Zur Erinnerung an Wolfgang Schwarz
27. Dezember 2022
Am 10. November gedachten wieder über 200 Menschen der in der Hüttenstraße am Ehrenfelder Bahnhof hingerichteten Zwangsarbeiter und Ehrenfelder Edelweißpiraten. Viele Jahre beteiligten sich ehemalige Mitglieder der Gruppe der Edelweißpiraten an der Kundgebung, Wolfgang Schwarz, Fritz Theilen, Jean Jülich und Gertrud Koch. Nun ist im vergangenen Jahr auch der letzte von ihnen gestorben, Wolfgang Schwarz. Viele Jahre VVN-BdA Mitglied hat er zuletzt die VVN auch in seinem Testament bedacht.
Wolfgang Schwarz wird am 25. August 1926 in Köln geboren. Sein jüdischer Vater emigriert Mitte der 1930er Jahre in die Niederlande. Er wird 1940 verhaftet und in Auschwitz ermordet. Da die evangelische Mutter bereits im Jahr 1935 verstarb, wächst Wolfgang mit seinem Bruder Günter bei Großvater und der Tante mütterlicherseits in Köln-Ehrenfeld auf, Gustl Butt, geborene Spitzley, die als Kommunistin selbst mehrere Jahre im Konzentrationslager inhaftiert war.
Gustl erinnert sich: „Meine Neffen, die flogen überall raus, aus der Schule, aus der Lehre, dem Sport. Als ich 39 aus der Haft rauskam, kam die Polizei und wir mussten einen Fragebogen ausfüllen. Weil der Vater Jude war, kam der Bescheid, sie gälten als Volljuden und müssten einen Stern tragen. Da hab ich mich gegen gewehrt, hab gesagt, wenn die Kinder Volljuden sind, dann bin ich auch Jüdin. Die Nachteile waren ja klar: sie kriegten keine Kleiderkarten, keine Milch keine Butter, nur die Hälfte der übrigen Lebensmittel.“
Wie sein Bruder Günter kann und will Wolfgang nicht am HJ-Dienst teilnehmen. Sie haben Kontakt zu Jugendlichen aus dem Viertel, die zur bündischen Jugend gehören, „Edelweißpiraten“, wie sie man später nennt. Am Wochenende unternehmen sie Ausflüge ins Grüne, ins nahe gelegene Siebengebirge. Als Wolfgang gezwungen ist, eine Konditorlehre zu beginnen, wird ihm die eigene Situation so richtig bewusst.
„Ich wollte eigentlich Flugzeugmotorenschlosser werden, durfte ich nicht. Dann hab ich mit Mühe und Not eine Lehrstelle als Konditor bekommen. Das habe ich auch 1 ½ Jahre gemacht. Dann musste der Lehrmeister mich entlassen. Er durfte mich nicht weiter beschäftigen. Ich bin dann als Arbeitsjunge zu einem Elektrobetrieb gekommen, da habe ich für 28 Pfennig die Stunde gearbeitet.“
Als die Deportationen der jüdischen Bevölkerung beginnen, bekommen auch Günter und Wolfgang die Aufforderung, sich in Deutz einzufinden. Die Tante protestiert beim Rassenamt, beim Jugendamt. Aber es kommt auch die 2. und 3. Aufforderung. Wolfgang erinnert sich:
„Wir haben uns nicht gestellt. Da mussten wir jetzt ohne Lebensmittelkarten leben. Wir waren ja praktisch illegal. Und die Angst war immer da.
Aber ich habe weiter gearbeitet. Vielleicht war das mein Glück. Dass die da nicht nach mir gesucht haben. Das haben die gar nicht erwartet. Sondern die haben vermutet, dass ich irgendwo im Untergrund wäre. In Ruinen schlafen würde oder sonst was.“
Im Laufe des Krieges bekommen die Ehrenfelder „Edelweißpiraten“ Kontakt zur politischen Opposition, beteiligen sich an Widerstandsaktionen, versorgen geflüchtete Zwangsarbeiter und untergetauchte Deserteure mit Lebensmitteln. Kopf der Ehrenfelder Gruppe ist Hans Steinbrück, der in der Schönsteinstraße in der Nachbarschaft der Brüder Schwarz wohnt.
Im Sommer 1944 wird Wolfgang, vermittelt durch kommunistische Kontakte der Tante, zum „Heimatkraftfahrpark“ (HKP) im Müngersdorfer Stadion verpflichtet, um dort Fahrzeuge für die Wehrmacht zu reparieren.
„Im Juni 1944, als der Rückzug der Wehrmacht aus dem Westen kam, wurde eine Gruppe zusammengestellt von der Wehrmacht, die die Fahrzeuge überholen sollte. Die Fahrer, die Soldaten wurden wieder nach vorn an die Front geworfen. Die Wehrmacht hatte von den Kölner Handwerksbetrieben Leute angefordert, das waren so 200-300 Leute. Und da war ich dann auch dabei.“
Beim HKP kann Wolfgang einiges für die Gruppe um Hans Steinbrück besorgen, die inzwischen ein Waffendepot im Keller des ausgebombten Hauses angelegt hat, in dem sie gewohnt hatten.
„Handgranaten, da habe ich einen Teil besorgt. Beim HKP bei den Wagen, die da sichergestellt wurden, da war ziemlich viel Zeug drin, da hab ich immer was mitgebracht.“
Als Wolfgangs Bruder Günter verhaftet wird, wird Wolfgang gewarnt und kann entkommen.
„Ich kam nachmittags so gegen 5 Uhr von der Arbeit, da war die Gestapo schon da gewesen. Was da alles gelaufen war, weiß ich nicht. Ich sah nur, wie Gustl draußen vorbeiging und als ich ins Haus rein wollte, ging sie weiter auf die Venloer Straße zu. Und sie guckte nicht zu mir rüber, beachtete mich nicht und ich dachte, da stimmt was nicht. Ich bin dann später auf Umwegen nach Hause und hab gehört, was da gelaufen war. Und dann habe ich nur noch im Stadion geschlafen.“
Kurz darauf wird der Fuhrpark nach Aggerthal (Schloss Ehreshofen) evakuiert. Von der Hinrichtung am 10. November 1944 erfährt Wolfgang erst am Heiligen Abend durch einen Bekannten, der dort vorbeikommt.
Nach Kriegsende kehrt er nach Köln zurück, arbeitet für einige Jahre bei der Bahnpolizei und anschließend bis zu seiner Pensionierung im Rangierdienst. Er engagiert sich viele Jahre für die Anerkennung des jugendlichen Widerstandes der Edelweißpiraten.
Wolfgang Schwarz verstarb im Oktober 2021.
Für den Film „Edelweißpiraten“ gab Wolfgang Dietrich Schubert ein Interview, und auch von seiner Tante Gustl gibt es ein längeres Interview im Walter Kuchta Archiv der VVN Köln. Auf der Webseite des NS-Dokumentationszentrums unter dem Projekt „Erlebte Geschichte“ gibt es ein längeres Video-Interview mit ihm. Auf all diese Quellen stützt sich dieser Text.