Der 20. Juli und der Arbeiterwiderstand

20. Juli 2019

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Am 20. Juli sei auch daran erinnert: Deutsche und ausländische Widerstandskämpfer aus der Arbeiterschaft agierten im Jahre 1944 verstärkt gegen das NS-Regime. Widerstandsaktionen wurden im Jahre 1944 nicht nur von Offizieren, sondern auch von deutschen Arbeitern in den Betrieben ausgeführt. Und auch von Zwangsarbeitern.
Bereits im Oktober 1943 hieß es im „Kaderbrief“ der KP-Organisation um Anton Saefkow über die ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen: „Ihre Bereitschaft, sich aktiv am Kampf gegen das Hitler-Regime zu beteiligen, ist im allgemeinen bereits größer als der aktive Widerstand der deutschen Arbeiter. Das ist unbestritten.“

In Dortmund tauchte mit dem Aufruf „Kumpel an Ruhr und Rhein“ ein leidenschaftlicher Appell sowjetischer Kriegsgefangener an die deutschen Arbeiter auf. Darin heißt es: „Es rufen dich die Kumpel der russischen Kriegsgefangenschaft. Kumpel, wie lange willst du noch helfen, den Krieg in die Länge zu ziehen? Mit jeder Tonne Kohle, die du lieferst, forderst du unzählige Menschenleben, Krüppel und Witwen. Spürst du nicht, daß die Kriegsgewinnler auf deinem Rücken sitzen und dich in den Nacken treten, um noch mehr zu liefern? (…) Du bist ein moderner Sklave. Man braucht dich unbedingt, ohne Kohle läuft kein Rad. Du hast es in den Händen, wie lange noch du diesen Schicksalsweg gehen willst und wie lange noch das Kriegsrad sich drehen soll. Macht Schluß damit. Scheut nicht die Spitzel, bildet Komitees, diskutiert über die Sache. Die unterdrückten Völker schreien nach Frieden.“
Verfasser des Flugblattes, das heimlich in Zechen verbreitet wurde, waren sowjetische Zwangsarbeiter, mit denen sich Hans Grüning, ein 27jähriger kommunistischer Arbeiter aus Dortmund-Barop,  zusammengetan hatte. Bekannt wurden als Mitstreiter Grünings Alexander Nekrasow (geb. 1924 in Uspenskaja bei Rostow) und Wassil Stuschke (geb. 1913 in Charkow). Gegen die beiden wurden von der Gestapo laut einem Polizeiprotokoll „staatspolizeilichen Maßnahmen“ ergriffen, das heißt: sie wurden ermordet ohne Gerichtsurteil.
Hans Grüning wurde am 9. Juni 1944 wegen „Verbreitung feindlicher Rundfunkhetze“ mittels Flugblättern und Aufforderung zur „Arbeitssabotage“ vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 24. Juli 1944 in Brandenburg hingerichtet. Das war vier Tage nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler. Nach diesem Tage setzten verstärkt Hinrichtungen Inhaftierter ein. Bemerkenswert ist – wenn auch unabhängig vom Geschehen in der Brandenburger Hinrichtungsstätte – dass nach dem Attentat in Brandenburger Betrieben ein Flugblatt verbreitet wurde, in dem Widerstandskämpfer ausführten:  „Der Stein ist im Rollen“. Das faschistische Regime „kann eine solche Untergrabung seiner Autorität nicht lange überleben“. Weiter: „1918 trugen die deutschen Arbeiter in entscheidender Weise dazu bei, den schon verlorenen Krieg abzukürzen und Schluss zu machen, ehe die volle Katastrophe über Deutschland hereinbrach. Damals gab es keine 12 Millionen Fremdarbeiter im Herzen Deutschlands wie heute. Sie bilden einen Teil der Massen innerhalb des Reiches, die dazu beitragen können, den Zusammenbruch Hitlers zu beschleunigen.“ (Zitiert von Kurt Fichter, Illustrierte Hefte Nr. 56, Berlin 1990)

Dortmunds Oberbürgermeister Günter Samtlebe (SPD) würdigte in einem Geleitwort zu einer  Biografie über Hans Grüning im Juli 1973 den Kampf der deutschen und sowjetischen Widerstandskämpfer: „ „Zeugnisse  dieses Widerstandes, wie z.B. der Aufruf ‚Kumpel an Rhein und Ruhr‘, von sowjetischen Kriegsgefangenen verfaßt und von deutschen Widerstandsgruppen verbreitet, sind äußerst selten erhalten geblieben.“ Samtlebe: „‘Kumpel an Ruhr und Rhein‘ behandelt das organisatorische Zusammenwirken deutscher Widerstandskämpfer und sowjetischer Patrioten.“

Ulrich Sander, Dortmund