Minderheitenvotum zum politischen Rechenschaftbericht
26. April 2023
Landesdelegiertenkonferenz 2023
Silvia Rölle, Landessprecherin
Liebe Kameradinnen und Kameraden!
Ich bin ein wenig nervös – denn es ist das erste Mal, dass ich ein Minderheitenvotum abgebe. Ich möchte die 10 Minuten nutzen den Grund für mein Votum zu erläutern.
Vorweg möchte ich betonen:
Wir haben im geschäftsführenden Landesausschuss keinen Streit. Wir haben, wie ich finde, in den letzten drei Jahren eine gute Arbeit geleistet. Wir haben gut zusammen gearbeitet und wir werden auch weiterhin gut zusammen arbeiten. Es geht mir hier um einige Formulierungen im Bericht. Mit vielem was da steht bin ich einverstanden. Einige Formulierungen jedoch halte ich für politisch falsch. Falsch was die bündnispolitischen Konsequenzen angeht. Und ich halte sie für bedenklich in ihrer Wirkung nach innen und nach außen.
Ich fange mit dem Begriff rechts-esoterisch an:
Der Begriff wirft bei mir Fragen auf.
Was heißt das rechtsesoterisch oder „esoterisch –rechtsoffen“? Gibt es dann auch esotherisch-links? Ist das besser?
Ein Blick ins Lexikon zeigt:
Esoterisch, bedeutet „nach innen gerichtet“ und „nur für eingeweihte verständlich“.
Esoteriker gibt es schon lange. Sie sind ein ideologisches Produkt der Industrialisierung und Ver-städterung Anfang des letztens Jahrhunderts. Esoteriker und auch „Rechte“ gehörten auch zur Gründungsströmung der Partei Die GRÜNEN. Esoteriker begegnen uns oft als Heilpraktiker, als Apostel von Naturmedizin. Vieles ist für uns befremdlich, einige sagen auch: sie sind verschwurbelt. Wenn wir für diese „Die Tür zu lassen“ und das ernst meinen, dann müssten wir konsequenterweise die Waldorfschulen bekämpfen.
Die Walddorfschulen sind staatlich geförderte, anerkannte Ersatzschulen. Sie sind anthroposophisch, esoterisch und folgen der Lehre von Rudolf Steiner, einem Rassisten und Antisemiten wie er im Bilderbuch steht.
Müssten wir als VVN dann nicht das Verbot der Waldorf Schulen fordern, da sie von ihrer Ideologie her „esoterisch-rechtsoffen“ sind.
Und was ist mit anderen Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften?
Wir alle Wissen, dass wir da differenzierter drauf schauen müssen, wissend um die inneren Widersprüche. Warum machen wir das nicht auch in dem Fall dieser neuen Bewegungen?
Nächste Aussage im Rechenschaftsbericht:“
20% der Bevölkerung hat ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ steht im Bericht.
Mal abgesehen davon, dass die genannte Zahl falsch ist. Die SINUS Studie, die sowas untersucht hat nennt aktuell 9,5%.
Methodik und Aussagewert der Studie ist in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten. Wir sollten mit solchen Aussagen von Studien vorsichtig umgehen.
Wenn da aber jetzt im Rechenschaftsbericht steht: x Prozent der Bevölkerung hat ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“:
Was soll damit zum Ausdruck gebracht werden?
Bei denen ist Hopfen und Malz verloren?
Die lassen wir rechts liegen?
Die Sinus Studie selbst gibt uns einen wichtigen Hinweis: Hier handelt es sich um Menschen, die in Zeiten schnellen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandels von der Entwicklung überrollt werden und darauf reagieren!
Unsere verstorbenen Kamerad*innen und Widerstandskämpfer*innen würden sich im Grab umdrehen. Wir haben von denen und deren Erfahrungen zu lernen. Bis in die 1930er Jahre hinein wurde der Fehler begangen, nach dem Motto zu verfahren „Schlagt die Faschisten wo ihr sie trefft“. Zu sehr wurde auf die Individueen geschaut., zu wenig wurde beachtet, dass Menschen gegen ihre eigenen Interessen handeln können aber für den gemeinsamen Kampf nicht verloren sind. Leider sehr spät wurde auf eine Einheitsfront orientiert. Und in der Folge dann organisiert und durchaus erfolgreich versucht, Leute aus den Strukturen selbst von SA usw. herauszulösen.
Eingedenk dessen: Wir sollten alte Fehler nicht wiederholen.
Nächste Aussage im Rechenschaftsbericht:
Die Tür nach rechts bleibt zu!
Was bedeutet das? Was ist rechts? Wo fängt rechts an? Für mich persönlich ist die CDU/CSU schon rechts! Ich würde aber jedes CDU Mitglied freudig umarmen, wenn er an Friedensdemos teilnimmt oder bei uns Mitglied würde.
Oder nehmen wir die Partei die Grünen.
In der Partei Die Grünen dominieren mittlerweile kriegstreibende Kräfte? Da haben Bellizisten das Sagen! Ist das nicht rechts?
Zugleich sind viele VVN Mitglieder auch Mitglieder der grünen Partei. Ich arbeite gerne mit diesen Kamerad*innen zusammen ?
Das mit der Tür ist also nicht so ganz einfach.
Diese Losung ist eingängig, hört sich gut an – muss aber erklärt werden.
Wenn hiermit gemeint ist: Die Tür bleibt zu für die feuchten Träume einer Querfront, die Jürgen Elsässer von Compact, Neue Freiheit, AfD usw. haben, – dann bin ich voll dabei.
Querfront ist dummes Zeug. Dieser in der rechten Szene ausgeheckten Strategie gilt es eine entschiedene Absage zu erteilen. Hier muss die Tür zu bleiben. Ich würde mir sogar, wenn nötig einen Hammer schnappen und die Tür eigenhändig zu nageln.
Wenn damit gemeint ist: Keine Zusammenarbeit mit AfD und Co., in deren Reihen faschistische, rassistische und völkische Strukturen wie selbstverständlich Platz haben – dann kauf ich noch zusätzlich ein paar dicke Schlösser damit die wirklich zu bleibt.
Das steht da aber so nicht im politischen Bericht!
Hier wird viel unbestimmter, sehr beliebig, und wage formuliert. Bezug genommen wird auf einen Artikel in der antifa, der analytisch wenig fundiert ist und unserem politischen Anspruch bei weitem nicht genügt. Gesprochen wird hier von „rechts-esoterisch “.
Zielt diese Formulierung auf Menschen ab, die sich in den letzten Jahren in der Bewegung gegen die Corona Maßnahmen aktiviert haben? Einer sozialen Bewegung, in deren Folge auch die Gründung der Partei Die Basis zu sehen ist? Geht es um die zehntausende Menschen, die sich in dieser Bewegung neu politisiert haben?
Oder geht es um die Isolierung einiger Figuren aus der rechten Szene, die sich dort einzunisten versuchen wie die Fliegen auf der Kuhscheisse?
Hier läßt uns die Formulierung im Nebel des Ungeklärten.
Da halt ich es lieber mit Reinhard Opitz. Opitz hat sich sehr verdient gemacht für eine zeitgemäße antifaschistische Strategie. Er hat häufig bei der VVN referiert und manchem linksradikalen Heisssporn der 68er Bewegung die Leviten gelesen.
Eine wichtige These von Opitz ist:
Herrschaft im hochentwickelten Kapitalismus funktioniert reibungslos solange die Masse der Bevölkerung ihre objektiven Interessen nicht erkennt.
Diese Bewusstseinsverfälschung sicherzustellen ist Kernaufgabe des Herrschaftsapparats und der mit ihr verwebten Medienindustrie.
Hier geht es nicht um platte Manipulation. Angesetzt wird an dem, was die Leute selbst meinen zu sehen oder erkannt zu haben. Alte Gewissheiten, wie „jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, der „Traum vom sozialen Aufstieg“, der „Lebensglückerfüllung im Privaten“.
All das platzt heute wie Seifenblasen angesichts der multiplen Krisen. Betroffen sind vor allem die Mittelschichten. Opitz würde von „nichtmonopolistischen Gruppierungen“ sprechen.
Opitz sagt dazu:
Es gibt kaum eine nichtmonopolistische Gruppierung, die von vornherein gegen Anfälligkeit für den Faschismus gefeit und daher für ihn uninteressant wäre. Es gibt somit auch keine, um deren Bewußtsein zu kämpfen sich die Antifaschisten aus irgendwelchen Gründen ersparen könnten.
Sein mahnender Hinweis:
Gerade diejenigen Schichten und Gruppen, bei denen ein Umschlagen ihres falschen Bewusstseins in faschistische Mentalität am ehesten zu befürchten ist, dürfen am wenigsten als Adressat der antifaschistischen Arbeit vernachlässigt werden. Ihnen muß besonders eindringlich und unermüdlich an konkreten Beispielen und Erfahrungen die Unvereinbarkeit des Faschismus mit ihren eigenen Interessen nachgewiesen werden.
Und genau das müssen wir tun!
Genau deshalb müssen wir differenziert vorgehen, genau analysieren. Aktuell zum Beispiel bei den Anhängern der Partei Die Basis.
Forschungen zeigen: Ein großer Teil der Basis-Anhänger waren Mitglieder, Funktionsträger oder Wähler der Linkspartei oder der Grünen. Es sind Leute, bei denen sich oft medizinkritisches und anthroposophisches Gedankengut mit liberaler Ideologie paart. Das ist auch der Grund für wenig Bereitschaft zur Abgrenzung und somit auch Andockpunkte für „Widerständiges“ aus jeder Richtung. Das ist der rationale Kern für die scheinbar merkwürdige Tatsache, dass sowohl ehemalige Mitglieder und Funktionsträger der Linkspartei und der Grünen sich bei der Partei Die Basis an prominenter Stelle wieder finden. Aber auch aus der CDU nahen Werteunion, wie auch ehemalige Mandatsträger rechter Parteien wie AfD u.a. . Das ist von Ort zu Ort sehr verschieden.
Ein Bündnis mit der Partei „Die Basis“ lehne ich ab.
Gleichzeitig ist es aber wichtig, die Personen einzubinden (häufig sind das ehemalige Miglieder der Linkspartei oder Grüne), die zum Beispiel in der Friedensfrage vernünftige Ansichten vertreten. Zumal einige der handelnden Personen wie z.B. im Rheinland seit Jahren in Friedensbündnissen aktiv sind.
Das pauschal abzublocken und diese sogar als Faschisten zu beschimpfen, und das auf der Grundlage unzureichender Analyse und unscharfer Begriffe: Das ist für mich eine politische Dummheit.
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht, ohne es zu wollen, dass Geschäft derjenigen betreiben, die in dieser „Zeitenwende“ der gigantischen Kriegsrüstung, –wo jede aussenpolitische Vernunft in Grund und Boden gestampft wird, –jeden Protest klein halten und spalten wollen – damit Ruhe an der Heimatfront herrscht. Dazu gehört, dass wir nicht blasige Begriffe benutzen, die direkt aus der Giftküche der Totalitarismustheorie stammen. Begriffe, die im Mainstream rauf und runter gebetet werden.
Wenn die Losung „Die Tür nach rechts bleibt zu“ jedoch ungeprüft, auf der Basis unscharfer Begriffe wie „rechtsoffen“, „esoterisch-rechts“ oder ähnlichem erfolgt, besteht die große Gefahr dem Mainstream-Wording auf den Leim zu gehen. Der Missbrauch des Begriffs „Antisemitismus“ zeigt ja erschreckend, wie weit eine Umdeutung und negatives Branding getrieben wird.
Die herrschenden Kreise hätten es gerne, wenn Antifaschisten nicht mehr Ross und Reiter nennen, sondern sich im Nebel des „Ungefähren“ auflösten. Die Damen und Herren der Zeitenwende hätten es nur zu gerne, wenn der Antifaschismus zahnlos und jämmerlich wird. Genauso zahnlos und jämmerlich, wie der vermeintliche Anti-Rassismus, dessen neueste Großtat es ist, den Damen des Balletts der Arbeiterwohlfahrt bei der Bundesgartenschau das Tragen von mexikanischen Sombrerohüten zu verbieten.
Liebe Kameradinnen und Kameraden!
Diese dünne Suppe, die aus Begriffen gebraut wird, die keinen wissenschaftlichen Kriterien genügen führt auch dazu, eine unsägliche Cancel-cultur zu befördern, wie wir sie von den Antideutschen zu Genüge kennen.
Schlimmer noch. Sie reicht aus, um verdiente VVN Mitglieder öffentlich an den Pranger zu stellen.
Es werden Demoteilnehmer ( hier langjährige, verdiente VVN-Mitglieder) mit Fotos durch Internet gezerrt , da sie angeblich mit Faschisten demonstriert haben. Damit muss Schluß gemacht werden!
Kameradinnen und Kameraden !
Erlaubt mir zum Abschluss einen Ausblick auf die wesentliche Aufgaben, die vor uns liegen.
In welcher Situation befinden wir uns im Moment?
Wir befinden uns im Krieg! Von staatlicher Seite wird alles versucht eine große Friedensbewegung zu verhindern und die Friedensbewegung zu spalten. Auch mit aus der Luft gegriffenen Querfront Vorwürfen. Es gab die große Demo in Berlin mit Schwarzer und Wagenknecht. Es gibt den Friedensappell von Peter Brandt, der von vielen Prominenten, darunter viele ehemalige Funktionsträger der SPD und der Gewerkschaften unterzeichnet wurde. Das zu verbreitern, darin unsere Organisationskraft zu stecken ist die Hauptaufgabe. Es tut sich jetzt an vielen Stellen was, da müssen wir einsteigen und das unterstützen und nicht zerreden.
Ich bin froh, dass wir im geschäftsführenden Landesausschuss beschlossen haben zum Thema antifaschistische Strategie eine landesweite Tagung durchzuführen.
So können wir gemeinsam neue Erkenntnisse gewinnen und daran können wir nur wachsen.
Vielen Dank fürs Zuhören.