Eine Friedensrede am Tag der deutschen Einheit – Was woanders ungesagt blieb!

4. Oktober 2018

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Kathrin Vogler, MdB (Die Linke) während ihrer Rede in Kalkar am 03.10.2018 (Foto jochen vogler – r-mediabase.eu)

„Krieg beginnt hier! Setzen wir Zeichen für den Frieden!“ Mit diesem Hinweis wurde zu der schon traditionellen Demonstration am 3. Oktober in Kalkar aufgerufen. In Kalkar auf dem Marktplatz hat die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (MdB, Die Linke) zum „Tag der Deutschen Einheit“ eine Rede für den Frieden gehalten. Da dies Thema in keiner Festrede am 3. 10. Behandelt wurde, veröffentlichen wir die Rede im Wortlaut.

von Kathrin Vogler

Von deutschem Boden geht Krieg aus. Seit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, der heute mit einem großen Fest in Berlin gefeiert wird, wurden die friedenspolitischen Regeln dieses Grundgesetzes, die sich die alte Bundesrepublik in Erinnerung an die Erfahrungen zweier Weltkriege selbst auferlegt hatte, systematisch ausgehöhlt und zerstört.

Das begann vor 25 Jahren mit ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Kambodscha und Somalia. Heute sind über 3.600 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz, von Kosovo bis Afghanistan und von Somalia bis Mali. Ich bin stolz darauf, der einzigen Fraktion im Deutschen Bundestag anzugehören, die keinem dieser Einsätze zugestimmt hat. Aber ich will nicht, dass wir die einzige bleibeen. Ich wünsche mir, dass die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag endlich die deutlichen Mehrheiten in der Bevölkerung abbilden, die sich gegen diese Kriegseinsätze aussprechen.
Und ich möchte, dass unser Land seine Fähigkeiten und Ressourcen dafür nutzt, eine friedliche Außenpolitik zu machen und Konflikte zivil und gewaltfrei zu lösen. Anfang nächsten Jahres nimmt Deutschland für zwei Jahre einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein. Das wäre eine gute Gelegenheit, die zivilen Instrumente der Krisenprävention zu stärken und auf diplomatische Lösungen zu setzen.

Aber davon sind wir leider im Moment weiter entfernt denn je und deswegen brauchen wir auch weiter Demonstrationen wie die heutige.

Militärische Konfrontation ist wieder in. Beim größten NATO-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges sollen vom 25. Oktober bis zum 23. November 40.000 NATO-Soldaten in Norwegen den Einmarsch einer feindlichen Armee zurückschlagen. Darunter sind 8.000-10.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Für Trident Junction 18, so der Name des Manövers, werden 160 Millionen Euro ausgegeben. Das Ziel der Übung soll sein, die Verteidigung eines NATO-Staates gegen einen Aggressor zu trainieren. Tatsächlich aber sind Manöver dieses Ausmaßes immer auch ein Akt der Machtdemonstration. Und wenn man sich ansieht, dass diese gigantische Heerschau nur der Höhepunkt einer Saison ist, in der die NATO etwa in Polen, Georgien, Litauen und Lettland den Krieg geprobt hat, dann kann man den Beteuerungen, dass all dies sich gegen kein konkretes Land richte, nicht mehr glauben. Es ist eindeutig: Die NATO macht umfassend mobil und das Ziel dieser Mobilmachung ist Russland.

Am heutigen Tag der deutschen Einheit muss ich noch einmal darauf hinweisen, dass es die damalige Sowjetunion war, die unter Michail Gorbatschow den Weg für die Einheit frei gemacht hat.

Und im Gegenzug hat die NATO das Ende des Kalten Krieges und die deutsche Vereinigung schamlos genutzt, um eine Drohkulisse gegen Russland aufzubauen. Mit der Osterweiterung sind die Grenzen des Militärbündnisses immer näher an Russland herangerückt. Die NATO-Rüstungsausgaben übersteigen den russischen Militäretat um ein Vielfaches, selbst wenn man Russlands Verbündete hinzunimmt. Inzwischen sind die Manöver im Baltikum zu einem Dauerzustand an der russischen Nordgrenze geworden.

Und die NATO hat in vielen Ländern mit ihren politischen und militärischen Interventionen eine Spur der Verwüstung hinterlassen und Chaos, Elend und Terror produziert. Nehmen wir nur Libyen, den Irak oder auch Syrien.

Diese NATO ist ein Kriegsbündnis und dagegen wehren wir uns heute hier in Kalkar!

Was hat das alles mit uns zu tun? In der Seydlitz-Kaserne in Kalkar befindet sich das Hauptquartier des Zentrums Luftoperationen der Luftwaffe und das Joint Air Power Competence Center der NATO.

Die Westfälische Rundschau schrieb dazu im letzten Jahr: „Auftrag. Planung. Umsetzung. Überprüfung. Die Tafel mit diesen Stichworten könnte irgendwo in einer stinknormalen Fabrikhalle hängen und einen stinknormalen Produktionsprozess beschreiben. Das Produkt, um das es hier geht, ist aber der Krieg. Aus einem Containerdorf auf dem Gelände der Seydlitz-Kaserne in Kalkar werden im Fall des Falles im nächsten Jahr Lufteinsätze der Nato gesteuert.“

Wir finden uns nicht damit ab, dass unser Land Krieg produziert!

Die sogenannte Speerspitze der NATO, die schnelle Eingreiftruppe, die mit 5000 Mann in spätestens 72 Stunden an jedem beliebigen Einsatzort sein soll, wird hier von Kalkar aus geleitet.

Sich dagegen zu wehren, sollte schon im Eigeninteresse aller Bürgerinnen und Bürger am Niederrhein und im Ruhrgebiet sein. Denn sollte die NATO tatsächlich einen Krieg mit Russland beginnen, dann wäre die Luftkriegszentrale in Kalkar eines der ersten Ziele für russische Atomwaffen. Und dann bliebe von den Menschen in unserer schönen Landschaft hier nichts übrig außer stinkenden Leichenbergen.

Wir wollen keine Speerspitze und keine Drohkulissen, sondern Frieden und Verständigung mit unseren russischen Nachbarn. Wir wollen ein Europa, in dem Russland ebenso selbstverständlich seinen Platz hat wie die EU-Mitgliedsländer. Deswegen muss die NATO weg und sie muss ersetzt werden durch ein kollektives Sicherheitssystem, das Russland einbezieht. Wir sagen: verhandeln statt schießen!

Dafür muss man übrigens gar kein Freund von Wladimir Putin oder von seinem innen- und außenpolitischen Kurs sein. Man muss nur ein bisschen rational darüber nachdenken, was es für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder bedeutet, wenn wir weiter auf Konfrontation und Aufrüstung setzen.

Leider legt die Bundesregierung aber einen ganz anderen Kurs an. Der Rüstungshaushalt für das kommende Jahr soll um 11,4% ansteigen. Einen solch rasanten Anstieg hat es seitdem ich geboren wurde, seit dem Jahr 1963, nicht mehr gegeben. Und Frau von der Leyen, die Aufrüstungsministerin, drohte in der Haushaltsdebatte im Bundestag mit einem weiteren „langen und steilen Anstieg“ der Rüstungsausgaben.

In der Öffentlichkeit wird dies mit einem angeblich desolaten Zustand der Bundeswehr begründet. Das kann aber nicht an mangelnden Ausgaben liegen, denn immerhin ist Deutschland an vierter Stelle, wenn es um die Militärausgaben in der NATO geht. Ich halte das Gejammer um fehlende Winterunterhosen und nicht flugfähige Hubschrauber tatsächlich für eine Medienkampagne, die die Bevölkerung manipulieren soll, damit der Widerstand gegen eine Umverteilung zugunsten der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie nicht ganz so stark wird. Darauf dürfen wir nicht reinfallen!

Tatsächlich geht es auch noch um etwas anderes: Die Bundesregierung will sich für ihre Großmachtpläne neben der NATO ein zweites Standbein schaffen.

Dafür steht die Militarisierung der Europäischen Union, wie sie in der ständigen strukturierten Zusammenarbeit, kurz PESCO, im Mittelfristigen Finanzrahmen der EU und in anderen groß angelegten Projekten festgeschrieben werden soll. So hat etwa im Mai dieses Jahres die EU-Kommission ein Europäisches Entwicklungsprogramm für die Verteidigungsindustrie beschlossen, das unter anderem vorsieht, die Entwicklung autonomer Waffensysteme durch europäische Rüstungsfirmen zu fördern. Auf Deutsch: Hier soll mit den Steuergeldern der EU-Bürgerinnen und -Bürger die Entwicklung von Killerdrohnen und Kampfrobotern unterstützt werden! Dazu sage ich zusammen mit der Fraktion der europäischen Linken ganz klar NEIN!

Die Automatisierung des Tötens stellt keinen zivilisatorischen Fortschritt dar, sondern ist eine moralische und politische Bankrotterklärung. Wir brauchen schnellstmöglich internationale Vereinbarungen, die diese Waffensysteme verbieten und keine internationalen Fördertöpfe, um sie noch schneller in den Markt und damit auf die Kriegsschauplätze der Welt zu bringen!

Und es geht auch ganz konkret um Schnelligkeit der Truppen. Wann immer ich hier an den Niederrhein komme, stelle ich fest, dass viele Straßen hier auch schon länger mal wieder eine Renovierung brauchen könnten. Die A31 kenne ich gar nicht ohne kilometerlange Baustellen. Das Bundesverkehrsministerium schätzt den Investitionsstau bei Straßen und Brücken in Deutschland auf ungefähr 40 Milliarden Euro. Aber auch hier weiß die militarisierte EU Rat und Hilfe: Mit 6,5 Milliarden Euro jährlich soll der Aktionsplan militärische Mobilität ausgestattet werden, damit vor allem die Ost-West-Verbindungen für einen möglichen Aufmarsch an die Ostgrenzen panzertauglich gemacht werden können.

Auch das ist ein Teil der EU-Militarisierung, ebenso wie die 10,5 Milliarden Euro der sogenannten „Friedens-Faszilität“, die vor allem dafür da sind, die Aus- und Aufrüstung afrikanischer Staaten zu finanzieren.
Ursula von der Leyen hat das Ziel in einer Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz klar benannt: »Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann.“ Und weiter: „Der Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen ist das eine. Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen, wenn es die Umstände erfordern.«

Ich sage dagegen: Uns geht es um ein Europa, das sein Gewicht in die Waagschale wirft, wenn es um die Beseitigung von Kriegsursachen und die Hilfe für Menschen in Not geht! Die EU als Militärmacht ist das Gegenmodell zu einem Europa des Friedens und der Solidarität.

Während die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex immer weiter ausbaut, ersaufen die Opfer ihrer Handels- und Kriegspolitik im Mittelmeer oder verdorren in der Sahara. Auch wenn die Bilder schwer zu ertragen sind: da dürfen wir nicht wegsehen!

Die Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Hunger zu uns wollen, sind in vierfachem Sinne Opfer der EU-Politik: Zuerst überschwemmen wir ihre Märkte mit unseren billigen, hoch subventionierten Agrarprodukten, mit denen keine Kleinbäuerin in Afrika konkurrieren kann. Gleichzeitig sorgen wir durch unseren Lebensstil dafür, dass der Klimawandel ihre Ackerflächen vertrocknen und ihr Vieh verdursten lässt. Dann liefern wir jede Menge Waffen, die in den Konflikten um Wasser, Weideland und Rohstoffe natürlich auch eingesetzt werden. Und letzten Endes lassen wir diejenigen, die dadurch in die Flucht getrieben werden, an einem eisernen Vorhang sterben, der sich schon längst durch den ganzen Sahel-Gürtel zieht.

Am Umgang mit den Flüchtenden offenbart sich die ganze moralische Haltlosigkeit des Friedensnobelpreisträgers Europäische Union:

Zwar bezeichnet EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Libyen als Hölle für Flüchtlinge. Und das deutsche Außenministerium vergleicht die libyschen Asylgefängnisse gar mit Konzentrationslagern. Und trotzdem halten beide an der Kooperation mit Libyen in der Flüchtlingsabwehr fest. Eine solche Union braucht sich auf ihre besonderen Werte nun wirklich nichts mehr einzubilden!

Liebe Freundinnen und Freunde,

im nächsten Jahr haben wir ja wieder die Wahlen zum Europäischen Parlament. Und ich finde, als Friedensbewegung sollten wir uns da einmischen. Und zwar genau mit der Frage, was für eine EU wollen wir eigentlich, was für eine EU ist im Sinne der Menschen?

Wollen wir eine EU der Aufrüstung und Militarisierung, eine in der die Rüstungslobby die Agenda diktiert? Eine EU der offenen Grenzen für Waffen und Finanzmärkte, in der Verkehrswege dann ausgebaut werden, wenn sie dem Panzertransport dienen?

Ich sage, wir wollen eine andere Union! Eine demokratische und friedliche Union, die ihre Verantwortung beim Welthandel wahrnimmt und die Rechte der arbeitenden Menschen ebenso schützt wie das Weltklima. Wir wollen eine EU, die abrüstet, statt aufzurüsten. Und wir sagen: Grenzen dicht für Waffen, Grenzen auf für Menschen auf der Flucht!