Hitler war kein Betriebsunfall

12. Februar 2019

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Günter Gleising: Verbrechen der Wirtschaft, RuhrEcho Verlag, Bochum 2017 – darunter liegend Karl Grünberg: Brennende Ruhr, Bochum 2010

Ulrich Schneider präsentiert Günter Gleisings neues Buch

„Hitler war kein Betriebsunfall“ – unter diesem Titel hat vor vielen Jahren der ehemalige Buchenwald-Häftling Emil Carlebach ein Buch auf den Markt gebracht, in dem er die Schritte der Machtübertragung an die NSDAP und Adolf Hitler auf der Basis von Selbstzeugnissen der politischen Akteure nachgezeichnet hat. Er wies detailliert nach, dass von einer „Machtergreifung“ oder gar „nationalen Revolution“, wie es in der faschistischen Selbstdarstellung hieß, keine Rede sein konnte. Es waren die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten des Deutschen Reiches, die auf Hitler setzten und den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg veranlassten, den Führer der NSDAP als Reichskanzler einzusetzen. Es ist bezeichnend, dass anlässlich des 85. Jahrestages des 30. Januar 1933 in der medialen Aufarbeitung dieses Thema weitgehend vernachlässigt wurde.

Umso verdienstvoller ist daher die Mitte 2017 erschienene Veröffentlichung von Günter Gleising unter dem Titel „Verbrechen der Wirtschaft“, die sich mit der Rolle der wirtschaftlichen Eliten bei der Machtübertragung – ausgehend von der regionalen Perspektive des Ruhrgebietes – genauer beschäftigt. Seine Ausgangsfragen waren: „Wie war es möglich, dass Hitler und seine Nazipartei innerhalb weniger Jahre von einer politischen Splitterpartei zu einer einflussreichen Kraft werden konnte?“ und „dass das faschistische Regime an der Macht innerhalb von sechs Jahren in der Lage war, einen Krieg zu führen und halb Europa zu unterjochen?“

Für ihn ergeben sich die Antworten zwingend aus der Rolle, die die entscheidenden Vertreter der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie und des Bergbaus bei der Förderung der NSDAP gespielt haben. Zuerst führt er die Leser in die Besitz- und Machtverhältnisse im Ruhrgebiet ein, wobei er nachzeichnet, dass sich die entscheidenden Akteure z.B. der „Ruhrlade“, ein exklusiver Kreis von Industriellen zur politischen und finanziellen Förderung von konservativen und nationalistischen Parteien mit dem Ziel der Stärkung aller antirepublikanischen Kräfte, im Folgenden in großer Zahl bei den Gönnern und Profiteuren der NSDAP wiederfinden. Es war also nicht Hitler, der um Kontakt zu Industrievertretern buhlte, sondern einflussreiche Industrielle und Bankiers, die in Hitler und seiner NSDAP eine geeignete politische Kraft sahen, die es auszubauen galt. Schon Ende 1926 bekam Hitler im Essener Kruppsaal die Gelegenheit vor über 200 Industriellen des Ruhrgebietes sein politisches Programm („neue Wege zur Macht“) vorzustellen. Es mag ein historisches Detail sein, zeigt aber deutlicher als vieles andere, welche Wertschätzung die NSDAP in Industriellenkreisen besaß, dass Hitler seit 1926 für seine umfangreichen Reisen Geldmittel und den Komfort der Unternehmen nutzen konnte. Wenn er auf dem Essen-Mülheimer Flughafen ankam, wurde er mit Chauffeur der Fuhrparks Thyssen, Krupp oder Kirdorf abgeholt. Dass es nicht bei diesen symbolischen Annehmlichkeiten blieb, zeigten die Herren des Steinkohle-Syndikats, die schon ab Januar 1931 pro verkaufter Tonne Kohle 5 Pfennig als Spende für die NSDAP abgaben. Zudem wurde der Aufbau der SA im Ruhrgebiet mit der Bereitstellung von Immobilien des Bochumer Vereins und erheblichen Geldmitteln der Schwerindustrie gefördert. Die NSDAP konnte durch große Zuwendungen von Thyssen und Kirdorf ihre Parteizentrale in München kaufen und in verschiedenen Ruhrgebietsstädten erhielt die Partei kostenfreie Immobilien für ihre Büros. Es sind solche Details, die die Arbeit von Günter Gleising auch für erfahrene Historiker spannend und lesenswert macht.

Die faschistische Herrschaft wird in diesem Buch bis an ihre Basis in den Betrieben hinab verfolgt. Und dort wird deutlich, dass es nicht die Arbeiterschaft war, die begeistert der Nazidemagogie folgte, sondern die einzelnen Unternehmer – die späteren Betriebsführer – die mit ihrem Geld und politischen Einfluss den Aufschwung der NSDAP ermöglichten.

Gleising macht im zweiten Teil der Arbeit mit großer Akribie deutlich, dass die Förderer der NSDAP dies nicht nur aus politischer Überzeugung getan haben, sondern es als gelungene Investition in eine zukünftige Rüstungskonjunktur betrachteten. Denn genau diejenigen Unternehmen, die die NSDAP auf dem Weg zur Macht finanziert hatten, fuhren nun in der Aufrüstung- und Kriegspolitik ihre Profite ein. Exemplarisch zeigt er am Beispiel des Bochumer Vereins, welche Bedeutung dieser Konzern als Rüstungsschmiede hatte. Dabei waren nicht nur die Produktionsbetriebe beteiligt, sondern auch deren Banken, die für eine kriegseffektive Umstrukturierung der Unternehmensteile sorgten. Es sind keine neuen Erkenntnisse, dass die Rüstungsbetriebe große Profite aus Krieg und Zwangsarbeit gezogen haben. Aber verbunden mit den Informationen aus dem ersten Teil, wird deutlich erkennbar, dass es sich nicht um eine „gezwungene Mitwirkung“ handelte, wie es gerne in verschiedenen Unternehmensgeschichtsschreibungen heißt.

Ein ausführliches Namensregister ist hilfreich, falls man auch in anderen Regionen dem direkten politischen Einfluss von Unternehmern und Konzernbetrieben auf die politischen Entscheidungen nachgehen will.

Ulrich Schneider

Anmerkung

„Informationen“, die wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945 veröffentlichte in ihrer Ausgabe Nr. 2-2018, die  obenstehende Besprechung des Buches „Verbrechen der Wirtschaft“ von Günter Gleising. Dr. Ulrich Schneider (VVN-BdA und FIR) betont in seiner Rezension, dass die Rüstungsbetriebe große Profite aus Krieg und Zwangsarbeit gezogen haben. Verbunden mit den Informationen Günter Gleisings „wird deutlich erkennbar, dass es sich nicht um eine ‚gezwungene Mitwirkung‘ handelte, wie es gerne in verschiedenen Unternehmensgeschichtsschreibungen heißt.“ Das Buch erschien im Rahmen der großen Spurensuche der VVN-BdA „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945“ im RuhrEcho-Verlag (hier), Bochum, in dem weitere wertvolle regionalhistorische Veröffentlichungen erschienen sind.

Bibliographie
Günter Gleising, Verbrechen der Wirtschaft, Der Anteil der Wirtschaft an der Errichtung der Nazidiktatur, der Aufrüstungs- und Kriegspolitik im Ruhrgebiet 1925 – 1945, RuhrEcho-Verlag, Bochum 2017, 265 S., ISBN 978-3-931999-13-3