60 Millionen für einen historischen „Freizeitpark“?

16. September 2021

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Gedenkkundgebung zum Antikriegstag in Stukenbrock (Foto: Knut Maßmann, 2019).

Zur geplanten Gedenkstätte in Stukenbrock

75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus raffte sich die nordrhein-westfälische Landesregierung endlich auf, 1000 € für jeden der 60.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die von 1941 bis 1945 in dem System der Sennelager eingekerkert, misshandelt und ausgebeutet worden waren, in die Hand zu nehmen, um an sie und die Geschichte zu erinnern – so jedenfalls wurde der Beschluss in der Öffentlichkeit kommuniziert. Dass es dabei mitnichten um eine angemessene Erinnerung geht, wurde durch die bekannt gewordene Machbarkeitsstudie (MBS) des Ateliers Brückner deutlich, über die seit dem Frühjahr 2021 öffentlich diskutiert wird, obwohl sie eigentlich nur intern vorgestellt wurde. Vielleicht ist das ja ein geschickter Schachzug, um vorab zu eruieren, wie ein solches Konzept in der gesellschaftlichen Debatte ankommen würde. Jedoch vermittelt das Handeln der zuständigen Behörden eher den Eindruck eines Dilettantismus als den eines strategischen Vorgehens, mit dem man mögliche Widerstände im Vorfeld abfangen wollte.

Ähnlich sehen das auch die Akteure vor Ort, die sich seit mehr als fünf Jahrzehnten – oftmals gegen den Widerstand der NRW Landesregierung und insbesondere der ostwestfälischen Regionalregierung – um die Erinnerungsarbeit kümmerten. 1967 fand die erste Gedenkaktion „Blumen für Stukenbrock“ statt. Er war die Zeit, als sich Teile der bundesdeutschen Gesellschaft aufmachten, die Schützengräben des Kalten Krieges zu verlassen. „Der Russe“ war nicht mehr das allseits geteilte Feindbild. Es war die Zeit der „neue Ostpolitik“ und der Verträgen mit Moskau und Warschau. Und dabei begann man, sich an diesem Ort der Opfer der faschistischen Verbrechen – insbesondere im Krieg gegen die Sowjetunion – zu erinnern. Etwa 300.000 sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter waren in diesen Lagern, 65.000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter wurden hier unter den unmenschlichen Bedingungen umgebracht. Aber es ging hier nicht nur um die quantitative Dimension der Verbrechen. Die Erinnerungsarbeit der Friedensbewegung und Antifaschisten hinterfragte die Lebenslüge der bundesdeutschen Gesellschaft, dass die Verbrechen insbesondere an der Ostfront allein das Werk der SS oder Einsatzgruppen gewesen sei und nicht der Wehrmacht. Stukenbrock war zudem Ort geschichtspolitischer Auseinandersetzung, wie die Beseitigung der Symbole der Roten Armee am Mahnmal zeigt, wo bis heute um die Wiederherstellung des originalen Zustandes des Mahnmals gerungen wird. An dieser Stelle einen Gedenkort zu errichten, hätte einen großen gesellschaftlichen Wert, ist aber auch eine geschichtspolitische Herausforderung.

Die „Machbarkeitsstudie“ der Agentur Brückner
Der theoretische Ansatz der Agentur gibt sich sehr fachkompetent. „Das Lager wird überall gemacht“ lautet das Leitnarrativ der thematischen Konzeption. Hiermit werde die Funktion des Lagersystems (Durchgangslager und Ausgangspunkt für den Arbeitseinsatz im Wehrkreis VI, der etwa der Fläche des heutigen NRW entspricht) betont. Zudem beschreibe es das Phänomen, dass das Lager überall in der deutschen Gesellschaft angekommen sei: Im Bergbau, in Industrie- und Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft oder in Behörden und Kirchen, die als Arbeitgeber die Kriegsgefangenen einsetzten.

Im Fokus der Gedenkstätte stehe also nicht allein das Lager „an sich“ als geschlossener Lagerkomplex, sondern die Institutionalisierung von tausenden „Lagern“ in der Gesellschaft. Interessant seien vor allem die dezentrale Organisation von Arbeitskraft (der Kriegsgefangenen) in der gesamten deutschen Gesellschaft und damit die Verantwortung auch der „ganz normalen Deutschen“ für die Etablierung, den Erhalt und die Effektivität des Lagersystems. Im Zuge der angestrebten Verknüpfung von Forschungen zur Identität der Gefangenen mit Verlaufsdaten über die Gefangenschaft werde sich so ein differenziertes Bild über das Lagersystem und dessen Dynamik ergeben, so der Anspruch der Agentur.

Was hier so kritisch mit dem Blick auf die „Volksgemeinschaft“ formuliert wird, entpuppt sich jedoch bei genauerer Betrachtung als Entlastung der tatsächlich Verantwortlichen. Im Konzept findet sich kein Hinweis zu denjenigen, die den Faschismus an die Macht brachten, die die Expansionsziele mit ihren Rohstoff- und Profitinteressen definierten, die von seinem Vernichtungskrieg im Osten direkt profitierten („Was kommt nach dem ersten Tank, das ist der Vertreter der Deutschen Bank!“), und denjenigen, die die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen für ihre Profitinteressen ausplünderten. Natürlich waren die „gewöhnlichen Volksgenossen“ notwendig, dass dieses System an der Heimatfront auch funktionierte, aber die eigentlich Verantwortlichen der Verbrechen waren sie nicht. Selbst wenn man die Möglichkeiten der Korrumpierung einbezieht – der „Volksgenosse“ war Mittäter, aber nicht der Verantwortliche. Wer aber die Mittäter zur Verantwortung zieht, die eigentlichen Profiteure aber ausblendet, kann keinen realistischen Blick auf die Wirklichkeit des faschistischen Systems ermöglichen.

Ein geschichtspolitisches Ärgernis ist die Enthistorisierung der geplanten Gedenkstätte durch die Bearbeitung von so genannten „Zeitschichten“. Natürlich hat es an diesem Ort in der zeitlichen Abfolge verschiedene Nutzungen gegeben. Wenn man aber versucht, die „Zeitschichten“ übereinanderzulegen, dann verschwindet die qualitative Bedeutung der jeweiligen Ereignisse. Jupp Asdonk, Rosa Rosinski und Hermann Taube vom Rosa Luxemburg Club Bielefeld kritisieren daher: „Das Konzept ‚Zeitschichten‘ verdeckt mit der geografischen Übereinstimmung des Ortes entscheidende politische Differenzen. Es will auch die ‚Nachgeschichte des Lagers‘ thematisieren, d.h. die Nutzung als Internierungslager für angeklagte Nazi-Funktionäre, als Lager für Flüchtlinge und Vertriebene (‚Sozialwerk Stukenbrock‘), schließlich für Aussiedler aus der DDR. ‚Auch die Geschichte dieser Lagererfahrungen wird die Gedenkstätte erzählen‘, denn: ‚Die Auseinandersetzung mit dem Ankommen in einer ‚neuen Heimat‘ ist in der heutigen Einwanderungsgesellschaft aktueller denn je.‘ Die faschistischen Verbrechen sind in diesem Gestaltungsrahmen nur eine erste Zeitschicht.“

Dieser politischen Ambivalenz scheint sich die MBS bewusst gewesen zu sein, weshalb in vorauseilender Rechtfertigung behauptet wird, durch eine Thematisierung von Flucht und Vertreibung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Kontext der Erinnerung an die deutsche Verantwortung für den Krieg und für Kriegsverbrechen werde die Gefahr jeglicher Relativierung gebannt. Auf diese Weise würden zugleich tiefgreifende Nachwirkungen des Krieges in Deutschland und Europa nachvollziehbar.

Dazu solle die Zeit des Sozialwerks einen eigenständigen Beitrag leisten, „das Bewusstsein für die Bedeutung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken.“ Als Ort für diese Auseinandersetzung ist das noch vorhandene Gebäude des Sozialwerks auf dem Gelände vorgesehen, in dem eine eigene Ausstellung eingerichtet werden soll. Damit bestehe die Möglichkeit, einen – angesichts globaler Flüchtlingsbewegungen – aktuellen Bezug zwischen Krieg und Kriegsfolgen in den Blick zu nehmen. Die Gedenkstätte könne so über einen Gedenkort der Erinnerung an die Gräuel der NS-Zeit hinausgehen und die Konsequenzen von Diktatur und Krieg im Sinne der Mahnung an das Schicksal der darunter leidenden Menschen aufzeigen. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass es im Kern darum geht, der historischen Bausubstanz eine eigenständige Funktion in der Gedenkstättenkonzeption zuzuweisen.

Wie problematisch das Konzept der „Zeitschichten“ ist, erklärt der Mitbegründer des Arbeitskreises „Blumen für Stukenbrock“ Werner Höner. Für ihn bildet es faktisch das Einfallstor für geschichtsrevisionistische Perspektiven:
„Es ist nicht statthaft, all diese Menschen zu Opfern zweier Diktaturen zu machen, wie das von Elmar Brook, einem Mitglied des Lenkungsausschusses, gefordert wird. Eine solche Aussage wäre eine eindeutige Geschichtsfälschung.“ Stattdessen müsse es darum gehen, in der Gedenkstätte kenntlich zu machen, dass viele Gefangene im Lager nicht nur furchtbar gelitten, sondern auch Widerstand geleistet hätten

Diese Ausblendung der historischen Dimension des Kriegsgefangenenlagers wird auch darin deutlich, dass der sowjetische Ehrenfriedhof, um dessen Erhaltung und Ausgestaltung es in der Vergangenheit erhebliche Auseinandersetzungen gegeben hat, in der MBS nur randständig in Erscheinung tritt. In der „Partitur“ der Konzeption taucht er ganz am Ende auf, wird aber in der inhaltlichen Begründung weder ausgeführt noch angemessen integriert. Dort heißt es: „Bereit gestellt werden soll audio(visuelles) Zeitzeug:innen-Material eingebunden in den örtlichen Kontext.“ Was darunter zu verstehen ist, wird jedoch nicht gesagt.

Vermittlungsarbeit als zentrale Funktion
Als zentrale Aufgabe einer zukünftigen Gedenkstätte wird die Vermittlungsarbeit genannt. Hier sieht die Agentur den historischen Ort als „in einem hohen Maße anschlussfähig für Gegenwartsfragen (z. B. Gruppenprozesse und -identitäten bzw. Zugehörigkeit: Aushandlung von Dabeisein und Ausgrenzen; Handlungsspielräume für individuelle Ermächtigungen) und damit auch für (zukünftige) Generationen einer Einwanderungsgesellschaft attraktiv.“ Gleichzeitig erträumt man sich „Begegnungen mit Angehörigen ehemaliger Kriegsgefangener und Besucher:innen aus ganz Europa (Austausch- und Versöhnungsarbeit), z.B. mit dem Kooperationspartner der Gedenkstätte, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, u.a. bei der gemeinsamen Ausrichtung internationaler Begegnungen.“

Da die Agentur selber erkennbar über wenig pädagogische Eigenkompetenz verfügte, hat man sich für diesen zentralen Bereich externen „Sachverstand“ eingekauft. Warum man dafür aber ausgerechnet „Klett MINT“ ausgewählt hat, das zu diesem Thema keinerlei Expertisen besitzt, wird beim genaueren Hinsehen deutlich. Es geht bei den genannten „Bildungspotenzialen“ überhaupt nicht um den historischen Gedenkort, sondern hier werden abstrakte Bildungsvorstellungen wie eine Schablone dem historischen Ort übergestülpt.

In Zeiten von Corona-Einschränkungen wird in Schulen und Universitäten von digitalisierten Bildungs- und Vermittlungsformen geredet. Dass dabei jedoch die Inhalte und die Vermittlungsprozesse aus dem Blick geraten, dämmert zunehmend den Lehrkräften. Auch in der MBS findet man kein Vermittlungskonzept, sondern ein Digitalisierungskonzept, in das Inhalte gezwängt werden sollen. Man beruft sich dabei auf Erfahrungen anderer Gedenkstätten, die mit Video-Walks und andere zeitgemäße Möglichkeiten der digitalen Visualisierung Einzelbesuchern, für die keine Gruppenführung angeboten werden kann, Anregungen und Informationen vorhalten. Für pädagogische Vermittlungsprozesse mit jungen Menschen bedarf es aber andere Überlegungen und praktische Voraussetzungen für gemeinschaftliches Aneignen der am Ort gesammelten Eindrücke und Erfahrungen. So hat Jens-Christian Wagner, der jetzige Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, deutlich kritisiert, dass mit dem Besuchskonzept und dem „Vermittlungsangebot“ vor allem auf Kurzzeitbesichtigungen orientiert wird, die eigentlich nur wenige Erkenntnisfortschritte bringen können.

Für den Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“, der seit vielen Jahren gemeinsam mit der Gewerkschaftsjugend am Gedenkort Bildungsangebote, z.B. in Form von Workcamps umsetzt, kritisiert Hubert Kniesburges: „Die Gedenkstätte Stalag 326 ist ein antifaschistischer Lernort zum Gedenken und zur Erinnerung an das gigantische Verbrechen, das durch bewussten Rechtsbruch der faschistischen Wehrmacht den gefangenen Soldaten der Roten Armee den Schutz der Genfer Konvention entzog. Die sich daraus ergebenen Bildungsangebote richten sich vor allem an die Jugendlichen der allgemeinbildenden Schulen wie auch Bildungsangebote für Erwachsene beispielsweise in der Präventionsarbeit gegen Rassismus und Neofaschismus oder der Demokratiebildung. Hier liegen die Besucherpotentiale und ansprechende, zielgruppengerechte Angebote können sie erschließen. Hier hat die Machbarkeitsstudie eine entscheidende Schwäche.“

„Touristische Einbindung“?
Notwendig ist es, bei einer MBS die potenziellen Zielgruppen in den Blick zu nehmen. Immerhin sollte man eine Vorstellung davon haben, für wie viele Menschen und insbesondere welche Besuchergruppen eine solche Gedenkstätte eingerichtet werden soll. An diesem Punkt gewinnt man besonders den Eindruck, dass die Agentur entweder keinen Blick für die Realität hatte oder aber ihre Ergebnisse unter der Maßgabe formulierte, dem Auftraggeber eine 60 Mio. Euro Investitionssumme schmackhaft zu machen. So glaubt man in der Auflistung der potenziell Interessierten (genannt werden Schulen, Universitäten, Jugendgruppen, Vertriebenenverbände, Justizvollzugseinrichtungen, Kirchengemeinden, Migrant:innenorganisationen etc.) für jede Gruppe ein „objektives“ Interesse definieren zu können. Es bleibt jedoch schleierhaft, ob diese Besucherzahlen, die von der Agentur auf 200.000 Besucher im Jahr summieren wurden, überhaupt realistisch sind. Dass sich die Agentur Brückner dabei an Untersuchungen zu Besuchergruppen der KZ Gedenkstätte Dachau, die seit über 60 Jahren international etabliert ist, bzw. dem „Naziwallfahrtsort“ Obersalzberg orientieren, zeigt ihre Wirklichkeitsferne.

Auch die Ausführungen der Agentur „KulturGold“ zum Komplex der „touristischen Einbindung“ kann man nicht anders als „schön reden“ bezeichnen. Tatsächlich wird behauptet, die Gedenkstätte Stalag 326 sei aufgrund ihrer Lage bzw. der derzeitigen Anbindungen sowohl für den privaten als auch öffentlichen Verkehr erreichbar. Wer schon einmal versucht hat, am Wochenende mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Gedenkstätte zu erreichen und wieder zurückzufahren, wird jedoch eines Besseren belehrt. Auch heißt es, es sei eine Infrastruktur vorhanden, auf der aufgebaut werden könne, man müsse nur einige Maßnahmen zur besseren Ausschilderung der Gedenkstätte treffen. Dazu gehöre die Beantragung und Errichtung von touristischen Unterrichtungstafeln und Wegweisern an der A33 und A2 sowie entlang von Bundes- und Landstraßen, die zur Gedenkstätte führen, oder die Ausschilderung der Gedenkstätte an Rad- und Wanderwegen in und um Schloss Holte-Stukenbrock. Allen Ernstes schlagen die Autoren vor, die Besucher des Freizeitparks „Safariland Stukenbrock“ anzusprechen, auf ihrem Heimweg einen Zwischenstopp an der Gedenkstätte einzulegen. Daher bedürfe es baulicher Maßnahmen zur Schaffung von ausreichend Parkplätzen für PKW und Busse auf der Grundlage des errechneten Besuchsszenarios. Einen Parkplatz-Engpass hat der Verfasser vor Ort nur an jenen Tagen erlebt, wenn der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ ihre Kundgebung zum Antikriegstag durchführt. Das war jedoch überschaubar.

Ganz anders sieht es Hubert Kniesburges: „In der deutschen Erinnerungskultur nehmen die Verbrechen der deutschen Wehrmacht an den sowjetischen Kriegsgefangenen einen kaum wahrnehmbaren Platz ein. Entsprechend unbekannt und wenig beachtet sind die Orte der Verbrechen. Das Stalag 326 ist eines der größten auf deutschen Boden. Das schlägt sich auch in den Besucherzahlen nieder. Die neu gedachte Gedenkstätte wirkt sich zweifellos auf die Besucherzahlen aus. Doch wird er dann auch zum touristisch interessanten Ort?“

Stattdessen verweist er im Zusammenhang mit dem Stichwort „touristische Einbindung“ auf eine historische Parallele: „Als Ausflugsort hat das Stalag 326 schon einmal hergehalten. Der ehemalige Gefangene W.I. Schimanskij schildert in seinen Aufzeichnungen: „An den Sonntagen kam zum Lager das gut gekleidete deutsche Publikum der Umgebung, um uns, die ersten sowjetischen Gefangenen zu begaffen. Allen Anschein nach bereitete ihnen diese Besichtigung unser Leiden großes Vergnügen und uns erdrückte fast die ohnmächtige Erbitterung über solche Demütigung unserer menschlichen Würdigung.“ (Aus „Das Lager 326 – Augenzeugenberichte – Fotos – Dokumente, herausgegeben vom Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock, S. 97f) Vielleicht sollten die Macher der MBS einmal über solche Aussagen von Betroffenen nachdenken …

Doch für sie ist die „touristische Einbindung“ vorrangig ein Thema der Vermarktung. In dem umfangreichen Kapitel zum „Marketing“-Konzept gewinnt man den Eindruck, dass sich die Autoren der MBS ihr Bild von Gedenkstätten und deren Pädagogik nur äußerlich angeeignet haben. Hier finden sich nämlich Schlagworte des „kleinen 1×1“ für Marketing-Anfänger, aber keine ernstzunehmenden Vorschläge, die sich auf die Spezifik einer Gedenkstätte beziehen. Denn was soll der Hinweis auf „Business to Business“ oder „Business to Consumer“ in diesem Kontext? Sehen die Autoren der Studie eine Gedenkstätte einfach nur als „touristisches Business“? Wie anders ist es zu verstehen, dass man eine Vernetzung zur „Tourismus Destination“ Teutoburger Wald als zielführend ansieht? Es fehlt nur noch der Vorschlag, die Gedenkstätte könnte „zielgruppenspezifische“ Angebote für „Vatertags Ausflüge“ anbieten, um die intendierten Besucherzahlen zu erreichen.

Eine vernichtende Bilanz der antifaschistischen Akteure
Die MBS mit ihren Handlungsempfehlungen wird von der Mehrheit der Initiativen, die sich seit Jahrzehnten in Stukenbrock für ein würdiges geschichtspolitisches Gedenken engagieren, abgelehnt. Insbesondere wird der Umgang mit der Zivilgesellschaft kritisiert. Werner Höner betont: „Es ist, will man eine würdige Gedenkstätte schaffen, nicht nachvollziehbar, dass bei deren Konzeption der Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock mit seinen reichen Erfahrungen und auch Verdiensten um das Gedenken in Stukenbrock aus offenbar politischen Gründen ausgeschlossen wurde.“

Tatsächlich wurde die Agentur Brückner von einer Arbeitsgruppe beraten, die – so die Aussage des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) – sich aus Mitarbeiter:innen der LWL-Kulturabteilung, des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte, dem LWL-Museumsamt, der LWL-Archäologie, dem LWL-Medienzentrum, dem LWL-Preußenmuseum und dem Land NRW (Landeszentrale für politische Bildung) zusammensetzte. Als gesellschaftliches Feigenblatt war noch der Förderverein der Gedenkstätte zugelassen.

Beim aktuellen Stand der Diskussion fordern Jupp Asdonk, Rosa Rosinski und Hermann Taube: „Die Gedenkstätte Stalag 326 – und der Friedhof der sowjetischen Kriegsgefangenen – sollten auch weiterhin Orte würdiger Trauer für die Angehörigen der damaligen Opfer bleiben, Orte des Gedenkens und des Forschens nach Verschwundenen oder Ermordeten und der wissenschaftlichen Unterstützung dieses Forschens. Gleichzeitig wünschen wir uns eine tiefgehende Aufarbeitung der Verbrechen der Nazizeit im Rahmen der neuen Gedenkstätte. Ebenso wichtig ist ein breites Engagement der Zivilgesellschaft, um die Entstehung von menschenverachtenden Einstellungen und Haltungen, von „völkischer Ideologie“ und „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) zu verstehen und diesen menschenverachtenden Diskursen entgegen zu treten.“

In dem Aufruf zum diesjährige Gedenken „Blumen für Stukenbrock“ wird betont: „Eine geplante Gedenkstätte von nationaler Bedeutung in Stukenbrock, die die Verbrechen der Wehrmacht verdeutlicht, die das Leiden der Gefangenen für die Besucher erlebbar macht und die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung vom Hitler-Faschismus würdigt, sollte ein deutliches Zeichen sein, aus der Vergangenheit zu lernen.“

Wenn dafür ein Teil der 60 Mio. Euro genutzt werden könnte, hätte der Beschluss des Landtags etwas Positives bewirkt. Es steht jedoch zu befürchten, dass die Landesregierung und der LWL ihr Konzept ohne Einbindung der zivilgesellschaftlichen Akteure durchsetzen wollen. Da dies sicherlich nicht vor dem Jahre 2022 beginnen wird, könnte die Gedenkstätte Stukenbrock und ihre inhaltliche Ausrichtung ein spannendes Thema für den 2022 anstehenden Landtagswahlkampf werden.

Ulrich Schneider