Erinnern – unentbehrlich für die Auseinandersetzung mit Nationalismus und Rassismus

1. August 2019

Erinnern – unentbehrlich für die Auseinandersetzung mit Nationalismus und Rassismus1
Von Manfred Weißbecker

Der Historiker Prof. Manfred Weißbecker (Jena) hat auf dem 10. Treffen der Nachkommen der Häftlinge des KZ Buchenwald am 14. April 2019 im Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald – organisiert von der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald/Dora – einen Vortrag gehalten. Sein Thema war die Erinnerung als Voraussetzung für die Bewegungen gegen rechts heute. Der Wortlaut:

Viele Gedanken bewegte n mich, als ich jüngst vor dem Tor stand, das jener vieldeutige Spruch „Jedem das Seine“ ziert. Ich führte Gäste aus meiner Familie durch das Tor hinaus auf das Lagergelände. Dabei ein Junge, gerade 18 geworden, sehr interessiert, weil einerseits klug und andererseits kenntnisarm. Zugegen auch seine Mutter um die 50, aufgewachsen in der DDR, erschüttert in der Wiederbegegnung mit der Stätte des barbarischen Unheils. Anwesend zudem eine Frau in meinem Alter, früher als Geschichtslehrerin tätig. Alle aus drei Generationen also, alle ohne eigenes Erleben der damaligen Zeit des Grauens, alle von unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebenszielen geprägt. Für sie erzählte ich von den im Lager begangenen Verbrechen und beschrieb das Leiden der Opfer, verbunden mit einem Versuch, zugleich den Sinn des Erinnerns an das mutige widerständige Ringen gegen Faschismus und Krieg aufzuhellen. Es galt zu berichten, deutend zu erörtern und Ursachen zu erklären.

Heute darf ich hier von meinen Gedanken und Überlegungen erzählen, die mich seitdem umtreiben, zumeist sorgenvoll und angsterfüllt, ab und zu auch zuversichtlich. Meine Profession ist zwar die eines Historikers – ich verstehe mich dennoch ebenso als ein kritisch beobachtender Zeitgenosse. Mein Blick zurück kommt nicht aus ohne den auf unsere Gegenwart, erst recht nicht ohne den auf neue Gefährdungen unserer Zukunft. Daher möchte ich in dem, was ich hier vortrage, Geschichtliches und Aktuelles miteinander verknüpfen.

Auszugehen wäre dabei von Fragen wie: Weshalb erinnern? Woran erinnern und wie ist zu gedenken?

Antworten auf sie wurden schon oft erteilt. Beliebig viele sogar. Passende und unpassende, richtige und falsche, Unterschiedliche immer, dies auch in unterschiedlichen Zeiten. Nahezu unüberschaubar scheint ihre Zahl zu sein. Stets aber gab es neue Fragen, veränderte in den sich wandelnden Zeiten. Neue Fragen – die stellen sich erst recht in unserer so wild bewegten und bedrohlich gewordenen Gegenwart. Erinnern findet heute statt in Zeiten einer allgemeinen Rechtsentwicklung, einer rassistischen Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas und des unheilschwangeren Vormarsches der Neuen Rechten. Spüren wir da nicht alle, dass zunehmend das allumfassende Thema „Widerstand“ sowohl an erneuter Bedeutung gewinnt als auch vor neuen Herausforderungen steht? Ist dessen Aktualität nicht an allen Tagen mit allen Händen zu greifen? Verlangt historisch-politische Verantwortung von uns Zeitgenossen nicht erneut humanistische Solidarität und mutiges Widerstehen – in Deutschland, in Europa, in der Welt? Hoffnungen, Vergangenes würde nicht mehr zurückkommen können, zerschlugen sich. Vieles taucht wieder auf, bemüht um ein Verschleiern des alten Kerns in neuen Gewändern – scheußlich und erschreckend!

Ich plädiere daher für eine Erinnerungs- und Gedenkkultur, die eine breite Bewegung gegen alle Rechtsentwicklung und Friedensgefährdung ermöglicht. Sie könnte vielleicht, nein: sie sollte sich heute als das einigende Band entfalten für die vielen und erfreulich aktiven Protestgruppen, Bewegungen und Demonstrationen. Diese wenden sich gegen wachsende soziale Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung der Geschlechter, gegen die existenzielle Bedrohung der Natur, gegen Mietwucher, unlautere Entlohnung und herzlos ökonomisierte Gesundheitspolitik. Viele kehren sich ab von hilflos erscheinender Politik der Regierenden. Kritisiert werden Demokratie-Abbau und weitere Schritte hin zu autoritärem Regieren in einem neuen Überwachungsstaat. Vorgegangen wird gegen Rüstungswirtschaft und neue Kriege. Zunehmend bekämpft sehen sich Gewaltbereitschaft und Terrorismus. Befürchtet wird der Missbrauch neuer Techniken im digitalisierten Kapitalismus.

Ja, große Teile der Gesellschaft sind in Bewegung geraten. Und alle von Krisen und Politik Betroffenen erwarten eine andere Zukunft statt jener gefahrvollen, die ihnen von „oben“ angeboten wird. Aber: Es scheint wohl doch zu sehr für jeweils als vorrangig betrachtete Ziele gefochten zu werdeni, oftmals auch gegeneinander. Jeweilige Interessen sehe ich in den Vordergrund gerückt. Parteien- und Vereinsegoismus erweist sich nahezu als unausrottbar. Dabei bietet doch gerade ein sinnvoll genutzter Pluralismus den Boden für partnerschaftliche Verständigung und einträchtiges Miteinander. Anzustreben wäre wohl eher die Gemeinschaftlichkeit im Ringen um eine Welt, in der es möglich sein sollte, unterschiedliche Zukunftsvorstellungen zu beraten, vielleicht sogar zu erproben, bevor alles hinfällig wird im Falle des Sieges der extremen Rechten und eines Lebens in neuen Kriegszeiten, gleich, ob kalte oder heiße. Oder sollte ich nicht auch sagen: Im Falle eines erneuten Scheiterns der zerstrittenen Linken?

Das gilt es zu verhindern, mit vielen Mitteln und Anstrengungen. Aus deren breiter Palette heraus sei hier eine Lanze gebrochen für historisches Wissen, für Wissen vor allem aus der Geschichte von Weimarer Republik und deutschem Faschismus. Notwendig sind solide Kenntnisse über das Geschehene. Zu fordern ist ein Wissen, das einfach nicht erlauben will, wegzuschauen und den Kopf mutlos-verängstigt in den Sand zu stecken. Wissen kann Nachdenklichkeit wecken und eigenes Gemüt aufrütteln. Ich sage allerdings auch: es kann wachmachen und aktivieren, muss es aber nicht.

Folgt man jedoch meiner Auffassung, dass historisches Wissen gebraucht wird, stellt sich sofort die Frage: Welches Wissen? Und das mündet gleich in die Frage: Woran muss heute in erster Linie erinnert werden, was sollte vorrangig ausgewählt werden? Gewiss gehören dazu in erster Linie die ungeheuerlichen Verbrechen, begangen von einer terroristisch-barbarischen Diktatur, erwachsen aus der umfassenden Kriegsvorbereitung und rigiden Kriegführung der Nazis, mündend in den gnadenlosen rassistischen Völkermord. All dies war indessen möglich, weil der Faschismus an die Macht gelangen bzw. gebracht werden Konnte. Von einer solchen Diktatur kann heute (noch ?) keine Rede sein, von Wegen hin zu ähnlichen friedlosen und lebensbedrohenden Machtmethoden schon.ii Zu erinnern wäre daher an die „Vorgeschichte“ der Verbrechen, an deren Ermöglichung sowie an ungenutzte Möglichkeiten ihrer Verhinderung.

Daher meine ich, es sollte uns gegenwärtig auch, vielleicht sogar vor allem interessieren, wie früher Faschismus ermöglicht worden ist, wie sich die Nazi-Ideologie schon lange vor 1933 entfalten durfte, wie und weshalb antidemokratische und terroristische Organisationen in parlamentarischen Regimen folgenreich geduldet worden sind, wie weggeschaut und verharmlost wurde. Faschismus als Ideologie und Bewegung sollte abgehoben betrachtet werden von einem Faschismus an der Macht. Seine Ideologie und seine Organisationen waren bereits bekämpfenswert, als sie im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg auftauchten und bevor er an die Macht gelangen konnte. Es passierte damals jedoch anderes: In Deutschland wurde die NSDAP zunächst von nationalkonservativen Kreisen sogar als willkommener Juniorpartner gegen die organisierte Arbeiterbewegung und im Ringen um eine deutsche Machtstellung in der Welt gehätschelt! Man machte sie zunächst hoffähig und behinderte den Kampf gegen sie!

* * *

Rosa Luxemburg schrieb mitten in der Novemberrevolution anlässlich der Auseinandersetzung um „Nationalversammlung oder Räterepublik“, es gelte, eine „wissenschaftliche Blendlaterne an die verborgenen Triebfedern des ökonomischen und politischen Räderwerkes der bürgerlichen Gesellschaft“ zu halten sowie deren „Tun und Gehaben bis in die feinste Veränderung ihres Fühlens und Denkens“ auszuleuchten.iii

Im Schein einer solchen Blendlaterne halte ich es für sinnvoll, immer wieder festzustellen, dass bereits am Ende des Ersten Weltkrieg und danach in einigen europäischen Ländern jene Organisationen die politische Bühne betraten, die sich selbst als faschistisch bezeichneten oder unter anderen Namen präfaschistische Ziele in neuen gesellschaftlichen Ordnungen erstrebten. Zu letzteren gehörte in Deutschland die Deutsche Vaterlandspartei, die 1917/18 noch immer einen „deutschen Siegfrieden“ erreichen wollte und jede Verständigung über ein allgemeines Kriegsende ablehnte. Nicht zu vergessen: Sie war sogar in der Lage, dafür rund eine Million Mitglieder zu mobilisieren. In Deutschland bemühten sich dann nach 1918 zahlreiche alte und neue Organisationen darum, die ungeliebten Ergebnisse von Novemberrevolution und Kriegsniederlage rückgängig zu machen. Aus ihren Reihen ging die NSDAP hervor. Sie bezeichnete sich zwar als nationalsozialistisch, verbreitete jedoch von Beginn an extrem nationalistisch-rassistische und antidemokratische Ideen, zudem expansionistische Wunschvorstellungen. Alles in ihrer Ideologie und Programmatik kündete von Weltmachtambitionen und zielte im Kern, da nicht anders zu verwirklichen, auf neue Kriege.

Heutzutage wird vielfach die Weimarer Republik gerühmt, ihre demokratische Verfassung gepriesen und ihr Ende ausschließlich den Nazis, mitunter eher den Kommunisten oder eben unterschiedslos beiden angelastet. Oft wird erklärt, die sogenannten Weimarer Verhältnisse seien mit den heutigen nicht zu vergleichen. Auch da sehe ich verharmlosende Unkenntnis im Spiel, zumindest Unwillen gegenüber einem kritischen Blick auf vergleichbare gesellschaftliche Strukturen und Unzulänglichkeiten dieser Demokratie. Denn diese und der Weimarer Parlamentarismus waren schon vor 1933 ausgehöhlt und zweckentfremdet. Der erste Schritt dazu steckte schon in der Verfassung und hieß Artikel 48. Zahlreich Schritte richteten sich von Anfang an gegen die Weimarer Republik.

Auf einige sei hier der Blick gerichtet: Die Nazis existierten noch gar nicht, als am 3. Oktober 1918, also noch vor dem Beginn der Novemberrevolution, der Chef des berüchtigten „Alldeutschen Verbandes“ Heinrich Claß es als „wichtigste Aufgabe“ bezeichnete, „rücksichtslosen Kampf gegen das Judentum“ zu führen. Auf die Juden müsse – wieder wörtlich – „all der nur zu berechtigte Unwille unseres guten und irregeleiteten Volkes abgelenkt“ werden.iv Daraus spricht nichts anderes als eine planmäßig vorbereitete und betriebene Verstärkung des rassistischen Antisemitismus! Nächstes Beispiel: Die Nazis beschränkten ihren Einfluss noch auf die bayerische Hauptstadt, als überall in Deutschland gegen die aus dem Osten eingewanderten jüdischen Bürger oder gegen die farbigen Soldaten in den besetzten Gebieten gehetzt wurde. Alltäglich brach sich da Rassismus freie Bahn! Konservative Kreise, offiziös gern als Nazi-Gegner oder gar als deren entschiedene Gegner dargestellt, traten antisemitisch in Erscheinung als sie z.B. Mitte der 20er Jahre nach „Argumenten“ gegen die Volksbewegung zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten suchten. Da formte sich in einigen Kreisen der Rechten neben dem Bild vom Verlust „christlich-abendländischer Kultur- und Rechtstradition“ auch jenes vom „jüdisch-bolschewistischen“ Feind, das also beileibe nicht erst die Nazis erfanden. Die Völkischen brachten im Reichstag einen Antrag ein, um ein Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung der „Bank- und Börsenfürsten“ zu erreichen. Er richtete sich gegen die „seit 1. August 1914 zugezogenen Ostjuden“ und ebenso, man beachte es, gegen die „sonstigen Fremdstämmigen“. Auch in nationalkonservtiven Kreisen erwog man im Januar 1926, „alles Vermögen zu enteignen, das sich in jüdischen Händen befindet“. Mit dem Versuch, die Teilnehmer des Volksentscheides als „Kommunistenzählung“ zu nutzen, verband sich die Erinnerung an die schreckliche „Judenzählung“ während des Ersten Weltkrieges.

Weiter: Die Nazis spielten noch keine Rolle, als im März 1920 der Putschist Wolfgang Kapp versuchte, die Republik auszuhebeln. Sie befanden sich noch in nahezu totaler Minderheit, als der Erzreaktionär und Militarist Hindenburg kandidierte, um auf Wunsch bürgerlicher Parteien Reichspräsident zu werden. Sie spielten auch keine Rolle, als Mitte der 20er Jahre in der Reichswehr-Führung jene Pläne für ein neues Massenheer ausgearbeitet wurden, die in Umfang und Struktur dann 1939 Realität geworden sind.

Und, was auch nicht vergessen werden sollte: Der Vorsitzende des mächtigen Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), Carl Duisberg, forderte schon 1926, es dürfe „nicht halbe, es muss ganze Arbeit sein, die gemacht wird. Kompromisse helfen nicht mehr. Es geht ums Prinzip, ums ganze System.“v Bei den Nazis hieß es konform: „Alles oder nichts“! Und wenn bei ihnen „Großdeutschland“ bzw. „Lebensraum“ im Programm stand, dann kann parallel dazu gelesen werden, dass der RDI in seinen Veröffentlichungen vom Oktober 1929, also vor dem New Yorker „Schwarzen Freitag“, die Politik aufforderte, ein „Großraum-Wirtschaftsgebiet“ zu schaffen, denn nur so sei – ich zitiere – „etwaigen Wirtschaftskrisen und sozialen Erschütterungen wirksam zu begegnen.“vi

1928 gab Alfred Hugenberg mit seinem polarisierenden Zeitungsartikel „Block oder Brei?“vii den Startschuss für eine weitere Rechtsentwicklung seiner ohnehin schon auf der Rechten stehenden konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Unterstützung fand er dabei vor allem durch eine Organisation sogenannter Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, genannt Der Stahlhelm. Der verkündete, ohne dafür staatlich attackiert zu werden, in seiner „Fürstenberger Hassbotschaft“ vom 2. September 1928: „Wir hassen mit ganzer Seele den augenblicklichen Staatsaufbau, seine Form und seinen Inhalt, sein Werden und sein Wesen. Wir hassen diesen Staatsaufbau, weil in ihm nicht die besten Deutschen führen, sondern weil in ihm ein Parlamentarismus herrscht, dessen System jede verantwortliche Führung unmöglich macht […] Wir hassen diesen Staatsaufbau, weil er uns die Aussicht versperrt, unser geknechtetes Vaterland zu befreien und das deutsche Volk von der erlogenen Kriegsschuld zu reinigen, den notwendigen deutschen Lebensraum im Osten zu gewinnen, das deutsche Volk wieder wehrhaft zu machen.“viii Der Stahlhelm landete folgerichtig bei der SA und marschierte mit ins Weltkriegs-Völkermorden.

Sein Gedankengut – sofern man da überhaupt von einem Gut sprechen kann – taucht dennoch in so manchen Ergüssen von Bundestagsabgeordneten der AfD auf. „Umvolkung“, „Volkstod“ – ein Marc Jongen vermutet schamlos, sie seien das Ziel regierungsamtlicher Erinnerungspolitik. Während er das Ende von Schulbesuchen in Stätten nationalsozialistischer Vernichtungspolitik fordert, scheint sein Fraktionskollege Thomas Ehrhorn sogar nicht abgeneigt zu sein, Konzentrationslager doch als einen richtigen Haftort zumindest für manche Opfergruppen anzusehen. Man müsse, so erklärte er in einer der jüngsten Debatten, „schon einmal etwas genauer hinschauen“, um wen es sich da gehandelt habe.ix

Nun wieder zur Geschichte und woran zu erinnern ist: Jeder kennt die „Harzburger Front“, also jenes offiziell geschlossene Bündnis zwischen der konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der NSDAP, das 1931 gemeinsam die Brüning-Regierung zu stürzen versuchte, sich dann zeitweilig zerstritt, jedoch 1933 in Hitlers „Kabinett der nationalen Konzentration“ mündete. Dass in diesem Pakt schließlich die NSDAP die Oberhand gewann, erlaubt zwar von einer gewissen Tragik ihrer Partner zu sprechen, nicht aber von deren historischer Verantwortung abzusehen. Vielleicht darf dies in gewisser Weise als ein besonders warnendes Beispiel gesehen werden, wenn heute mancherorts darüber nachgedacht wird, ob nach den nächsten Landtagswahlen nicht doch und trotz bisheriger Schwüre „Schwarz“ mit dem mitunter ins „Braun“ changierenden „Blau“ koalieren sollte.

Aus den zu Wachsamkeit mahnenden Seiten der Geschichte Weimarer Verhältnisse wissen wir um die Schuld deutscher Eliten. Wir kennen aber – auch wenn es schmerzt – die nicht zu bestreitende Tatsache, dass Aufstieg und Sieg der NSDAP sowie Aufrüstung, Kriegsvorbereitung und Kriegführung ebenfalls durch die Mitwirkung eines großen Teils der Deutschen ermöglicht wurden. Viele, allzu viele waren den Verlockungen nationalistischer Ideologie und demagogisch-populistischer Propaganda gefolgt, viele erlagen diktatorischem Druck und freuten sich über schwindende Arbeitslosigkeit und außenpolitische Erfolge des Regimes.

Ja, es gab bereitwillige Zustimmung, großen Jubel und aktives Mitwirken – bereits vor 1933 und erst recht danach. Auch daran muss erinnert werden, auch dazu sind Erklärungen nötig. Wird es gedeutet als ein von „oben“ her erstrebtes Ergebnis, lässt sich gewiss von Manipulation sprechen. Zugleich muss jedoch ebenso die leider vorhandene Manipulierbarkeit von Menschen Beachtung finden. Schaue ich auf das Denken und Verhalten der NSDAP-Wähler und dann einer übergroßen Mehrheit der Deutschen im Dritten Reich, fällt mir der französische Jurist Ètienne de La Boètie ein. Der gilt als Ahnherr des Anarchismus und hatte im 16. Jahrhundert von einer „freiwilligen Knechtschaft“ von Menschen gesprochen und seine Leser gefragt: „Wie kommt er [der Tyrann, M.W.] zur Macht über euch, wenn nicht durch euch selbst? Wie würde er wagen, euch zu verfolgen, wenn ihr nicht einverstanden wärt?“x

Ich halte es für sinnvoll, immer wieder und erst recht heute nach Erscheinungsformen und Ursachen eines solchen „freiwilligen Einverständnisses“ zu suchen, selbst wenn nicht direkt und unmittelbar von „Knechtschaft“ zu reden ist. In zunehmendem Maße lässt sich indessen bei vielen Menschen eine bewusste oder unbewusste Verinnerlichung vorgegebener Normen feststellen. Sie resultiert aus einem Komplex von alltäglich wirkende Faktoren, die jemanden dazu bringen, „mitzumachen“ oder stillzuhalten. Viele Sozialpsychologen und Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen sprechen warnend davon, dass sich in der neoliberalen Gesellschaft viele Menschen alltäglich der Forderung ausgesetzt sehen, sich selbst zu thematisieren. Verlangt werde also eine private Analyse eigener Schwächen als Ausgangspunkt einer Suche nach individuellen Verbesserungsmöglichkeiten. Um am Arbeitsplatz sowie in der Gesellschaft bestehen zu können, müsse man an sich selbst arbeiten, sich selbst formen und optimieren, sich selbst zu effektiver Leistung befähigen.xi

Gesprochen wird oft von einer „Selbstformation“, was ich eher als „gesolltes Wollen“ und letztlich als bittere „Selbsttäuschung“ bezeichnen würde. Wie auch immer: Es erfolgt durch sie eine bewusste oder unbewusste Verinnerlichung der von oben gegebenen Normen. Mit solcher „Selbstformation“ kann sich zudem die ohnehin vorhandene Kontrolle des Verhaltens von oben, sozusagen der primäre Ausgangsfaktor der Macht, gleichsam in die Menschen hinein verlagern. Heute sei das „Self-Tracking“ in Mode gekommen, eine digitale Selbst-Überwachung, von welcher der Münchener Historiker Simon Schaupp meint, sie werde mit einer Leidenschaft betrieben, die „jeden Blockwart alt aussehen“ lasse. Folgerichtig gerät einerseits die Macht der Apparate-Beherrscher in einen hilfreichen Nebel ihrer Anonymität. Andererseits könnte sich das Bild vom Menschen verändern, könnte sich der Typ eines neuen Untertanen entfalten: pflegeleicht, kreuzbrav, treudoof.xii

Ja, ob gewollt oder nicht, wir Menschen sind beeinflussbar und können dem unterliegen, der für seine Interessen Macht erringen, ausüben und bewahren will. Macht benötigt nun einmal Ohnmächtige, will auf deren individuelles Denken und Fühlen einwirken und sie steuern. Eigentlich will sich niemand beeinflussen lassen, und dennoch belegt jeder alltäglich erlebbare Blick in den Wirtschaftsbetrieb anderes. Nicht ohne Grund gilt beispielsweise Werbung als dessen unentbehrliches Schmiermittel. Ohne Reklame sei dieser nicht in Gang zu halten, wird offen gesagt. Und ebenso wird unverblümt gefordert, potenziellen Kunden geschäftstüchtig ins Gehirn – ich zitiere – zu „kriechen“ und möglichst viele Menschen – ich zitiere erneut – mit „schnellen Schüssen ins Gehirn“ für den Erwerb eines bestimmten Produkts zu bewegen.xiii Reklame, Suggestion, Gehirnwäsche, Gleichschaltung, Seelenmassage usw. – so lauten landläufig verwendete Begriffe, mit denen zweckorientiertes mediales Dauerfeuerxiv und systematisch betriebene Manipulation umschrieben wird, in welchem Bereich des Lebens der Gesellschaft auch immer.

Also auch da, wo es um geschichtliches Erinnern geht. Womit ich wieder bei der Geschichte angelangt bin. Es überrascht eben keineswegs, wenn die Geschichte für soziale, ökonomische, politische und geistig-kulturelle Interessen gebraucht, häufiger indessen missbraucht wird. Letzteres sogar in wachsendem Maße. Da wird – vor allem in den Medien – Vergangenes vielfach rekonstruiert, kategorisiert, verändert, reduziert oder gar neu produziert. Alles zumeist, so meine These, zum Nutzen für gegenwärtig Bestehendes.

Unverkennbar: Geschichte boomt, sie ist in, oder wie auch immer in neudeutscher Sprachschluderei bezeichnet! Bunte Geschichtszeitschriften füllen zuhauf die Regale in den Buchläden, kaum ein Tag vergeht ohne entsprechende Artikel in den Zeitungen oder ohne TV- Filmserien mit historischen Themen: Untergang, Babylon, Charité, Weimar, Bauhaus usw. usf. Das große Interesse für Geschichte mag den Historiker zunächst erfreuen, denn es scheint ja seinen Beruf sehr zu befördern sowie für einen angesehenen Stand in der öffentlichen Meinung zu sorgen (und dort – wo öffentliche Gelder fließen – sich auch in klingender Münze auszuzahlen). Er mag zufrieden sein, jedoch nur dann, wirklich nur dann, wenn denkend gelesen und aufmerksam-kritisch der Bilderflut gefolgt wird, was allein geistigen Gewinn erreichen lässt.

Solcher Nutzen ist möglich – er wird allerdings in vielfacher Weise erschwert: Geschichte verabreicht man zumeist in einzelnen Geschichten, gewissermaßen nur in „Happy-Häppchen-Form“. Selten wird erkundet oder dargestellt, wie Details sich miteinander verbinden, wie eine Schau vom Teil hin zum Ganzen wachsen kann, wie ein in sich geschlossenes Geschichtsverständnis entstehen sollte. Geschichtspolitik betreibt Umdeutung, Verkennung oder in manchen Fällen auch direkte Fälschung gegebener Inhalte. Dies spiegelt sich auch in verwendeter Sprache und Methodik. Oft hat es den Anschein, dass historische Ereignisse in „Als-ob-Welten“ schweben, auch wenn behauptet wird, man wolle sie „verlebendigen“.xv

So jedenfalls erfolgt wenig wissenschaftliche Aufklärung über Geschehenes, so werden vor allem entscheidende Ursachen und gewichtige Kausal-Zusammenhänge kaum behandelt, geschweige denn erläutert. Oft handelt es eher um pure Unterhaltung, um eine als „Histotainment“ bezeichnete Medialisierung von Geschichte. Fiktion wird zur Wirklichkeit stilisiert, die Grenze zwischen vorgestellter und realer Wirklichkeit verschwimmt oder geht verloren. Der Schriftsteller Christoph Hein berichtete vor kurzem, Studenten hätten gelegentlich gemeint, es sei falsch, die DDR differenziert zu betrachten, man habe die Realität doch im Film „Das Leben der Anderen“ gesehen …xvi

Ich wage zu behaupten, dass sich auch mit geschichtspolitischer Hilfe erneut ein nationalkonservativ und völkisch gefärbter und letztlich auch friedenfeindlicher „Zeitgeist“ auszubreiten vermag.

War das nicht beispielsweise schon so im Umgang mit dem 100. Jahrestag des Kriegsbeginns von 1914? Da dominierte ja die These, „Schlafwandler“ hätten im hektischen Hin und Her diplomatischer Schachzüge nervös agiert und das Grauen des neuen Krieges nicht vorhersehen können. Blind und von Albträumen geplagt seien die Akteure gewesen.xvii Ein auslösendes Moment wird als Kriegsursache interpretiert, der Krieg also auf unzulängliches Überlegen und Vorausschauen, auf empfindsames Reagieren und ängstliches Handeln zurückgeführt. Den Handelnden wird letztlich Somnabulismus attestiert, so jene Fakten verbergend, die belegen, dass Kriege vor allem aus gesellschaftlichen Verhältnissen, aus kapitalistischer Konkurrenz und imperialistischer Geostrategie resultieren. Die Palette der gesellschaftlichen Übel, die demzufolge ebenso nicht zu untersuchen wären, lässt sich leicht erweitern: Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeit, Naturzerstörung, nicht zuletzt auch der Faschismus …

Im Grunde geht es solcher Art von Geschichtspolitik – ganz im Sinne des heute dominierenden Zeitgeistes – um die Schaffung von positiven, der Wirklichkeit entgegengesetzten Selbstbildern, mehr noch um ihre zeitgemäße Anpassung an sich verändernde Verhältnisse und politische Erfordernisse, welche auch die jeweils nutzbaren Fremd- und Feindbilder einschließen. Computersprachlich könnte man vielleicht es so formulieren: Ausgewählte Bilder und Datenbanken werden mit immer neuen „update-Versionen“ versehen, also mit jeweils verwendungsfähigen, nützlich erscheinenden Ergänzungen. In vielerlei Varianten werden der Gegenwart entweder glänzend polierte oder schmutzig-abschreckende Geschichtsfolien unterbreitet. Vorhandene Deutungen werden in vorgegebene Bahnen von „Mehrstimmigkeit“ und irreführender Verschwommenheit modifiziert.

Worin kann aber das Ergebnis bestehen? Wohl kaum in wünschenswerter Erinnerungskultur – nach meiner Auffassung eher in der Rechtfertigung eines „Koste-es-was-es-wolle“-Denkens, in der Ausbreitung sozialer Kälte und zunehmendem Demokratie-Abbauxviii, ganz abgesehen von eiferndem Überwachungswahn und neuerlicher Kriegsrechtfertigung. Dazu passt eine zunehmende „Ent-Ökonomisierung“ von Politik, erst recht aller gesellschaftlicher Ursachen und Zusammenhänge bei gleichzeitiger Mystifizierung der „Märkte“, des Geldes usw. Man könnte auch von „Ent-Kapitalisierung“ sprechen, genauer von Entlastungskampagnen zugunsten des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das von dem bekannten Schweizer Soziologen Jean Ziegler als ein „Imperium der Schande“ charakterisiert wird.xix

Zu dieser „Schande“ gehören auch ein überbordender, von völkischem (Un)Geist geprägter Nationalismus sowie schlimme Tendenzen einer Re-Nationalisierungspolitik, welche die Basis bieten für hasserfüllte, aktionsbereite Fremdenfeindlichkeit und zunehmendes rassistisches Verhalten.

Auch für die Abwehr solcher Erscheinungen hilft ein Blick in die Geschichte. Als untereinander konkurrierende Nationalstaaten entstanden, tauchten zugleich sowohl ein durchaus positiv zu nennendes, den gesellschaftlichen Zusammenhalt beförderndes Nationalgefühl als auch Nationalismus und Chauvinismus auf, alles nationales Denken maßlos übersteigernd. Da wurde in der Nation kaum der Ausdruck und das Ergebnis politischer Willensgemeinschaften gesehen, man sprach eher von einem unvermeidlichen Produkt ethnischer Abstammungsgemeinschaften. Das „Blut“ in seiner als angeboren betrachteten Mischung sei die natürliche Grundlage von Nationen, hieß es. Mit dem Ringen um die Erhaltung solcher Staaten, noch mehr aber um eine Ausweitung ihrer Grenzen bot sich damit jedoch hinreichend ein Nährboden für Kriege, in denen die einen Rohstoffe, Länder und Ausbeutungspotentiale gewinnen wollten, die anderen dafür Heimat und Habe sowie ihr Leben zu verlieren hatten.

Für Kriege fanden sich so hinreichend „Argumente“, entnommen einem sozialdarwinistisch-rassistischen Weltbild, das sich im Grunde gegen die bekannten Freiheits-, Egalitäts- und Brüderlichkeitsforderungen der Französischen Revolution von 1789 und des aufsteigenden Bürgertums richtete.

Nie kam man dabei ohne Rassismus aus, dessen Frühformen zumeist in mythischen und religiösen Zusammenhängen entstanden waren, der jedoch mit dem wachsenden Nationalismus besonders seit Ende des 18. Jahrhunderts ideologisch und politisch an Bedeutung gewann. Er breitete sich im Kontext des weltweiten Kampfes um Rohstoffgebiete, Exportmärkte und Kapitalanlagesphären wie ein Krebsgeschwür aus und diente als Rechtfertigung für die kolonialistische Unterwerfung anderer Völker. Für Deutschland, das als Kontinentalmacht zunächst um die Vormachtstellung in Europa rang, weil es Weltmacht werden wollte, schien sich anzubieten, jüdische Menschen als Sündenböcke für alle Übel der Welt zu diskreditieren. Zugleich bot der Rassismus eine Möglichkeit, „Erbfeindschaften“ zu postulieren, slawische Völker in die Kategorie der „Minderwertigen“ einzuordnen, vor einer „gelben Gefahr“ zu warnen usw. usf.

Aber auch hier wissen wir aus schlimmer Erfahrung: Für ihre rassistischen Zwecke konnten die Nazifaschisten jene weit verbreiteten Auffassungen nutzen, denen zufolge die Welt und damit auch ihre Vergangenheit prinzipiell undurchschaubar sei, jene Behauptungen, dass die Menschen schicksalhaft gebunden wären an die „Natürlichkeit“ von triebhafter Gier, frei nach dem Motto, alles sei nun einmal so seit Kain den Bruder Abel erschlug. Und sie nutzten nicht zuletzt auch die allgemeine Akzeptanz eines letztlich rassistischen Denkens, welches das Leben ausschließlich als „Kampf ums Dasein“ deutet, welches das sogenannte „Recht des Stärkeren“ sowie Kriege als angeblich unabänderliche Erscheinung menschlichen Zusammenlebens nicht kritisch hinterfragt.

* * *

Die Losung „Nie wieder Krieg!“ paarte sich im April 1945 folgerichtig mit dem Schwur „Nie wieder Faschismus!“, geleistet von jenen, die mutig für ihre Befreiung gekämpft hatten. Couragiertes Ringen um rechtzeitige Verhinderung von Kriegen oder um deren rasche Beendigung stellt seitdem ein zentrales Anliegen von Menschlichkeit, von Menschenrecht und Menschenwürde dar – heute wie gestern.

Das Wort „gestern“ meint die Zeit vor 1945, blickt man aber auf die Gegenwart, da wäre eher zu sagen: Heute wieder mehr als gestern. Vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten haben sich erschreckende Veränderungen vollzogen. Es sind neue Kriege entfesselt worden, es hat sich die Bandbreite der Kriegstypen erweitert. Wieder spekulieren Kriegswillige mit dem Einsatz autonomer und atomarer Waffen, unabsehbare Folgen militärischer Einsätze aller Art billigend in Kauf nehmend, eine von „künstlicher Intelligenz“ gesteuerte Kriegführung hemmungslos befördernd.xx Auf dem Vormarsch befindet sich ein „autoritärer Nationalradikalismus“ – ein Begriff übrigens, den der Soziologe Wilhelm Heitmeyer an die Stelle des schwammigen und lediglich Politikmethoden bezeichnenden Wortes Rechtspopulismus gesetzt wissen will.xxi In der Tat, mit ihm lassen sich lediglich Methoden von Politik, sowohl aber kaum deren gesellschaftliche Grundlagen oder gar die spezifischen Inhalte rechtslastiger erfassen.

Dem gilt es entgegen zu wirken. Daher plädiere ich – wie eingangs bereits gesagt – für eine neue Erinnerungskultur demokratischer, antirassistischer und friedliebend-antimilitärischer Prägung.

Nach meinem Verständnis wäre dies ein Antifaschismus des 21. Jahrhunderts, ein kritisch reflektierter, ein erweiterter und fortführender. Denn auch er muss in neuen Zeiten sich neue Fragen stellen, z.B., die, ob nicht manches in der Welt von heute noch viel größere Risiken in sich birgt als jene damals von Faschisten über die Welt gebrachten? Sind heute nicht noch furchtbarere und globalere Folgen für die Menschheit denkbar, etwa die eines dritten bzw. vierten Weltkrieges, von Kriegen um Rohstoffe, Wasser und Nahrungsmittel, geführt mit modernisierten Massenvernichtungs­waffen? Fast schlimmer noch die Frage, wohin die zum Teil bewusst vorangetriebenen Differenzierungsprozesses zwischen Arm und Reich führen können? Lapidar hieß es im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“, man könne „kaum noch eine Zukunftsvision für alle formulieren.“xxii Für wen also darf es diese nur geben? Und was besagt es eigentlich, wenn Wilhelm Heitmeyer auf das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage verweisen musste, der zufolge 61 Prozent der Befragten beklagen würden, „dass man zu viele Schwache mitschleppe“?xxiii In irgendeiner der weiteren großen Krisen – und die werden gewiss kommen – könnte es dann nicht nur um die existenzielle Unsicherheit einzelner Völker, sondern um menschliches Dasein generell gehen?xxiv

Zu streiten wäre also mit aller Kraft und gemeinsam gegen ein mögliches „Morgen“, das ein „Gestern“ nicht nur wiederholen, sondern in andere und alles Leben bedrohende Untiefen führen würde! Die Barbarei im Umgang von Menschen mit „anderen“ Menschen – gleich ob als rassisch definiert, als dumm diffamiert oder als sozial minderwertig und entbehrlich angesehen – sie könnte ein also neues, dann wohl aber endgültiges Maximum finden.

 

Doch das führt über bisher Gesagtes hinaus, zumal ein Historiker kein Hellseher, kein Wahrsager oder gar ein Prophet sein kann. Schließen aber will ich mit einem Hoffnung weckenden Zitat. Es entstammt der Feder des Dichters Friedrich Hölderlin und lautet: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

Erinnern an Faschismus und Krieg, erinnern an deren Opfer und an die, die diese bekämpften – darin können bemerkenswerte Aspekte rettender Hilfe für unsere menschenwürdige Zukunft gesehen werden!

 

 

1 Text einer aus Zeitgründen am 14. April 2019 nur teilweise gehaltenen Rede beim „X. Treffen der Nachkommen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora“ anlässlich des 74. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald.

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Anmerkungen

Beispielsweise erklärte die Politologin Anna Stiede am 23.03.2019 in Leipzig: „Die wichtigste weltweite Bewegung gegen rechts ist der Feminismus.“ Zit. nach „neues deutschland“, 25.03.2019, S. 23.

ii Am Ende des von Kurt Pätzold und mir verfassten Bandes „Geschichte der NSDAP 1920-1945“ (Köln 1998, S. 520 f.) schrieben wir: „Einmal gewonnene geschichtliche Erfahrungen, Herrschaftserfahrungen zumal, gehen im Verlauf der Geschichte nicht einfach verloren […] das zunächst abgewiesene Erbe des Faschismus wird an anderer Stelle längst auf seine Verwendbarkeit schon durchgesehen und sortiert, und seine Teilstücke sind unter anderem Namen in der Erprobung.“

iii Rosa Luxemburg: Nationalversammlung oder Räterepublik? In: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 461.

iv Zit. nach Lexikon zur Parteiengeschichte 1789-1945, Bd. !, Leipzig 1983, S. 33.

v Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 50, Januar 1930, S. 6.

vi Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 48, Oktober 1929, S. 36 f.

vii Berliner Lokal-Anzeiger,26. und 28. August 1928.

viii Deutsche Rechtsgeschichte in Dokumenten 1849-1934, Bd. III, Berlin 1934, S. 82.

ix Siehe die offiziellen Unterlagen der Debatten in der Sitzungswoche des Deutschen Bundestages vom 3.-5. April 2019.

x Étienne de La Boëtie: Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen (1550).

xi Dazu schreibt der Münchener Historiker Andreas Wirsching: „Ziel ist das autonome, marktbereite, arbeitende Individuum, das sich befreit hat von Bindungen, Traditionen und persönlichen Loyalitäten; das stets bereit ist, in die eigene Arbeitskraft zu investieren und zugleich die Risiken dieses Investments selbst trägt. In: Andres Wirsching, Berthold Kohler und Ulrich Wilhelm (Hrsg.): Weimarer Verhältnisse? Historische Lektionen für unsere Demokratie, Bonn 2018, S. 114.

xii Simon Schaupp: Digitale Selbstüberwachung. Self-Tracking im kybernetischen Kapitalismus, Heidelberg 2016, S. 296.

xiii Zu den Belegen siehe Manfred Weißbecker: „Schüsse ins Gehirn“ – alte und neue Schlagwörter in unserer Zeit. In: Konservative Perspektiven im neoliberalen Zeitalter. Hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e.V., Jena 2005, S. 45-53.

xiv Auf die Entwicklung von einzelnen „schnellen Schüssen ins Gehirn“ hin zu einem medialen Dauerfeuer macht aufmerksam Rainer Gries. Siehe Thüringische Landeszeitung, 10.05.2014.

xv In überwiegend unguter Erinnerung bleiben z.B. jene monumental angelegten Filmproduktionen, die sich der jüngsten Geschichte bedienen, darunter „Der Untergang“, „Dresden“, „Die Flucht“, „Die Gustloff“, „Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei“, „Der Tunnel“, „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, „Die Prager Botschaft“, „Babylon“, „Charité“ u.a.am.

xvi Christoph Hein: Gegenlauschangriff. Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Krieg, Berlin 2018.

xvii Siehe Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, Berlin 2013.

xviii Zu verweisen wäre auf eine Theodor W. Adorno zugeschriebene Äußerung: „Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske des Faschismus, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokratie.“

xix Jean Ziegler: Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, München 2005.

xx Hier wäre auf die These Wolfgang Fritz Haugs zu verweisen, dass die kriegerische Außenpolitik westlicher Staaten in deren Innern mit einer Faschisierung der Gesellschaft einhergehe. Siehe Mirko Knoche: Terror und moderner Faschismus. Antirepressionskongress in Hamburg – Forscher diskutierten. In: Neues Deutschland, 13.10.2010, S. 15.

xxi Wilhelm Heitmeyer: Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung, Berlin 2018

xxii Tillmann Prüfer: Wir erleben gerade eine technische Revolution des Wohnens. Aber von Zukunftseuphorie ist in der Gesellschaft nichts zu spüren. Stimmt etwas nicht mit uns? In: Die Zeit. Zeitmagazin vom 16.10.2014, S. 23 f.

xxiii Siehe Neues Deutschland, 21.10.2010, S. 2.

xxiv Wilfried Bommert behauptet in seinem 2010 erschienenen Buch „Kein Brot für die Welt. Die Zukunft der Welternährung“ lakonisch: „Wir sind zu viele Menschen auf dieser kleinen Erde.“