An den geeinten Protest gegen die Nazis am 16. Oktober 1932 erinnert

15. Oktober 2019

    Auf dem Nordmarkt in Dortmund wurde am 13. Oktober der Opfer des Polizeieinsatzes von Karl Zörgiebel gedacht. Ulrich Sander schlug in seine Rede eine Brücke von damals zu heute und von den antisemitischen Aufmärschen der Dortmunder Nazis zum antisemitischen Terror von Halle. Er kritisierte die Verwaltung der Stadt Dortmund, die Ratsbeschlüsse nicht umsetzt, und vor allem die Justiz und ihre Tatenlosigkeit im Umgang mit den Rechtsaußen. Die für den 14. Oktober geplante Nazidemo in Dortmund, die erste nach den Morden von Halle, gelte es zu verhindern.

Sander führte aus: Verehrte Anwesende, Freund/innen und Genoss/innen.

Das Jahr 1932 sah viele Höhepunkte im Streben der Nazis, mit Hilfe der bürgerlichen Rechten, des Militärs und der Wirtschaft die Macht zu erringen. Vor allem mit Terror. Schon im Januar 1932 wurden in Dortmund im Wahlkampf von den Nazis der junge Kommunist Willi Jäger und der junge Katholik Josef Geise ermordet.

Wenige Monate später erfolgte am 20. Juli 1932 der „Preußenschlag“. Die Preußische Regierung wurde putschartig abgesetzt, es gab keine SPD-Minister mehr im ganzen Reich. Die SPD zog sich kampflos zurück. Sie verlor auch alle ihre Polizeipräsidenten – bis auf Karl Zörgiebel, den Dortmunder Polizeipräsidenten. Er war der verantwortliche für den „Blutmai“ von 1929 in Berlin. Das Verbot des 1. Mai sollte durchgesetzt werden. Wer den TV-Film „Berlin-Babylon“ gesehen hat, weiß wie es endete. Die 200.000 demonstrierenden Arbeiter wurden von der Polizei beschossen. Der Terror der vom SPD-Politiker Zörgiebel kommandierten Polizei forderte 31 Tote, hunderte Verletzte, und es wurden 1200 Demonstranten eingesperrt.

Seine Dortmunder Opfer ehren wir heute hier. Zörgiebel wurde 1933 kurz eingesperrt, er bekam keinen Dank der Nazis, denen er doch hier am Nordmarkt geholfen hatte. Nazis sind undankbare Leute. Wenn ihnen einer mit dem blinden Auge rechts hilft, dann schlagen sie dem auch noch das linke aus.

Und wir ehren den hier ermordeten Demokraten, der hier 1920 erschossen wurde, weil er verdächtigt wurde, sich mit anderen militärisch gegen den reaktionären Kapp-Putsch gestellt zu haben. Wir ehren Opa Wille, wie er genannt wurde, der hier von der SA totgeschlagen wurde, weil er nicht die Hakenkreuzfahne grüßen wollte.

Am 16. Oktober 1932, vor 87 Jahren, zog eine ca. 800köpfige SA-Formation in einem Propagandamarsch zum Nordmarkt. Die braunen Uniformträger fordern damit die in der Nordstadt stark vertretene kommunistische Organisation „Kampfbund gegen den Faschismus“ und das sozialdemokratische “Reichsbanner“ heraus. Es kommt zur sogenannten „Schlacht am Nordmarkt“ zwischen SA, Arbeitern und der Polizei. Opfer der Polizeikugeln werden allerdings unbeteiligte Anwohner und Passanten: Eine Mutter in ihrer Wohnung und ein ahnungsloser Kirchgänger. 14 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Dies Mahnmal auf der Südseite des Platzes erinnert heute an die Naziprovokation.

In diesen Wochen darf die Naziszene von Dortmund hier auf dem Nordmarkt jede Woche ungestört aufmarschieren. Die Losungen der Nazis bei ihren Aufmärschen sind diese: „Israel ist unser Unglück“ oder „Palästina hilf uns doch, Israel gibt es immer noch“. Sie rufen auch: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“. Diese antisemitische Hetze bleibt folgenlos, was Ermittlungen durch die Justiz anbelangt. Sie bleibt nicht folgenlos, wenn wir an Halle denken. Zu Recht wird jetzt oft gesagt: Erst kommt die Hetze per Worte, dann kommen die Morde mittels Waffen. Es ist eine terroristische Szene herangewachsen – denn solche Sprüche führen zu Taten wie jetzt am höchsten jüdischen Feiertag. Der Täter Stephan Balliet (27) war bestens bewaffnet, war vernetzt und hat seine Ausbildung bei der Bundeswehr erhalten. Er war kein Einzeltäter. Die beiden Morde des Terroristen von Halle reihen sich ein in die Reihe der 200 seit 1990 von Nazis Ermordeten. Hunderte schwerbewaffnete „Reichsbürger“ stehen bereit zu neuen Verbrechen der Rechten.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte noch mehr Aktivitäten der Justiz gegen Rechtsextremismus an.Doch was tat die Justiz bisher? Es war fast nichts zu bemerken. Menschen, die auf Todeslisten der Rechten stehen, werden von Polizei und Justiz nicht gewarnt. Zu Zeiten der RAF hingen die Steckbriefe an jeder Tankstelle, heute, zu Zeiten des Rechten Terrorismus werden 501 Haftbefehle gegen Nazis nicht vollstreckt, die Verbrecher laufen frei herum, und kein Steckbrief fordert die Bevölkerung zur Mithilfe auf.

Die Dortmunder Polizei kommt uns am Freitag mit einem Sprachgeschwurbel, um mitzuteilen, das gegen Naziaufmarsch vom Montag nichts unternommen werden könne. Ein Verbot wagt man nicht.

Diese und noch andere Vorgänge in unserer Stadt sind besorgniserregend. Ich verweise auf die schwindende Erinnerung an die Eingabe der Industriellen und Bankiers an Präsident Hindenburg, Hitler an die Macht zu bringen, sie wurde am 19. November 1932 Hindenburg überreicht. Das war einen Monat nach dem Marsch der Nazis hier auf dem Nordmarkt vom Oktober 1932. Die Verwaltung beabsichtigt, den Raum 7 in der Gedenkstätte Steinwache abzuschaffen, der bisher das Motto hatte: „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler.“ Und seit acht Jahren ist beschlossen mit einer Tafel in Eving in der sogenannten Kirdorf-Siedlung über den Namensgeber, den Hitler-Finanzier und Bergbauindustriellen Emil Kirdorf aufzuklären. Wo ist die Tafel gegen Kirdorf, fragen wir immer wieder vergeblich.

Was sagt der Rat dazu, dass die Verwaltung einfach nicht das tut, was er beschlossen hat? Und auch die geplanten Veränderungen in der Steinwache werden ohne Zustimmung des Rates vorgenommen. Von dem beschlossenen Mahnmal für die Zwangsarbeiter am Phönixsee ist noch immer nichts zu sehen.

Nichts zu erfahren ist auch, wann die Dortmunder Justiz gedenkt, das Dortmunder Geschehen um die NSU-Morde aufzuklären. Was geschieht um die geheime Organisation Combat 18 – also: Kampfgruppe Adolf Hitler – in Dortmund und das Terrornetzwerk blood and honour zu beseitigen? Was wird unternommen, um die Partei „Die Rechte“ aufzulösen, die eine illegale Nachfolgeorganisation des verbotenen Nationalen Widerstandes ist?

Was wird getan, um in NRW faschistische Bürgerwehren zu bekämpfen, die sich als neue SA durch die Städte bewegen?

Auf die Urteilsverkündung im NPD-Prozess vom 17. Januar 2017 in Karlsruhe setzten wir durchaus Hoffnungen. Doch das Bundesverfassungsgericht beschloss: Die NPD bekämpft die verfassungsmäßige Ordnung, wirkt in Nachfolge der NSDAP, aber sie wird nicht verboten, weil zu unbedeutend. Das Urteil erweist sich als Freibrief für Nazis, ihre Organisationen werden seit dem nicht mit einem Verbot bedroht. Es kommt zum Aufschwung der gewalttätigen Rechten, es kommt zu Chemnitz, zu Kassel, nun zu Halle. Es kommt zum rechten Terror. Verbote von Nazidemos werden fast unmöglich und von Polizeipräsidenten nicht mehr angestrebt.

Die AfD eilt von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Ihr Einfluss nimmt zu im parlamentarischen wie außerparlamentarischem Raum. In der CDU entwickelt sich eine starke Minderheit für Koalitionen mit AfD.

Doch statt dagegen wirkungsvoll vorzugehen, wird der Verfassungsschutz ausgebaut, der große Mitverantwortung an der besorgniserregenden Entwicklung trägt. Der Verfassungsschutz betreibt dreist Erinnerungspolitik in Schulen und Gedenkstätten, indem er dafür sorgt, dass keine Fördermittel an antifaschistische Initiativen fließen, die ihm nicht gefallen. In VS-Dokumenten wird gefordert, den Schwur von Buchenwald abzuschaffen, weil dieser gegen den Kapitalismus und damit gegen die freiheitliche Demokratie gerichtet sei. Landesregierungen gehen gegen die VVN-BdA vor, der der Gemeinnützigkeitsstatus aberkannt werden soll, weil sie ihm bayerischen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch beeinflusst dargestellt wird. Dass der Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist – das darf in Nordrhein-Westfalens Schulen nicht gelehrt werden, wenn es nach den Schriften geht, die die Landesregierung in die Schulen entsendet. Dieselbe Landesregierung setzte ein neues Polizeigesetz durch, das wichtige Grundrechte der Bürger außer Kraft setzt und gefährliche Waffen gegen Demonstranten sowie den Ausbau des Beschnüffelungsapparats vorsieht.

Wir erleben Immer wieder politisches Handeln, wie es die AfD nicht schlimmer machen könnte. Besonders in Teilen der CDU/CSU und in der FDP ist die Fremdenfeindlichkeit, das Wirken gegen die vor Krieg und Not Geflüchteten zu Hause. Bundeswehroffiziere übernehmen hohe Funktionen in der AfD. Die Reservistenvereinigungen stellen ein gefährliches, verborgenes Potential für die militärischen Einsätze im Inneren und die Unterstützung der Rechten bereit. Die Dortmunder linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke berichtete kürzlich vom geheimen Zusammenspiel von Geheimdiensten, Bundeswehr, Polizei sowie Reservistentruppen. „Es gäbe unzählige weitere Beispiele für diesen braunen Sumpf aus Nazis und Geheimdienst“, sagte sie. „Vergessen wir nicht: bis vor einem Jahr stand mit Hans-Georg Maaßen ein Mann an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes, der aus seiner Nähe zu AfD-Positionen keinen Hehl macht. In Bundeswehr und Polizei werden mit schöner Regelmäßigkeit rechtsextreme Vorfälle entlarvt – und sofort wieder als vermeintliche Einzelfälle verharmlost.“ Auf eine solche Polizei und einen solchen Staat ist wahrlich kein Verlass im Kampf gegen Neonazismus und Faschismus! Da müssen wir schon selbst aktiv werden!

Wohin geht die Rechtsentwicklung? Sie steht an einem Punkt, da man sagen muss: Sie muss hier und heute gestoppt werden.

Zum Ernst der Lage und zur Notwendigkeit breiter Bündnisse noch dies: Erich Kästner hat 1958 in Hamburg anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung eine Rede gehalten, in der es heißt: »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. (…) Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.«

SPD und KPD nach schworen sich nach 1933: Schaffen wir die Einheit. Leider sind wir davon weit entfernt. Dennoch gilt auch heute: Das gemeinsame Handeln ist lebensnotwendig!

Es geht um breiteste Bündnisse – besonders vor Ort – gegen den Naziterror.

Wir brauchen das Zusammengehen von Friedens- und Demokratiebewegung sowie Umweltschutzbewegung. Sie sollten sich als kapitalismuskritische und antimilitaristische Bewegung verstehen. Gegen den Bundeswehreinsatz im Innern, gegen die geheimen Bünde der Reservisten.

Wir wenden uns mit der dringenden Bitte an den Oberbürgermeister und den Rat der Stadt, gemeinsam mit Justiz und Polizei weitere Nazi-Aufmärsche auf unseren Straßen und Plätzen mit allen politischen und rechtlichen Mitteln zu unterbinden und die richtige Erkenntnis durchzusetzen: „Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren“ (OVG NRW Az 5 B B 585/01). Das beschloss das Oberverwaltungsgericht von NRW dereinst. Es gilt daran zu erinnern.

 

Anmerkung: Veranstalter der Kundgebung war die DKP Gruppe Dortmund-Nord. Redner Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA.