Urteile, die Hühnerdiebe erfreut hätten

5. August 2018

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Heartfield

 

Am 30. Juli 1948 endete der sogenannte I.G.-Farben-Prozess

Zum Thema ´Verbrechen der Wirtschaft, hier: IG Farben und was aus ihnen wurde´ hat unser Kamerad Tim Engels, Rechtsanwalt aus Düsseldorf, geforscht. Das Ergebnis erschien in den „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke“. Es geht um den sogenannten I.G.-Farben-Prozess vor den Nürnberger Militärgerichtshöfen. Die Verantwortlichen der nazifaschistischen Raubwirtschaft wurden nur milde bestraft. Zwei Angeklagte werden in nordrhein-westfälischen Städten noch heute hoch geehrt: So Dr. Max Ilgner in Espelkamp und Heinrich Hörlein in Wuppertal.

Hier der Wortlaut von Tim Engels´ Beitrag – ungekürzt:

Am 30. Juli 1948 endete der sogenannte I.G.-Farben-Prozess vor den Nürnberger Militärgerichtshöfen als einer der großen Folgeprozesse nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess1 gegen die nazifaschistische Rauwirtschaft. Ihm vorausgegangen war der Flick-Prozess, in dem von bloß sechs angeklagten Kapitalisten der faschistischen Wirtschaftselite gleich die Hälfte freigesprochen wurde; lediglich Weiss, Steinbrinck und Flick erhielten Freiheitsstrafen – letzterer die höchste von nur sieben Jahren – wegen von ihnen zu verantwortender Zwangsarbeit in ihrem Unternehmen und des daraus gezogenen Profits, Aneignung von Industriebetrieben in den von Nazis besetzen Gebieten sowie Mitgliedschaft in der SS als einer verbrecherischen Organisation (nur Steinbrinck). Darin glich das Urteil dem IG-Farben-Prozess; sie unterschieden sich gleichsam von den folgenden Krupp-, Wilhelmstraßen- und Röchling-Prozessen, die ihnen zwar inhaltlich weitestgehend entsprachen – Akzeptanz vermeintlichen Befehlsnotstands wie Verneinung einer Kollektivschuld des Finanzkapitals –, sich im Strafmaß allerdings die Verantwortung für Plünderungen in den besetzen Gebieten und Zwangsarbeit immerhin in Freiheitsstrafen von sechs bis zwölf Jahren (Bülow, Müller, A. Krupp) deutlich niederschlug. Wie diese wurde auch der Industrielle Röchling entschädigungslos enteignet; im Wilhelmstraßen-Prozess erhielten die hochrangigen Staatsbeamten des Auswärtigen Amtes um v. Weizäcker wegen der von ihnen zu verantwortenden Raubwirtschaft und Zwangsarbeit Freiheitsstrafen zwischen fünf und 25 Jahren, zwei wurden freigesprochen; sie entgingen allesamt nur knapp der Todesstrafe.
Angeklagt waren die Kapitalisten im IG-Farben-Prozess wegen des Angriffskriegs der Naziwehrmacht gegen die Sowjetunion, begangener Kriegsverbrechen sowie solchen gegen die Menschlichkeit, Versklavung, SS-Mitgliedschaft und Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden. In den Anklagepunkten wegen des Angriffskriegs und der Verschwörung wurden sämtliche Angeklagten freigesprochen. Die höchste Freiheitsstrafe von acht Jahren erhielten diejenigen Unternehmer, die in den Bau des IG-Farben-Werkes in Auschwitz direkt eingebunden waren. Der Anklagebehörde war es allerdings vornehmlich um diese Punkte gegangen. Gegen den zu erwartenden untauglichen Versuch, die eigene Verantwortung für Kriegsverbrechen mit vermeintlichem „Befehlsnotstand“ zu rechtfertigen zu suchen, führte der Vertreter des Office of Chief of Councel for War Crimes (OCCWC), Telford Tayler, bereits in der Eröffnungsrede aus, dass die Angeklagten alles unternommen hätten, „die Waffen und Werkzeuge der Eroberung, die den deutschen Terror verbreiteten, zu schmieden. Sie waren die Fäden in dem dunklen Todesmantel, der sich über Europa senkte. […] Sie waren die Zauberkünstler, die die Phantasien von ,Mein Kampf’ wahr machten. […] Dies sind die Männer, die den Krieg möglich machten, und sie taten es, weil es sie nach Eroberungen gelüstete.“2 Kritische Historikerstimmen sehen genau darin das Problem, dass die Anklage bemüht gewesen wäre, die Schuld in diesen Punkten nachzuweisen, statt sich auf die Beteiligung an den Verbrechen zu beschränken, bei denen die Beweisführung sicher gelänge. Auf das streckenweise zum Ausdruck gebrachte Unverständnis des Gerichts ob der fehlenden Ergiebigkeit vorgelegter Urkundenbeweise aus der Vorkriegszeit des Konzerns entgegnete der Stellvertreter Taylers, Josiah E. DuBois: „Es handelte sich um ein Unternehmen, das so großen Einfluss hatte, dass die Regierung es für seine Zwecke – politisch wie militärisch – einspannte, wie auch die I.G. Farben ihrerseits die Regierung für ihre Zwecke benutzte. In mancher Hinsicht war die I.G. Farben eine mächtigere Organisation als die deutsche Regierung.“ (ebd., S. 410 f.)
Die Anklage basierte wie in den vorangegangen Wirtschaftsprozessen im wesentlichen auf der bemerkenswerten Strukturanalyse des Nazifaschismus von Frank Neumann. Der „Behemoth“, ein nach der jüdischen Mythologie beherrschendes Ungeheuer des Chaos (wie der Leviathan des Meeres), war lange Zeit vergriffen und ist nun endlich neu aufgelegt worden. Allerdings fehlt das Nachwort zur deutschen Erstausgabe, in der ausgerechnet Ernst Nolte, der Mitte der 1980er Jahre mit seinen unhaltbaren geschichtsrevisionistischen Thesen in der „Zeitung für Deutschland“ (verkürzt: der „Rassenkrieg“ der Nazis sei lediglich die Reaktion auf den „Klassenkrieg“ der Bolschewiki gewesen) den Historikerstreit vom Zaun brach, feststellen durfte, dass es sich bei Neumanns Werk um „die kenntnisreichste und umfassendste Analyse des Nationalsozialismus“ handle, „die bis heute das Licht der Welt erblickt hat.“ (Süddeutsche Zeitung v. 24.05.2018, S. 12). Kritisiert wird an Neumann, dass „seiner marxistisch grundierten Erklärung der Struktur und Dynamik des NS-Regimes […] nicht völlig zu Unrecht der Ideologieverdacht eines ,Primats der Ökonomie’ an[hafte], das die eigentlichen Triebkräfte des Nationalsozialismus zu weit in den Hintergrund dränge.“3 Wer diese seien, bleibt wohlweislich unerwähnt. „Die Praktiker der Gewalt“ (Neumann) wie Tengelmann u. a. m. hätten vielmehr aus „unternehmerischer Rationaliät und Opportunismus“ heraus gehandelt (ebd.). Als ob dies ein Widerspruch wäre. Tatsächlich erkannte Neumann in der deutschen Wirtschaft einen „totalitäre[n] Monopolkapitalismus“ (S. 316), wobei der die IG Farben als einen der „größten Trusts der deutschen Geschichte“ (S. 39) ausmachte, in dem zunehmend Kapital konzentriert wurde (S. 638), eng verbunden mit der Deutschen Bank (S. 380) als klassisches Merkmal des Finanzkapitals, verschont von der nazistischen Verordnung zur Aktienkontrolle (S. 644). Die „gesamte Wirtschaft“ sei vollkommen „der Herrschaft von Monopolproduzenten unterstellt worden“ (S. 454), die wiederum der Kontrolle der Nazipartei unterlägen (S. 461). Gleichwohl wurde in der jüngeren Literatur zum Flick-Prozess unter Zugriff auf Neumann (S. 316, 380 ff.) zutreffend festgestellt, dass das Privateigentum im Nazifaschismus „weitgehend unangetastet“ blieb und darüber hinaus „Wesenselemente des auf dem Konkurrenzprinzip basierenden freien Marktes bei[behalten] habe. Befreit von demokratischen und rechtsstaatlichen Fesseln und gefördert durch die NS-Gesetzgebung, waren der Expansion des Großkapitals im ,Dritten Reich’ kaum Grenzen gesetzt.“4
Die Mehrheit der Richter wollte nicht mehr erkennen, dass das Finanzkapital in die Planung, Vorbereitung und Entfesselung eines Angriffskrieges eingebunden war. Trotz teilweisen Eingeständnisses des Vorstandsmitglieds der IG-Farben, von Schnitzler, wollte das Gericht keine persönliche Schuld feststellen, die über diejenige eines „anständigen deutschen Bürgers und Geschäftmannes“ hinausgegangen wäre; die Teilnahme der Angeklagten wäre „die von Mitläufern, nicht von Führern“.5 Dem widersprach der Richter Judge Herbert in einem Sondervotum (Concurring Opinion) und erklärte, „dass die in diesem Fall vorgebrachten Beweise [nicht] so ungenügend sind, wie es die Urteilsbegründung nahezulegen scheint“. Somit wäre durchaus auch ein anderes Beweisergebnis möglich gewesen.
Geschuldet war das auffällige Abweichen von der Anklage also nicht deren Qualität als vielmehr der veränderten politischen Großwetterlage mit Beginn des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion als vormals Verbündete in der Anti-Hitler-Koalition. So nimmt es kaum wunder, dass sich extrem antikommunistisch eingestellten Richter, teilweise Mitglieder des rassistisch-terroristischen Ku-Klux-Klan, sich mehr von Berlin „als Symbol der Freiheit gegen sowjetische Unterdrückung“ leiten ließen, um im wesentlichen den vermeintlichen „Befehlsnotstand“, Opportunismus und Patriotismus zur Entlastung der Angeklagten bemühten (ebd., S. 429, 431). Letztlich wurden die Angeklagten lange vor der Beendigung ihrer Strafen entlassen, die letzten bereits 1951, also nach nur drei Jahren! Soviel Gnade wurde den Opfern des Faschismus nicht zuteil. Hiernach wundert die resignative Bilanz des Anklägers DuBois nicht: „Das Strafmaß war milde genug, um einen Hühnerdieb zu erfreuen oder einen Autofahrer, der unverantwortlicherweise einen Fußgänger überfahren hatte.“ (zit. n. Ahrens, ebd., 407). Doch selbst in der bürgerlichen Geschichtsschreibung ist die Bewertung heute eine andere, wenn festgestellt wird, dass immerhin 13 der Angeklagten „als das verurteilt [wurden], was sie im ,Dritten Reich’ geworden waren, als gemeine Verbrecher“. 13 Kapitalisten, darunter die Spitze des IG-Farben-Konzerns, wurden wegen Raubes, Plünderung und Beteiligung am menschenverachtenden „Sklavenarbeitsprogramm“ in Auschwitz verurteilt. Insofern sei das Urteil also nicht jene „Bagatellverurteilung“ gewesen, wie DuBois 1952 „sichtbar frustriert schrieb, „und schon gar kein Freispruch für das Management der I.G.-Farben“ (ebd., S. 433).
Ohnehin wird man nach heutigem Kenntnisstand nicht umhinkommen, eingedenk der Beweislage und Urteile auch in den anderen Industriellen- und Wirtschaftsprozessen, die Charakterisierung des Faschismus durch die Komintern auch fürderhin als „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ anzusehen, heute ergänzt um das Moment des nazistischen Vernichtungsantisemitismus, ohne ihn darauf zu reduzieren. Entsprechend bekräftige einer der wichtigsten Faschismus-Forscher der DDR wenige Jahre vor seinem Tod, dass dieser „Tatbestand […] nach 1945 gerichtsnotorisch“ geworden sei „und zwar durch Gerichtshöfe der USA. Die stellten in den Nürnberger Nachfolgeprozessen fest, dass exponierte Angehörige kapitalistischer Großunternehmen im Krieg Verbrechen begangen hatten und verurteilten sie auch zu Haftstrafen.“6 Hinterlassen hat uns Pätzold das Fragment „Gefolgschaft unterm Hakenkreuz“ (Berlin 2017), wo er – aus bürgerlicher Sicht für einen Marxisten ungewöhnlich – bemüht ist – er vermochte die Forschungsarbeit gesundheitsbedingt nicht zu vollenden – zu begreifen, weshalb die Mehrheit der Deutschen zu „willigen Vollstreckern“ (Goldhagen) der Nazis wurden, also eben nicht nur Geführte waren, wie der Gerichtshof weiß machen wollte. Nicht zufällig denkt Pätzold das Horkheimer-Verdikt mit, dass wer „aber vom Kapitalismus nicht reden will, […] auch vom Faschismus schweigen [sollte]“ und – kritisch betrachtend – „die totalitäre Ordnung […] nichts anderes“ sei „als ihre Vorgängerin, die ihre Hemmungen verloren hat.“ (11 ff.) Bereits 1934 hatte Ernst Niekisch postuliert: der Faschismus sei die „Notverfassung“ der bürgerlichen Gesellschaft. Denn „die Beschäftigung mit der Mehrheit der Deutschen in ihrer Rolle als unentbehrliche Stütze der Nazidiktatur“ sei dazu angetan, „sie als deren Träger und Nutznießer vorzuführen, was sie auch waren, darüber jedoch von denen zu schweigen, welche die Diktatur installierten, ihre Ausgestaltung vornahmen oder beeinflussten und Großprofiteure des Regimes schon auf dessen Weg in den Krieg wurden.“ (287) So wird in der sogenannten Täter(innen)forschung (bspw. Kramer, „Volksgenossinnen an der Heimatfront“, Göttingen 2011) „wie beim Wort ,Nationalsozialismus’ […] eine Selbstbezeichnung übernommen, mit der lediglich eine Hitler zustimmende Masse gemeint ist und letztlich vom Fortbestehen der Klassengesellschaft in Hitler-Deutschland geschwiegen werden soll.“ (354, Fn. 319) Das ist eben der wesentliche Unterschied: Pätzold verliert die „eigentlichen Triebkräfte“ (s. o.) nicht aus dem Blick: nämlich jenen „Teil der Herrschenden, Industrielle oder Bankiers“, mit denen sich die Naziführung bereits vor der Machtübertragung an die Faschisten 1932 „in Villen, Hotels und Gutshäusern“ traf, um die Verhandlungen über das „NSDAP“-Programm zu führen. Deren „wirtschaftliche Macht“ sicherte ihnen „überragenden Einfluss“ in der Nazidiktatur wie vordem in der Weimarer Republik. „Diese Minderheit“ – Pätzold nennt sie auch „Sondergruppe von Deutschen“ – „der Massengefolgschaft zuzurechnen, haben ihnen schon die Siegermächte verweigert.“7
Die bürgerliche Historikerzunft ist seit jeher angetreten, den vermeintlichen Gegenbeweis zu liefern. Hitler wäre ein „Betriebsunfall“ gewesen.8 Wie bereits die Nazianwälte in Nürnberg im Verbund mit dem lobbyistischen „Industriebüro“ soll der wohl marxistisch inspirierten Meinung entgegengetreten werden, dass „die Großindustrie die Hauptverantwortung für die Etablierung der NS-Dikatur“ getragen habe.9 Gerne ließen sich die Richter davon beeinflussen. Bemerkenswert ist allerdings, dass solche Stimmen heute auch aus der politischen Linken zu vernehmen sind. 10 Das sollte aufhorchen lassen. Erst kürzlich hat der Journalist Otto Köhler noch einmal aufgedeckt, was gerne verschwiegen wird: Die IG-Farben-Führung traf Hitler bereits im Juni 1932 – im Prozess datierte der angeklagte NS-Funktionär und IG-Farben-Direktor Gattineau dies auf November –, der versicherte, dass die deutsche Wirtschaft „heute ohne Öl nicht denkbar“ sei und der „deutsche Treibstoff“ deshalb „selbst unter Opfern verwirklicht werden“ müsse. „Unser Weg […] deckt sich.“ Erleichtert notierte der angeklagte SS- und Wirtschaftsführer Bütefisch nach dem Treffen: „Wir fuhren zurück in dem stolzen Bewusstsein […], von dem kommenden Führer […] bestätigt erhalten zu haben, dass unser Ziel richtig und unsere Arbeit“ – die Kriegsproduktion – von größter Bedeutung war.“11 Dieses Treffen wird in dem Hitler-Itinerar (Reisebericht) von H. Sander (Berlin 2016) schlicht nicht erwähnt. Bei dem Industriellen-Treffen in der Berliner Wilhelmstraße (u. a. Reichspräsidentenpalais) werden bleiben die Namen der Anwesenden unerwähnt – mit dabei: der angeklagte NS-Funktionär und Wehrwirtschaftsführer sowie IG-Farben-Vorstandsmitglied v. Schnitzler.
Die marxistische Forschung zum Faschismus wird allzu gerne ignoriert oder als ideologisch abgetan. Dabei hatte Kurt Gossweiler, neben Pätzold und Weißbecker vielleicht einer der renommiertesten Faschismusforscher der DDR, bereits in den 1980er Jahren zur „Frühgeschichte des deutschen Faschismus“ herausgearbeitet, in welchem Maße sich die deutschnationalen und faschistischen Organisationen der Unterstützung durch die Monopolbourgeosie sicher sein konnten, freilich nicht nur, aber durchaus auch mittels höherer Geldspenden. Seit jeher wird, insbesondere kritischen Historikerinnen und Historiken der Zugang zu Firmenarchiven verwehrt, Akten vernichtet oder manipuliert.12 Dennoch vermochte Gossweiler zu belegen, dass sich die Kapitalisten das Naziversprechen, mit dem „Bolschewismus“ Schluss zu machen, doch einiges kosten ließen. Er hält der bürgerlichen Kritik aber auch entgegen, dass es bei der Frage der Finanzierung der Nazipartei nicht vorrangig darum gehe, den Nachweis zu führen, dass „die Faschistenführer vom Kapital bestochene Kreaturen sind. Sie brauchen nicht ,gekauft’ zu werden […] Ihr Programm ist in seinen wesentlichen Punkten das Programm des Imperialismus.“ Zu der Erkenntnis, dass der Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus organischer Natur ist, gelangt die totalitarismusdoktrinäre verblendete Historikerzunft nicht: „[…] die Finanzierung schafft ihn nicht, sondern ist seine Folge.“13
Allerdings wird heute niemand mehr an Schönbachs Standardwerk über die „Geldgeber der Nazis vorbeikommen: „Die Deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926-1943“ (Berlin 2016), in dem er bestätigt, dass die „NSDAP“ in keiner Phase ihres Bestehens auch nur ansatzweise in der Lage gewesen sei, sich ohne größere Spenden aus der Wirtschaft selbst zu tragen, und jedenfalls ab 1932 die höchsten aller Wahlkampsspenden erhielt. Der Propagandaminister der Nazis selbst wusste bereits 1930 zu notieren: „Große Teile der Wirtschaft stehen heute schon bedingungslos bei uns.“14 Anderenfalls wäre es kaum zu dem Geheimtreffen der Wirtschaftselite mit der Naziführung im Präsidentenpalais im Februar 1933 gekommen. Flankiert wird das Werk Schönbachs von dem jüngst erschienen Buch Günter Gleisings über die „Verbrechen der Wirtschaft“ und ihren „Anteil […] an der Errichtung der Nazidiktatur, der Aufrüstungs- und Kriegspolitik im Ruhrgebiet 1925-1945“ (Bochum 2017). Allen Unkenrufen zum Trotz ist auch dieser Komplex nach wie vor nicht ausgeforscht, sind Akten vernichtet, die Firmenarchive nicht umfassend erschlossen. Hiernach dürfte kaum noch jemand ernsthaft bestreiten wollen, dass führende deutsche Großindustrielle „aktiv und systematisch die Destabilisierung der Weimarer Republik sowie Etablierung eines autoritären Regimes“ (Frank Pfeiffer) vorangetrieben haben, indem sie die „NSDAP“ maßgeblich finanzierten und als demokratiefeindliche Massenpartei aufbauten; die auf einen neuen Krieg zielende Politik der Nazis entsprach voll und ganz den Interessen maßgeblicher Teile der deutschen Wirtschaft.
In der Enzyklopädie des Holocaust (Gutman, Jaeckel u. a. [Hg.], München 1998) ist notiert, dass der IG-Farben-Konzern in der sowjetischen Besatzungszone verstaatlicht wurde; in den Westzonen fand ein Eigentumswechsel hingegen nicht statt. „Der Konzern wurde im wesentlichen in seine ehemaligen drei Hauptbestandteile Bayer, BASF und Hoechst aufgeteilt, die alle bereits Ende der 1950er Jahre eine höhere Bilanzsumme als die ehemalige IG Farben aufwiesen. […] Viele leitende Mitarbeiter der IGF, darunter Ter Meer und Ambros [– verurteilt zu sieben bzw. acht Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen bzw. solchen gegen die Menschlichkeit; T. E. –] nahmen bald wieder führende Stellungen in der deutschen Chemieindustrie ein.“ (Bd. II, S. 635).
Mit der Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter tat sich der Konzern so schwer wie alle anderen Ausbeuterbetriebe. Nach dem verlorenen Wollheim-Prozess 1953 wurde einmalig bei der Jüdischen Entschädigungskonferenz (JCC) ein Betrag eingezahlt, bei dem es sich bestenfalls um Almosen handelte (s. U. Sander, a. a. O., S. 123). Dies entsprach der Haltung des Ex-Häftlings und Aufsichtsratsvorsitzenden ter Meer: den Arbeitssklaven sei „kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnedies getötet hätte.“15 Bayer benannte eine Stiftung nach ihm.
Erst nach einer breit angelegten Kampagne in den 1990er Jahren zur Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter beteiligte sich die Bayer AG an der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.
Während der Spurensuche der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“ wurde dem Verband seitens der Stadt Leverkusen verboten, eine mahnende Tafel mit der Inschrift „1933 – 1945 – I. G. Farben – Verbrechen der Wirtschaft“ am Tor 1 des Chemieparks (vormals: IG Farben) anzubringen. Sie befindet sich heute vor der Karl-Liebknecht-Schule auf dem Gelände der Kulturvereinigung Leverkusen.
Seit nun über 150 Jahren residiert dieser Großkonzern an Rhein und Wupper; die zeitweilige Teilliquidation hat er unbeschadet überstanden, wenn nicht sogar profitiert. Umweltprobleme gab es von Anfang an. Schon Engels schrieb dazu in seinen Briefen aus dem Wuppertal (MEW 1, 413). Bereits im Ersten Weltkrieg beutete Bayer Zwangsarbeiter aus und entwickelte chemische Kampsstoffe. Die Folge waren 60.000 Tote.
Heute zeichnet Bayer für einen Großteil der Hunderttausenden tödlich verlaufenden Pestizidvergiftungen verantwortlich. Die Bundeskanzlerin hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Konzern zu seiner „sehr beeindruckende[n] Geschichte zu gratulieren“ (ebd.). Letzten Monat titelte die junge Welt: „Bayer schluckt Monsanto“ (05.06.2018). Trotz lautstarker Proteste bei der Aktionärsversammlung, vor allem auch von Landwirten, die sich das teure Saatgut nicht mehr leisten können, wurde diese Megafusion vollzogen. Damit avancierte der Multi zum weltweit größten Saatgut- und Pestizidhersteller (bspw. Glyphosat!). Der Konzern rechnet mit einem zusätzlichen Jahresprofit von nahezu eineinhalb Milliarden Dollar. Noch leuchtet das Bayer-Kreuz über Leverkusen. Es bleibt die Aufgabe der antimonopolitischen, der kommunistischen wie Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, dieses Kreuz zum Erlöschen zu bringen; in der DDR war dies über 40 Jahre erfüllt.

Anmerkung
In Espelkamp existiert noch die Dr. Max Ilgner Straße. Verurteilt im IG Farben Prozeß (hier) und (hier).
Auch dies wurde entdeckt – aber noch nicht öffentlich kritisiert:
Villa Hörlein, Hubertusallee Nr. 18, Wuppertal. Eine offizielle Tafel informiert über die berufliche Laufbahn Heinrich Hörleins und würdigt seine „Verdienste“: „Unter seiner Leitung wurden umwälzende Entdeckungen insbesondere in der Tropenmedizin gemacht, so dass weltweit Medikamente aus Elberfeld wie das ‚Bayer 205‘ (Germanin) gegen die gefürchtete Schlafkrankheit und ‚Plasmochin‘ gegen Malaria eingesetzt wurden.“ Auf der Tafel „vergessen“ wurden aber die unrühmlichen Seiten des IG Farben-Vorstands- und NSDAP-Mitglieds Heinrich Hörlein, die ihn am 16.8.1945 in Haft und 1947 auf die Anklagebank des IG Farben-Prozesses in Nürnberg brachten.