verfassungsschützer gesagt hatte, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ darüber vor, dass in Chemnitz Hetzjagden stattgefunden hätten. Vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation (von Links!) handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. Jedoch: Diese dreiste Umdeutung von Tatsachen diente offensichtlich der Ablenkung von der Faschisierung der AfD. Diese will Maaßen beschützen, denn sie wird noch gebraucht. Eine vollkommen entlarvte AfD, die zudem noch vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft und überwacht wird, ist nicht als möglicher Bündnispartner für die bürgerliche Mitte vermittelbar. Diese Möglichkeit soll aber unbedingt offen gehalten werden.

Die AfD als Stütze des Kapitalismus unentbehrlich

Die AfD als Stütze des kapitalistischen, neoliberalen Systems – mit extremen Auswuchtungen zum Rassismus, die über das übliche Maß des rechten konservativen Bürgertums hinausgehen – findet die Unterstützung des Inlandgeheimdienstes. Denn die AfD vertritt eine extrem marktradikale Politik, will also die bestehenden wirtschaftspolitischen Verhältnisse nicht ändern, sondern noch weiter zuspitzen. Eine Gegnerschaft des VS gegen die AfD könnte dieser unter ganz bestimmten Voraussetzungen die staatlichen Subventionen und die Förderungswürdigkeit rauben. Allerdings genießt sie auch  die Förderung u.a. aus der Industrie. Diese läuft vor allem über den „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der Bürgerlichen Freiheiten e.V.“ mit Sitz in Stuttgart undS Stützen in der Schweiz.

Kürzlich berichtete das „Handelsblatt“ über den in einzelnen Bundesländern bestehenden Verdacht, dass es mit Blick auf die AfD „undichte Stellen“ in den Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Bundesamt für Verfassungsschutz, gebe. Jetzt scheinen sich die Vorwürfe zu erhärten. Informationen über verfassungsfeindliche und gewalttätige Pläne der Nazis blieben lange Zeit unbearbeitet. Nun beantragte Maaßen eine Steigerung des Etats seiner Behörde um 7 % gegenüber dem Vorjahr. Den Haushalt der Behörde hatte er zuvor  mit dem AfD-MdB Stephan Brandtner ausführlich erörtert. Es soll vor allem noch mehr Personal eingestellt werden. Doch immer wieder kommt es vor, dass der VS seine Kenntnisse für sich behält, die Justiz und Polizei nicht benachrichtigt – und so – wie im Fall Amri – schwerste Verbrechen ermöglicht.

Der Verdacht, Maaßen und damit seine Behörde hätten eine allzu große Nähe zur AfD, wird ständig neu genährt. Sogar einige Länderbehörden weigern sich inzwischen, Maaßen Informationen zukommen zu lassen. „Wir konnten nicht sichergehen, dass das nicht gleich an die AfD geht“, sagte ein hochrangiger Landes-VS-Mann.
Auch in Unionskreisen, ist man mehr als bisher besorgt über Maaßens Politik, wenngleich bei CDU-Politikern in Ostdeutschland die Zusammenarbeit CDU-AfD schon weit verbreitet ist.  CDU-Landesminister Reul aus Düsseldorf will insbesondere das Agieren der sogenannten Patriotischen Plattform (PP) der AfD stärker in den Fokus nehmen. Immer wieder fielen PP-Funktionäre mit „völkisch-nationalen Äußerungen“ auf, sie riefen zudem nach einer „ethnisch homogenen Gesellschaft“, sagte Reul am Samstag dem Handelsblatt. „Das ist purer Rassismus“, sagte Reul dem Handelsblatt.

Das Maß ist voll – Maaßen muss weg

Maaßens Aussagen zu Chemnitz sind nur als I-Tüpfelchen in einer ganzen Reihe von Fehlleistungen des Verfassungsschutzchefs zu sehen. Dazu Ulla Jelpke, Links-MdB: „Allein an sein Agieren im Fall Amri und seine Exklusivberatung der AfD sei hier erinnert. Dass Maaßen weiterhin auf die Rückendeckung des Bundesinnenministers zählen kann, verdeutlicht die Existenz rechter Seilschaften im Staat“. Weiter erklärte die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke nach der Sondersitzung des Innenausschusses: „Ein Geheimdienstchef, der so offen seine eigene Agenda verfolgt, ist in einem demokratischen Rechtsstaat untragbar. Dass Maaßen schleunigst von seinem Posten abgelöst wird, sollte jetzt das Mindeste sein. Auf den Prüfstand gehört aber die ganze Institution Verfassungsschutz. Denn ein nicht kontrollierbarer Geheimdienst erscheint per Definition gänzlich ungeeignet zum Schutz der demokratischen Grundordnung. Jahrzehntelange Verstrickungen von V-Leuten in den Nazisumpf von NPD bis NSU machen deutlich: der Verfassungsschutz ist selbst Teil des Problems. Ein Weiter so darf es hier nicht geben.“

Auch die SPD und die Grünen verlangen die Entfernung Maaßens aus seinem Amt.