Die braune Vergangenheit des Emil Kirdorf: Verwirrung um verschwundene Tafel

25. Juli 2018

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Kirdorf Siedlung

Aus Ruhrnachrichten, Dortmund, vom 20. Juli 2018 von Michael Schuh  

Der Industrielle Emil Kirdorf förderte den Aufstieg von Adolf Hitler. In der nach ihm benannten Siedlung sollte vor Jahren eine Mahntafel aufgestellt werden. Von ihr fehlt jede Spur.

Darf eine Siedlung nach einem Mann benannt sein, der Hitlers Aufstieg aktiv förderte? Mehrfach schon wurde diese Frage in der Vergangenheit in Dortmund-Eving gestellt. Dort befindet sich die Kirdorf-Kolonie, benannt nach dem Industriellen Emil Kirdorf, persönlicher Freund Adolf Hitlers, Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP sowie überzeugter Gegner von Demokratie, Gewerkschaften und Arbeiterbewegung. Einen neuen Namen erhielt die Kolonie letztlich nicht, doch zumindest eine Mahntafel sollte an Ort und Stelle über Leben und Gesinnung des Namensgebers informieren. Doch, wo ist diese Tafel geblieben?

Widerstand in der NS-Zeit

Einstimmig beschloss die Bezirksvertretung Eving bereits 2011 die Aufstellung einer solchen Tafel und stellte dafür 10.000 Euro zur Verfügung. Fast sechs Jahre nach dem Beschluss ist von der Tafel noch weit und breit nichts zu sehen. Gibt es sie überhaupt. Und wenn ja, wo ist sie abgeblieben? Diese Frage stellt sich der Dortmunder Ulrich Sander, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Sanders Engagement für den Frieden und gegen jede Form des Faschismus kommt nicht von ungefähr. Als der heute 77-Jährige als kleiner Junge in Hamburg lebte, wurde sein Vater – der zur NS-Zeit im Widerstand aktiv war – zu einer Strafkompanie eingezogen. „Dort hat man ihn fürchterlich misshandelt“, erzählt Sander, „auch seelisch hat er sich nie erholt und unter Depressionen gelitten. 20 Jahre später ist er dann gestorben.“

Ulrich Sander kämpft seit Jahren dafür, dass in der Kolonie Kirdorf eine Infotafel aufgestellt wird. © Michael Schuh

Ein paar Jahre nach Kriegsende besuchte Sander mit der Schule am Bullenhuser Damm einen Ort schrecklicher Kriegsverbrechen. Um Spuren zu verwischen, ermordeten die Nazis in dem Schulgebäude 20 jüdische Kinder, die zuvor unter bestialischen Menschenversuchen gelitten hatten.

„NS-Täter müssen genannt werden“

Aufgrund dieser Erfahrungen und der Tatsache, dass seine Eltern stets offen über die NS-Verbrechen sprachen, widmete sich Sander schon als junger Mann intensiv diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte und trat in die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ein. Dieses Interesse blieb auch bestehen, als er 1968 nach Dortmund zog, wo er erstmals mit dem Begriff Kolonie Kirdorf konfrontiert wurde. Ein Name, den Sander und seine Mitstreiter vom VVN-BdA nicht unkommentiert stehen lassen wollten. „Denn überall gibt es Stolpersteine, die an die Opfer des

Nationalsozialismus erinnern“, sagt der 77-Jährige, „und das ist gut so. Aber es kann nicht sein, dass die Täter aus dem Bereich Wirtschaft, die vielfach Vorteile aus diesem Regime zogen, nicht genannt werden. Und dazu gehörte Kirdorf.“

1937 überreichte Adolf Hitler dem Industriellen Emil Kirdorf anlässlich dessen 90. Geburtstags den „Adlerschild“, die höchste zivile Auszeichnung des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Bis heute ist eine Siedlung nach Emil Kirdorf benannt. © picture alliance/ullstein bild

Tatsächlich förderte der 1938 verstorbene, als reaktionär und autoritär bekannte Industrielle schon früh den Aufstieg Hitlers. 1927 trat Kirdorf in die NSDAP ein und wollte – um der Partei so neue Geldquellen zu erschließen – die NSDAP und die Ruhrindustrie näher zusammenzubringen. Zudem habe Kirdorf Hitler auch persönlich finanziell unterstützt, sagt Sander: „Er half ihm aus der Patsche.“

Bislang existiert in der Kirdorf-Siedlung nur ein Stein mit den Kolonie-Daten. © Michael Schuh

Um auf die Vergangenheit des Industriellen hinzuweisen, beantragte die VVN-BdA im Juli 2011 in der Bezirksvertretung Eving eine Mahntafel. Noch im Jahr 2013 solle die Tafel aufgestellt werden, hieß es damals. Danach verliert sich die Spur der Infotafel. Fakt ist: Sie wurde nie aufgestellt. Sander lässt nicht locker: 2016 erkundigte er sich schriftlich bei den politischen Fraktionen nach dem Verbleib der Tafel. Ohne Erfolg. Ihm sei zwar zugetragen worden, sie existiere bereits, sagt der 77-Jährige; doch wie sie aussieht und wo sie sich derzeit befindet? Sander zuckt die Schultern.

Auch eine Anfrage bei der Stadtverwaltung bringt nur wenig Licht ins Dunkel. Dr. Stefan Mühlhofer, Direktor des Stadtarchivs, habe den Text für die Tafel verfasst, teilte das Presseamt schriftlich mit. Und es sei auch bereits eine Stele mit einer darin eingesetzten, austauschbaren Infotafel angefertigt worden: „Beides wurde in einem städtischen Gebäude eingelagert.“

Dieser leer stehende Kiosk bildet den Mittelpunkt der Kirdorf-Siedlung. Im nahe gelegenen Park könnte die Mahntafel aufgestellt werden. © Michael Schuh

Warum die Stele aber, wie politisch seit Jahren entschieden, noch immer nicht an einem passenden Ort in der Kirdorf-Siedlung steht, erklärt sie Stadt nicht. „Es wurde noch Überarbeitungsbedarf an der Infotafel erkannt“, steht dort geschrieben. Ob es sich dabei um inhaltliche oder äußere Korrekturen handelt, bleibt nebulös.

Ulrich Sander vermutet, dass einige Anwohner der Kolonie einer solchen Tafel kritisch gegenüberstehen und sie deshalb immer noch nicht aufgestellt wurde. Sollte dies der Fall sein, hält der 77-Jährige das für ein unmögliches Vorgehen: „Es darf nicht sein, dass das Votum eines demokratischen Gremiums wie der Bezirksvertretung nicht umgesetzt wird, weil es einigen Leuten nicht passt.“

Sander will dran bleiben.

„Kaum jemand, der in der Kirdorf-Siedlung wohnt, weiß etwas über Emil Kirdorf“, sagt Ulrich Sander. Das gelte es zu ändern. Emil Kirdorf (1847 – 1938) war von 1893 bis 1926 Generaldirektor der Gelsenkirchener Bergwerks-AG, dem damals größten deutschen Bergbauunternehmen, das die Kolonie erbauen ließ. Zudem hatte er lange Jahre den Aufsichtsratsvorsitz des Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikats inne.