Die Kriegsendphasenverbrechen restlos aufklären – Neuauflage von „Mörderisches Finale“ geplant

8. Oktober 2018

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„89-jähriger Duisburger soll Kriegsverbrecher sein“ – Meldungen wie diese über Kriegsendphasenverbrechen der Nazis im Burgenland machten die Runde, nachdem ein verdächtiger Mittäter in Duisburg gefunden wurde. Solche Verbrechen hat es zu Tausenden gegeben, ohne dass sie später genügend erforscht und die Taten geahndet wurden. Eine erste Gesamtschau dieser Verbrechen ergab:

Ulrich Sander: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende. PapyRossa Verlag. Köln 2008, 192 S.

Das Buch wurde vom Internationalen Rombergparkkomitee (Sitz Dortmund) herausgegeben. In und um Dortmund hat die Gestapo im März und April 1945 hunderte in- und ausländische Nazigegner ermordet. Das Internationale Rombergparkkomitee bemüht sich seit Jahren um die Aufklärung der Kriegsendphasenverbrechen im gesamten ehemaligen „Reichsgebiet“. Das Komitee arbeitet eng mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) zusammen und gehört der Föderation des Internationalen Widerstandes (FIR) an. Es hat wiederholt die Justiz und Wissenschaft aufgerufen, sich der Aufklärung der Vorgänge in den letzten Kriegsmonaten zu widmen. Nun wurde eine neue Auflage von „Mörderisches Finale“ angekündigt, und in der antifaschistischen Erinnerungsarbeit Tätige wurden um Mithilfe gebeten.

Ulrich Sander, Koordinator der Neuherausgabe, schrieb: „Unser Buch ist vergriffen, oft aber wird danach gefragt. Also möchte ich mich ans Werk machen. Erhältlich ist ein Auszug aus dem Buch, der die Tatorte aufzählt und beschreibt. Heute meine Bitte: Schaut Euch die Angaben nochmals an und meldet mir Veränderungswünsche – vor allem meldet Tatorte, die noch in das Verzeichnis aufgenommen werden sollten.“

Es wurde über das Buch „Mörderisches Finale“ in Medien berichtet (Auswahl):

„Es ging wie am Schnürchen …“

Das mörderische Finale des Zweiten Weltkrieges – Blutorgie der Nazis

„Der deutsche Faschismus, sein unvermeidliches Ende vor Augen – auch wenn viele seiner Anhänger es noch nicht wahrhaben wollten – verhielt sich wie ein tödlich

verwundetes Raubtier, das vor seinem Ende noch einmal mit voller Wucht um sich schlägt“, konstatiert der Dortmunder Journalist Ulrich Sander im Vorwort dieser

Nachzeichnung der Blutspur, die das Regime in den letzten Tagen des Krieges quer durch Deutschland zog. Dabei erhebt der Autor mit dieser auf 190 Seiten gedrängten Chronik keinen Anspruch auf Vollständigkeit bei der Darstellung der Dimensionen dieser Orgie von Gewalt, des mörderischen Finales, dieses kaum zu erfassenden Blutrauschs während der letzten Kriegstage. Bestürzend zu lesen, wie die Maschinerie des Regimes mit seinen Geburtshelfern und Anhängern, „die es

noch nicht wahrhaben wollten“, bis zum bitteren Ende funktionierte.

Sander konstatiert über seinen Forschungsgegenstand: „So grausig das Thema ist, so unerschöpflich ist es.“ Was einer der Vollstrecker Jahre später im Dortmunder

Rombergpark-Prozess aussagte, galt für den Ablauf im ganzen Restdeutschland „Es war wie ein Karussell, es ging wie am Schnürchen, es klappte alles tadellos.“

Herausgeber dieses Buches ist das in Dortmund ansässige Internationale Rombergparkkomitee, dessen Mitglied Sander, Bundessprecher der Vereinigung der

Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), ist. So widmet sich ein Großteil der Untersuchung dann auch jenen zehn Massakern, die von der Gestapo und der SS in

der Zeit vom 8. März bis zum Eintreffen der Amerikaner am 12. April 1945 in Dortmund und der näheren Umgebung verübt wurden. Dabei wurden auf Anweisung aus dem Reichssicherheitshauptamt und konkretisiert durch Befehle des zuständigen Gauleiters der NSDAP Albert Hoffmann über 300 in- und ausländische Gegner des Regimes aus den Haftanstalten, Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager geholt, im Rombergpark und in der Bittermark in Serie – „wie am Schnürchen“ – mit Genickschuss ermordet und in Bombentrichtern verscharrt. Ein Augenzeuge berichtet: „Den Männern waren die Hände mit Stacheldraht auf den Rücken

gebunden, den Frauen und Mädchen, ebenfalls mit Stacheldraht gefesselt, waren die Hände auf den Leib gebunden.“

Sanders Anliegen ist es nachzuweisen, dass es sich bei den Dortmunder Mordaktionen um keine Einzelfälle im „mörderischen Finale“ handelt. Zahlreiche Einzelforschungen und eigene, hier in solcher Dichte erstmals zusammengefasste Recherchen führen den Leser an rund 90 Tatorte von Kriegsendverbrechen. Die begangenen Untaten reichten von der Ermordung des von den Amerikanern nach der Befreiung Aachens eingesetzten Oberbürgermeisters durch fanatische Mitglieder des „Werwolfs“ am 25. März 1945 über die Massenexekution von rund 1000 KZ-Häftlingen in Isenschnibbe bei Gardelegen am 11. April 1945 bis hin zur

Erschießung von 131 italienischen Militärinternierten am 23. April 1945 in Treuenbrietzen, die als Zwangsarbeiter in der dortigen Munitionsfabrik arbeiten mussten.

Das alles lief exakt nach den Plänen der Reichsführung ab, die Propagandaminister Josef Goebbels am 21. April 1945 in die Formel gekleidet hatte: „Wenn wir abtreten, dann soll der Erdkreis erzittern.“ So lautete denn

auch eine „Geheime Reichssache vom 2. Januar 1945“, dass in allen sich zeigenden Fällen von Anzeichen einer umstürzlerischen Tätigkeit „unter ausländischen Arbeitern und auch ehemaligen deutschen Kommunisten … sofort und brutal zuzuschlagen“ sei. „Die Betreffenden sind zu vernichten.“

Zu vernichten waren durch „Abschiebung in den Tod“ auch die Zwangsarbeiter, die Auskunft geben konnten über ihre Sklavenarbeit in den Rüstungsbetrieben der

deutschen Großindustrie. „Aufgeräumt“ wurde in den Kriegsgefangenenlagern. Bis in die Tage des April wurde in den Zuchthäusern, in den Konzentrationslagern und in den Anstalten zur Vernichtung „lebensunwertes Leben“ gemordet. 8000 Soldaten wurden als Deserteure in den letzten Kriegsmonaten hingerichtet. Noch ist nicht genau die Zahl der Männer und Frauen bekannt, die bei den Todesmärschen aus den Konzentrationslagern ums Leben kamen – vor Erschöpfung oder gezielt von den Wachmannschaften getötet.

Die Publikation überzeugt durch die Fülle der Zeitdokumente und Zeugenaussagen und entsetzt bei der Lektüre der Gerichtsurteile über die wenigen, spät und milde oder gar nicht zur Verantwortung gezogenen Täter, ganz zu schweigen von den Auftraggebern in Politik und Wirtschaft. – Hans Canjé

Aus: Neues Deutschland vom 18.9.2008

Dokumentiert: Rezension von „Mörderischen Finale“ in renommierter Wissenschaftszeitschrift

In der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ (Nr. 10/2008) erschien eine Rezension des Buches von Ulrich Sander „Mörderisches Finale“. Vor allem die Kritik am Kapitalismus missfällt dem Rezensenten. Allerdings „fanden diese Untaten der Nationalsozialisten bislang noch keine größere Aufmerksamkeit“. Und „dem Autor kommt möglicherweise das Verdienst zu, an bislang noch nicht ausreichend untersuchte NS-Verbrechen gegen Kriegsende erinnert zu haben“. Die Rezension im Wortlaut:

Noch in den letzten Monaten vor Kriegsende kam es auf dem Reichsgebiet zu einer Reihe von NS-Verbrechen, die in Form von Erschießungen und Hinrichtungen an Deserteuren und Gestapo-Häftlingen, Juden und Kapitulationswilligen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, Oppositionellen und Zwangsarbeitern begangen wurden. Angesichts der Dimension des systematischen Völkermords an den Juden im Osten fanden diese Untaten der Nationalsozialisten bislang noch keine größere Aufmerksamkeit. Sie gingen direkt zurück auf Befehle und Weisungen von Hitler, Himmler und anderen hochrangigen NS-Funktionsträgern. Ob diese Verbrechen angesichts der absehbaren Kriegsniederlage Ausdruck eines fanatischen Vernichtungswillens oder politischen Kalküls waren, bildet eine heute noch nicht endgültig geklärte Frage. Ihr beschreibend und interpretierend nachzugehen ist das Ziel des Journalisten Ulrich Sander in vorliegendem Buch.

Es gliedert sich in sechs unterschiedlich lange Kapitel: Zunächst geht es um Himmlers Befehl vom April 1945, wonach bei der Räumung von Gefängnissen und Konzentrationslagern keine Häftlinge lebend zurückzulassen seien, und das Massaker in Isenschnibbe bei Gardelegen im gleichen Monat, bei dem über tausend KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter umgebracht wurden. Es folgt als ausführlichster Teil des Bandes die Darstellung von Vor- und Nachgeschichte der Massenexekutionen im Rombergpark und in der Bittermark in der Nähe von Dortmund, wo zwischen März und April 1945 von der Gestapo über dreihundert Personen umgebracht wurden. Knapper behandelt der Autor demgegenüber die Exekutionen von 57 Zwangsarbeitern in Warstein im Langenbachtal durch die SS im März, die Genickschuss-Tötungen von 71 Gefangenen durch die Gestapo in der Wenzelnbergschlucht bei Langenfeld und Solingen im April und die Erschießung von 16 kapitulationswilligen Bürgern in Penzberg in Oberbayern ebenfalls im April 1945.

In den letzten beiden Teilen des Buchs findet sich zum einen eine Auflistung mit Daten zu NS-Verbrechen in der Endphase des Krieges bezogen auf die jeweiligen Tatorte und einzelnen Todesmärsche sowie der kommentierende Auszug aus einer früheren Veröffentlichung des verstorbenen Historikers Reinhard Opitz zur politischen Deutung der Massaker gegen Kriegsende. Nach dessen von Sander geteilter Auffassung entsprangen die erwähnten Verbrechen durchaus einem rationalen Kalkül, setzten doch „die Naziführer und das deutsche Monopolkapital“ (S. 178) auf den Zerfall der Anti-Hitler-Koalition noch vor Kriegsende. Mit der Aufopferung von Soldaten und Zivilbevölkerung erhoffte man sich nach Opitz eine Fortsetzung des Krieges an der Seite der Westmächte gegen die Sowjetunion. Sander meint mit Verweis auf die Tötung von Oppositionellen darüber hinaus: „Die Nazis fürchteten, den Antifaschisten könne es gelingen, durch gemeinsames Handeln die Früchte des Sieges über den Faschismus für eine Zukunft in Frieden und Demokratie zu sichern“ (S. 14).

Dem Autor kommt möglicherweise das Verdienst zu, an bislang noch nicht ausreichend untersuchte NS-Verbrechen gegen Kriegsende erinnert zu haben. Form und Inhalt seiner Darstellung und Deutung dieser Ereignisse sind aber mehr als nur kritikwürdig: Zum einen fällt das gesamte Werk durch seine inhaltliche Unwucht auf, macht doch das Kapitel über den Massenmord im Rombergpark und in der Bittermark gut die Hälfte des gesamten Textes aus, während die anderen Untaten nur kursorisch behandelt werden. Ärgerlich ist auch die mangelnde Strukturieren der einzelnen Kapitel: Sander springt nicht selten inhaltlich hin und her. Darüber hinaus werden viele Aussagen ungenau oder gar nicht belegt. Allein von daher kann das Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben. Bei der Auflistung der einzelnen Märsche aus den Konzentrationslagern stützt sich Sander auf eher unzuverlässige Quellen.

Weitaus problematischer als der formale Mangel ist die ideologische Prägung von Darstellung und Interpretation. Andersdenkende Historiker etikettiert Sander in bedenklicher Weise. Man mag Joachim Fests Hitler-Darstellung inhaltlich und methodisch kritisieren, aber von einem Hitler-„Beschöniger“ (S. 76) zu sprechen, ist zumindest ein grobschlächtiges und undifferenziertes Urteil. Es erklärt sich durch die politischen Absichten des Autors, der an einem dogmatischen Faschismus-Verständnis im Sinne des ML festhält. Dies erklärt auch das schon verschwörungsideologisch wirkende Anspielen auf das Wirken kapitalistischer Eliten. So heißt es etwa: „Und mit Massenmörder Ohlendorf hatten vermutlich gewisse deutsche Kreise auch noch ihre Pläne“ (S. 101). Im Vorwort stellt der Autor denn auch fest, die „gleichen Kreise“, die „dem Hitlerfaschismus zur Macht“ verhalfen, „dominieren auch die Bundesrepublik“ (S. 12).

Armin Pfahl-Traughber (über: Ulrich Sander: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende. PapyRossa Verlag. Köln 2008)

Kriegsendphasenverbrechen umfassend dargestellt

Lesereise von Daniel Blatman

Kurz vor der Befreiung von Krieg und Faschismus wurden im Frühjahr 1945 eine halbe Million Antifaschistinnen und Antifaschisten und NS-Opfer aus dem In- und Ausland von den Nazis „ausgeschaltet“ und ermordet. Dies geschah durch Massaker in der Nähe von Lagern und Gefängnissen und vor allem auf den Todesmärschen. Die Geschichtsforschung hat sich erst spät dieser Phase des Kriegsendes zugewendet. Es waren örtliche Geschichtsinitiativen und Gruppen, die wie Geschichtswerkstätten vor Ort recherchierten und ihre Fakten zusammentrugen. Das Internationale Rombergparkkomitee in Dortmund hat seit 2005 eine Vernetzung dieser Initiativen betrieben und Fakten und Recherchen gesammelt, so daß rund 150 Tatorte dokumentiert werden konnten.

In dem Buch von Ulrich Sander: „Mörderisches Finale – NS-Verbrechen bei Kriegsende“ (PapyRosa, Köln 2008. 190 S.) ist das Material dieser Vernetzung zusammengefasst.

Bei Rowohlt ist nun von Daniel Blatman „Die Todesmärsche 1944/1945 – Das letzte Kapitel des Nationalsozialistischen Massenmords“ erschienen. Damit sind den Geschichtsinitiativen und –werkstätten und viele hundert weitere Tatorte benannt, zu denen sie ihre örtliche Geschichtsarbeit betreiben können – und sollen. Daniel Blatman hat nun mit der Rosa Luxemburg Stiftung eine Leserreise zu seinem Buch veranstaltet, so auch im Rheinland und in Sachsen. In Bonn stellte er z. B. sein umfassendes Werk vor, indem er den eigenständigen Charakter der Todesmarschmorde betonte und die Mörderqualitäten der deutschen Bevölkerung betonte, die die Rache der überlebenden NS-Opfer fürchtete und zu den Mitteln des Massenmordes griff – im Gegensatz zu Daniel Goldhagen („Hitlers willige Vollstrecker“), der auch die Todesmärsche als Teil des Holocaust an den Juden einordnet. Die Rolle der ökonomischen Eliten und der Nazipolitiker wie auch der Zwangsarbeiter beleuchtet Blatman weniger, weshalb „Mörderisches Finale“ weiter wichtig ist. U. S.

Aus: Antifa November 2011