Willi Hoffmeister und seine Zeit
27. September 2019
Von Ulrich Sander
Der DGB hatte Ulrich Sander vorm 1.9. gebeten, etwas über Willi Hoffmeister zu schreiben, damit jungen Leute ihn befragen können und Informationen in der Hand haben für das öffentliche Interview am Antikriegstag des DGB in Dortmund.
Er schrieb – und es wurde ausführlicher als es zunächst benötigt wurde. Hier der Beitrag von Ulrich Sander über seinen Freund Willi Hoffmeister:
Gemeinsam mit Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) durfte ich im März 2011 die Ostermarsch-Ausstellung in der Dortmunder Berswordthalle eröffnen, die Willi Hoffmeister gestaltet hatte. Die Ausstellungseröffnung gehörte zu den tendenziellen Vorgängen, die eine Wiederherstellung dessen bezeugen, was in den letzten Jahrzehnten bedroht zu sein schien: Das Zusammengehen aller Linken und Arbeiterbewegungsangehörigen in Fragen des Friedens und des antifaschistischen Gedenkens sowie des Kampfes gegen die Neonazis. Dortmund hat den Anschluss an die nicht parteigebundene Friedensbewegung eigentlich nie ganz verloren – und daran hat Willi Hoffmeister seinen ganz großen Anteil. Er ist für mich die personifizierte Einheitsfront.
Willi Hoffmeister, geboren 1933, stammt aus dem Dorf Oberbauerschaft im Landkreis Lübbecke, Südweite des Wiehengebirges. 1947 bis 1950 absolvierte er eine Schreinerlehre, danach zwei Jahre Geselle. Eigentlicher Beruf: Stahlarbeiter.
Zunächst ein geschichtlicher Rückblick: Das Prager Manifest der SPD vom Januar 1934 und die Beschlüsse der Brüsseler Konferenz der KPD vom Oktober 1935 brachten die Überwindung der Fehler der Arbeiterbewegung, wenn auch zunächst nur in Worten – und leider zu spät. Die SPD bekennt sich in dem heute fast vergessenen Dokument zum Kampf gegen den Faschismus und bezeichnet den Sturz der Hitlerdiktatur als ihr Ziel, fordert die Ausrottung ihrer sozialen Wurzeln im Kapitalismus. Das Manifest erklärte, die Sozialdemokratie trete gegen Kriegsgefahr und chauvinistische Verhetzung auf und bekenne sich zur Einheit der Arbeiterklasse. Die Kommunisten stellten in ihren Beschlüssen die Herstellung der Aktionseinheit aller Teile der deutschen Arbeiterklasse in den Vordergrund, um den Faschismus zu überwinden. Die KPD stellte den Kampf um die demokratischen Rechte und Freiheiten in den Mittelpunkt. Nach Jahren der Not, des Krieges, der qualvollen Verfolgungen und massenhaften Sterbens – aber auch des Widerstandes – bekräftigten dann im Jahr 1945 sowohl SPD wie auch KPD die im Untergrund gewonnenen Erkenntnisse. Die erste Funktionärskonferenz der SPD im Juni 1945 in Berlin bekräftigte die richtigen Erkenntnisse des Prager Manifestes. Die KPD fasste die Lehren aus Krieg und Faschismus in ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 zusammen. Einigen Feststellungen des KPD-Aufrufes stimmt der Zentralausschuss der SPD in einem eigenen Aufruf ausdrücklich zu, so der, dass „die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage (…) die Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes und einer parlamentarischen demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ erfordern. Die Arbeiterklasse solle gemeinsam handeln, gefordert wird die restlose Vernichtung aller Spuren des Hitlerregimes, Aufbau eines Staates der Rechtlichkeit und Gerechtigkeit, eine Neuregelung des Sozialrechtes, Aufteilung des Großgrundbesitzes, Verstaatlichung der Banken, Versicherungsunternehmungen und der Bodenschätze, Verstaatlichung der Bergwerke und der Energiewirtschaft, Erfassung aller Kriegsgewinne für den Wiederaufbau.
Das Grundgesetz von 1949 beinhaltete keine Bewaffnung Deutschlands. Diese aber wollte Konrad Adenauer unbedingt erreichen. Die Änderung des Grundgesetzes zur Schaffung von Wehrpflicht, Armee, Bewaffnung und NATO-Mitgliedschaft war das vordingliche Ziel der CDU/CSU in der ersten Hälfte der 50er Jahre. In dieser Zeit ergab sich noch einmal ein Aufschwung der Zusammenarbeit der Sozialdemokraten und Kommunisten in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung. Dies war vor allem eine Aufgabe der jungen Generation. Die Jugendverbände Freie Deutsche Jugend, Falken, Naturfreundejugend, Jungsozialisten und Gewerkschaftsjugend kämpften in vorderster Reihe und oftmals gemeinsam. Mit dabei der junge Arbeiter Willi Hoffmeister.
Die KPD, seine Partei, stand bald wieder im illegalen Kampf. Und vorher bereits die FDJ, Willi Hoffmeisters Jugendorganisation.
Willi Hoffmeister hatte die Schrecken des Kriegs noch erlebt. Sein von ihm verehrter Onkel Franz Urbanski kam nach elfjähriger Haft aus dem KZ zurück. Er gab Willi mit auf den Weg: „Junge, tu alles, damit es nie wieder zu Faschismus und Krieg kommt.“ Willi: Das hat mich mein Leben lang geleitet.“ Der Onkel, Bruder von Willis Mutter, war gesundheitlich schwer angeschlagen. In einem Dorf bei Schwerin bekam dieser Onkel, ein kommunistischer Arbeiter, einen Neubauernhof zugewiesen – und kam damit nicht zurecht. Willi und seine Eltern halfen. Sie verkauften ihre Habe und ihr Haus und zogen in die DDR zu jenem Onkel. Doch sie bekamen keine Zuzugsgenehmigung, die Behörden in der DDR meinten, der Platz der Hoffmeisters sei im Westen, und die Hilfe für den Onkel musste eingestellt werden.
Wieder im Westen stand die Familie vor dem Nichts. Willi ging daher nach Dortmund. Er wurde Hafenarbeiter. Jede Mark, die irgendwie übrig war, ging zu den Eltern, damit sie das Haus zurückkaufen konnten. Willi verbesserte sich, ging zu Hoesch, verdiente mehr. Nun hatte er wieder mehr Zeit „für die Politik“. Er wurde Mitglied der DKP. Von 1978 bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsleben 1990 war er Mitglied des Betriebsrates der Hoesch-Westfalenhütte.
Wir haben uns heute in Erinnerung zu rufen wie der drohende Atomtod – zunächst in Gestalt der Bombe, dann viel später in Gestalt auch der Kernkraft – in unser Leben trat. Der Glaube an die friedliche Nutzung der Atomkraft einte in jener Zeit noch die Kommunisten und Sozialdemokraten. Es gab die Parteitagslosungen aus den fünfziger Jahren, sowohl von Kommunisten wie auch Sozialdemokraten: Atomkraft ist Zukunft. Es wurde übersehen: Die ersten Reaktoren dienten der Schaffung der Atombombe, zuerst in den USA, die diese anwendete. Und dann die der UdSSR, die für ein atomares Patt sorgte. Dann wurden die Reaktoren auch zur Energiegewinnung genutzt. Massenvernichtung war immer möglich. Im Ostermarschaufruf 2011 hieß es: „Einen Tag nach Ostern jährt sich der GAU von Tschernobyl zum 25. Mal. Anlass für uns, gemeinsam mit der Anti-AKW-Bewegung zu fordern: Atomkraftwerke abschalten – Atomwaffen verschrotten!“ Diese Erkenntnis wurde durch Fukushima vollkommen bestätigt. Doch damals standen die Atombomben als Hauptgefahr vor uns allen. So sah es auch Willi Hoffmeister.
Im März des Jahres 1957 wurde gemeldet: Auf westdeutschem Boden lagern bereits seit zwei Jahren Atomwaffen – das gaben die in Westdeutschland stationierten US-Truppen erstmals zu. Eine Protestbewegung unter dem Titel „Kampf dem Atomtod“ bildete sich, zunächst unter Führung der SPD. Sie richtet sich vor allem gegen den Plan der CDU/CSU, eigene Atomwaffen für die Bundeswehr zu erlangen. Doch die wollten die Westalliierten unter ihrer Regie behalten. Sie gaben der Bundeswehr atomare Landminen, nukleare Artilleriegranaten und Luftabwehrsprengköpfen, ohne den Deutschen die Verfügungsgewalt über den Einsatz zuzugestehen.
Jedoch „Die Welt“ vom 31. 12. 1967: „Die Bundesrepublik wird Ende dieses Jahrzehnts drei Kernreaktoren haben, in denen so viel Plutonium anfällt, dass daraus rund drei Dutzend Atombomben hergestellt werden können. Die Bundesrepublik ist also eine potentielle Atommacht.“ Dagegen stand die Ostermarschbewegung auf.
Der erste deutsche Ostermarsch fand 1960 im Norden statt, eine Jahr später dehnte sich die Bewegung auf die ganze BRD aus. Willi Hoffmeister beim Ruhr-Ostermarsch marschierte von Anfang an mit an der Spitze. Er prägte ganz entscheidend die damalige Friedensbewegung; als Betriebsratsmitglied von Hoesch leistete er nicht nur die Unterschrift unter den Aufruf, sondern er war der Organisator! Zu den Lehren aus der zeit 1933-1945 gehörte für Willi diese: Die arbeitenden Menschen müssen gemeinsam handeln, wenn es um den Frieden geht.
Wie kam es dazu? Am 30. Juni1960 hielt Herbert Wehner seine Rede im Bundestag, um den erst ein Jahr zuvor bekanntgegebenen Deutschlandplan der SPD zurückzunehmen, der ein Mitteleuropa des Friedens und der Entspannung, ohne Militärblöcke und Kernwaffen vorsah. Dann kam das Bekenntnis der SPD zur NATO. Wir wissen heute, dass ein solches Bekenntnis die Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung ist. Erst war es so bei der SPD, später bei den Grünen.
Als wir uns als legale Kommunisten wie auch als illegale KPD-Genossen in die Ostermarschbewegung einreihten, sagten die Pazifisten: Die Kommunisten wollen uns ausnutzen, sie sind nur ihrem Dogma, nicht dem gemeinsamen Ziel des Friedens verpflichtet. Wir konnten dagegen halten. Alte Genossen, welche die Ostermarschroute schon auf Todesmärschen gegangen waren, überzeugten. In einem Buch von Andreas Buro über die Geschichte der Friedensbewegung stellen die Ostermarschbegründer Helga und Konrad Tempel fest, sie hätten damals zu viel Argwohn gegenüber den Kommunisten gehabt. Diese Erkenntnis hat uns gefreut.
„Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren. In den Konzentrationslagern – wie Bergen-Belsen – kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der Versuchsexplosionen und der atomaren Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit Vernichtung.“ So begann der Aufruf zum ersten deutschen Ostermarsch der Atomwaffengegner, der vor 59 Jahren von Hamburg zum Raketenübungsplatz Bergen-Belsen-Hohne führte. Kommunist/innen gehörten zu den Organisatoren, die dann auch halfen, die Ostermärsche im ganzen Land vorzubereiten. In dem Aufruf von 1960 hieß es weiter: „Jede Herstellung, Erprobung und Lagerung von Atomwaffen – gleich an welchem Ort und in welcher Hand – ist die größte Gefährdung der Menschheit.“
Karfreitag 1961 – Willi Hoffmeisters erster Ostermarschtag – war ein Tag des Protestes gegen das atomare Wettrüsten und gegen die Wiederholung faschistischer Verbrechen, wie es im Aufruf von 1960 ausgedrückt wurde. Gegen Krieg und Faschismus – das gehörte und gehört zusammen. Es nahmen mehrere 1000 Arbeiter, Angestellte, Künstler und Geistliche, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und Pazifisten teil, darunter viele Jugendliche. Mit dieser Aktion entstand auch in der Bundesrepublik nach dem Vorbild der englischen Atomkriegsgegner die Ostermarsch-Bewegung als neue wirksame Kampfform gegen die Atomaufrüstung. Ihre Aussagen waren nicht nur gegen „die Bombe“, sondern auch – wie gesagt – gegen die Wiederholung deutscher Katastrophen und Kriege gerichtet. Zudem kamen bald neue Aussagen hinzu, so dass sich die Ostermarschbewegung bald Kampagne für Demokratie und Abrüstung nannte. Es ging gegen das atomare und konventionelle Wettrüsten, gegen den Krieg der USA in Vietnam und um die Demokratie, denn es drohten die Notstandsgesetze und damit der Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Beseitigung demokratischer Errungenschaften, wie z. B. das Streikrecht. Ab 1982 gab es einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt: Die Ostermarschierer waren wieder dabei, als es hieß: „Keine neuen Atomraketen in unserem Land“. (Nachrüstungsdiskussion)
Während sich die SPD – sie hatte sich vom „Kampf dem Atomtod“ weg inzwischen auf NATO- und Rüstungskurs begeben – von den Ostermärschen fernhielt und die ihr nahestehenden Jugendorganisationen (Jusos und Falken) aus der Ostermarschbewegung abzog, ja sogar Mitglieder wegen Ostermarschbeteiligung als Mitglieder ausschloss –– kamen immer mehr Gewerkschafter und Kirchenvertreter hinzu, darunter Kirchenpräsident Martin Niemöller (Ehrenpräsidiumsmitglied der VVN), auch Erich Kästner unterstützte den Ostermarsch. Sodann Organisationen wie Naturfreundejugend, die IG Metall, Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK), Vereinigung der Kriegsdienstgegner (VK) und Deutsche Friedens-Union wie auch VVN-BdA.
Mit wechselnden Beteiligungen und auch bei zeitweiligen Unterbrechungen hat die Ostermarschbewegung sich nunmehr über 59 Jahre lang gehalten. Und es ist Willi Hoffmeisters Verdienst, dabei geholfen zu haben. „Geholfen“ ? Nein, er war die Seele des Ganzen. Ohne ihn hätte es den dreitägigen Ostermarsch an der Ruhr nicht gegeben.
Wenn heute oft auf die einst größeren Beteiligungszahlen hingewiesen wird – zumeist waren allerdings die Märsche nicht viel stärker als heute – so sei an das Geheimnis des Erfolges erinnert, das Prof. Andreas Buro+, einer der Mitgestalter des ersten Marsches, im Gespräch erwähnte: Es gab in allen Städten Friedensgruppen, die bestens organisiert waren und schnell reagieren konnten. Und zum Geheimnis des Erfolges gehörte die gewerkschaftliche Unterstützung.
Organisator solcher Friedensgruppen war und ist Willi Hoffmeister, ein Dortmunder Aktivist und Organisator der Betrieblichen Friedensbewegungen bundesweit und speziell in den Dortmunder Stahlwerken. Leute wie er haben erreicht: Die Ostermärsche bleiben die größte Friedensaktion in der Fläche jährlich an einem Wochenende.
Stets hat das Betriebsratsmitglied und Friedensaktivist, das Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Willi Hoffmeister die Gewerkschafts- und Friedensbewegung mit dem antifaschistischen Kampf verbunden. 1985 war er dabei, um der Nazipartei FAP den Weg zu versperren, die in der Schlosserstraße, Nahe der Westfalenhütte, ein Zentrum eröffnen wollte. Die Arbeiter legten die Arbeit nieder, zogen in die Schlosserstraße und besetzten sie, bis die Nazi abzogen. Von dem Zentrum hörte man nie wieder etwas.
Im Jahr 1990 war die Naziszene, die bis 1990 in Dortmund stark um dann für zehn Jahre beim „Naziaufbau Ost“ zu helfen, nach Dortmund zurückgekehrt. Ostern 2000 fand ein Nazitreffen in der Dortmunder Gaststätte „Schützeneck im Dortmunder Norden statt, und Willi Hoffmeister hat sofort dagegen gehalten. Nach dem Ostermarsch ging man unter seiner Führung auf die Straße – und das Schützeneck wurde geschlossen. Nachdem der Dortmunder Neonazi Michael Berger im Juni 2000 drei Polizeibeamte ermordet und dann sich selbst umgebracht hatte, verteilte die „Kameradschaft Dortmund“ Aufkleber und Flugblätter mit der Aufschrift: „Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland“. Man kündigte eine Nazidemo im Herbst 2000 an. Den erfolgreichen Protest dagegen organisierte ein „Bündnis Dortmund gegen rechts“, das von Willi Hoffmeister mit begründet wurde.
Als Willi Hoffmeister im März 2011 eine Ausstellung über 50 Jahre Ostermarsch in der Berswordthalle gegenüber dem Dortmunder Rathaus eröffnete, ließ es sich der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) nicht nehmen, sich erneut in diese Friedensbewegung einzureihen und den Ausstellungsmacher und Kommunisten Willi Hoffmeister zu würdigen: „Mein Dank für den jahrzehntelangen Einsatz und die Realisierung dieser schönen Ausstellung geht an Herrn Hoffmeister und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Ich hoffe, dass diese Ausstellung viele Menschen anlockt und motiviert, sich weiterhin oder auch erstmalig für den Frieden und gegen Krieg zu engagieren. Denn der Marsch ist noch nicht zu Ende, und er muss weitergegangen werden – das ist die Verantwortung, die wir für unsere Welt tragen.“
Hat es sich gelohnt? Die Kanzlerin führte einmal aus, sie sei zutiefst davon überzeugt, dass es richtig ist, „dass wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben“. Denn: „Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt.“ (Aus der Rede der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, CDU, zur Vorstellung des „Allensbacher Jahrbuchs der Demoskopie ‚Die Berliner Republik’“, 3.3.2010)
Also lohnt der außerparlamentarische Kampf nicht? Doch. Merkels Äußerung macht nur ein zynisches Verhältnis zur Meinung der Bevölkerung deutlich. Demokratie? Keine Spur. Es geht den etablierten Politikern letztlich nur darum, die Macht zu erringen und mit List und Täuschung ihre Politik durchzusetzen.
Und daher ist die Opposition unerlässlich, daher sind Menschen wie Willi Hoffmeister unentbehrlich. Keine wirkliche Veränderung im Lande ergab sich ohne außerparlamentarischen Kampf unter Einbeziehung der Gewerkschaften: Keine deutschen Atomwaffen! Mittelstreckenraketen sind abgezogen! Gesellschaftliches, auch antifaschistisches Umdenken nach und mit dem Jahr 1968 und demokratische Reformen! Notstandsgesetze wurden nie angewendet! Eine Politik des Friedens wurde bis 1989 durchgesetzt und bis dahin auch bewahrt! Erfolge der Gewerkschaftsbewegung im Ringen um die Verbesserung der Lebenslage der Menschen!
Ulrike Düwel, Gewerkschafterin und Landesvorstandsmitglied der VVN-BdA NRW, führte auf einer Konferenz ihrer Organisation u. a, aus: „’Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus, aber wo geht sie hin?’. Wo bleibt die Meinung der Bevölkerung in Stuttgart beim Bahnhofsbau? An den Standorten der AKW, deren Laufzeit gegen den Willen parlamentarischer Gremien und dem Diktat der Konzerne gemäß verlängert wird? Beim Kriegseinsatz, den 70 Prozent der Menschen endlich beendet sehen wollen?“
Nach den Kosovo-und Afghanistan-Einsätzen musste die Regierung zunächst darauf verzichten, in einen neuen Krieg zu ziehen, auch darauf verzichten, ihren Pakt mit der Atomindustrie wie geplant zu verwirklichen. Heute zeigt FFF, Friday for Future, die Bewegung der Kinder und Jugendlichen gegen die verfehlte Klimapolitik, welche Kraft und Wirkung außerparlamentarisches Kämpfen erreichen können.
Leider müssen wir heute feststellen: Der Aufruf von 1960 ist noch immer aktuell. Atomwaffen wurden immer weiter ausgebreitet. In unserem Land werden 20 Exemplare davon gelagert. Sie haben jeweils die vielfache Wirkung der Bombe von Hiroshima. Und sie sind in der Hand von Atommächten, die sie, wie die USA, bereits mit furchtbaren Folgen eingesetzt und getestet haben, und die den Erstschlag mit dieser unmenschlichen Waffe noch immer in ihren Militärdoktrinen stehen haben. Jeden Tag sterben 24.000 Menschen an den Folgen von Hunger, drei Viertel davon sind Kinder unter fünf Jahren. Für zwei Milliarden Euro im Jahr – acht Prozent des deutschen Rüstungsetats – könnten alle vom Hungertod bedrohten Kinder gerettet werden.
Noch gibt es die Artikel in unserem Grundgesetz, die besagen: Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung, eine Armee nur zur Verteidigung, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Verbot des Nazismus und Neonazismus, (Jawohl, in Artikel 139 GG steht es.) Bekräftigung der 1945er Bestimmungen für die Befreiung von Militarismus und Nationalsozialismus. Doch das Anwachsen von Antisemitismus, Neofaschismus und Rassismus in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland, ist alarmierend. Das Vermächtnis von 1945 gebietet, dem entschlossen entgegen zu wirken. Dabei geht Willi Hoffmeister noch im Alter von 86 Jahren voran.
Willi ist ein beharrlicher Kämpfer, mehr still aber sehr bestimmt. Er ist bescheiden im Sinn von Zurückhaltend, nie von Anpassung. Immer hilfsbereit. Er liebt die Natur, sein Garten ist ihm sehr wichtig. Sein Rückzugsort bis heute. Die Bewahrung der Schöpfung, wie es die Christen nennen, ist auch sein Anliegen. Am liebsten wäre er Bauer geworden.
Heute ist der Umweltschutz, das Klima das ganz große Thema. Weniger der Frieden, obwohl das Friedensthema ebenso nötig wäre. Doch die Entwicklung bleibt nicht stehen. „Fridays for Future“ beriet sich jetzt in Dortmund-Wischlingen. Auch Workshops gegen das Militär und gegen den Kapitalismus fanden in Wischlingen Zuspruch. Greta Thunberg, die 16jährige Begründerin der FFF-Bewegung sagte etwas sehr wichtiges: „Ich verlange nicht, dass man uns Kindern zuhört, sondern dass man wissenschaftliche Erkenntnisse ernst nimmt.“ Ernst genommen werden sollten bei FFF außer den naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auch die anderer Wissenschaften und der Friedensforschung, rieten nicht nur Leute wie Willi Hoffmeister sondern auch – man höre und staune – Autoren z. B. der Süddeutschen Zeitung, die auch auf die Gefahren eines Atomkrieges hinwiesen. Beachtet werden sollte ihre Empfehlung: „Der Klimawandel treibt die Jugend auf die Straße, aber wo bleibt der Protest gegen das Wettrüsten? Greta Thunberg und ihre Anhänger sollten freitags ein paar neue Schilder mitbringen.“ (Süddeutschen Zeitung, Leitartikel vom 3.8.19) Solche Aufrufe gutbürgerlicher Zeitungen sind Aufsehen erregend. Ebenso der Aufruf des Bundespräsidenten: Die Religionsgemeinschaften sollten weltweit zusammengehen für den Frieden.
Noch geschieht dazu zu wenig. Das wird später einzuschätzen sein, von späteren Generationen nach uns. Wenn es sie noch geben sollte. Und wenn es sie geben sollte, dann als Erfolg solcher Menschen wie Willi Hoffmeister.