Militärische Logik ist und bleibt eine Sackgasse und ist über Kurz oder Lang zum Scheitern verurteilt
20. Mai 2022
Militaristische Schlagseite der Diskussion zum Krieg
Die Debatte zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird überwiegend im Sinne einer militärischen Logik geführt. Das Treffen der Verteidigungsminister von 40 Nato- und verbündeten Staaten am 26.April 2022 auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, zu dem die USA eingeladen hatten, ist sinnbildlich für diese Debatte mit militaristischer Schlagseite, wie es der SPD-Politiker Rolf Mützenich kürzlich formuliert hatte. Die Außenpolitik hat sich dieser Logik offensichtlich unterworfen. Das Primat der Politik tritt in den Hintergrund.
Mangelhafte Debattenkultur
Es findet keine kontroverse Diskussion über mögliche Szenarien zur Beendigung des Krieges oder zu möglichen Reaktionen auf den Angriffskrieg statt, schon gar nicht zu den Zielen, die die unterschiedlichen Lager mit ihrer Politik gegenüber der Ukraine und dem Aggressor Russland verfolgen. Stattdessen werden Menschen, die eine Haltung abseits von Waffenlieferungen vertreten, unisono als „Bequemlichkeitspazifisten“ (Kommentar Fr. Girschik/Tagesthemen) oder auch als „Fünfte Kolonne Moskaus“ (Alexander Graf Lambsdorf) oder gar „Putinversteher“ diffamiert, Begriffe, die dazu geeignet sind, politisch anders Denkende auszugrenzen.
Zu Recht mahnte der Mitbegründer der Grünen Hans-Christian Ströbele am 3. Mai 2022 in der Frankfurter Rundschau mehr Reflexion und eine nachvollziehbare Begründung der politischen Entscheidungen gegenüber der Parteispitze an.
Dazu ist nach unserer Auffassung aber ein politischer Diskurs notwendig, der ohne Beleidigungen und Diffamierungen auskommt.
Strategiewechsel hin zu einem Stellvertreterkrieg
Zum Besuch des US-Außenministers Antony Blinken und des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin am Sonntag, dem 24. April 2022, in Kiew schreibt das Handelsblatt:
„Wir wollen Russland so sehr geschwächt sehen, dass es nicht mehr in der Lage sein wird, Dinge wie diese zu tun, die es mit der Invasion der Ukraine getan hat“, sagte der Verteidigungsminister Austin auf einer kurzen Pressekonferenz an der ukrainisch-polnischen Grenze. Russland habe signifikante militärische Verluste erlitten, auch „viele Soldaten“, erklärte der pensionierte Vier-Sterne-General. Das Pentagon setze nun alles daran, sicherzustellen, dass Russland nicht in der Lage sein wird, „diese Kapazitäten schnell wieder aufzubauen“. (US-Verteidigungsminister Austin: USA wollen Russland geschwächt sehen, in: Handelsblatt, 25.4.2022)
Diese Aussage lässt den Schluss zu, dass es nun längst nicht mehr um eine Unterstützung der Ukraine zum Zweck ihrer Selbstverteidigung geht. Die Ukraine wird immer mehr zu einem Schlachtfeld der Großmächte, zu einem imperialistischen Schlachtfeld.
Auch von den bundesdeutschen Befürworter:innen von Waffenlieferungen ist immer öfter zu hören, dass die ukrainischen Streitkräfte „für unsere Ziele und Werte kämpfen“.
Das Recht und das berechtigte Interesse der Ukraine zur Selbstverteidigung gegen die russische Aggression werden hier ausgenutzt, um den Kalten Krieg nun endgültig zu gewinnen.
Es geht mittlerweile um einen Stellvertreterkrieg und dies kann und darf nicht auf dem Rücken der ukrainischen Zivilbevölkerung sowie der Wehrpflichtigen auf beiden Seiten ausgetragen werden!
Die Gefahr eines 3. Weltkrieges
Diese Gefahr und mit ihr die einer nuklearen Katastrophe ist um so größer, je länger dieser Krieg andauert. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24.2.2022 ist eine Eskalation deutlich zu vernehmen. Von einem Nein zur Lieferung von Waffen unter Berufung auf das Außenwirtschaftsgesetz ist mittlerweile die aktive Teilnahme der BRD an der Lieferung jedweder Waffengattung an die Ukraine geworden.
Es ist nicht unrealistisch, dass mit russischem Beschuss zum Beispiel dieser Lieferungen eine weitere Eskalationsstufe in Kraft tritt, die alsbald zu einem Point-of-no-return führt, an dessen Ende die Vernichtung der menschlichen Zivilisation steht.
Dass auch unbeabsichtigte direkte Zusammenstöße zwischen Nato und Russland sehr realistisch sind, zeigt ein Vorfall, der sich am 30. April 2022 über der Ostsee vor der Insel Rügen ereignet hat, als ein russisches Aufklärungsflugzeug von zwei deutschen Maschinen noch im internationalen Luftraum weg von Deutschland begleitetet worden sei. (Die Frankfurter Rundschau berichtete am 4. Mai 2022 darüber)
Der Abschuss einer Suchoi Su-24 der russischen Luftwaffe am 24. November 2015 im türkisch-syrischen Grenzgebiet über der syrischen Provinz Latakia durch die türkische Luftwaffe zeigt deutlich, wie schnell beispielsweise Luftraumverletzungen in eine bewaffnete Auseinandersetzung münden können.
Die Grenzüberschreitung von einer nichtkriegsführenden zu einer kriegsführenden Partei hat am 16. März 2022 (vor dem Bundestagsbeschluss zur Lieferung der Gepard-Panzer an die Ukraine also längst bekannt) der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten beschrieben:
Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen. (Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 019/22)
Obgleich die Bundesregierung die Gefahr zurzeit leugnet, wird in diesem Gutachten die reale Gefahr einer Auseinandersetzung zwischen Russland und der Nato dokumentiert. Ein solches Szenario hilft auch der unterstützten Ukraine nichts.
Was ist unser Standpunkt? Was fordern wir?
• Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass dieser Krieg und damit das massenhafte Sterben so schnell wie möglich beendet werden muss!
• Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine anerkennend, lehnen wir Waffenlieferungen dennoch ab.
Diese führen dazu, dass der Krieg heftiger, verlustreicher und länger von beiden Seiten geführt wird. Zu befürchten sind dabei weiter stark ansteigende Opferzahlen auf beiden Seiten und ein massiver Anstieg der Fluchtbewegung.
Deeskalation als Bedingung humanitärer Hilfen, einer Feuerpause oder eines Waffenstillstandes als weitere Voraussetzung für substantielle Verhandlungen kann so nicht stattfinden. Deeskalation und eine Beendigung der Kämpfe sind aber dringend geboten.
Wir sind der Auffassung, dass die politischen Entscheidungsträger ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, indem sie ernstzunehmende diplomatische Initiativen erst gar nicht in Bewegung setzen oder bestehende Vermittlungsversuche nicht ausreichend unterstützen und untermauern.
Die Reise des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, am 26. April 2022 nach Moskau und anschließend in die Ukraine wurde z. B. von der EU oder der Nato nicht zum Anlass genommen, die damit verbundenen Bemühungen u.a. für eine Waffenruhe zur Verwirklichung der Evakuierung von Zivilisten politisch und perspektivisch zu unterstützen. Gleiches gilt für das Angebot des ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskyj, selbst unter dem Eindruck der Massaker von Butscha weiter verhandeln zu wollen. Die ukrainischen Angebote der Neutralität und des Verzichtes auf eine NATO-Mitgliedschaft lagen da bereits auf dem Tisch, wurden aber von westlicher Seite nicht offensiv unterstützt.
Die laufenden Verhandlungen, zu der die Türkei nach Antalya eingeladen hat, werden vermutlich zu keinem positiven Ergebnis führen, weil die Staaten, die die Ukraine unterstützen, nicht beteiligt sind, obwohl gerade das in den Verhandlungen mit Russland geboten wäre. Warum unterstützen wir (Nato, EU…) diesen Prozess nicht tatkräftig und lassen hier die Chance für die Ukraine auf Frieden und ein Ende des Massensterbens ungenutzt?
Auch die vereinzelte Besuchs- und Telefondiplomatie des Bundeskanzlers Olaf Scholz, des französischen Präsidenten Emanuel Macron, Anton Hofreiters (Grüne), Marie-Agnes Strack-Zimmermanns (FDP) und Michael Roths (SPD)… waren nicht geeignet, einen nachhaltigen Entspannungsprozess in Gang zu setzen dienten der Selbstinszenierung.
Bestehende und gemeinsame Formate für Verhandlungen existieren, werden aber nicht genutzt. Zu erwähnen sind hier die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie der Nato-Russland-Rat.
Diese weitestgehende Ausklammerung der Diplomatie sowie die Gefahren für den Weltfrieden, die mit Waffenlieferungen verbunden sind, führen uns zur Forderung:
• nach einer diplomatischen Initiative im Rahmen der Vereinten Nationen (UN), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder des Nato-Russlandrates unter Beteilung der Ukraine, Russlands, der USA sowie der EU.
• Ein Ende der Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet als Voraussetzung vertrauensbildender Maßnahmen und späterer Verhandlungen.
• Rückzug der russischen Truppen vom Staatsgebiet der Ukraine.
Es geht dabei nicht um eine Kapitulation oder – wie es oft heißt – eine Unterwerfung gegenüber Russland.
Es geht dabei um den Versuch, den Krieg, das damit verbundene Massensterben, das Leid der Zivilbevölkerung und die Fluchtbewegung zu stoppen. Das ist nach unserer Auffassung das vorderste Ziel, das es zu verwirklichen gilt, bevor Friedensverhandlungen beginnen.
Ziele von Friedensverhandlungen müssen sein:
• Die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine als neutraler Staat unter Berücksichtigung regionaler Interessen (Autonomiestatus in der Donbass-Region, wie es das Minsk 2-Abkommen vorsieht, oder der Krim).
• vertrauensbildende Maßnahmen wie die Abrüstung konventioneller und atomarer Waffen insbesondere an der russisch-ukrainischen Grenze sowie in den osteuropäischen Nato-Staaten
• Die Weiterentwicklung eines gemeinsamen Systems kollektiver Sicherheit, z.B. der OSZE
Kein neues Wettrüsten
Die VVN-BdA NRW lehnt auch die Bereitstellung von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr sowie die Festlegung des Wehretats auf das 2-Prozent-Ziel ab.
Die militärischer Hochrüstung und dem Prinzip der Abschreckung innewohnende Denkweise dient nicht dem Ziel der Friedenssicherung und der Entwicklung hin zu einer tragfähigen friedlichen Koexistenz.
Das der russischen Armee zahlenmäßig und technisch überlegene Militärpotenzial der Nato hat die russische Regierung am 24. Februar 2022 nicht davon abgehalten, die Ukraine mit einem grausamen Angriffskrieg zu überziehen. Wohlwissend, dass die Ukraine sich militärisch und politisch längst der NATO angenähert hatte – gemeinsame Übungen, Bewaffnung und Ausbildung durch Nato-Staaten, Integration in Nato-Befehlsstrukturen… .
Auch die kürzlich in Ramstein beschlossene massive Ausweitung der Militärhilfe insbesondere durch die USA, die alleine Rüstungsgüter in Höhe von ca. 30 Milliarden Dollar zur Verfügung stellt (zur Verdeutlichung der Dimensionen: Die Ukraine hat einen Verteidigungsetat von ca. 6-7 Milliarden, Russland von ca. 65 Milliarden) führen offensichtlich nicht zur Abschreckung oder zum Einlenken der russischen Regierung.
Militärische Logik ist und bleibt eine Sackgasse und ist über Kurz oder Lang zum Scheitern verurteilt.
An konkreten Verhandlungsangeboten oder an der Unterstützung von existierenden diplomatischen Initiativen (z. B. des Generalsekretärs der Vereinten Nationen) führt nach unserer Auffassung kein Weg vorbei.
Dass diese nicht einfach werden und ganz bestimmt nicht schnell zu einem alle Seiten befriedigenden Interessenausgleich führen, erkennen wir an.
Sie sind aber das einzige Mittel, das geeignet ist, schnell humanitären Hilfen, Feuerpausen, vertrauensbildende Maßnahmen zu vereinbaren und später Interessen zu sondieren, um damit in weiteren Schritten Perspektiven für alle beteiligten Parteien zu entwickeln.