Hannes Heer: Der andere deutsche Völkermord

12. Juni 2021

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Veranstaltung am Dienstag, 15.06.2021 ab 19 Uhr im zakk Düsseldorf. – Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941, fiel die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion ein. Damit begann das brutalste Kapitel des 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begonnenen Zweiten Weltkriegs. Was, wie die vorangegangenen Militäraktionen als Blitzkrieg geplant war– die zuvor überfallenen Staaten, einschließlich Frankreichs, hatten nach wenigen Wochen, manchmal Tagen kapituliert –, endete erst fast 4 Jahre später, am 8. Mai 1945, mit der Unterzeichnung der Urkunde über die bedingungslose deutsche Kapitulation in Berlin-Karlshorst.

Der Sieg wurde von den Menschen der Sowjetunion teuer erkauft: An die 30 Millionen von ihnen, in der Mehrheit Zivilisten, haben ihn nicht mehr erlebt. In der relativ kleinen weißrussischen Sowjetrepublik, dem heutigen Belarus, die als erste dem Überfall ausgesetzt war, machten die Deutschen fast 1000 Dörfer und Städte dem Erdboden gleich; über ein Viertel der Bevölkerung fiel dort den Mordaktionen von Wehrmacht und SS zum Opfer. Mindestens 800.000 Einwohner Leningrads verhungerten bei der – bewusst zu diesem Zweck erfolgten – Belagerung ihrer Stadt vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944. Mehr als die Hälfte der 5,7 Millionen in die Fänge der Wehrmacht geratenen Rotarmisten kamen in deutscher Kriegsgefangenschaft um. Zum Vergleich: von 232.000 britischen und US-amerikanischen Soldaten starben 8348, 3,5 %, in deutschen Gefangenenlagern.

30 Millionen Menschen – „slawische Untermenschen“ im Jargon der Nazis: das war der andere deutsche Völkermord. 3 Millionen von ihnen waren Juden. Die insgesamt 6 Millionen ermordeten jüdischen Menschen spielen in der offiziellen deutschen Erinnerungskultur heute eine wichtige Rolle; und das ist sehr gut so. Das Verhältnis zu Israel, das sich als jüdischer Staat definiert, wird davon nachhaltig bestimmt. Gar nicht gut aber ist, dass die 90 % nicht-jüdischer Bürger der Sowjetunion, die diesem Völkermord zum Opfer fielen, aus dieser Erinnerungskultur weitgehend getilgt sind. Und dass deshalb die deutschen Verbrechen von damals das Verhältnis unserer heutigen Politik zur Russischen Föderation, dem völkerrechtlichen Nachfolgestaat der Sowjetunion, absolut nicht „belasten“. Im Gegenteil: eher hat man den Eindruck, dass viele unserer Politiker daran arbeiten, sei‘s bewusst oder unbewusst, die alten, von den Nazis übernommenen antirussischen Ressentiments zu reaktivieren. Und das ist brandgefährlich.

Die Friedenskräfte müssen hier gegensteuern. Verständigung mit Russland, was auch heißt: die von den Erfahrungen der Geschichte genährten russischen Ängste zu verstehen und ernst zu nehmen, ist das Gebot der Stunde. Daran arbeiten wir.

Deshalb freuen wir uns, Hannes Heer als Referenten für diesen Abend gewonnen zu haben. Heer hat schon in den 1990er Jahren mit der Organisation der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ gründlich widerlegt und sich seither in vielen Publikationen mit diesem düsteren Kapitel der deutsch-russischen Geschichte beschäftigt.

Eintritt frei, Spende erwünscht
Veranstalter*innen: Friedensforum Düsseldorf, VVN-BdA NRW, DFG/VK NRW, Ver.di Ortsvorstand Düsseldorf & zakk