Ein Bericht aus Dortmund Ungewöhnliche Kritik der Polizei an der Justiz
23. Oktober 2019
Schon seit Mitte September marschiert die angebliche Partei „Die Rechte“ mit Anhang durch Dortmund, zumeist durch den migrantisch geprägten Dortmunder Norden. Sie haben vor, bis Weihnachten ihre Provokationen fortzusetzen. Als wir gestern (21.10.) in unserem Zentrum in der Braunschweigerstr. 22, in der Nordstadt, Archivarbeit für die VVN-BdA leisteten, wurde uns ein Flugblatt aus dem Kreis der Nachbarn überbracht, in dem sie sich bestürzt zeigten, dass so wenig antifaschistischer Widerstand in der Nordstadt und damit Solidarität gezeigt wird. Allerdings gibt es regelmäßig Gegendemos, an denen auch die VVN-BdA beteiligt ist, jedoch zumeist nicht in der Nordstadt. Regelmäßig wird auch gegen einen Nazi-Klamotten verkaufenden Laden am Brüderweg protestiert. Auch an diesem Montag gingen wir gegen die Nazis an.
Über unsere gestrige Demo berichtet die Polizeipressestelle indirekt, die Protestaktion war aber sehr massiv. Eine sehr große Menschenmenge schützte die Gedenkstätte Steinwache und rückte bis auf wenige Meter an die Nazis heran, die vor der Arbeitsagentur massiv von der Polizei geschützt wurde. Diese berichtete am 21.10.2019 um 22:05 Uhr:
„Wie bereits berichtet, fand auch am heutigen Montag (21.10.2019) ein rechtsextremistischer Aufzug in der Dortmunder Nordstadt statt. Die Polizei hatte erneut ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, dass die Rechtsextremisten bzw. deren Versammlung keinen direkten Bezug zu Orten bekommen, an denen Mahnmale und Gedenkstätten an die Opfer nationalsozialistischer und rechtsextremer Gewalt erinnern. Mit dem Ansinnen, die antisemitische Parole ‚Nie wieder Israel‘ per versammlungsrechtlicher Auflage zu verbieten, konnte sich die Dortmunder Polizei beim Verwaltungsgericht und beim Oberverwaltungsgericht nicht durchsetzen. Damit ist der Rechtsweg ausgeschöpft. Das muss so akzeptiert werden. Die heutigen Versammlungen verliefen weitestgehend störungsfrei.“ (Quelle: Polizeipressestelle)
Am vorigen Montag 14.10. fanden zahlreiche Aktionen gegen die Nazis statt. Die Menschen waren empört, dass nach Halle Dortmund Schauplatz des ersten Naziaufmarsches sein durfte. Tags zuvor wurde am Nordmarkt protestiert:
„Auf dem Nordmarkt in Dortmund wurde am 13. Oktober der Opfer des Polizeieinsatzes von Karl Zörgiebel von 1932 gedacht. Ulrich Sander schlug in seine Rede eine Brücke von damals zu heute und von den antisemitischen Aufmärschen der Dortmunder Nazis zum antisemitischen Terror von Halle. Er kritisierte auch die Verwaltung der Stadt Dortmund, die Ratsbeschlüsse nicht umsetzt, und vor allem die Justiz und ihre Tatenlosigkeit im Umgang mit den Rechtsaußen. Die für den 14. Oktober geplante Nazidemo in Dortmund, die erste nach den Morden von Halle, gelte es zu verhindern.“
Pressemitteilung von einer der Dortmunder Demos am 14. Oktober:
Fast 2000 Menschen sind Montag, 14. Oktober, auf die Straße gegangen, um der Opfer von Halle zu gedenken und den Aufmarsch der Rechtsextremen vier Tage nach den Anschlägen von Halle Widerstand entgegenzusetzen. Gemeinsam mit allen stadtweiten Bündnissen gegen Rechtsextremismus hat der Arbeitskreis Dortmund gegen Rechtsextremismus deutlich gemacht, dass Rechtsextremismus zu Gewalt und Tod führten. Der Arbeitskreis fordert ein Verbot von rechtsextremistischen Hass- und Gewaltaufmärschen. „Wir wollen nicht mehr aushalten müssen, wie Neonazis mit ihren Aufmärschen in den Stadtteilen, wie jetzt seit Wochen in der Nordstadt, Menschen einschüchtern dürfen“, heißt es in einem Aufruf, der für Montag, 21. Oktober, um 19.15 Uhr eine Mahnwache vor dem NSU-Mahnmal ankündigt. „Wir wollen nicht mehr zusehen müssen, wie die Dortmunder Rechtsextremen die NS-Ideologie praktizieren und lebendighalten“, so der Arbeitskreis. (aus: Stadtanzeiger Dortmund 19.10.19, der mit den letzten beiden Sätzen schon die Kritik der Nordstadtbewohner, siehe oben, berücksichtigt.)
Von der VVN-BdA Dortmund wurde dies veröffentlicht: Kritik an Justiz und Verwaltung in Dortmund
Bei einem Gedenken an die Opfer des 16. Oktober 1932 (Polizeieinsatz zur Durchsetzung eines SA-Aufmarsches in der Nordstadt) führte Ulrich Sander (VVN-BdA) an der Stele am Nordmarkt (am 13.10.) aus:
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte noch mehr Aktivitäten der Justiz gegen Rechtsextremismus an. Doch was tat die Justiz bisher? Es war fast nichts zu bemerken. Menschen, die auf Todeslisten der Rechten stehen, werden von Polizei und Justiz nicht gewarnt. Zu Zeiten der RAF hingen die Steckbriefe an jeder Tankstelle, heute, zu Zeiten des rechten Terrorismus werden 501 Haftbefehle gegen Nazis nicht vollstreckt, die Verbrecher laufen frei herum, und kein Steckbrief fordert die Bevölkerung zur Mithilfe auf. Die Dortmunder Polizei kam uns am Freitag mit einem Sprachgeschwurbel, um mitzuteilen, dass gegen die antisemitischen und rassistischen den Naziaufmärsche nichts unternommen werden könne. Ein Verbot wagt man nicht. Diese und noch andere Vorgänge in unserer Stadt sind besorgniserregend. Ich verweise auf die schwindende Erinnerung an die Eingabe der Industriellen und Bankiers an Präsident Hindenburg, Hitler an die Macht zu bringen; sie wurde am 19. November 1932 Hindenburg überreicht. Das war einen Monat nach dem Marsch der Nazis hier auf dem Nordmarkt vom Oktober 1932. Die Verwaltung
beabsichtigt, den Raum 7 in der Gedenkstätte Steinwache abzuschaffen, der bisher das Motto hatte: „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler.“ Und seit acht Jahren ist beschlossen mit einer Tafel in Eving in der sogenannten Kirdorf-Siedlung über den Namensgeber, den Hitler-Finanzier und Bergbauindustriellen Emil Kirdorf aufzuklären. Wo ist die Tafel gegen Kirdorf, fragen wir immer wieder vergeblich.
Was sagt der Rat dazu, dass die Verwaltung einfach nicht das tut, was er beschlossen hat? Und auch die geplanten Veränderungen in der Steinwache werden ohne Zustimmung des Rates vorgenommen. Von dem beschlossenen Mahnmal für die Zwangsarbeiter am Phönixsee ist noch immer nichts zu sehen. Nichts zu erfahren ist auch, wann die Dortmunder Justiz gedenkt, das Dortmunder Geschehen um die NSU-Morde aufzuklären. Was geschieht um die geheime Organisation Combat 18 – also: Kampfgruppe Adolf Hitler – in Dortmund und das Terrornetzwerk blood and honour zu beseitigen? Was wird unternommen, um die Partei „Die Rechte“ aufzulösen, die eine illegale Nachfolgeorganisation des verbotenen Nationalen Widerstandes ist? Was wird getan, um in NRW faschistische Bürgerwehren zu bekämpfen, die sich als neue SA durch die Städte bewegen? Auf die Urteilsverkündung im NPD-Prozess vom 17. Januar 2017 in Karlsruhe setzten wir durchaus Hoffnungen. Doch das Bundesverfassungsgericht beschloss: Die NPD bekämpft die verfassungsmäßige Ordnung, wirkt in Nachfolge der NSDAP, aber sie wird nicht verboten, weil zu unbedeutend. Das Urteil erweist sich als Freibrief für Nazis ihre Organisationen werden seitdem nicht mit einem Verbot bedroht. Es kommt zum Aufschwung der
gewalttätigen Rechten, es kommt zu Chemnitz, zu Kassel, nun zu Halle. Es kommt zum rechten Terror. Verbote von Nazidemos werden fast unmöglich und von Polizeipräsidenten nicht mehr angestrebt. Seien wir wachsam! Kein Naziaufmarsch in Dortmund darf zugelassen werden!
Ulrich Sander, für die VVN-BdA