Die Sklavenhalter enteignen! – „Es müssen die geraubten Bilder zurückgegeben werden und die geraubten Löhne auch!“
25. Mai 2019
Ulrich Sander von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten forderte am 15.5.19 in Bielefeld, entschlossenes Handeln zugunsten der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeit. Sander sprach im Rahmen der Ausstellung gegen die AfD „Keine Alternative“ in Bielefeld, veranstaltet u.a. vom DGB und der VVN-BdA. Er betonte: „Die Sklavenhalter müssen endlich zahlen! Sie müssen gegebenenfalls enteignet werden, um Lohnnachzahlungen an die Opfer und auch an die Hinterbliebenen der Opfer zu leisten.“ Sanders Grundsatzreferat hatte das Thema „Verbrechen der Wirtschaft in der Nazizeit – und danach“.
Der Referent führte aus:
Letzten Montag wurde von einer Digital-Konferenz OMR im Internet berichtet. (Es gab das Festival der Online-Marketing-Macher.) Dort kam es am 8. Mai zu einem Rededuell zwischen dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und Verena Bahlsen, der Keksfabrikantenerbin und Jungunternehmerin mit start-up. Kühnert verteidigte seinen Vorstoß, Konzerne enteignen zu wollen. „Ich wundere mich, dass oft so revolutionär im Kleinen gedacht wird, aber eben nicht im Großen. Start-ups diskutieren über Kicker-Tische für Mitarbeiter, aber nicht über Teilhabe am Unternehmen“, ärgerte sich der Juso-Vorsitzende (lt. Handelsblatt). Frau Bahlsen antworte: “Ich bin überhaupt nicht gegen Kapitalismus. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen und ich freue mich auch drüber.“ Sie wolle sich bald eine Segeljacht kaufen. Diese Äußerung sorgte im Netz für heftige Kritik. Verena Bahlsen habe wohl vergessen, worauf ihr ererbter Reichtum gründet: Nämlich nicht auf eigener Arbeit sondern auf Zwangsarbeit im Kriege. Sie antwortete: Die Zwangsarbeiter, die Bahlsen im Kriege beschäftigte, seien ordentlich entlohnt worden. Das Unternehmen habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Da sind keine Schulden zurückzuzahlen? Diese Äußerung ist eine Frechheit. Die Sklavenhalter müssen endlich zahlen! Sie müssen gegebenenfalls enteignet werden, um Lohnnachzahlungen an die Opfer und auch an die Hinterbliebenen der Opfer zu leisten.
Es handelt sich um Lohnraub an den 15 Millionen Zwangsarbeitern, der rückzahlbar ist auch an ihre Erben. Vorbild sollten die Regeln um Kunstraub sein. Es ist heute noch üblich, und das ist gut so, Kunstgegenstände danach zu fragen, ob sie nicht Raubkunst darstellen, geraubt von den Nazis und zurückzugeben an die früheren Besitzer oder ihre zumeist jüdischen Erben. Ich finde, es sollte auch nach Lohnraub gefragt werden und wie dieser wiedergutzumachen ist.
Es müssen die geraubten Bilder zurückgegeben werden und die geraubten Löhne auch!
Erinnerung an die Mahnung von Ignaz Bubis
Der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, schrieb vor 24 Jahren im „Handelsblatt” über die deutschen Unternehmer: „Sie haben leider sehr wenig getan, um ihre eigene NS-Vergangenheit und ihre Rolle in dem Terrorregime aufzuarbeiten. Sie haben diese Zeit zumeist verdrängt.” In den Publikationen der Unternehmen habe man die Zeit, in der Zwangsarbeiter für die Firmen eingesetzt worden seien, nur gestreift. Dabei hätten letztlich alle deutschen Betriebe in irgendeiner Form Zwangsarbeiter beschäftigt, „von denen Hunderttausende ihr Leben lassen mussten.” (Handelsblatt, 24. 4. 95)
Die verschiedensten Berufsgruppen haben im Laufe der Zeit ihre Vergangenheit durchleuchtet – dies besonders zu der Zeit, da niemand von den Schuldigen noch lebte. Nur die Unternehmer nicht. In aller Unschuld hat in diesen Tagen einer der leitenden Herrn des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühner darauf aufmerksam gemacht, dass die Familie Quandt vor Jahren den großen Anteil an BMW rechtmäßig erworben habe. Und die Kritik an BMW sei demzufolge unzulässig. Keiner fragt: Woher stammt das Vermögen der Quandts?
Dazu erlaube ich mir einen Hinweis. Kevin Kühnert ist sicher kein Revolutionär. Trotzdem trifft Bertolt Brechts „Lob des Revolutionärs“ auf ihn zu. „Er fragt das Eigentum: / Woher kommst du? / Er fragt die Ansichten: / Wem nützt ihr?“
Der Juso-Vorsitzende hat seine Unternehmenskritik an BMW und damit an der Familie Quandt festgemacht. Beide, BMW und Quandt, müssen im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsprogramm der Nazis „Vernichtung durch Arbeit“ benannt werden. Quandt-Betriebe a la Vartha gab es im ganzen Reich. Ohne seine Akkus und Batterien rollte kein Panzer. Ohne diese Panzer wäre Quandt nie so reich geworden. Nie geklärt wurden die Todesfälle, die Quandt verschuldete.
Die Akkumulatorenfabrik AG der Quandts in Hannover z.B. produzierte Batterien für U-Boote und Torpedos. Die Zwangsarbeiter lebten im Firmen-KZ Stöcken und 400 von ihnen starben an den furchtbaren Arbeitsbedingungen, andere wurden todkrank ins KZ Neuengamme gebracht oder bei Kriegsende auf den Todesmarsch nach Bergen-Belsen oder Gardelegen geschickt .Dort wurden am 13. April 1945 über 1.000 Gefangene in einer Feldscheune lebendig verbrannt („Massaker von Isenschnibbe”).
Über die Ausbeutung der Arbeiter und der Sklaven
Worauf fußt die Ausbeutung der Arbeiter/innen und Zwangsarbeiter/innen? Laut Karl Marx ist es so: Die arbeitenden Produzenten arbeiten mit den Produktionsmitteln des Kapitalisten, und es arbeiten die Produzenten eine bestimmte Zeit des Arbeitstages für sich und den Rest des Arbeitstages für den Kapitalisten. Dies ist die kapitalistische Produktion des Mehrwerts und des Profits. Die Arbeiter schaffen alle Werte, die Nutzwerte und den Mehrwert, über den sie jedoch nicht verfügen können. In der Zeit der Nazidiktatur wurden auch solche Arbeiter eingesetzt, die keinen oder kaum einen Zeitabschnitt des Tages für sich arbeiteten: die Zwangsarbeiter. Sie schufteten fast nur für den Profit. Wie Sklaven. Wie Sklaven z.B. der Quandts.
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Gehen wir fast 100 Jahre zurück in die Vergangenheit. Fragen wir:
Wie war es möglich, dass Hitler und seine Nazipartei innerhalb weniger Jahre von einer politischen Splittergruppe zu einer politisch einflussreichen Kraft werden konnten? Wie war es möglich, dass Hitler schließlich Anfang 1933 die Reichskanzlerschaft angetragen werden konnte? Wie war es möglich, dass das faschistische Regime an der Macht innerhalb von sechs Jahren in der Lage war, einen Krieg zu führen und halb Europa zu unterjochen? Wie war es möglich, dass die größten Teile des deutschen Volkes Hitler auch dann noch folgten, als die Niederlage deutlich zu erkennen war?
Massiver Förderung Hitlers seit den Zwanziger Jahren
Schon Ende 1926 bekam Hitler im Essener Kruppsaal die Gelegenheit, vor über 200 Industriellen des Ruhrgebietes sein politisches Programm („neue Wege zur Macht“) vorzustellen. Es mag ein historisches Detail sein, zeigt aber deutlicher als vieles andere, welche Wertschätzung die NSDAP in Industriellenkreisen besaß, dass Hitler seit 1926 für seine umfangreichen Reisen Geldmittel und den Komfort der Unternehmen nutzen konnte. Wenn er auf dem Essen-Mülheimer Flughafen ankam, wurde er mit Chauffeur der Fuhrparks Thyssen, Krupp oder Kirdorf abgeholt. Dass es nicht bei diesen symbolischen Annehmlichkeiten blieb, zeigten die Herren des Steinkohle-Syndikats, die schon ab Januar 1931 für längere Zeit pro verkaufter Tonne Kohle 5 Pfennig als Spende für die NSDAP abgaben. Zudem wurde der Aufbau der SA im Ruhrgebiet mit der Bereitstellung von Immobilien des Bochumer Vereins und erheblichen Geldmitteln der Schwerindustrie gefördert. Die NSDAP konnte durch große Zuwendungen von Thyssen und Kirdorf ihre Parteizentrale in München kaufen und in verschiedenen Ruhrgebietsstädten erhielt die Partei kostenfreie Immobilien für ihre Büros. Es sind solche Details, die die Arbeit von Günter Gleising und anderen Rechercheuren aus unserer VVN-BdA NRW auch für erfahrene Historiker spannend und lesenswert machen, schreibt dazu Dr. Ulrich Schneider, Historiker und VVN-BdA-Bundessprecher.
Hitlers Aufstieg und der seiner Partei wäre ohne die Unterstützung der Wirtschaft nicht möglich gewesen. Besonders an Rhein und Ruhr fand er schnell große Hilfe und finanzielle Gönner. Dabei kam zusammen, dass sich das Interesse der Wirtschaft an der Beseitigung der Hemmnisse an der Profitmaximierung mit Hitlers politischem und ökonomischem Programm traf. In der Autark-und Rüstungspolitik sahen viele Industrielle frühzeitig beste Entfaltungs-und Profitmöglichkeiten.
Unsere Veröffentlichungen und Recherchen im Rahmen der VVN-BdA-Aktion „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr“ belegen auch anhand zahlreicher Fotos und Zeitdokumenten, wie es Hitler gelang, sich von 1925 an im Ruhrgebiet zu verankern und Gelder bei Industriellen einzusammeln. Im Düsseldorfer Industrieclub waren am 26. Januar 1932 über 600 hohe Wirtschaftsvertreter und Industrielle der Schwerindustrie von Hitlers Ausführungen derart begeistert, dass der Ruf „Hitler an die Macht“ immer lauter wurde. In letzten Gesprächen mit maßgeblichen Vertretern der Wirtschaft in Köln, Mülheim und Dortmund am 4. und 7. Januar 1933 wurden schließlich die Weichen dafür gestellt, dass Reichspräsident von Hindenburg die Macht in Hitlers Hände legte.
Die mahnende Bodenplatte von Köln
An diese Gespräche erinnert in Köln seit 1996 eine Tafel, die in den Boden am Hause Stadtwaldgürtel 35 eingelegt ist:
„Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“
Dieses Schild sollte Vorbild sein für andere Städte, um mahnend zu erinnern. Die VVN-BdA erinnert daran:
Die Kette der Stätten von »Tatorten« der Wirtschaftseliten beginnt mit dem Industrieclub in Düsseldorf, also mit dem Jahr 1932. Dort haben wir seit Jahren immer wieder Schilder angebracht, um an das Treffen Hitlers mit der Industrie zu erinnern. Vorbild für unsere Aktionen war auch der Kampf hier in Bielefeld gegen die Ehrungen für Richard Kaselowsky vom Oetker-Konzern. Da wurde schon in den 80er Jahren Entscheidendes getan.
Der Kölner Bankier v. Schröder sagte nach 1945 über die Begegnung Hitlers von 1933 mit Vertretern der Wirtschaft: »Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange an der Macht bleiben würde. … Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten – einmal an der Macht – eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden. … In diesem Zusammenhang sind zu erwähnen: eine von Hitler projektierte Erhöhung der deutschen Wehrmacht von 100.000 auf 300.000 Mann…«
Wirtschaftskreise halfen die Republik zu zerschlagen
Hitler und seinen Naziorganisationen gelang es nach Januar 1933 innerhalb weniger Wochen, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, die verbliebenen bürgerlichen Oppositionellen beiseite zu schieben und das Land mit Gewalt und Terror zu überziehen. Mit Wissen, Billigung und Unterstützung der Wirtschaft wurde die Demokratie abgeschafft, die Republik zerschlagen.
Wer will, kann heutzutage viele Einblicke in die Struktur und die Mechanismen, die diese Entwicklung schufen, bekommen. Begünstigt von der gewaltigen Konzentrationswelle der Schwerindustrie im Ruhrgebiet, dem enormen Einfluss von Industriellen wie Krupp, Thyssen, Borbet, Vögler, Flick und Springorum, den Ergebnissen der Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitende und arbeitslose Bevölkerung – nicht zu vergessen die Medienmacht eines Alfred Hugenberg – konnte schnell Hitlers Programm der Aufrüstungs-und Kriegspolitik umgesetzt werden. Krupp wurde wieder Rüstungsschmiede, der Bochumer Verein zusammen mit der übernommenen HANOMAG zum technologisch führenden Entwicklungskonzern für Rüstung ausgebaut. Die Schwerindustrie eilte von Rekordergebnis zu Rekordergebnis.
Die Konzerne an Rhein und Ruhr wurden zum Instrument der totalen Kriegsführung, der Ausbeutung der eigenen Bevölkerung ebenso wie der Ausbeutung der unterworfener Länder und ihrer Menschen. Die Unterdrückung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger ab 1933 fand ihre Fortsetzung in der Einverleibung des jüdischen Besitzes in deutsche Betriebe und Konzerne und wenig später im Holocaust. Die Zwangsarbeit im Ruhrgebiet wurde zur Massenerscheinung und gipfelte in der Errichtung von vielen Hundert Zwangsarbeiterlagern und dem Bau von KZ-Außenlagern.
In unseren Veröffentlichungen wird erstmals der Umsturz von 1933 nicht nur im Reichsmaßstab, an der Spitze der Pyramide dargestellt, sondern auch die Auswirkungen in den Betrieben werden verdeutlicht. Der Unternehmer wurde zum Betriebsführer, zum Diktator, der über seine Gefolgschaft herrschte. Belegt wird, dass das Gerede von der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch die Nazis verlogen ist. Zwar kamen mehr Arbeiterinnen und Arbeit in die Betriebe, aber für größere Belegschaften wurde eine geringere Lohnsumme gezahlt. Der Begriff Zwangsarbeit hätte eigentlich ab 1933 für alle Arbeiter angewendet werden müssen, der dann ab Kriegsbeginn für die Millionen Deportierten galt, auf die allerdings der Begriff Sklavenarbeit anzuwenden wäre.
Die faschistische Herrschaft wird z. B. in Günter Gleisings Buch bis an die Basis im Betrieb herab verfolgt, wie es bisher nicht möglich war. Das gelingt, indem neben der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der Focus z. B. auf Bochum gerichtet wird, damals die Gauhauptstadt für den größten Teil Westfalens. Damit wird eine Spurensuche betrieben – Suche nach den Tätern bis in den Stadtteil hinein.
Das Treffen von Straßburg 1944
Machen wir einen Sprung. Nach 1945 erfuhren jene, die es wissen wollten, wie die wirtschaftlich Mächtigen versuchten, sich eine reine Weste zu verschaffen oder der Entnazifizierung zu entgehen. Andere mussten zwar in Haftanstalten, wurden aber schnell wieder entlassen. Große Teile des technologischen und innovativen Potentials der Ruhrwirtschaft und vor allem der Rüstungsindustrie wurde schon bald vor allem von der US-amerikanischen Besatzungsmacht in die USA transferiert. Dabei ging es um die Innovationen der Stahlindustrie und Kohlewirtschaft ebenso wie Technologien der Kriegstechnik und den Raketenbau. Am letztgenannten war z. B. auch der Bochumer Verein mit der Luft-Luftrakete „Ruhrstahl X 4“ beteiligt.
Die großen Unternehmen bekamen ihre Konten bei der Währungsreform 1948 in zehn zu eins – Reichsmark zu D-Mark – angerechnet. Die Normalbürger bekamen 40 DM pro Kopf, alle weiteren Gelder verfielen.
Diese Entwicklung wurde noch während des Krieges eingeleitet. Ein Geheimagent der US-Armee hat im Herbst 1944 laut Bericht an das State Department vom 7. November 1944 über ein Treffen von SS und Industrie folgendes notiert: »Ein Treffen der wichtigsten deutschen Industriellen, die in Frankreich Interessen haben, fand am 10. August 1944 im Hotel Rotes Haus in Strasbourg (Frankreich) statt.« Man beschloss: »Die bestehenden Finanzreserven im Ausland müssten zur Verfügung der Partei gehalten werden, so dass ein starkes Deutsches Reich nach der Niederlage geschaffen werden könne«. Es sollten geheime Büros im Reich gebildet werden. »Die Existenz dieser Büros ist nur einem ganz kleinen Kreis von Industriellen und den Führern der Nazipartei bekannt. Jedes hat einen Verbindungsmann zur Partei. Sobald die Partei stark genug ist, die Macht in Deutschland wieder zu übernehmen, würden die Industriellen für ihre Anstrengungen und Zusammenarbeit durch Konzessionen und Vorrechte bezahlt werden«. (Die Quelle zu dem Text zum Treffen in Straßburg am 10. August 1944 ist: Heinz Bergschicker „Deutsche Chronik 1933-1945“, Verlag der Nation Berlin 1982, Seite 534. Teilnehmer waren die Konzernvertreter von Krupp, Bosch, Thyssen, VW, Rheinmetall, Saar-Röchling, Wintershall/Quandt und Messerschmidt, Vertreter vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und von Ministerien der Reichsregierung.
Noch heute: Es herrscht das Kapital
Nun Meldungen aus der Gegenwart: Vor nicht all zu langer Zeit wurde bekannt: „Die Zentrale Stelle (zur Aufklärung von NS-Massenverbrechen) in Ludwigsburg steht vor dem Aus. Große Teile ihrer Bestände sollen geschreddert werden. Aber sie sind interessant für die Aufarbeitung des manchmal sehr wohlwollenden Umgangs der Ämter mit NS-Tätern.“ (Jüdische Allgemeine, 8. 12. 2016)
Und ferner: „Regierung streicht heikle Passagen aus Armutsbericht. (…) So fehlt zum Beispiel der Satz: ‚Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.‘“ (Süddeutsche Zeitung, 15. 12. 2016)
Noch bis vor kurzem hat Ludwigsburg in der Aktion „Last Chance“ gegen hochbetagte Täter aus Vernichtungslagern ermittelt und Bestrafungen erwirkt. Es waren Aufseher beispielsweise aus Auschwitz. Die Erbauer von Auschwitz-Birkenau/Monowitz, die Banker und IG Farben-Manager bzw. ihre Institutionen wurden nicht belangt. Ihre strafweise Enteignung unterblieb. Es gab umfassende Tätergruppen, die nie von deutschen Gerichten belangt wurden. So die deutschen Unternehmer.
Zyklon-B-Produzent als Sponsor im Sport
Wir fragen: Kann derjenige, der die Büchsen mit dem Zyklon B in die Gaskammern warf, heute noch bestraft werden? Ja, lautet die Antwort. Das geht aus den aktuellen Prozessen gegen hochbetagte KZ-Aufseher hervor. Wenn das so ist, warum gilt das nicht auch für diejenigen, die diese Büchsen herstellten oder lieferten? Es lieferten unter anderem die IG Farben, Degussa, Degesch. Noch heute gibt es deren Nachfolger: Bayer und Evonik. Der Name des Degussa-Nachfolgekonzerns Evonik steht auf den Trikots vieler tausend Sportfreunde in Dortmund, wenn der BVB spielt. Und Degussa gibt es auch: Ein Goldhändler wie jener, der vor 1945 das Gold aus den Mündern der Opfer vermarktete.
Sollte man nicht genauer hinsehen, wenn einem die Degussa-Gold-Werbeprospekte ins Haus flattern. Übrigens: Wer da Gold kauft, fördert die AfD.
Mord verjährt nicht. Oder doch, wenn der Mörder eine große Firma, ein Sponsor im Sport ist?
Als die CDU den Kapitalismus ablehnte
Nach 1945 war allgemein die Erkenntnis verbreitet, dass die kapitalistischen Unternehmen und ihre Führungen nie wieder so viel Macht erlangen dürfen wie 1933. Im Ahlener Programm der CDU von 1947 hieß es: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Wirtschafts- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht.“
Es ist anders gekommen. Doch es gibt noch immer die Möglichkeiten, an die Erkenntnisse von 1947 anzuknüpfen. Das Grundgesetz und die Länderverfassungen kennen Sozialisierungsartikel. Das Bundesverfassungsgericht entschied in einem Grundsatzurteil im Jahre 1954: „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche.“ Das Urteil gilt bis heute.
Dennoch verhalten sich viele Gerichte und der Verfassungsschutz so, als wäre der Kapitalismus gleichzusetzen mit der Verfassung und der Demokratie. Kapitalismuskritik gilt als verfassungsfeindlich.
Unsere Organisation klagt an – so wie nie ein Staatsanwalt im Lande eine Anklageschrift geschrieben hat, – wie sie aber notwendig gewesen wäre. Die Schuld des großen Kapitals an der Vernichtung der Demokratie, an Kriegsvorbereitung und Massenvernichtung von Menschen wird von uns nachgewiesen. Zum Beispiel mit unserer Kampagne „Verbrechen der Wirtschaft“.
Freispruch für die NS-Wirtschaftler
Die Alliierten haben in Nürnberg einige wenige Industrielle angeklagt, die deutschen Behörden haben sie wieder freigelassen und ihnen ihren Besitz zurückgegeben. Auch von den ganz Großen wurden nur sehr wenige belangt, so z.B. gingen die Quandts unbehelligt durch deutsche Nachkriegsgeschichte und gehören damals wie heute zu den Reichsten. Mittels unserer Aktion „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945“ zur Spurensuche und -kennzeichnung der Tatorte können die geplanten justiziellen „Schredderaktionen“ in Frage gestellt werden, – wenn auch nicht im juristischen Sinne, wohl aber im moralischen und politischen.
Jedoch: Die etablierten Historiker der Drittmittelforschung haben sich auf das Schonen des Ansehens des großen Geldes geeinigt. Der Historiker aus den USA Henry Ashby Turners legte 1985 dafür den Grundsatz fest: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen.“ Ja, es ist nicht zu verteidigen. Mit unserer Aktion wird es angeklagt. Deshalb wurde der VVN-BdA angedroht, den Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren.
Die Wahrheit soll unterdrückt werden. Der Historiker Prof. Ulrich Herbert stellte fest: »Es gibt Analysen, die zeigen, dass ein erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der Zwangsarbeiter«. Und auch der Erwerb der größten Quandt-Betriebe der Nachkriegszeit, der Bayerischen Motorenwerke BMW, wurde nur möglich durch die Kriegsgewinne und die Ausbeutung von Sklavenarbeit. Ich verweise auch auf Dietrich Eichholtz (DDR), den bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der NS-Wirtschaftspolitik. Deutschland hatte zwar den Krieg verloren, schrieb er, aber am Krieg verdient. Otto Köhler stellte fest: „Der deutsche Wohlstand nach 1945 und Ludwig Erhards vermeintliches Wirtschaftswunder beruhen auf dem durch den deutschen Angriffskrieg verlorenen Wohlstand der Völker Europas.“
Ich verweise auch auf den Wissenschaftler Thomas Kuczynski, der nachwies, dass die Industriellen bei der sogenannten Zwangsarbeiterentschädigung im Jahre 2001 den Hinterbliebenen der Sklavenarbeit mindestens 50 Milliarden Euro an Lohn schuldig geblieben sind. Nur 2,5 Milliarden Euro hatten sie zu zahlen, und dies nur, weil die USA drohten, ihnen den USA-Markt zu sperren, wenn sie nicht den Marktvorteil ausglichen, der durch die Zwangsarbeiter entstand.
Kapitalismus in Frage stellen
Dies festzustellen, bedeutet antikapitalistische Kritik zu üben, wie sie immer mehr Menschen entsprechend den Lehren der Geschichte für richtig halten. Diese Kritik wird nicht nur im Bundesland NRW kriminalisiert. Die FDP will das Grundgesetz ändern und den Artikel 15 mit dem schönen Titel „Sozialisierung“ streichen. Und wer diesem Artikel gemäß argumentiert, sollt aus der SPD rausfliegen, sagt der SPD-Wirtschaftsflügel.
An dem Trubel um die Äußerungen von Kevin Kühnert beteiligte sich Bild mit Schlagzeilen, als würden sich die Betriebsräte und Gewerkschaften in Konfrontation zur SPD begeben. Laut Satzung der IG Metall gehört die „Überführung von Schlüsselindustrien […] in Gemeineigentum“ zu den Zielen der IG Metall. Wenn Kevin Kühnert nun Ähnliches verlangt, dann ist er nicht weit von der Gewerkschaft entfernt, wohl aber sind die Gewerkschaftsmitglieder, die ihn derartig angreifen, und die BILD-Zeitung, von der Wahrheit weit entfernt. Es sind gewiss andere Gründe denkbar, die die SPD nicht wählbar erscheinen lassen, aber das tut hier nichts zur Sache.
Der Fall EVONIK
Die Friedensbewegung liefert oft Enthüllungen zur deutschen Rüstungsindustrie. Stichwort Rheinmetall. Das ist gut so. Zu Rheinmetall werde ich noch etwas sagen. Zunächst noch einmal zum IG Farben Nachfolger wie zum Beispiel EVONIK. Was produziert EVONIK? Nach einigen Surfen findet man auf der Konzern-Website die Auskunft: „Plexiglas und anderes“. Die Schilde, die uns (und auch den Fans, die mit dem EVONIK-BVB-Trikot herumlaufen) von den Einsatzkräften der Polizei entgegengehalten werden, können durchaus von EVONIK stammen. EVONIK gibt auf einer seiner Seiten auch bekannt: Der Konzern sei wichtig „in der Schutzverglasung (Militär, Polizei, Einbruchsschutz …)“
Also ist EVONIK heute ein Rüstungsbetrieb. Und zudem gibt es diese Traditionen zum Nazi-Regime. Doch der Reihe nach. Erklärt werden müssen die folgenden Namen. Erstens Degussa mit der Tochter DEGESCH. Zweitens August von Finck (senior und junior). Und drittens EVONIK.
Der Name Degussa steht für „Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt“. Das Unternehmen vermarktete in der NS-Diktatur das Zahngold der Jüdinnen und Juden, die in den Vernichtungslagern ermordet worden waren. Degussa lieferte über die Tochterfirma Degesch – ausgeschrieben „Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ – das tödliche Gas „Zyklon B“ für die Gaskammern in diesen Vernichtungslagern.
Auf der WebSite von EVONIK wird ausgesagt, es seien ja „nur“ ein Prozent der Zyklon-B-Produktion für die Tötung im Holocaust nötig gewesen, man habe also nicht viel dafür bekommen.
August von Finck senior war maßgeblicher Eigentümer der Privatbank Merck Finck. Diese Bank war eng mit dem Nazi-Regime verbunden. Sie expandierte vor allem durch die „Arisierung“ von zwei jüdischen Banken. Die Bank expandierte auch nach 1945. Der Sohn von August Finck senior, also August Finck junior, verkaufte die Bank und lebt als vielfacher Millionär heute in der Schweiz.
August von Finck junior bzw. die Bankiersfamilie von Finck erwarb 2010 die Nutzungsrechte für den Markennamen Degussa in Verbindung mit dem Edelmetallgeschäft von EVONIK. Gegründet wurde das Unternehmen Degussa Sonne/Mond Goldhandel GmbH, das in der Regel verkürzt unter dem Namen Degussa Goldhandel auftritt.
Der Essener Konzern EVONIK schließlich ist der Zusammenschluss von IG Farben Nachfolgern, von Degussa und der Ruhrkohle AG (RAG).
Wer zahlt für die AfD?
Nun wurde Ende 2018 bekannt, dass die AfD größere Summen an Geld aus dubioser Quelle in der Schweiz erhielt. Dieser Skandal hat sich seither ausgeweitet; die Hintergründe sind noch längst nicht in Gänze ausgeleuchtet. Doch bereits am 26. November 2018 konnte man der Süddeutschen Zeitung entnehmen: „Bei der Frage, wer denn mögliche Unterstützer im Umfeld der AfD sein könnten, führt nun eine Spur zum Milliardär August von Finck junior […] Es deutet viel darauf hin, dass der 88-jährige Finck und sein Bevollmächtigter Ernst Knut Stahl die 2013 gegründete Partei seit den Anfangsjahren aufmerksam beobachtet haben und wichtige Schlüsselfiguren kannten.“ Diese Hinweise haben sich seither verdichtet. Vieles spricht dafür, dass der Milliardär August von Finck die Rechtsextremen von der AfD finanziert.
Wiederholt sich die Geschichte? Hitlers Aufstieg seit Mitte der 1920er Jahre ist in starkem Maß der Unterstützung geschuldet, die seine damalige Minipartei von Anfang an seitens reicher Bankiers und Industrieller erhielt. Die AfD ist heute weit mehr als eine Minipartei. Wir sind gewarnt.
Der NS-Unterstützer August von Finck senior war nach dem Krieg einer der reichsten Bankiers mit dem größten Geld- und Grundstücksvermögen. Nun ist sein Sohn August von Finck jun. wieder dabei, wenn es gilt, ultrarechte Kräfte zu fördern.
Der Fall Rheinmetall
Nach EVONIK wenden wir uns Rheinmetall zu. Im Herbst 1926 war Borsig/ Rheinmetall dabei, als Putschpläne gegen die Demokratie geschmiedet wurden. Als der Konzern 1933 in Konkurs ging, da war das kein Glücksfall für die Demokratie, sondern für die Nazis. Sie retteten Rheinmetall. Der staatliche Einfluss durch Institutionen der Wehrmacht und die Eingliederung von Rheinmetall-Borsig in das Staatsunternehmen Reichswerke Hermann Göring nahm ständig zu. Bald war das Unternehmen vollständig verstaatlicht und in die planmäßige Kriegsvorbereitung integriert, auf dass die Waffenproduktion wie geschmiert weiterlief. Diese Eingliederung bei Göring rief bei Friedrich Flick und anderen Industriellen, die Hitler um ihrer Profite willen an die Macht gebracht hatten, Unwillen hervor. Unwillen über „Sozialisierung“, den sie später als eine Art Widerstand ausgaben. Doch Hermann Göring antwortete ihnen: Wartet ab, Ihr bekommt schon noch Euren Anteil. Und so schritten den Blitzkriegern die Konzernvertreter hinterher, um Stahlwerke und anderen Betriebe zu arisieren und zu rauben und 15 Millionen Zwangsarbeiter/innen ins Reich zu holen, auf dass sie als Sklaven u.a. für Rheinmetall arbeiteten. Viele wurden durch Arbeit vernichtet. Allein die Reichswerke Hermann Göring versklavten 300.000 sog. OstarbeiterInnen. Viele Tausend SklavInnen schufteten an anderen Rheinmetallstandorten.
Es ist gut, dass sich Widerstand gegen Rheinmetall richtet. Denn mit diesem Rüstungskonzern ist Deutschland an Kriegen und Kriegsvorbereitungen in aller Welt beteiligt.
„… bis sie vor ihren Richtern stehen“
Vor wenigen Tagen hatten wir den 8. Mai, den Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus. Viele Jahre wurde dieser Tag offiziell nicht gewürdigt. Der 8. Mai 1945 ist und bleibt aber für AntifaschistInnen in allen Teilen der Welt das „Morgenrot der Menschheitsgeschichte“ (Peter Gingold). An vielen Orten der Welt wird dieser Tag würdig begangen. Die Erinnerung an die Opfer der faschistischen Barbarei und die Kämpfer/innen gegen den Faschismus ist für uns alle ein bleibendes Anliegen.
Bei ihrer Befreiung 1945 schworen die überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Er schließt mit dem Satz: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht.“
Dass sie vor den Richtern der Völker stehen, das ist den Herren der Rüstungskonzerne wie Rheinmetall, wie Quandt und EVONIK bisher erspart geblieben. Wir brauchen eine große Anklage, damit im Interesse der Millionen Opfer Recht gesprochen wird. Und ihr Spruch kann nur lauten: Schuldig. Den Schuldigen muss das Handwerk gelegt werden.
Ein für alle Mal.
Das war auch das Anliegen der Potsdamer Konferenz der Alliierten von 1945. Im Sinne der dort gesprochenen Verurteilung des deutschen Militarismus wurde vom Parlamentarischen Rat in das Grundgesetz 1949 die Absage an Militär und Krieg hineingeschrieben. Das geschah jetzt genau vor 70 Jahren, und nur sieben Jahre später wurde dann die Bundeswehr im Grundgesetz verankert. Zu fordern ist zum Grundgesetzjubiläum die Wiederherstellung dieser antimilitaristischen Verfassungsprinzipien. Und auch anderer Prinzipien, so die der Artikel 14 und 15.
Manche Leute möchten „Verfassungsbruch“ schreien, wenn von diesen Artikeln die Rede ist. Aber es gilt, die Verfassung wiederherzustellen.