Ende gut alles gut? Die VVN-BdA und die Gemeinnützigkeit

19. September 2021

von Ulli Sander

September 2021: Gemeinnützigkeit und Demokratie – Eine Erfolgsgeschichte? Dies Frage stellten wir dem Münchner Rechtsanwalt Hans E. Schmitt-Lermann. Der hat in den Marxistischen Blättern jetzt eine ausführliche Würdigung der Vorgänge um die Wegnahme der Gemeinnützigkeit von demokratischen Vereinigungen veröffentlicht. Zusammengefasst liest sich der Teil zur VVN-BdA so:
Seit zwölf Jahren versuchen Regierungen, Parteien und Lobbyverbände politisch missliebige Organisationen, emanzipatorische, fortschrittliche kapitalkritische Vereine mundtot zu machen, ihnen – so Wolfgang Schäuble – »den Nährboden zu entziehen«, und zwar über das Gemeinnützigkeitsrecht. Das heißt: Die steuerbefreiende Gemeinnützigkeit wird ihnen entzogen. Insbesondere die so wichtigen Spender und Beiträger können davon nichts mehr von ihrer Einkommenssteuer absetzen.
Diese gebündelten Maßnahmen der finanziellen Austrocknung ordnen sich in die gegenwärtige Gesamtstrategie ein hin zum autoritärer werdenden Staat: Verschärfte Polizei- und Versammlungsgesetze, ausufernde digitale Bürgerüberwachung als Ausdruck zunehmender Angst vor basisdemokratischen Bewegungen, vor allem in ihrer qualifizierten, strukturierten und daher handlungsfähigen Form, nämlich zivilgesellschaftlichen Vereinigungen. Diese Angst ist Ausdruck eines verstärkten Krisenbewusstseins der herrschenden Nutznießer einer zunehmend in Frage gestellten und bröckelnden Gesellschaftsordnung. (…)
Der Fall VVN-BdA: Der wichtigste Fall der Aberkennung der Gemeinnützigkeit wegen Erwähnung in einem der 17 VS-Berichte als »extremistisch« und antikapitalistisch – damit angeblich verfassungsfeindlich – ist die VVN-BdA.
Wir haben den Fall inzwischen für den Bundesverband auf der Ebene der Finanzverwaltung gewonnen. Das selbe gilt für den Landesverband NRW. Als logischer Abklatsch hiervon dürfte das auch für den bayerischen Landesverband vor dem Münchner Finanzgericht gelingen. –
Dieses wichtige Gegenbeispiel nach einer Unglückskette hilft den anderen Betroffenen. Auch insofern, als dieser Erfolg ausschließlich mithilfe der antifaschistischen Argumentation und Autorität errungen wurde und immer außer Streit stand, dass die VVN noch viel mehr als etwa ATTAC auch „allgemeinpolitisch tätig“ war und ist. Davon zehrt jetzt auch ATTAC in ihrer Verteidigung. Meines Erachtens gefährdet das die VVN nicht, sondern ist jetzt einer ihrer Beiträge zur Stärkung der ganzen Zivilgesellschaft. (…)
Im Jahr 2000 startet die VVN-BdA ihre Kampagne NONPD und erzwingt wenigstens im Bundesrat einen Verbotsantrag gegen die NPD beim Bundesverfassungsgericht. Dieser scheitert bekanntlich 2003 wegen sogenannter »fehlender Staatsferne« der NPD: Ihre führenden Funktionäre waren fast alle gleichzeitig sog. V-Leute des Verfassungsschutzes – man kann sagen: wegen ähnlicher Gesinnung – und fütterten die Parteikasse der NPD mit ihren Agentenlöhnen aus der Bundeskasse. In einem weiteren Vergfahren entschied das Bundesverfassungsgericht zugunsten der NPD, da diese zwar verfassungswidrig aber zu klein und somit ungefählrich sei. –
Darauf sagte der Vorsitzende des Bundesinnenministerkonferenz Volker Bouffier, jetzt schwarz-grüner Ministerpräsident in Hessen: Das machen wir anders: »wir trocknen alle vom Verfassungsschutz erfassten extremistischen‹ Organisationen finanziell aus«. Ein neugefasster § 51 AO soll ihnen automatisch die steuerliche Freistellung, die Gemeinnützigkeit, entziehen. So geschah es. Das erste Opfer war traditionsgemäß aber keine rechtsradikale, sondern die führende antifaschistische Vereinigung VVN. Auch das Blitzgesetz Adenauers und das Republikschutzgesetz der Weimarer Republik wurde angeblich gegen Rechtsterroristen eingeführt und richtete sich dann ausschließlich gegen die Linke. (…)
Der Fall „Schwur von Buchenwald“: Der alles andere tragende und kontaminierende Hauptvorwurf lautet: »In der VVN wird ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Danach werden alle nicht-marxistischen Systeme – also vor allem die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es kompromisslos zu bekämpfen gilt«.-
Für diesen historisch frechen Unsinn kann man natürlich keinerlei Dokumente oder sonstige Belege beibringen, die dem Verband oder seinen Verantwortlichen zurechenbar wären. Man argumentiert insoweit ausschließlich mit der sogenannten „Überrepräsentation“ von Kommunisten und Sozialisten in den Reihen der Verfolgten des Naziregimes und folglich des Verfolgtenverbandes. Ihr unleugbarer Hauptanteil am Widerstand möge ja damals ein Verdienst gewesen sein, aber heute beeinträchtige diese zu unterstellende Mehrheitsgesinnung die Anerkennung als verfassungstreu und gemeinnützig.- (…)
Der letzte Komplex zählt 23 Auftritte, Veranstaltungen und Demonstrationen, unter Beteiligung der VVN auf, beginnend mit dem 1945 abgelegten Schwur der Häftlinge von Buchenwald, wonach der Nazismus »mit seinen Wurzeln auszurotten« sei. Mit „Wurzeln“ sei aber der Kapitalismus, also die freiheitliche Ordnung gemeint. Dagegen rechnet der 2005 amtierende Bundeskanzlers Gerhard Schröder in seiner damaligen Buchenwald-Rede eben diesen Aufruf zu den »Basisschriften unserer Demokratie«. Dann: Die Losung »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen«, die angeblich die verfassungsmäßig auch den Rechtsradikalen garantierte Meinungsfreiheit beeinträchtige. Schließlich solche, die zwar äußerlich nicht anstößig erscheinen, aber von der o.g. alle VVN-Aktivitäten tragenden extremistischen Grundgesinnung kontaminiert seien; letztlich sollten sie dieser Vorschub leisten. Dazu gehören Sitzblockaden gegen neofaschistische Aufmärsche (an denen auch Bundestagspräsident Thierse, der nachmalige Ministerpräsident Ramelow und viele andere Prominente teilgenommen haben)! –
Der Fall Mittenwald: Verwerflich, so heißt es, sei aber auch der Protest gegen die Traditionsvereinigung der Gebirgsjäger der Wehrmacht und der Bundeswehr. Gebirgsjäger – der SS ähnlich – haben das Massaker im griechischen Distomo und Massaker in vielen anderen Dörfern angerichtet. Die Vereinigung trifft sich regelmäßig auf der Hohen Brendten bei Mittenwald. Gegen diese habe es keinerlei strafrechtliche Verfahren gegeben, sehr wohl aber – wenn dann auch eingestellte – Ermittlungsverfahren bei den Gegendemonstranten wegen anderweitiger Demos durch örtliche Polizeibehörden; letztere seien also der verfassungsmäßig belastete Teil des Vorgangs.
Dazu merken wir an: Diese Darstellung ist unzutreffend: Es gab in Italien rechtskräftige (und damit auch in der BRD gültige) Verurteilungen der Gebirgsjäger, und auch in Deutschland erreichten VVN-BdA und andere eine Verurteilung eines an Massakern Beteiligten. Schließlich distanzierten sich die Gemeinde Mittenwald und der Bundeswehrstandort von dem Traditionsverein; vor der Schule des Ortes steht nun ein Gedenkstele für die Opfer der Massaker, und in der Schule finden regelmäßige Afklärungsveranstaltungen statt. Also sowohl in der Frage der Gemeinnützigkeit als auch iin der Erinnerungsarbeit gab es Efolge der VVN-BdA und ihrer Bündnispartner.-
Dennoch, so meint Hans E. Schmitt im Gespräch mit uns, könne man noch nicht von einer Erfolgsgeschichte sprechen, sondern müsse das Fragezeichen beibehalten. Denn noch immer schwebt der möglich ungünstige Ausgang des Verfahrens VVN-BdA Bayern gegen das Land Bayern in der Luft. Und wenn es keinen ungünstigen Ausgang geben sollte, so ist der Schwebezustand schlimm genug. Das zuständige Gericht verschleppt die Sache bis in alle Zeiten.
Nicht in Frage gestellt werden kann der Begriff „Erfolgsgeschichte“, wenn man von der ungewissen juristischen Lage absieht, und zwar hinsichtlich der großen Solidaritätsbewegung für die VVN-BdA, die wir erlebten. Unzählige Solidaritätserklärungen von Organisationen und Personen gingen ein. Zehntausende Unterschriften unter Petitionen pro VVN-BdAS sind zu nennen. Nicht zu verachten die Zahl der Spenden und Spender. Und rund 2000 neue Mitglieder wurden gezählt. Die unvergessliche Esther Bejarano, die leider kürzlich starb, griff den verantwortlichen Bundesminister Olaf Scholz scharf an: „Das Haus brennt und Sie sperren die Feuerwehr aus.“