„Dieser Barras stinkt uns!“– Vor 50 Jahren meldeten sich „Soldaten für den Frieden“ zu Wort

13. August 2020

Mit einer Studie „Soldat 70“ traten rund 100 Soldaten im September 1970 an die Öffentlichkeit. Wir veröffentlichen dieses Dokument, das nicht ohne Brisanz auch für heute steht. Es heißt darin: „Dieser Barras stinkt uns! Denn wir haben erfahren, daß der Anspruch der Bundeswehr, für Frieden und Demokratie einzustehen, im Widerspruch zur Wirklichkeit steht. Wir haben erfahren, daß die Bundeswehr von Männern geführt wird, denen alles Militärische zum Lebensinhalt und Selbstzweck geworden ist. Wer aber nicht mehr bereit ist, das Militär grundsätzlich in Frage zu stellen, stellt eine ständige Bedrohung für friedliches und ziviles Leben dar.

Deshalb finden sich in unseren Reihen auch solche Soldaten. die in Uniform gegen die Anwendung der Notstandsgesetze und gegen den Krieg der USA in Vietnam und Kambodscha demonstriert haben. Deshalb gehören wir zu denen, die in den Kasernen den alten und neuen Nazis den Kampf angesagt haben. … Wir haben uns z.B. dagegen gewehrt, daß die alten und neuen Nazis wieder frech und offen in der Bundeswehr Propaganda machen und als Kandidaten der NPD auftreten dürfen. Das Ergebnis war: Nicht sie sondern wir wurden verknackt – von Ausgangssperren bis zum Bau. … Wenn das Grundgesetz für alle gelten soll, dann dürfen Bürger auch in Uniform nicht weniger Rechte haben.“

Es folgt der Wortlaut des Dokuments

Soldat ’70

Wehrpflichtige melden sich zu Wort

Alle reden von der Budeswehr. „Wir auch. Wir sind junge Arbeiter, Angestellte und Abiturienten, die zur Zeit ihren Wehrdienst ableisten.
Vier Monate nach der Veröffentlichung von „Soldat ’70″ am 10. Mai 1970 legen wir hiermit nach öffentlicher Diskussion mit unseren Kameraden eine zweite Ausgabe vor.
Was seit der Veröffentlichung von „Soldat ’70” geschah hat uns Recht gegeben. Es wurde der Nachweis erbracht, wie notwendig für die Verwirklichung von Entspannungsbemühungen und einer echten Friedenspolitik das Engagement demokratischer Soldaten ist.
Denn was nützt einerseits ein „Verteidigungsweißbuch” in dem einige Passagen ohne Zweifel einen Fortschritt gegenüber vergangenen Zeiten ausmachen, wenn andererseits mit diesem „Weißbuch“ die Diskussion der Soldaten über die Politik der Bundesregierung und der Generale unter dem Schlagwort „Gehorsam“ untersagt wird.
Die echte politische Diskussion der Soldaten aber ist notwendig. Nehmen wir zum Beispiel den Vertrag der BRD mit der Sowjetunion, der von der Mehrheit der Kameraden begrüßt wird. Der in Moskau beschlossene Vertrag verpflichtet beide Staaten, die in Europa bestehenden Grenzen zu achten und die Entspannungspolitik auf dieser Grundlage weiterzuführen. Der Geist des Vertrages darf nicht an der Wehrpolitik vorbeigehen. Wir verurteilen es, daß weiterhin aufgerüstet wird, als stehe ein Krieg vor der Tür und als gebe es den Vertrag nicht. Wir verurteilen es, daß Verteidigungsminister Helmut Schmidt jeden Gedanken an Rüstungsverminderung als Konsequenz aus dem Vertrag von sich weist. Wir verurteilen es, daß weiterhin in der Bundeswehrausbildung vom Fall Rot ausgegangen wird, daß Antikommunismus von reaktionären Kommisköpfen gepredigt wird.
Wir fordern Beiträge zur Abrüstung und die sofortige Ratifizierung des Vertrages. Um für diese Forderungen eintreten zu können, ist die uneingeschränkte Diskussion über die Politik der Regierung, des Ministers und seiner Generale Voraussetzung.
Solange der ehemalige Oberstleutnant im Nazigeneralstab und heutige Generalinspekteur der Bundeswehr, de Maizière, glaubt, demokratisches und verantwortungsbewusstes Handeln der Soldaten durch Verbotserlasse verhindern zu können, solange handelt die Bundeswehr im Bündnis mit den reaktionärsten Kräften in unserem Lande: mit den Landsmannschaften, mit Franz-Josef Strauß, von Guttenberg, Kiesinger, Barzel, von Thadden und anderen.
Und so lange gilt für uns weiterhin:
Dieser Barras stinkt uns!
Denn wir haben erfahren, daß der Anspruch der Bundeswehr, für Frieden und Demokratie einzustehen, im Widerspruch zur Wirklichkeit steht.
Wir haben erfahren, daß die Bundeswehr von Männern geführt wird, denen alles Militärische zum Lebensinhalt und Selbstzweck geworden ist. Wer aber nicht mehr bereit ist, das Militär grundsätzlich in Frage zu stellen, stellt eine ständige Bedrohung für friedliches und ziviles Leben dar.
Wir haben nicht nur von Frieden und Demokratie geredet, sondern wir haben danach gehandelt. Und wir nehmen Par. 17,2 des Soldatengesetzes ernst. Wir wollen das Ansehen des Soldaten in der Öffentlichkeit heben.
Angesehen, wie es im Soldatengesetz heißt, kann aber nach unserer Meinung nur der sein, der sich für Frieden und Demokratie einsetzt. Deshalb finden sich in unseren Reihen auch solche Soldaten. die in Uniform gegen die Anwendung der Notstandsgesetze und gegen den Krieg der USA in Vietnam und Kambodscha demonstriert haben.
Deshalb gehören wir zu denen, die in den Kasernen den alten und neuen Nazis den Kampf angesagt haben.
Wir müssen leider feststellen, daß die Meinung der Mannschaften und Wehrpflichtigen anscheinend völlig uninteressant ist.
Alle reden von Schnez, Schmidt, den Problemen der Unteroffiziere, der jungen Offiziere.
Wir meinen, es ist höchste Zeit, daß sich auch Wehrpflichtige zu Wort melden und an die Öffentlichkeit treten.
Wlr wenden uns an die Gewerkschaften, an die Jugendverbände und alle demokratischen Vereinigungen, unsere Probleme zu erkennen und uns zu helfen,
Wir wenden uns an die demokratischen Journalisten, über unser Anliegen objektiv zu berichten.
Wir wenden uns an den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages: Wenn Sie das Vertrauen, das wir Soldaten zu Ihrem Amt schon lange nicht mehr haben, wiedergewinnen wollen, dann unterstützen Sie unsere Forderung:
Setzen Sie sich für die Aufhebung des Verbotserlasses zum Papier „Soldat ’70“ eln, den der Generalinspekteur erließ.
Wir wenden uns an die Parteien und Bundestagsabgeordneten: Verlesen Sie unser Papier „Soldat ’70“ vor dem Deutschen Bundestag!
Vor allen Dingen wenden wir uns an unsere Kameraden:
Setzt Euch mit unseren Gedanken auseinander; diskutiert sie in den Kasernen und in der Öffentlichkeit. Unterstützt unsere Forderungen. Schreibt uns Eure Meinung!

I. STAAT, GESELLSCHAFT UND BUNDESWEHR

Bei vielen von uns Wehrdienstpflichtigen gib es ein berechtigtes Unbehagen über die Entwicklung in der Bundeswehr. Die da „oben“ sind erschreckt über die große Zahl derer, die während des Wehrdienstes den Kriegsdienst verweigern und die Brocken hinschmeißen. Deshalb greifen sie zu Mitteln der Diffamierung, des Strafdienstes und schwingen die Alarmglocken.
Die da „oben“ sind erschreckt über die weiter anwachsende Zahl derer, die nicht zum Bund wollen und den Kriegsdienst verweigern. Deswegen werden diese jungen Menschen in politischer Quarantäne gehalten, und ihr Idealismus wird durch einen stumpfsinnigen Ersatzdienst verhöhnt.
Die da „oben“ sind schließlich besonders deshalb erschreckt, daß die Zahl derer wächst, die sich nicht in politische Quarantäne stecken lassen und sich als Staatsbürger nicht vorübergehend pensionieren lassen wollen, sondern als Soldaten für Demokratie und Frieden einstehen.
Die da „oben“ antworten darauf mit Repressionen und Refomgetue. Das sieht dann so aus:
Wer seinen Kopf zum Denken benutzt und auch danach handelt, dem kann es passieren, daß er in den Bau wandert. Wer seinen Kopf nur zum Haareschneiden hat (und sonst zu nichts), der hat neuerdings die ”Freiheit“, jetzt auch eine gemäßigte Mähne zu tragen.
Daß man jetzt die alten Zöpfe offen tragen darf, das sollen offensichtlich die „Reformen“ sein.
Inzwischen haben sich aus allen möglichen politischen Ecken Stimmen in der Diskussion um die „Modernisierung und Reform der Bundeswehr“ zu Wort gemeldet.
Voran die Generale: Schnez und sein Programm haben die Öffentlichkeit erregt. Sie wollen die Militärmacht der demokratischen Kontrolle noch mehr als bisher entziehen. Andererseits wollen sie den Einfluss ihrer Macht auf das zivile Leben bei uns verstärken. In den Schulen soll z.B. verstärkt, für den Barras geworben werden; insgeheim wollen sich die Herren Generale die gesetzliche Möglichkeit verschaffen, die Jugend insgesamt in den Griff zu bekommen.
Mit ihnen Verteidigungsminister Schmidt!
Er ist ihr Mann und erfüllt ihre Wünsche. Gegen den Protest aus seiner eigenen Partei und der Parteijugend stellt er sich vor Schnez und seine „Strafbatallione”.
Er redet viel von Reformen. Wir haben nichts gegen Reformen, wenn sie der Demokratie nützen. Was Schmidt jedoch will, ist eine Bundeswehr frei von „bürokratischem Ballast“, frei von technischen Unzulänglichkeiten“ – aber auch frei von Demokratie! Die Bundeswehr soll ein perfekt funktionierendes Instrument in der Hand einiger Generale (Schnez und ähnIiche) und einiger Rüstungsbosse werden (wie der industrielle Mommsen, der unter Hitler an Rüstungsindustrielle die Aufträge vergab und heute bei Schmidt sich anschickt als Staatssekretär ähnliches zu tun).
Vor dem Hintergrund der Schnezstudie und der Politik Helmut Schmidts müssen wir dringend auf folgendes warnend hinweisen: Eine technisch so reformierte Armee mit weitgehend unkontrollierten Machtbefugnissen ihrer Führung und einem willfährigen Verteidigungsminister haben in den USA die Voraussetzungen für den Vietnam-Krieg und den Eingriff in Kambodscha geschaffen.
Soll es auch bei uns so weit kommen, daß Generale Politik auf eigene Faust, aber auf unsere Kosten und Knochen machen?
Sieht so der Schlußstrich der SPD unter die Politik der CDU/CSU aus? Wir hören Stimmen aus der NPD, welche die Vorstellungen von Schnez und Schmidt offen begrüßen und erklären, daß damit ihre eigenen erfüllt seien.

ll. STAATSBÜRGER IN UNIFORM

Immer wieder wird uns erzählt, Soldaten seien „Staatsbürger in Uniform”. Wir aber haben das Gegenteil erfahren müssen. Die freie Meinungsäußerung endet vor dem Kasernentor. Wer seine Meinung kritisch und offen zu allen Fragen sagt, wird daran gehindert und bekommt Druck.
Wir haben in Flugblättern unsere Stimme gegen Mißstände beim Bund erhoben. Wir haben uns z.B. dagegen gewehrt, daß die alten und neuen Nazis wieder frech und offen in der Bundeswehr Propaganda machen und als Kandidaten der NPD auftreten dürfen. Das Ergebnis war: Nicht sie sondern wir wurden verknackt – von Ausgangssperren bis zum Bau.
Wenn das Grundgesetz für alle gelten soll, dann dürfen Bürger auch in Uniform nicht weniger Rechte haben.
Deswegen fordern wir:
– Freie politische und gewerkschaftliche Betätigung aller Soldaten im Rahmen des Grundgesetzes, außerhalb und innerhalb der Kasernentore.
– Volles Recht auf Demonstration, auf Flugblatt- und Plakataktionen in der zivilen Öffentlichkeit.
– Dienstbefreiung nach freier Wahl für politische Betätigung.
– Freistellung zur Ausübung des passiven Wahlrechts auch für Wehrpflichtige.
– Freie Betätigung aller demokratischen Organisationen in der Bundeswehr.
– Erhaltung des uneingeschränkten Beschwerderechts.
– Verbot der Tätigkeit von NPD-Mitgliedern und solchen Soldaten, die für den alten Nazi-Geist zu Felde ziehen.
– Gesetzlich garantierte Möglichkeit der Anrufung ziviler Gerichtsbarkeit bei allen Disziplinarstrafen, mit aufschiebender Wirkung.
– Änderung jener antidemokratischen Paragraphen im Soldatengesetz, die die grundgesetzlich verankerten Bürgerrechte beschneiden.

III. VERTRAUENSLEUTE

Wir „dürfen“ unsere Vertrauensleute wählen. So weit so gut. Zu sagen haben sie nichts. ln den Augen der Kameraden sind sie die berühmten „armen Schweine“, die, wenn sie in unserem Interesse auftreten, dafür mit persönlichen Nachteilen rechnen müssen, in andere Einheiten versetzt werden. Oftmals werden sie zu Sonderdiensten eingeteilt, so daß sie ihre Aufgaben als Vertrauensleute nicht in dem nötigen Umfang wahrnehmen können.
Wir sind der Ansicht, daß ein Vertrauensmann erst dann seinen Namen voll verdient, wenn ihm folgende Möglichkeiten gesetzlich gegeben sind:
– Gewählte Vertrauensleute dürfen nicht versetzt oder abkommandiert werden.
Die Vertrauensleute dürfen nur von denen abgewählt werden, von denen sie ihr Mandat erhielten.
– Die Vertrauensleute dürfen Versammlungen der Soldaten einberufen
– Versammlungen sollen regelmäßig während des Dienstes einmal im Monat stattfinden.
– Mitbestimmung bei der Erstellung des Dienstplanes.
– Mitbestimmung über personelle Entscheidungen im Kompanierahmen.
– Beschwerderecht der Vertrauensleute für ihre Kameraden.
– Wahl der Vertrauensleute auf Bataillons- und Divisionsebene.
– Mitbestimmung bei der Urlaubs- und Wochenenddienstbefreiungsregelung, damit erpresserischer Druck durch Vorgesetzte gegen einzelne Soldaten in diesem Bereich ausgeschlossen wird.
– Mitbestimmung über Verpflegung und Kantinenpreise. Selbstverwaltung der Soldaten über die Kantine.
– Mitbestimmung über Inhalte der „Aktuellen Information“. Freie Wahl der Referenten.

Als junge Arbeiter und Angestellte haben wir uns in den Betrieben und Büros für mehr Rechte und für unsere Interessenvertretung eingesetzt. Wir sehen gar nicht ein, warum wir in der Bundeswehr damit aufhören sollen.

IV. AUSSENPOLITISCHE ZIELSETZUNG DER BUNDESWEHR

Uns wird immer gesagt, die Bundeswehr sei ein Instrument zur Sicherung des Friedens. Wir haben das Gegenteil erfahren.
Ständig vermittelt man uns ein ganz bestimmtes „Feindbild“. In der Grundausbildung, im Schießstand, in der „Aktuellen Information“ werden wir auf den Fell „Rot“ gedrillt, Der Feind steht demnach ausschließlich im Osten. In den Winterhärteübungen wird uns klargemacht, was wir im „russischen Winter” durchzustehen haben. Wir pauken sowjetische Panzertypen und den Aufbau der Armeen der sozialistischen Länder.
Wir müssen feststellen, daß eine solche „Ausbildung“ sich nicht wesentlich von der Zielsetzung der Hitler-Armee unterscheidet, die sich als Instrument des Krieges und der Eroberungspolitik verstand. Dieser Geist dient nicht der Friedenssicherung. Dieser Geist ist bestimmt vom „Ostlandreitertum“ und soll uns bereit machen, Revanche zu nehmen für den II. Weltkrieg.
Unsere Kasernen heißen: „Deutschordenkaserne“, „Kaiser-Wilhelm-Kaserne“, unsere Schiffe werden benannt nach Naziadmiralen. In den Kasernen gibt es „Traditionsräume“ mit den Requisiten der kaiserlichen und Nazi-Armee.
Der Antikommunismus ist immer noch die ideologische Haupttriebkraft für diese Erscheinungen und bestimmend für den Geist der Bundeswehr. Die europäischen Nachkriegsgrenzen werden vom Parlament immer noch nicht anerkannt. Das steht zu Frieden und Sicherheit im Widerspruch.
Mit Frieden und Sicherheit hat es auch nichts zu tun, wenn Bundesverteidigungsminister Schmidt wie seine Vorgänger danach strebt, über den Einsatz von Atomwaffen mitzuentscheiden. Wenn an den Trägerwaffensystemen für A-Waffen festgehalten wird, wie es erneut aus dem Verteidigungsweißbuch hervorgeht, das den Ankauf von MRCA-Bombern (mit Aktionsradius bis zum Ural und mit Kernwaffensystem) vorsieht, so wird uns der Glaube an friedliche Absichten sehr schwer gemacht.
Wenn der Verteidigungsminister feststellt, daß der Sowjetunion an einem Krieg nichts gelegen ist, daß sie ein Lebensinteresse am Frieden hat, dann muß auch in der Bundeswehr in vollem Umfange dem Rechnung getragen werden.
Andererseits sollen wir im Rahmen der NATO dazu herhalten, faschistische Terrorregimes wie in Griechenland, Portugal und Spanien am Leben zu erhalten.
Als NATO-Partner sollen wir zum Stillhalten gegenüber den Verbrechen der USA in Vietnam, Laos und Kambodscha gezwungen werden. Die Repressalien gegen Soldaten, die in Uniform dagegen protestieren, sind uns Beweis genug.
Deshalb fordern wir:
– Endlich Schluß mit dem Antikommunismus.
– Schluß mit der Hetze gegen die Sowjetunion, gegen die DDR und alle anderen sozialistischen Länder.
– Völkerrechtliche Anerkennung der DDR und der nach dem ll. Weltkrieg entstandenen Grenzen in Europa.
– Sofortige Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrages.
– Sofortigen Austritt aus der NATO. Mitwirkung der BRD an der Schaffung eines gesamt-europäischen Sicherheitssystems.
– Weg mit den Plänen über Atomminen an den Grenzen der DDR und den gefährlichen Planspielen mit atomaren „Warnschlägen“ über der Ostsee.
– Weg mit den Kernwaffenträgern.
– Verbot der Lagerung, Herstellung und Erprobung von chemischen und biologischen Kampfstoffen auf dem Boden der BRD. Keine Ausbildung an B- und C-Waffen.

V. DIE BUNDESWEHR ALS INNENPOLITISCHES INSTRUMENT

Uns wird immer wieder gesagt: Die Bundeswehr schützt die Freiheit der Bürger unseres Landes. Wir haben das Gegenteil erfahren: sie bedroht unsere Freiheit. Seit Verabschiedung der Notstandsgesetze dient jede Bundeswehrausbildung zugleich auch dem möglichen Einsatz im Inneren. Das heißt: Wir werden gezwungen, für sogenannte „innere Krisenfälle“ zu üben. Wir müssen die Niederschlagung von Streiks und den Einsatz gegen Demonstranten proben. Letzten Endes bedeutet das auch: Wir sollen gegen unsere eigenen Kollegen in den Betrieben, wir sollen am Ende gegen uns selbst und unsere eigenen Interessen vorgehen.
Die Notstandsgesetze haben der Bundeswehr grünes Licht dafür gegeben. Was in Griechenland passiert ist, haben wir nicht vergessen. Wir weigern uns, den Steigbügelhalter für eine Militärdiktatur zu spielen und fordern deshalb:
– Weg mit der Notstandsgesetzgebung.
– Unterbindung aller Versuche von Anfang an, Kameraden durch Sonderausbildung zur Bespitzelung anderer Kameraden zu erziehen und zu zwingen.
– Abschaffung aller Formen einer Leistungsbewertung, die nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ wirken sollen.

Vl. DER ALTE UNGEIST

Uns wird immer wieder gesagt: In der Bundeswehr gibt es keinen Neonazismus. Wir aber haben erfahren müssen, daß die Bundeswehr ein wahres Paradies für die alten Kommisköpfe, Unteroffiziere und Offiziere der Hitler-Wehrmacht ist. Sie machen in „Traditionspflege“ und verherrlichen die soldatischen Prinzipien der Nazi-Armee. Dabei bleiben sie jedoch nicht stehen: Sie versuchen, die Soldaten in diesem Geist zu beeinflussen und leider nicht ohne Erfolg.
Eine stattliche Anzahl von Offizieren und Unteroffizieren kandidieren auf den Listen der neonazistischen NPD. Wer sich dagegen auflehnt, wird bestraft. So stellen die „Jungen Nationaldemokraten“, die Jugendorganisation der NPD mit tiefer Befriedigung fest, daß ein großer Teil ihrer Mitglieder ehemalige Wehrpflichtige sind. Das kann denjenigen nicht verwundern, der kennengelernt hat, daß der alte Untertanengeist immer noch oberstes erzieherisches Ziel der Bundeswehr ist!
Die „Ruhe und Ordnung”-Parolen der NPD sind tief im Bewußtsein einer großen Zahl von Offizieren und Unteroffizieren verwurzelt.
Gegen den Neonazlsmus werden wir uns weiterhin mit aller Kraft wehren und fordern:
– Auflösung der NPD
– Entlassung aller Unteroffiziere und Offiziere, die sich in neonazistischen Organisationen betätigen.
– Entfernung aller Vorgesetzten, die der Hitler-Clique dienten und weiterhin an ihrer reaktionären Gesinnung festhalten.
– Ausmisten aller Bundeswehrbüchereien und Entfernung jener Bücher mit kriegsverherrlichendem und antihumanem Inhalt.
– Verbot der alten und neuen Nazilieder und solcher Lieder, welche sich vom Inhalt her gegen die bestehenden Grenzen in Europa richten (z.B. „Schlesierland – mein Heimatland“).
– Sofortige Änderung von Kasernen- und Schiffsnamen, die eine reaktionäre und militaristische Tradition verkörpern, und Umbenennung nach Demokraten, Widerstandskämpfern und Antifaschisten.
– Schluß mit den Kontakten der Bundeswehrdienststellen mit militaristischen Traditionsverbänden und revanchistischen Landsmannschaften.

VII. WEHRGERECHTIGKEIT

Es wird viel von Gerechtigkeit in diesem Staat gesprochen, auch von Wehrgerechtigkeit. Dafür kommen aus den verschiedenen Ecken eine Menge von Plänen und Vorschlägen.
Vor der Einberufung wird immer wieder gesagt, daß durch den Militärdienst keine sozialen Härten auftreten. Wir haben das Gegenteil erfahren. Die Regierung behandelt die Soldaten ungerecht – sie werden sozial benachteiligt und politisch entmündigt.
Die „Wehrgerechtigkeit“, wie sie z.B. Helmut Schmidt versteht, bedeutet die Ausdehnung der Ungerechtigkeit auf alle im wehrpflichtigen Alter. Sein Geschimpfe über die „Drückeberger” soll vertuschen, daß sich die Bundesregierung davor drückt, den Soldaten die gleichen sozialen und politischen Rechte zuzugestehen, wie sie die Nicht-Dienenden haben.
Wenn Schmidt und seinesgleichen den Neid der Arbeiter in Uniform auf ihre jungen Kollegen in den Betrieben züchten wollen, indem sie davon sprechen, daß „die einen dienen und die anderen verdienen“, so fordern wir: wer dient, soll auch verdienen! Denn das ist das Gesicht der Schmidt’schen „Gerechtigkeit”, der junge Facharbeiter in Uniform hat bis zu 90 % weniger Geld als vorher. Aber die Industriebetriebe, die ins Rüstungsgeschäft einsteigen, haben nicht nur den gleichen Profit wie andere Unternehmer, sondern sogar noch mehr.
Wir wehren uns dagegen, daß wir gegen unsere Kollegen mit Neid aufgeladen werden sollen.
Deswegen meinen wir, wenn schon so viel von Gerechtigkeit geredet wird, müssen folgende Forderungen vorrangig verwirklicht werden:
– Erhöhung des Wehrsoldes auf mindestens DM 350,– für Abiturienten, Lehrlinge, Studenten oder 90 % des vor der Wehrdienstpflichtzeit erreichten Bruttoeinkommens.
– Freie Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel vom Heimat- zum Standort.
– Auszahlung des Verpflegungsgeldes nicht nur an Wochenenden.
– Freie Wahl der ärztlichen und medizinischen Hilfe.
– Zwei gesetzlich garantierte freie Wochenenden und Vergütung der Wochenenddienste.
– Verlängertes Wochenende für Soldaten aus weiter entfernt gelegenen Heimatorten.
Das ist schon gerechter, aber noch lange keine „Wehrgerechtigkeit“. Ein Schritt weiter in Richtung Gerechtigkeit ist schon, wenn die im zivilen Bereich erkämpften und gültigen Rechte auch für die Bundeswehr verbindlich werden, d.h., wenn wir einen eigenen und wirksamen Vertrauenskörper haben, wenn wir das Recht auf Mitbestimmung haben, und wenn letzten Endes zwischen zivilem und militärischem Leben alle einschneidenden Schranken gefallen sind.
Wer es wirklich ernst meint mit dem Frieden und mit der Wehrgerechtigkeit, der wird sich dann guten Gewissens nicht mehr gegen eine Verkürzung der Wehrdienstzeit auf zunächst 12 Monate wehren können.
Dem wird die Forderung nach Senkung der Rüstungsausgaben um zunächst 10 Milliarden DM zum Anliegen.
Der wird nicht umhin können, dann auch die Truppenstärke um zunächst die Hälfte zu senken.
Und der wird sich letztendlich im Rahmen einer echten Friedenspolitik in Europa der völligen Entmilitarisierung und Abrüstung nicht verschließen können.
Alle anderen Modelle einer sogenannten Wehrgerechtigkeit enthüllen vor diesem Hintergrund ihren wahren Charakter. Wer mehr Wehrpflichtige statt weniger einziehen will, wer von einem sozialen Pflichtjahr für Mädchen träumt, wer von einer „Wehrsteuer für Nichtdienende“ redet, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er, wie es Hitler mit seiner totalen militärischen Volkserfassung getan hat, einer militärischen Lösung der gesellschaftlichen Probleme den Vorrang gibt. Von solcher „Gerechtigkeit“ haben wir und unsere Eltern seit dem 2. Weltkrieg die Schnauze voll.

WIR WENDEN UNS AN UNSERE KOLLEGEN UND KAMERADEN

Hier haben Soldaten ihre Forderungen erhoben und ihre Meinung gesagt. Hiermit haben wir einen Anfang gemacht, damit auch die Stimme der Wehrpflichtigen gehört wird.
Diese Gedanken werden wir in die Kasernen, Betriebe, Gewerkschaften und Jugendverbände tragen.
Wir meinen nicht, daß unser Programm bereits endgültig ist und mit dieser Studie abgeschlossen ist. Es wird weiterhin darauf ankommen, daß unsere Kameraden unsere Vorstellungen kennenlernen – daher werden wir alle Möglichkeiten zur Bekanntmachung von „SOLDAT ’70“ nutzen.
Wir rufen dazu auf, dieses Programm zu diskutieren, es weiter zu entwickeln, es zu verwirklichen.
Dafür sind wir zum Kampf angetreten.
Bonn, 5./6. September 1970