Die Erinnerung wachhalten: Aus dem Geschehenen lernen
4. Mai 2019
Dritter Band der „Kinder des Widerstandes“ ist erschienen
Da sind 28 „Kinder des Widerstandes“ im vorgerückten Alter. Sie haben sich in drei kleinen roten Büchern zu Wort gemeldet. Zuerst trauten sich die Frauen, inzwischen ist das Verhältnis 17 Frauen zu elf Männern, die über ihre Kindheit und Jugend als Nachkommen von Widerstandskämpfern und Opfern des Faschismus berichten bzw. sich als Freunde dieser Menschen zu Wort meldeten.
In einem Pressebeitrag schreibt Ulrich Sander dazu: Viele der Geschilderten …. waren bisher als Zeitzeugen tätig, nun weilen sie nicht mehr unter uns, und ihre Kinder, Enkel und Freunde wurden nun zu Zeugen der Zeugen. Das Band der Erinnerungen soll nicht reißen.
Hatten sich im ersten Band zunächst die Gründerinnen des Personenkreises der „Kinder des Widerstandes“ mit der Zusatzbezeichnung „Antifaschismus als Aufgabe“ präsentiert, so kommen in Band zwei älter gewordene Kinder aus dem Bergischen Land und in Band drei – kürzlich erschienen – diejenigen aus Düsseldorf zu Wort. In diesem Band Nr. 3 gibt es eine Besonderheit: Christa Bröcher geb. Lückhard, Inge Trambowsky geb. Kutz und Klara Tuchscherer geb. Schabrod stellen sich als „Kinder“ auch von Adam Niewel und seiner Frau Marlies vor. Diese hatten keine Kinder, aber sie waren den Kindern des Widerstandes aus Düsseldorf liebevolle ältere Kameraden. Bei ihnen fanden Kinderfeste statt, wurden Ausflüge mit den Kindern organisiert, viel gesungen. Und erzählt. Aber nur sparsam war Adam mit Auskünften über seine Tätigkeit als „Hochverräter“ und als Opfer. Opfer auch nach 1945. Adam musste die Kürzung seiner Rente hinnehmen, weil er Kinder im Rahmen der „kommunistisch gelenkten Kinderverschickungsaktion in die SBZ“ betreut hatte.
Sehr beeindruckend sind bereits die Vorworte. Florence Hervè schreibt: „Es ist zu hoffen, dass viele weitere Geschichten folgen und die Kinder des Widerstandes Gehör finden.“ Diese Hoffnung hat sich bereits in Auftritten der Autorinnen und Autoren in Schulen teilweise erfüllt.
Den Düsseldorfer Band leitet der legändere Wagenbauer der Karnevalzüge am Rhein, Jacques Tilly, ein: „Ich danke den Kindern des Widerstandes und der VVN-BdA – viele der Autoren sind dort Mitglied – für ihre unverzichtbare und konsequente politische Arbeit, die sie in diesem Sinne seit vielen Jahren leisten. Dieses Engagement ist gerade in dieser Zeit, in der eine rechtspopulistische bis rechtsradikale Welle um den Globus rast und ein Land nach dem anderen infiziert, einfach unverzichtbar.“
Auch Kritisches – er vermisste mehr Würdigungen für nicht aus der Arbeiterbewegung stammende Zeitzeugen – merkt der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) in seinem Vorwort an: „Trotz dieser Kritik danke ich den ‚Kindern des Widerstandes‘ für die Erinnerungsarbeit und ihren Beitrag zur Stadtgeschichte. Damit wird auch die Erinnerung daran wachgehalten, dass es die unversöhnliche Spaltung der Arbeiterbewegung und die Geringschätzung vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber der parlamentarischen Demokratie am Ende der Weimarer Republik waren, die den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigten. Es soll uns heute eine Lehre sein.“ Kurzbach ist es auch, der daran erinnert, dass an den Ungerechtigkeiten infolge der Kommunistenverfolgung unter Adenauer Staatsanwälte und Polizisten beteiligt waren, „die zum großen Teil schon den Nazis gedient hatten.“
Weniger das Leben der Autoren als das Leben und der Kampf der Eltern und Großeltern der Autorinnen und Autoren stehen im Vordergrund der Darstellungen. Es sind Prominentere wie Unbekanntere darunter. Oft werden ihre Nachkriegsbiographie und der Umgang mit ihren Familien bewegend geschildert. Die manchmal schwierige Wiederannäherung nach der Rückkehr aus jahrelanger Haft, das Mitleiden mit den Eltern, aber auch die Freude des Wiedersehens – all das steht vor dem Leser auf. Sehr wertvoll sind die Fußnoten zur Erklärung der Texte, geschrieben von Renate Hartmann. Dadurch könnten die Texte auch zur Schulliteratur werden.
Und das ist ja der zweite Schwerpunkt der Autoren: In Schulen zu sprechen. Einzelne Beiträge können zur Vorbereitung der Schulstunden dienen – oder auch zur Nachbereitung. Ein Brief an 800 Schulen in Nordrhein-Westfalen ging inzwischen heraus, mit denen diesen der Besuch der Autorinnen und Auren anbieten.
Gleich welcher linken Herkunft sie waren – die Autorinnen und Autoren vertreten eine Minderheit, wie ja auch die Widerstandskämpfer eine kleine Minderheit im Nazi-Reich stellten – geschätzt waren es ein Prozent der Bevölkerung. Eine Gemeinsamkeit gab es zumeist mit der Mehrheitsgesellschaft. Die Eltern und Großeltern breiteten nur zögerlich ihre Vergangenheit, die doch eine gute, vorzeigbare war, vor den Kindern aus. Und wo es anders war, da litten die Kinder bisweilen durchaus. Sie litten auch unter neuer politischer Verfolgung wie dem KPD-Verbot ihrer Eltern, unter Bespitzelung durch Lehrer (wer war in der Zone im Urlaub?) und vorher durch die Gestapo. Da zogen Gestapobeamte mit kleinen Jungen durch die Stadtteile, um rauszukriegen, wo die Eltern ihre Besuche machten, da wurden sie in Nazielternhäuser gesteckt, während die Eltern inhaftiert waren. Die drei kleinen Bände, denen weitere folgen sollen (Band „Essen“ z.B. ist in Arbeit) und denen Bände aus anderen Bundesländern zur Seite gestellt werden können, eignen sich als Vorlagen für Referate und auch für literarische Arbeiten. Und dies bei aller Unterschiedlichkeit. Der Bewegung der „Kinder“, der zweiten und dritten Generation, der Nachkommen, wie es bei den Buchenwaldern heißt, ist Erfolg zu wünschen.
Weitere Informationen bei info@kinder-des-widerstandes.de
Ulrich Sander