Fulda. Die rechtskonservative „WerteUnion“ führt am 01.Oktober eine Themenveranstaltung bezüglich „aktueller Probleme in unserer Gesellschaft“ durch. Dabei soll die Informationsveranstaltung zugleich ein Netzwerktreffen darstellen. Die Moderation dieser Veranstaltung wird der Lebensschützer Martin Lohmann übernehmen. Als Referenten angekündigt werden Bernd Fleischmann („Es gibt keine Klimakrise. Energiewende = Energieende“), Michael Meyen („Propaganda in unserer Zeit. Wie Informationen gefiltert werden.“), Andreas Sönnichsen („Zweieinhalb Jahre Corona-Krise – eine kritische Bilanz“), Anthony Robert Lee (zum Thema Landwirtschaft) und Jan Fleischhauer (zu drängenden Fragen unserer Gesellschaft). Letzterer, ein ehemaliger Journalist von „Der Spiegel“, hatte erst kürzlich der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ein Interview gegeben. Ein genauer Veranstaltungsort in Fulda wird nicht genannt (hma).
Ein besonderes Gedenkprojekt mit dem Namen „1000 Buchen“ wurde 1999 vom Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda e.V. ins Leben gerufen. Entlang der Marschroute der Todesmärsche aus Buchenwald werden Jahr für Jahr Bäume gepflanzt, die an einzelne und Gruppen von Opfern des Faschismus erinnern. Leider hat das Projekt nicht nur Freunde und Befürworter, sondern auch Gegner. Bereits 2019 und 2020 hatte es Anschläge auf das Gedenkprojekt gegeben, und das Entsetzen war groß, als im Juli diesen Jahres erneut von unbekannten Tätern sieben Bäume angesägt oder abgebrochen wurden oder die Baumrinde entfernt wurde. Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora hat dagegen Anzeige bei der Polizei gestellt.
Unsere Bundesvereinigung schrieb dazu im Juli (hier): „Diese Schändung ist ein Schlag ins Gesicht für die Hinterbliebenen und Angehörigen der ehemaligen Häftlinge und ein gezielter Anschlag auf antifaschistisches Gedenken. Wir verurteilen den Vandalismus und werten ihn als klar politisch motivierte Tat. Wer Bäume ansägt, die Menschen gewidmet sind, die durch ihre Taten die verheerendste Schreckensherrschaft des Europa des 20. Jahrhunderts zu verhindern versuchten, hat offensichtlich keinen moralischen Kompass. Diese Tat macht erneut deutlich, wie wichtig kontinuierliche Gedenk- und Bildungsarbeit sind. Wir erwarten, dass die Täter*innen gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden.“
Inzwischen hat das Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda e.V. zahlreiche Spenden- und Unterstützungszusagen erhalten, darunter auch von der VVN-BdA NRW. Und durch die finanzielle Unterstützung der Stadt Weimar werden am 16.11.2022 um 14 Uhr für die beschädigten Gedenkbäume in Erinnerung an
Emil Carlebach, gepflanzt von der LAG Buchenwald-Dora Otto Kipp, gepflanzt vom Verein Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939 Erich Loch, gepflanzt von seiner Ehefrau Irma, seinen Kindern Reinhold, Ulrich, Florian und ihren Familien Reinhold Lochmann, gepflanzt von seinen Töchtern, Enkeln und Angehörigen August Stötzel, gepflanzt von seinem Sohn Wolf Stötzel Marcel Dassault, gepflanzt von seinem Enkel Laurent Dassault die 1600 Kinder und Jugendlichen, die ihre Haft und das Konzentrationslager Buchenwald nicht überlebten, gepflanzt von der Partei DIE LINKE und VVN – BdA Sachsen – Dresden
in der Ettersburger Straße erneut gepflanzt.
Die sieben beschädigten Gedenkbäume werden weiterhin mittels Lehmverband und Zusatzwässerung versorgt. Damit haben die Bäume gute Chancen, die Beschädigungen zu überstehen und weiterzuwachsen bzw. neu auszutreiben.
Wie junge Menschen für die immer weiter zurückliegende Geschichte von Widerstand und Verfolgung im Faschismus interessiert werden und dabei zugleich einen Bezug zur Gegenwart herstellen können, zeigt beispielhaft eine langjährige und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Ruhrgebietsstadt Essen. Hier gibt es seit Jahren eine erfolgreiche Kooperation zwischen dem DGB Essen und der VVN-BdA Essen. Der DGB und seine Jugendorganisation profitiert dabei vom Wissen und von den Kontakten der VVN-BdA und die VVN-BdA von der Mobilisierung durch die Gewerkschaft. Nach mehreren gemeinsamen Fahrten in den 1990er Jahren mit dem DGB Essen wurden diese nach einer Unterbrechung seit 2014 bis in die Gegenwart durch die jeweiligen Jugendsekretäre der Gewerkschaftsjugend Essen/Mülheim/Oberhausen wieder aufgenommen. Wer sich die Geschichte dieser gemeinsamen Fahrten anschaut, erkennt auch wie sich die Erinnerungsarbeit seit den 1990ern gewandelt hat. Jan Mrosek, DGB-Jugendbildungsreferent im Jahre 2016: „Gerade in der heutigen Zeit, wo Fremdenfeindlichkeit und Rassismus wieder stärker werden, ist es umso wichtiger die Geschichte von früher zu erzählen und für junge Menschen greifbar zu machen. Wir müssen als Jugend sprachfähig sein, um heute gegen Hass und Ausgrenzung anzukämpfen.“
Ihren Ursprung haben die Fahrten in den 1990er Jahren, als der Essener DGB und die Essener VVN erstmals gemeinsam zu den Orten des Nazi-Terrors fuhren. Ziele waren bereits damals die ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Dachau, lagen aber auch in den Nachbarländer wie das ehemalige Ghetto Theresienstadt in Tschechien oder das ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof in Frankreich. 1997 ging es nach Krakau und zum ehemaligen Lagerkomplex Auschwitz in Polen. Im Unterschied zur Gegenwart waren damals noch Essener Zeitzeugen wie Theo Gaudig und Willi Rattai mit dabei, die die Nazi-Zeit aus dem eigenen Erleben kannten. Bereits damals waren die Fahrten mehr als nur reine Gedenkstättenfahrten. So besuchten die Teilnehmenden der Fahrt nach Theresienstadt auch die Skodawerke und den Jüdischen Friedhof in Prag, waren Gegenwart und Geschichte gemeinsames Thema.
Der Neuanfang begann 2014 mit der Gewerkschaftsjugend Essen. Es fand eine Tagestour in die erst 2011 neu errichtete Gedenkstätte Esterwegen statt, wo an die Emslandlager erinnert wird, in die 1933/34 viele Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten aus dem Ruhrgebiet von der SA eingesperrt wurden. An diese Tagestour schlossen sich mehrtägige Wochenendfahrten von Freitag bis Sonntag an, und zwar zunächst 2016 eine Fahrt nach Weimar und Buchenwald sowie 2017 eine weitere Fahrt nach Hamburg und Neuengamme. 2016 wurde zugleich durch eine Baumpflanzung im Rahmen des Projektes „1000 Buchen“ an den Essener Buchenwaldhäftling Theo Gaudig, den viele Essener in Schulen und Veranstaltungen kennengelernt hatten, wo er unermüdlich als Zeitzeuge und Mahner über seinen Widerstand, seine Haft, über den Faschismus gesprochen hatte, erinnert. Zur Fahrt 2017 gehörte neben dem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme auch eine alternative Hafenrundfahrt in Hamburg zu den Einsatzorten der KZ-Zwangsarbeiter. Vor allem der Besuch in Neuengamme in Hamburg machte die Ausbeutung der KZ-Häftlinge durch die Wirtschaft deutlich, ist doch das KZ Neuengamme gezielt errichtet worden, um billige Arbeitskräfte für die geplanten NS-Großbauten zur Verfügung zu haben. Das Konzentrationslager und die Hansestadt waren eng miteinander verbunden. So gewährte beispielsweise die Stadt Hamburg dem SS-Unternehmen „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH“ ein Darlehen in Höhe von einer Million Reichsmark für den Bau eines großen und modernen Klinkerwerks.
Die neuen Fahrten, die für Jugendliche und junge Erwachsene aus Mülheim, Essen und Oberhausen bis 27 Jahre kostenfrei sind, fanden regen Zuspruch bei den jungen Leuten wie auch bei den älteren Mitgliedern der VVN-BdA. Jugendliche und junge Erwachsene besuchten teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben eine Gedenkstätte. Führungen durch die Gedenkorte und Museen sowie Zeitzeugengespräche sind jeweils integraler Bestandteil der Fahrten, die von den Kooperationspartnern gut vorbereitet werden.
So fanden 2018 zwei Fahrten statt, die erste Fahrt führte nach München und Dachau, die zweite Fahrt im Jahr nach Berlin und Sachsenhausen. Wie auch zuvor engagierten sich örtliche Mitglieder der VVN-BdA, kontaktiert von den Essener Kameradinnen und Kameraden für die Fahrt. In München führte Ernst Antoni, Mitglied der Münchener VVN-BdA und Redakteur der „antifa“, der Zeitung der VVN-BdA, kenntnisreich durch die Stadt, die von den Nazis den Beinamen „Stadt der Bewegung“ erhalten hatte. In der KZ-Gedenkstätte Dachau bewegte der Zeitzeuge Ernst Grube die jungen Menschen mit seiner persönlichen Geschichte. In Sachsenhausen, dem ehemaligen Konzentrationslager nördlich von Berlin führten die beiden VVN-BdA-Mitglieder Dorit und Gerd Hoffmann aus Frankfurt/Oder, zeigten die baulichen Überreste und schilderten den Alltag der Häftlinge und die Brutalität der SS-Männer. Vielen wird die „Schuhprüfstrecke“ in Erinnerung geblieben sein, auf der Häftlinge bis zur völligen Erschöpfung Schuhmaterial für die Wehrmacht und später auch für die private Firma Salamander erproben mussten.
In Berlin führte Hans Coppi jr. die Teilnehmenden durch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Ursprünglich als „Gedenkstätte 20. Juli“ gegründet, zeigt sie heute die ganze Breite des Widerstandes gegen den Faschismus. Hans Coppi jr. wurde im Polizeigefängnis geboren und wuchs bei seinen Großeltern auf, da seine Eltern, Hilde und Hans Coppi, als Widerstandskämpfer der von den Nazis als „Rote Kapelle“ bezeichneten Widerstandsgruppe ermordet worden waren. Im Anschluss an dem Besuch der Gedenkstätte nahmen alle an der Demonstration „#unteilbar“ für eine offene und freie Gesellschaft teil und stellten einmal mehr eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her.
Auch im Jahr 2019 fanden wieder zwei Gedenkstättenfahrten statt. Zum Jahrestag der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald ging es wieder nach Weimar und Buchenwald und später im Jahr in unser Nachbarland, nach Amsterdam in den Niederlanden. Und auch in der Lokalpresse, genauer in der Thüringischen Landeszeitung vom 15.04.2019 fand die Gewerkschaftsjugend aus Essen Anerkennung für ihre Fahrt nach Weimar und Buchenwald.
Anlass für die Reise nach Buchenwald war die Baumpflanzung zum Gedenken an 520 jüdische Frauen, die in einem Außenlager des KZ Buchenwald in der Essener Humboldstraße für Krupp Zwangsarbeit leisten mussten. Durch die Gedenkstätte führten mit Gerd Hoffmann und Reinhold Loch zwei Mitglieder der VVN-BdA aus Frankfurt/Oder bzw. Essen. Den Abschluss fand das Wochenende mit der Teilnahme an der Befreiungsfeier im 74. Jahr nach der Selbstbefreiung am 11. April 1945. In Buchenwald war es den politischen Häftlingen aus den verschiedenen europäischen Ländern gelungen, eine internationale Widerstandsorganisation zu bilden. In den letzten Apriltagen widersetzten sie sich zunehmend den Anweisungen der SS, organisierten Waffen und planten den Widerstand. Sie wussten, dass die SS sie bei einer sogenannten „Evakuierung“ des Lagers ermorden würde. Angesichts der herannahenden US-Armee gelang ihnen die Übernahme des Lagers und somit die Rettung zahlreicher Leben. Im Lager befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch rund 21.000 Häftlinge, darunter 904 Kinder und Jugendliche. Als die US-Armee eintraf, fand sie das befreite Lager und bewaffnete Häftlinge vor.
In Amsterdam standen neben dem Besuch des Anne-Frank-Hauses, die Hollandsche Schouwburg und das Verzetsmuseum Amsterdam, zu Deutsch Widerstandsmuseum Amsterdam, auf dem Programm. Arthur Graaf, Vorsitzender des niederländischen Pendants zur VVN-BdA, führte die Teilnehmenden an zwei Tagen durch das gegenwärtige Amsterdam. Die Familie Frank war bereits 1933/34 vor den Nazis aus Deutschland geflohen und versteckten sich ab dem 6. Juli 1942 im durch Annes Tagebuch weltberühmt gewordenen Hinterhaus in der Prinsengracht 263. Sie wurden verraten und am 4. August 1944 verhaftet und deportiert. Anne und ihre Schwester Margot starben elendig Ende Februar/Anfang März im Konzentrationslager Bergen-Belsen; von den acht Untergetauchten überlebte nur Annes Vater, Otto Frank. Er entdeckte nach der Rückkehr nach Amsterdam Annes Tagebuch, in denen Anne die Ereignisse im Hinterhaus festgehalten hatte und ließ es veröffentlichen. Die Hollandsche Schouwburg war ursprünglich ein Theater und wurde zu einem Sammelplatz für die zur Deportation bestimmte jüdische Bevölkerung. Diese mussten wenige Tage bis Wochen hier unter unmöglichen Bedingungen ausharren. Heute handelt es sich um eine Gedenkstätte für die über 100.000 ermordeten Juden der Niederlande, in denen an die Namen der ermordeten Familien erinnert wird. Das von Widerstandskämpfern eingerichtete Widerstandsmuseum zeigt in seiner Ausstellung die Gesellschaft der Niederlande ab den 1930er Jahren, in der Anpassung, Kollaboration und Widerstand stattfand und wie sich die Niederlande in der Zeit entwickelte.
Für 2020 hatten die Kooperationspartner eine Antifaschistische Stadtrundfahrt geplant, mussten diese jedoch aufgrund der Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie absagen. Wie viele andere Organisationen auch nutzte die DGB-Jugend stattdessen das Internet und interviewte zum 8. Mai 2020 im Rahmen ihrer Online-Gedenkveranstaltung Margret Rest von der Essener VVN-BdA (hier). Die auch medial aktive DGB-Jugend hat darüber hinaus mehrere kurze und sehr emotional gestaltete Videos erstellt und auf Youtube hochgeladen. Hier finden sich Eindrücke und Aufnahmen aus Amsterdam (hier), Buchenwald (hier) und Dachau (hier).
Erst 2021 konnten DGB-Jugend und VVN-BdA wieder gemeinsame Fahrten durchführen. Neben einer erneuten Fahrt nach Hamburg und Neuengamme folgte eine Fahrt nach Hannover und in die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Während der ersten Fahrt nach Hamburg und Neuengamme 2017 hatten die Teilnehmenden auf dem Rückweg kurz die Gedenkstätte Bullenhuser Damm besucht, in der 1945 SS-Männer 20 jüdische Kinder und weitere Erwachsene ermordet hatten, um die Spuren der an ihnen verübten medizinischen Experimente zu verwischen und unliebsame Zeugen zu beseitigen. Bei der Fahrt 2021 wurde auch die zur Gedenkstätte gehörende Ausstellung besucht. Die Fahrt nach Hannover und Bergen-Belsen im gleichen Jahr führte auch zum Friedhof sowjetischer Kriegsgefangener, zur Gedenkstätte Ahlem in Hannover und einem beeindruckenden Bericht der Zeitzeugin Ruth Gröne.
Wie auch in den Jahren zuvor folgten 2022 wiederum zwei Gedenkstättenfahrten. Die erste Fahrt ging nach Erfurt zur Firma Topf & Söhne, die die Krematorien in mehreren Konzentrationslagern und im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebaut hatte und nach Mittelbau-Dora, wo in unterirdischen Stollen die V2-Raketen produziert wurden und die KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. In den ersten Monaten starben bereits Tausende von ihnen an Entkräftung, Unterernährung, wegen der katastrophalen sanitären Bedingungen sowie an Lungenkrankheiten, hervorgerufen durch den Staub der Sprengungen.
Eine weitere Fahrt im Jahr 2022 führte nach Bremen und in die Gedenkstätte Esterwegen. In Bremen führten Monika Eichmann und Ulrich Stuwe, zwei Mitglieder der VVN-BdA, durch den U-Boot-Bunker Valentin, einem Rüstungsprojekt der Nazi-Marine mit meterdicken Betonwänden und -decken. Die „technische Meisterleistung“ wurde mit Arbeitssklaven geschaffen, die unter unmenschlichen Bedingungen tägliche Schwerstarbeit auf der Baustelle leisten mussten. Zivile Zwangsarbeiter aus ganz Europa, sowjetische Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Häftlinge eines Arbeitserziehungslagers der Bremer Gestapo, italienische Militärinternierte wurden von Marine-Soldaten bewacht dort eingesetzt. Viele von ihnen überlebten die Folgen der körperlichen Arbeit, der unzureichenden Versorgung und der Lebensbedingungen in den umliegenden Lagern nicht. Eine Führung durch die Bremer Neustadt führte zu weiteren „Denkorten“ an die Vergangenheit. Schließlich folgte noch der Besuch der Gedenkstätte Esterwegen, die an die Moorlandlager erinnern und 2014 Ziel der ersten Fahrt gewesen war. Wie auch beim U-Boot-Bunker Valentin bot erst der Abzug der Bundeswehr die Möglichkeit, am historischen Ort eine Gedenkstätte einzurichten.
An den Gedenksteinen, die an Carl von Ossietzky und an alle Häftlinge des Lagers erinnern, legte die DGB-Jugend einen Kranz nieder und Lennart hielt eine angemessene Gedenkrede. Carl von Ossietzky, der als Journalist die Weimarer Republik verteidigte und vor dem aufkommenden Faschismus warnte, wurde von den Nazis in Esterwegen mit der üblichen Grausamkeit behandelt und durch die Lagerbedingungen ermordet. Der Friedensnobelpreisträger ist damit das prominente Beispiel für das Leiden vieler weniger bekannter Menschen. Bereits die Gewerkschaftsjugend der IG Bergbau Essen hatte ihm 1963 an einem anderen Ort in Esterwegen mit einem Gedenkstein gedacht. In der Gegenwart wird in den Ausstellungen der verschiedenen Gedenkorten an zahlreiche Menschen namentlich erinnert, die aus völlig unterschiedlichen Gründen von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Erinnert wird aber auch an die Täter, an die Profiteure und – wenn auch nicht immer – an die beteiligten Firmen, die von der Unterdrückung und Ausbeutung Verfolgter profitierten.
2019 hatte in Weimar Denise Bäcker für die DGB-Jugend gesprochen und unter anderem gesagt: „Uns ist es ein großes Anliegen, immer wieder der vielen Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft zu gedenken und die Erinnerung wach zu halten. Gerade in Zeiten, in denen alte und neue Nazis sich wieder verstärkt zu Wort melden, ist es wichtig, das kritische Bewusstsein gegen heutige Alt- und Neunnazis zu Stärken. Nichts ist schlimmer als das Vergessen. Wir wollen immer wieder aufzeigen, dass es nie wieder Faschismus geben darf und es wichtig ist, sich für Frieden, Freiheit und Demokratie einzusetzen.“
Text und Bilder: Knut Maßmann (Berichte zu einzelnen Fahrten in meinem Blog hier).
auf Seite zwei der Rheinischen Post vom 19. Sep. 2022 (hier) hatten Sie Gelegenheit für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu werben. In Ihrem Artikel „Auf was warten wir noch?“ vermitteln Sie ihre profunden Kenntnisse der verschiedenen Waffensystem, die unser Land inzwischen in den Krieg geliefert hat. Sie verlangen besonders die Lieferung von Panzern der Marke Leopard 2. Dabei handelt es sich meines Wissens nach um eine reine Angriffswaffe, die von dem Düsseldorfer Rheinmetall-Rüstungskonzern produziert wird.
Nur in einem kurzen Abschnitt Ihres sehr wehrtechnisch gehaltenen Artikels, gehen Sie auf die politische Dimension dieser Auseinandersetzung ein:
„Eine Niederlage der Ukraine würde eine Niederlage für die wertebasierte freie westliche Welt bedeuten“.
Umgekehrt, vermute ich, würde ein Sieg der Ukraine die Russische Föderation nachhaltig schwächen. Das kann ja der Kreml niemals akzeptieren. Ihrer Logik nach nimmt das Sterben dann solange kein Ende, bis eine Seite verliert.
Mit Ihrem Hinweis auf die wertebasierte frei westliche Welt, machen Sie außerdem deutlich, dass es sich nicht um einen Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine handelt, sondern zwischen Russland und der westlichen Welt. Also einen sogenannten Stellvertreterkrieg. Wer für Sie bereits jetzt als Opfer feststeht, beschreiben Sie sehr schön an einer Stelle Ihres Artikels:
„Wer anführt, dass deutsche Panzer in der Ukraine nichts zu suchen haben, verkennt die Tatsache, dass es völlig unerheblich ist, wer den Panzer entworfen hat und wo er gebaut worden ist. Entscheidend ist, wer den Panzer fährt. Und das sind ausschließlich ukrainische Soldaten.“
Es ist keineswegs unerheblich wer die Panzer entworfen und gebaut hat. Derjenige trägt mindestes genauso Verantwortung, wie derjenige, der sie fährt. Besonders erheblich ist es für die Menschen, nämlich ukrainische, oder russische Soldaten und Zivilisten, ob sie als potentielle Opfer vorgesehen sind.
Der Kurs der Rheinmetallaktie hat seit Beginn des Krieges den Aktionären sehr viel Freude bereitet. Der Verein Lobbycontrol kritisierte Ihre Mitgliedschaften (hier) beim Förderkreis Deutsches Heer e.V. und der Deutschen Wehrtechnischen Gesellschaft e.V. . Dies sei mit Ihrem Vorsitz im Verteidigungsausschuss schlecht vereinbar. Beide Organisationen hätten eine große Nähe zur Rüstungsindustrie, die damit einen direkten Zugang zum Parlament erhalten. Vielleicht geht es ja doch um´s Geschäft.
Nicht, dass Sie mich jetzt missverstehen. Der Kreml trägt die Verantwortung für die Entfesselung diese Krieges und wird, unabhängig vom Ausgang, eine schwere moralische Last für die von ihm verursachte Zerstörung tragen.
Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, dass die Waffen schweigen müssen. Dafür müssten Sie sich und natürlich alle anderen verantwortlichen Politikerinnen und Politiker einsetzen. Diplomatische Initiativen, vertrauensbildende Maßnahmen jeder Art sind angesagt um das Sterben sofort zu beenden. Dazu gehört auch der Stopp der Waffenlieferungen an die Kriegsparteien. Alles andere würde bedeuten den Konflikt weiter zu eskalieren. ein Atomkrieg – und das in Europa – ist dann nicht mehr auszuschließen.
Das sich die Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung in der Haltung zum Ukrainekrieg ändern, können sie der Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa für das RTL/ntv-Trendbarometer Ende August durchgeführt hat. Die Frage war:
Wie sehen die Bundesbürger den Ukraine-Krieg? Sollen weiter Gespräche mit Wladimir Putin geführt werden? Werden genug Waffen geliefert?
77 Prozent der Bundesbürger sind der Meinung, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs anstoßen sollte. 17 Prozent fanden, der Westen solle das derzeit nicht tun. 87 Prozent der Befragten halten es demnach für richtig, dass westliche Regierungschefs weiterhin mit Russlands Präsident Wladimir Putin sprechen. 11 Prozent fanden das nicht richtig.
Knapp ein Drittel der Bundesbürger (32 Prozent) sprach sich der Umfrage zufolge dafür aus, mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern – auch wenn dies zulasten der Ausstattung der Bundeswehr ginge. Dagegen waren 62 Prozent der Bundesbürger der Meinung, dass Deutschland das nicht tun solle.
Vielleicht hilft Ihnen das ja Ihre Haltung zu überdenken.
Zum Schluss noch ein Zitat von Erich Maria Remarque:
„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen“.
Gemeinsam mit der DFG-VK NRW und vielen anderen Friedengruppen an Rhein und Ruhr ruft die VVN-BdA NRW für den 3. Oktober 2022 zu einer Friedensdemonstration an der NATO- und Bundeswehr-Kommandozentrale in Uedem bei Kalkar auf. Die Veranstaltung reiht sich ein in den bundesweiten Aktionstag um den 1. Oktober 2022, zu dem die beiden friedenspolitischen Netzwerke „Kooperation für den Frieden“ und der „Bundesausschuss Friedensratschlag“ aufrufen. Dieser steht unter dem Motto „Keinen Euro für Krieg und Zerstörung! Stattdessen Milliarden für eine soziale, gerechte und ökologische Friedenspolitik! Stoppt den Krieg! Verhandeln statt Schießen!“
In Uedem, dem anderen Teil des Doppelstandortes Kalkar/Uedem, an dem in diesem Jahr abweichend zu den Vorjahren die Demonstration am 3. Oktober stattfindet, wollen wir gegen den Krieg in der Ukraine demonstrieren und darauf aufmerksam machen, dass bei einer möglichen Eskalation des Krieges sich hier am Niederrhein die zentrale Einrichtung der Luftkriegsführung der NATO befindet. Schon im Februar übte die NATO, hier bei dem Manöver „Kalkar Sky 22“, das Zurückschlagen eines fiktiven Angriffs einer östlichen Macht auf ein Nachbarland!
Aus mehreren Städten an Rhein und Ruhr fahren Busse. Kommt am 3. Oktober nach Uedem! Laßt uns am Tag der deutschen Einheit für ein friedliches Deutschland demonstrieren, für eine Politik der Abrüstung und Entspannung. Es sprechen Özlem Demirel (MdEP Die LINKE), Bernhard Trautvetter (Friedensversammlung RheinRuhr und Essener Friedensforum) und Peter Bürger (Theologe und Autor). Musik kommt von Salossi.
Den vollständigen Aufruf sowie alle Infos zum Ablauf und zur Anreise gibt es unter http://demo-kalkar.de. Den Flyer gibt es hier zum Download (hier klicken).
Köln/Berlin. Der umstrittene kanadische Psychologe Jordan B. Peterson ist der dritte Preisträger des mit 10.000 Euro dotierten Oswald-Spengler-Preises der „Oswald-Spengler-Society“ (OSS). Zuvor waren der französische Schriftsteller Michel Houellebecq und der österreichische Historiker Walter Scheidel mit dem nach dem Untergangs-Philosophen Oswald Spengler, einem der Vordenker der „Konservativen Revolution“, benannten Preis bedacht worden. Während sich am 30. August ein Großteil der Mitglieder der Society in einem Saal in Köln versammelt hatten, wurde der Preisträger selbst digital aus Griechenland zugeschaltet. In seiner Rede wies David Engels, Althistoriker und Vorsitzender der OSS, darauf hin, dass Peterson kein klassischer „Spenglerianer“ sei, aber es würden klare Überschneidungen zwischen Petersons psychologischen Diagnosen über die Gesellschaft und den Analysen Spenglers bestehen. Peterson mache keinen Hehl daraus, „dass unsere gegenwärtige Zeit durch Bevölkerungsabnahme, Massenmigration, Ultraliberalismus, Hedonismus, politische Paralyse, Großstadtleben, Überalterung, Mediendiktatur, soziale Polarisierung und Populismus hochgradig korrumpiert und dem kulturellen Verfall preisgegeben ist – und die Hoffnung auf eine Restitution des „Status quo ante“, ja vielleicht sogar auf eine Art Renaissance des Abendlandes äußerst gering, wenn nicht sogar unmöglich ist“, so Engels in seinen Ausführungen. Peterson, der frischgebackene Preisträger, will am 29.September im Berliner Tempodrom auftreten. Gegen diesen Auftritt richtet sich eine feministische und antifaschistische Demonstration. Diese soll um 18 Uhr an der Yorkstraße/Mehringdamm in der Nähe des U-Bahnhofs Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg beginnen (hma).
Zu den Vorgängen in der Realschule Mitte in Mülheim an der Ruhr (hier) hat sich auch die benachbarte Kreisvereinigung Essen geäußert und findet in ihrer Pressemitteilung deutliche Worte.
Pressemitteilung Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933 – 1945“ Ausladung des VVN-BdA-Mitglieds Inge Ketzer
Es freut uns, dass Mülheimer Schulen gern das Angebot der VVN-BdA einer Ausstellung „Gegen das Vergessen“ wahrnehmen. Anschaulich haben Mülheimer Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich mit der Geschichte der Stadt Mülheim in der Zeit des Nazi-Regimes, mit seinen Verbrechen, mit Widerstand und Verfolgung vor Ort auseinanderzusetzen.
Die Ausladung jedoch durch die Leitung der Mülheimer Realschule Stadtmitte, die an unser VVN-BdA-Mitglied Inge Ketzer ergangen ist, hat uns sehr empört. Inge Ketzer sollte die Ausstellung an der Realschule Stadtmitte begleiten. Nur weil Inge Ketzer Kommunistin ist, soll sie nicht mit Schülerinnen und Schülern über die Geschichte Mülheims während des Faschismus sprechen dürfen?
Wir sehen leider in dem Handeln der Schulleitung einen Rückfall in die Vergangenheit, in die unsägliche Zeit des Kalten Krieges und in die Zeit der Berufsverbote für Kommunistinnen und Kommunisten. Es hat uns deshalb besonders getroffen, weil eine Vielzahl der Mitglieder unserer Kreisorganisation Essen und natürlich auch der VVN-BdA bundesweit Nachfahren von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer sind. Ihre Eltern und Großeltern, die meisten von ihnen waren Kommunisten, hatten schon vor 1933 versucht, Hitler zu verhindern. Sie haben nach der Machtübergabe an Hitler den Widerstand nicht aufgegeben. Sie haben alles riskiert, ihre Existenz, ihre Freiheit, sogar ihr Leben. Sie haben die Torturen der Gestapo, der Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager erleiden müssen. Viele ihrer Mitstreiter haben nicht überlebt. In mehreren Broschüren haben Kinder und Enkel über den Widerstand ihrer Eltern und Großeltern geschrieben und besuchen Schulen, um als Zeugen der Zeitzeugen über sie zu sprechen. Wir sehen in dem Vorgehen der Schulleitung eine Diskreditierung des kommunistischen Widerstandes, in dessen Tradition auch die heutige kommunistische Partei steht. Wir erwarten, dass der kommunistische Widerstand von unserer Gesellschaft respektiert und gewürdigt wird, unabhängig davon, wie man in sonstigen Fragen zur DKP steht. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner berühmten Rede anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus im Jahr 1985 den kommunistischen Widerstand ausdrücklich erwähnt.
Die VVN-BdA Essen hofft sehr, dass die Leitung der Realschule Stadtmitte die Ausladung von Inge Ketzer zurücknimmt. Die Ausladung widerspricht dem gemeinsamen Ansinnen, alles zu tun, um den wachsenden Einfluss rechter Bewegungen und Parteien zu verhindern. Es ist das gemeinsame Anliegen, dass eine sensible Generation heranwächst, die immer kritisch hinterfragt und nicht zulässt, dass sich Ähnliches wie 1933 wiederholt.
Für die VVN-BdA Essen Paul Schnittker Alice Czyborra
Der 78. Jahrestag des 2. August 1944, das Gedenken an Sinti und Roma zusammen mit dem Bündnis Dortmund gegen Rechts und dem Landesverband der nordrhein-westfälischen Sinti und Roma in Dortmund hinterließ bei allen, die dabei waren, tiefe Eindrücke. Es wurde sowohl an die halbe Million Menschen, die als deutsche Sinti und Roma von den Nazis umgebracht wurden, erinnert als auch an jene aus anderen Ländern. Roman Franz vom Verband deutscher Sinti und Roma in NRW erinnerte daran: In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden die letzten noch in Auschwitz-Birkenau lebenden 4300 Sinti und Roma mit Hunden und Flammenwerfern in die Gaskammern getrieben. Niemand von ihnen überlebte diese Nacht in Auschwitz.
Die Brücke wurde auch zum Heute geschlagen. Die Verweigerung der Aufnahme von Sinti und Roma als Flüchtlinge aus der Ukraine sei eine Schande, betont Roman Franz. Noch immer wagten es sich Roma und Sinti in Deutschland oft nicht, sich zu outen. Sogar Charlie Chaplin und Pablo Picasso verbargen ihre Zugehörigkeit zu den Sinti und Roma. Faktenreich und erschütternd waren die Ausführungen von Helmut Manz (VVN-BdA).
Rom heißt Mensch Rede von Helmut Manz Holocaust-Gedenktag für die ermordeten Sinti und Roma am 2. August 2022 in Dortmund Heute ist der europäische Holocaust-Gedenktag für die ermordeten Sinti und Roma. Das Datum erinnert an die Vernichtung des sogenannten „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau am 2. August 1944. Unter den an diesem 2. August Ermordeten waren vielleicht auch einige der Sinti und Roma, die am 9. März 1943 von hier – von Dortmund – nach Auschwitz deportiert worden waren. Wir wissen es nicht. Außer diesem Stein hier erinnert nichts mehr an sie. Der Stein ist ein Gedenkstein zum „ehrenvollen Gedenken an die Ermordeten“. Bis heute ist er auch ein Stein des Anstoßes, auf dessen Tafel auch geschrieben steht: „… den Lebenden zur Mahnung, stets rechtzeitig der Unmenschlichkeit entgegenzutreten.“ Die Mahnung ist aktueller als uns recht sein kann. Denn der Antiziganismus ist nach wie vor tief verankert. Und er ist nicht annähernd so geächtet wie der Antisemitismus. Der faschistische Völkermord an den Sinti und Roma ist im kollektiven Gedächtnis kaum präsent. Sein Name, das Romanes-Wort Porajmos, – auf Deutsch: „das Verschlingen“ – ist im Land der Täter nur sehr wenigen ein Begriff. An historischem Wissen fehlt es nicht. Am 16. März 1997 hat der damalige Bundespräsident Herzog den heutigen Forschungsstand in die klaren Worte gefasst: „Der Völkermord an den Sinti und Roma ist mit dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz, mit dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden.“ Für die allermeisten Überlebenden kamen diese deutlichen Worte des Bundespräsidenten zu spät. Sie wurden auch nach 1945 als „Asoziale“ und „Kriminelle“ stigmatisiert und schikaniert. Von „Wiedergutmachung“ kann keine Rede sein. Noch 1956 rechtfertigte der Bundesgerichtshof den Naziterror vor 1943, weil er angeblich noch nicht rassistisch motiviert, sondern von den – Zitat – „Zigeunern“ selbst durch „eigene Asozialität, Kriminalität und Wandertrieb“ veranlasst gewesen sei. In unerträglichem Herrenmenschenton wurde den Opfern höchstrichterlich bescheinigt, dass ihnen „vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum“ fehlten, „weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen“ sei. Für die Überlebenden war der Rechtsnachfolger des Mörderstaates alles andere als ein Rechtsstaat. Ihre Behandlung durch die bundesdeutschen Behörden ist zutiefst beschämend. Der von dem jüdischen Überlebenden Ralph Giordano geprägte Begriff der zweiten Schuld trifft ohne Wenn und Aber auch auf das Unrecht zu, das den Sinti und Roma nach 1945 angetan wurde. Heute – in unserer Gegenwart – darf die NPD ungehindert plakatieren: „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma!“ Das Verwaltungsgericht München kann keine Volksverhetzung erkennen. Die Verdrängung der Vergangenheit bereitet den Boden für neue Unmenschlichkeit. Immer noch und schon wieder. Nicht einmal dieser Gedenkort für die Toten hier ist vor antiziganistischen Anschlägen sicher! Die verdrängte Vergangenheit vergeht nicht. Erst die Erinnerung an die historische Schuld eröffnet die befreiende Perspektive einer anderen menschlichen Zukunft. Das ehrenvolle Gedenken an die Ermordeten und die Mahnung an die Lebenden sind zwei Seiten einer Medaille. Der Medaille der Menschlichkeit. Das ehrenvolle Gedenken an die Ermordeten erfordert nicht mehr als den Mut zur historischen Wahrheit. Die Ermordung der Sinti und Roma war rassistischer Massenmord. Das individuelle Verhalten oder die tradierte Lebensweise der Opfer dienten allenfalls als Vorwand. Sie wurden ohne Ansehung der Person enteignet, entwürdigt und ihres Lebens beraubt. Sie waren Opfer rassistischer Verfolgung. Opfer faschistischen Rassenwahns. Ob und inwiefern es sich bei den Sinti und Roma tatsächlich um so etwas wie eine Rasse handelt, ist in diesem Zusammenhang völlig unerheblich. Die Mörder hatten die Definitionsmacht. Bei der jüdischen Bevölkerung ließ sich die angebliche Rasse an der Religionszugehörigkeit der Großeltern festmachen. Bei den sogenannten „Zigeunern“ war die Erfassung nicht so einfach. Es brauchte Experten – sogenannte „Ziganologen“ – die durch rassistische Untersuchungen wie Schädelmessungen eine wissenschaftlich verbrämte Datenbasis für den Völkermord bereitstellten. Die Bestimmung der Rasse schrieb mit der vermeintlichen Herkunft zugleich die Zukunft fest – im Rahmen eines rassistischen Menschenzuchtprogramms der „Aufartung durch Ausmerzung“. Williger Vollstrecker war eine menschenverachtende Medizin, die die „rassenhygienische“ Ermordung ganzer Bevölkerungsgruppen als „Heilung“ eines imaginären „Volkskörpers“ verklärte. Für die als asoziale und kriminelle Rasse stigmatisierten „Zigeuner“ bedeutete diese perverse Heilung das Todesurteil. Die Vernichtung durch Arbeit, Erschießungskommandos und Gaskammern. „Im Dritten Reich hungert und friert niemand. Wer es dennoch tut, kommt ins KZ.“ Dieser Flüsterwitz aus den faschistischen Vorkriegsjahren enthüllt die ungeheure soziale Kälte der sogenannten „Volksgemeinschaft“. Die angebliche Armutsbekämpfung war in Wahrheit brutalste Armenbekämpfung. Besonders hart betroffen war die angeblich asoziale Rasse der sogenannten „Zigeuner“. Alle gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Diskriminierungsmaßnahmen wurden ausdrücklich oder automatisch auch auf sie übertragen. So waren beispielsweise Liebesbeziehungen zu sogenannten „Ariern“ lebensgefährliche „Rassenschande“. Am 8. Dezember 1938 stellte Himmler in einem Runderlass eine „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse“ in Aussicht. In diesem Erlass ist auch schon ausdrücklich von der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“ die Rede. Während des zweiten Weltkriegs wurde auch diese „Endlösung“ immer hemmungsloser in die Tat umgesetzt. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion wurden die Roma wie Freiwild von den Einsatzgruppen gejagt und vom Kleinkind bis zur Greisin ermordet. Der berüchtigte Kommissarbefehl war der Freibrief für die Völkermordroutine. Himmlers Auschwitz-Erlass vom 16. Dezember 1942 markiert eine Etappe – nicht den Beginn – des Porajmos. Nach allem, was wir heute über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten und auf dem Balkan wissen, dürfte die vom Zentralrat der Sinti und Roma angenommene Zahl von insgesamt 500 000 Opfern wohl kaum übertrieben sein. Heute gedenken wir aller Opfer des Porajmos, wenn wir uns an die Nacht der Unmenschlichkeit erinnern, die am 2. August 1944 über die Häftlinge des sogenannten „Zigeunerlagers“ in Auschwitz hereinbrach. Von ihnen hat niemand die Sonne des 3. August gesehen. Aber es gibt die erschütternde Erinnerung einer Überlebenden aus einem Nachbarlager: „Es war schon fast dunkler Abend. Auf einmal wurde es hell wie am Tag und gleichzeitig ertönte ein schrecklicher Lärm. SS-Männer sind gekommen und haben die Menschen mit Flammenwerfern aus den Baracken im Lager B II e getrieben. Es waren sehr viele Kinder dabei gewesen. Das kleinste Geschöpf Gottes weiß, wenn es um sein Leben geht. Die Menschen wussten, dass sie in das Gas getrieben werden. Sie widerstanden mit Steinen, mit Stöcken, mit Gegenständen, die ihnen in die Hände fielen, wobei sie schrien, fluchten, brüllten und beteten. Die SS hetzte die laut bellenden Hunde auf die Menschen, sie griffen die Menschen an, die Verzweiflung war groß, der Lärm war schrecklich, die Kinder weinten nach den Müttern, die Mütter versuchten die Kinder zu beruhigen. In Birkenau wusste jeder, auch noch so jung, was der Tod bedeutet und das kleinste Kind wusste, was es bedeutet, wenn man mit Flammenwerfern in das Gas getrieben wird. Es gab keine Kinder im Zigeunerlager. Dort waren sie schon mit 5 Jahren Erwachsene, die wussten, dass sie dem Tod nicht entkommen können: So oder so werden sie ermordet. Wir im Lager waren erstarrt vor Angst. Auch bleibt man nicht gleichgültig, wenn 4300 Menschen im Nachbarlager mit so drastischen Methoden, mit offenem Feuer aus Flammenwerfern in den Tod getrieben werden. So unerwartet, wie diese Aktion begonnen hatte, so unerwartet ist auf einmal Ruhe eingekehrt. Und das konnte man auch kaum aushalten.“ Kann die Nacht der Unmenschlichkeit jemals vorbei sein? Ich kann diese Frage nur mit einer alten jüdischen Erzählung beantworten. Ein Rabbi fragte seine Schüler: „Wie erkennt man, dass die Nacht zu Ende geht und der Tag beginnt?“ Die Schüler fragten: „Ist es vielleicht dann, wenn man einen Hund von einem Kalb unterscheiden kann?“ „Nein“, sagte der Rabbi. „Ist es dann, wenn man einen Feigenbaum von einem Mandelbaum unterscheiden kann?“ „Nein“, sagte der Rabbi. „Wann ist es dann?“, fragten die Schüler. „Es ist dann“, sagte der Rabbi, „wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blicken kannst und deine Schwester und deinen Bruder siehst.“ Rom heißt Mensch. Einfach nur Mensch – ohne Habe, ohne Lobby, ohne Staat. Die Achtung der Sinti und Roma war und ist der Prüfstein der Menschlichkeit.
Wir veröffentlichen den Offenen Brief der VVN-BdA Mülheim zu Vorgängen um die Ausstellung »Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933-1945« in der Realschule Stadtmitte, wo ein Mitglied der VVN-BdA, das dort durch die Ausstellung führen sollte, von der Schulleitung zur unerwünschten Person erklärt wurde. Die VVN-BdA ist mehr als irritiert über dieses Ansinnen der Schulleitung. Insbesondere auch, weil sich hier Fragen auftun, die mit ihrer Tragweite weit über den konkreten Fall hinausweisen.
OFFENER BRIEF An Stadt Mülheim an der Ruhr Dezernat IV Dezernent für Schule, Jugend und Sport Herrn David Lüngen Kopie an Leitung der Realschule Stadtmitte Bildungsausschuss der Stadt Mülheim an der Ruhr GEW Mülheim an der Ruhr
Ausstellung »Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933-1945« Realschule Stadtmitte erklärt VVN-BdA Mitglied zur unerwünschten Person
Sehr geehrter Herr Lüngen,
die Ausstellung »Gegen das Vergessen – Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933- 1945« der VVN-BdA Mülheim dürfte Ihren bekannt sein. Sie zeigt, welch schreckliche Konsequenzen Ausgrenzung, Diskriminierung und die Unterdrückung Andersdenkender im Extremfall haben können: Terror, millionenfacher Mord und Krieg. Sie zeigt auch, wie sich in Mülheim einzelne Menschen, Gruppen und Organisationen der faschistischen Diktatur verweigerten.
Wie die ehemalige Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld in ihrem Vorwort zur Begleitbroschüre der Ausstellung betont, kann diese »seit Jahrzehnten als aufschlussreiches Bildungsmaterial zur Geschichte des Nationalsozialismus von Mülheimer Schulen kostenlos ausgeliehen werden.« Auch in anderen städtischen Einrichtungen z. B. den Stadtteilbibliotheken, dem Ringlokschuppen, dem Rathaus oder dem Theater an der Ruhr wurde und wird die Ausstellung gezeigt. Außerdem in kirchlichen Einrichtungen, in der Mülheimer Polizeiinspektion und dem Polizeipräsidium Essen/Mülheim. Zuletzt war sie von März bis Juni im Foyer des Stadtarchivs zu sehen.
Auf dem Hintergrund dieser langjährigen und guten Beziehungen zu den verschiedensten Mülheimer Institutionen gibt ein aktueller Vorfall nun Anlass zu Befremden und Besorgnis:
Im Nachgang zu einem Besuch des Stadtarchivs hatte die Realschule Stadtmitte die Ausstellung angefragt. Der Aufbau erfolgte am Mittwoch, den 31. August. Am Freitag, den 2. September, erreichte uns eine E-Mail folgenden Inhalts:
»Liebe Frau Ketzer,
aufgrund der doch großen Verunsicherung in unserem Kollegium bezüglich Ihrer Person und Ihrer Parteizugehörigkeit hat unsere Schulleitung sich mit der Rechtsabteilung der Bezirksregierung kurzgeschlossen. Wir haben nun 3 Optionen: 1. Ihr Kollege führt alleine durch die Ausstellung 2. meine Kollegen besprechen die Ausstellung alleine mit den Klassen Oder 3. wir bauen wieder ab. …«
Bei der angesprochenen Frau Ketzer handelt es sich um Inge Ketzer, eine der Personen, die durch die Ausstellung führen.
Die VVN-BdA Mülheim ist mehr als irritiert über dieses Ansinnen der Schulleitung. Insbesondere auch, weil sich hier Fragen auftun, die mit ihrer Tragweite weit über den konkreten Fall hinausweisen.
Wir fragen uns:
Seit wann ist die »richtige« Parteizugehörigkeit ein Kriterium, um in einem städtischen Gebäude durch eine Ausstellung führen zu können? Ein Blick in das Grundgesetz Artikel 4 und Artikel 5 wäre angeraten.
Inwiefern ist das Rechtsamt der Bezirksregierung in diesen Vorfall involviert?
Es gibt keine inhaltliche Begründung für die Ausladung – außer dem nebulösen Hinweis auf eine »Verunsicherung in unserem Kollegium bezüglich … Person und … Parteizugehörigkeit.« Was ist so verunsichernd an einer Person, deren Eintreten für demokratische Bürgerrechte u. a. im Kontext der Initiative zum »Erhalt unserer VHS in der MüGa« in der Presse hinreichend dokumentiert wurde?
Weiterhin waren sowohl der Polizeipräsident Essen/Mülheim, Frank Richter, der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen und die Leitung des Mülheimer Stadtarchivs nicht im Geringsten verunsichert, sich mit Frau Ketzer anlässlich der jeweiligen Eröffnung der Ausstellung in der Polizeiinspektion Mülheim, dem Essener Polizeipräsidium sowie im Haus der Stadtgeschichte offiziell für die Presse zusammen mit Frau Ketzer ablichten zu lassen.
Als Konsequenz aus der von der Realschule Stadtmitte inkriminierten Parteizugehörigkeit wäre auch die (kürzlich verstorbene) Vorsitzende des Internationalen Auschwitz Komitees, die jüdische Künstlerin und KZ-Überlebende des Mädchenorchesters Auschwitz, Esther Bejarano, als jemand mit dieser »verunsichernden« Parteizugehörigkeit (DKP) persona non grata. Sie dürfte in der Realschule Stadtmitte nicht reden über ihr (Über)leben im Deutschland des Naziterrors, sie dürfte zu den jungen Menschen nicht sprechen über den Widerstand der Demokraten jedweder politischen Couleur gegen den Faschismus, sie dürfte nicht mahnen angesichts der heute wieder aktuellen Gefahr des Erstarkens faschistischer Tendenzen.
Die Realschule Stadtmitte war 2004 die erste Schule, die mit einer Arbeitsgemeinschaft die Verlegung der Stolpersteine in Mülheim aktiv vorangebracht hat. Unter den Personen, an die auf diese Weise erinnert wird, waren auch etliche mit »verunsichernder Parteizugehörigkeit«. Möchte man sich jetzt von diesen distanzieren? Als Zeitzeugen willkommen wären sie heute anscheinend nicht …
Gegenwärtig erleben wir eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung; rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut dringt teilweise bis in die Mitte unserer Gesellschaft vor. Umso wichtiger ist es, sich aktiv dafür einzusetzen, dass Ausgrenzung und Intoleranz sich nicht ausbreiten.
Doch eben dieses Gebaren von Intoleranz und Ausgrenzung scheint im geschilderten Fall zumindest in Ansätzen sichtbar zu werden. Ohne über die Ursachen und Hintergründe dieses Verhaltens Vermutungen anstellen zu wollen, konstatiert die VVN-BdA Mülheim mit Betroffenheit und Besorgnis, dass zurzeit im dargelegten Fall ein vertrauensvolles Zusammenwirken in demokratischem Konsens nicht gegeben zu sein scheint. Mit Bedauern sehen wir uns deshalb veranlasst, die Ausstellung abzubauen.
Mit freundlichen Grüßen
Silvia Rölle Vorsitzende der Kreisorganisation der VVN-BdA Mülheim an der Ruhr e. V.
Am 8. August haben es in der Dortmunder Nordstadt elf Polizistinnen und Polizisten nicht vermocht, den 16jährigen, aus dem Senegal stammenden Jungen Mouhamed Lamin Dramé, der ein Messer bei sich hatte, zu beruhigen und zu entwaffnen. Sie griffen ihn mit Pfefferspray, Tasern und schließlich mit einer Maschinenpistole an, töteten Mouhamed Lamin Dramé mit einer Salve von fünf Schüssen.
„Du sollst nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“, so der Volksmund. Und jetzt schießen Polizisten mit einer Maschinenpistole auf ein schwarzes Kind und töten es. Sie sagen: Der Junge ging mit einem Messer auf uns los. Mouhamed Lamin Dramé stand im Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung, und zwischen den Polizisten und ihm befand sich ein Zaun. Er konnte gar nicht auf den Schützen zulaufen. Und wenn doch? Dann schießt man und erklärt: Wir prüfen das alles genau und melden uns in einigen Wochen wieder, so der Staatsanwalt.
In den letzten fünf Jahren wurden elf Flüchtlinge von der Polizei erschossen. Das geht aus der Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ der Antirassistischen initiative (ARI) hervor.
Jeder Todesfall in Zusammenhang mit staatlichen Behörden sollte bis ins kleinste Detail untersucht werden. Nicht nur, um einen möglichen Vorsatz nachzuweisen, sondern auch, um sämtliche Fälle von rechtswidrigen Ingewahrsamnahmen, von Fahrlässigkeit oder unangemessenen Reaktionsketten zu verbessern – um künftige Todesfälle zu vermeiden. In jeder anderen Situation, etwa bei Betriebsunfällen, ist das Standard – nicht, wenn staatliche Bedienstete beteiligt sind. Warum? Festzustellen ist, dass es keinen Willen zur Transparenz, keinen Aufklärungswillen und erst recht keinen Willen zur Verbesserung gibt. Im Gegenteil: es wird verharmlost, vertuscht und gelogen.
Die VVN-BdA Nordrhein-Westfalen fordert unabhängige Ermittlungsstellen.
Deutschland käme damit zumindest lange angemahnten Menschenrechtsstandards nach. Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen Ermittlungen, die Verletzungen in Polizeigewahrsam untersuchen, unabhängig, angemessen und unverzüglich geführt werden. Sie sollen öffentlicher Kontrolle unterliegen und Opfer und Angehörige einbeziehen. Keine dieser Vorgaben wird aktuell eingehalten.
Einige Bundesländer haben in den letzten Jahren vom Landtag berufene Polizeibeauftragte eingesetzt. Der Bund will laut Ampelkoalitionsvertrag nachziehen. Doch die Hoffnung, damit ließe sich auch adäquat auf Todesfälle in Gewahrsam reagieren, ist naiv. Keine der Stellen wurde explizit eingerichtet, um solche Fälle aufzuklären. Vielmehr sollen sie laut Gesetz den „Dialog zwischen Polizei und Bürger*innen“ fördern. Die bisherigen Stellen sind zudem prekär ausgestattet, haben keine eigenen Ermittlungsbefugnisse und sind in ihrer institutionellen Verankerung weit entfernt von zivilgesellschaftlichen Akteuren, insbesondere von stark betroffenen Gruppen wie Asylsuchenden, Personen mit Migrationshintergrund, Obdachlosen und Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.
Die VVN-BdA Nordrhein-Westfalen fordert eine Untersuchung des Dortmunder Falles durch eine unabhängige Kommission und nicht durch die Polizei – aus welcher Stadt auch immer. Sie verlangt im Interesse einer umfassenden Ermittlung die Einsicht in die vollständigen Akten der Polizei über die Staatsanwaltschaft bis zum Innenministerium.
Dringende Forderungen und Fragen
Warum wurde, obwohl sich eine Eingriffssituation anbahnte, nicht jede Möglichkeit genutzt diese umfassend zu dokumentieren? §15c des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen regelt den Einsatz von Aufnahmegeräten (Bodycams). Der Einsatz dieser Geräte wird von den jeweiligen Vollzugsbeamtinnen/ -beamten vor Ort entschieden. Obwohl bei diesem Einsatz von Beginn an wahrscheinlich war, dass unmittelbarer Zwang erfolgen musste, wurde die Situation nicht umfassend dokumentiert. Die Bodycams müssen bei Außeneinsätzen in der beschriebenen Situation eingeschaltet sein. Warum waren die bei Außeneinsätzen üblichen Bodycams nicht eingeschaltet? Wann und wie lange Aufzeichnungen gespeichert werden, richtet sich nach den allgemeinen Datenschutzregeln. Derzeit regelt das Polizeigesetz jedoch, dass Aufnahmen nach Belieben vom Polizeibeamten oder auch wenn es vom Vorgesetzten befohlen wird, gelöscht werden können. Alle Bodycams, die am 8. August in Dortmund vor Ort eingesetzt wurden, müssen sichergestellt werden. Ebenso müssen alle Aufzeichnungen gesichert werden, die im Zusammenhang mit Einsatzfahrzeugen und Drohnen entstanden sind. Warum konnte auch durch den Einsatz von Tasern die Situation nicht entschärft werden? Obwohl die Gefährlichkeit der Tasereinsätze bekannt war, wurden dennoch für 8,5 Mio. Euro 1.360 Taser angeschafft. Das entspricht einem Stückpreis von 6.250 Euro. Der fehlerhafte Einsatz führte hier zu einem weiteren Toten. Es wird Zeit sie wieder abzuschaffen. Warum kam eine Maschinenpistole zum Einsatz? Die Polizei wurde in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Nicht zuletzt die Ausstattung mit zwei Maschinenpistolen in jedem Funkstreifenwagen weisen darauf hin. Das Maschinenpistolenfeuer zum normalen Polizeieinsatz werden soll, kann nicht hingenommen werden. Der Innenminister hat zu verantworten, dass Maschinenpistolen, nicht wie beabsichtigt, als Mittel der Terrorabwehr zum Einsatz kommen, sondern als normales polizeiliches Mittel dienen. Dies widerspricht allen jahrzehntelangen Bemühungen um eine Kultur der Deeskalation polizeilichen Handelns. Warum wird nur standardmäßig ermittelt wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge? Die Ermittlungen werden auf eine Wahl zwischen Nothilfe und Notwehr konzentriert. Dies widerspricht der Forderung nach einer unvoreingenommenen und offenen Untersuchung. Die Ermittlungen werden durch eine Mordkommission der Kreispolizeibehörde Recklinghausen geführt. Nachbarbehörden, die gegeneinander ermitteln, die auch noch demselben Generalstaatsanwalt unterstehen sind keine neutrale Ermittlungsinstanz. Warum gibt es keine Unabhängige Untersuchungsbehörde? Wie in einigen Nachbarländern, muss eine umfassend ausgestattet Unabhängige Untersuchungsbehörde aufgebaut werden. Sie muss sich aus Teilen der Demokratie- Menschenrechtsverbänden zusammensetzen und umfassend rechtlich, personell, materiell ausgestattet sein. Damit sollen unabhängige Ermittlungen auch in solchen Fällen, wie dem Vorliegenden schnell und umfassend gewährleistet sein.
VVN-BdA Nordrhein-Westfalen fordert die Einsicht in die vollständigen Akten. Zur Wahrung des Öffentlichen Interesses an einer umfassenden Ermittlung fordert die VVN-BdA Nordrhein-Westfalen die Einsicht in die vollständigen Akten von der Polizei über die Staatsanwaltschaft bis zum Innenministerium.
Nachtrag: MONITOR-Bericht vom 15.09.2022 „Tödliche Polizeischüsse: Polizisten außer Kontrolle? (hier).