11. Oktober 2022
Wie bereits (hier klicken) dargestellt, hat die Realschule Stadtmitte in Mülheim an der Ruhr es abgelehnt, ein Mitglied der VVN-BdA Mülheim Schülerinnen und Schüler durch die Ausstellung der VVN-BdA „Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933-1945“ führen zu lassen. Nachfolgend dokumentieren wir die abschließende Erklärung der VVN-BdA Mülheim vom 22.09.2022 zu den Vorgängen, die nach den Worten von Karl-Heinz Zonbergs „an die Zeiten des McCarthyismus in den USA (erinnern), in denen Andersdenkende pauschal diskriminiert wurden, ohne dass dabei überprüfbare Fakten noch eine Rolle gespielt hätten“. Erst nach der Abfassung der Stellungnahme wurde durch eine Presseveröffentlichung bekannt, dass CDU und Bündnis 90/Die Grünen der Schulleitung „für die mutige und kontroverse Entscheidung“ danken (vgl. WAZ/NRZ vom 29.09.2022).
Abschließende Erklärung der VVN-BdA Mülheim an der Ruhr zur Durchführung der Ausstellung »Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933-1945« in der Realschule Stadtmitte
Sehr geehrte Frau Dilbat,
bei unserem Gespräch am 21. September zwischen der Schulleitung der Realschule Stadtmitte und Vertreter:innen des Kollegiums sowie der VVN-BdA Mülheim an der Ruhr haben Sie uns Ihre Sicht der Dinge geschildert. Demnach sei Ihr Handeln ausschließlich darauf gerichtet gewesen, den Schulfrieden zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Dieser sei gestört worden durch Aussagen zur Person und der Parteizugehörigkeit von Frau Ketzer aus einer, auch auf mehrfache Nachfragen der VVN-BdA, von Ihnen nicht näher benannten Quelle. Auch zu Fragen nach dem Inhalt dieser Aussagen erhielten wir keine Antwort. Von konkreten Handlungen oder einem Verhalten von Frau Ketzer, das geeignet gewesen wäre, auf den Schulfrieden Einfluss zu nehmen, war Ihnen nichts bekannt.
Die Sache stellt sich also so dar, dass nur aufgrund nicht genannter Aussagen einer ebenfalls nicht genannten Person dem VVN-BdA Mitglied Inge Ketzer verwehrt wurde, durch eine Ausstellung der VVN-BdA an der Realschule Stadtmitte zu führen. Oder allgemein ausgedrückt: Hier werden Restriktionen gegen eine Person ausgesprochen, ohne dafür Gründe zu benennen, außer einem unbestimmten Hinweis auf deren Parteimitgliedschaft. Dies erinnert fatal an die Zeiten des McCarthyismus in den USA, in denen Andersdenkende pauschal diskriminiert wurden, ohne dass dabei überprüfbare Fakten noch eine Rolle gespielt hätten. Es sind Zeiten, von denen man – und da beziehe ich die Realschule Stadtmitte mit ein – nicht wünscht, dass sie wiederkehren.
Das Handeln der Realschule Stadtmitte weist mit seinen Konsequenzen über den aktuellen Fall hinaus und zeigt Strukturen, die sowohl mit dem Selbstverständnis der Schule als Schule mit Courage und gegen Rassismus als auch mit dem Anliegen der Ausstellung nicht zu vereinbaren sind. Als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten steht die VVN-BdA seit ihrer Gründung für einen Antifaschismus, der niemanden ausschließt. Über Parteigrenzen hinweg und ungeachtet religiöser und sonstiger weltanschaulich unterschiedlicher Auffassungen eint sie Menschen, die sich gegen das Wiederaufleben rechten Gedankenguts stellen und sich für ein gleichberechtigtes demokratisches Miteinander einsetzen, auch aus der bitteren Erfahrung heraus, dass durch die Uneinigkeit der Hitlergegner die braune Diktatur nach 1933 leichter installiert werden konnte. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.
Ebendeshalb können wir das Verhalten der Realschule Stadtmitte nicht hinnehmen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass rechtsextremes Denken und Handeln wieder dabei ist, bis in die Mitte unserer Gesellschaft vorzudringen. Wenn wir zulassen, dass Menschen, die sich als Antifaschist:innen für Meinungsfreiheit, für Toleranz und eine demokratische – durchaus auch kontroverse – Diskussionskultur einsetzen, nach Parteizugehörigkeit und Weltanschauung sortiert werden, dass nach genehm und nicht genehm selektiert wird, verlassen wir den Konsens des demokratischen Miteinanders.
In diesem Zusammenhang sei es erlaubt, auf das Wort Pastor Martin Niemöllers zu verweisen. Niemöller war Vertreter der Bekennenden Kirche, Widerstandskämpfer und von 1938 bis 1945 inhaftiert im KZ Sachsenhausen.
»Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.«
Sehr geehrte Frau Dilbat,
in unserem Gespräch wurde Ihrerseits unmissverständlich und abschließend formuliert, dass Frau Ketzer an der Realschule Stadtmitte nicht durch die Ausstellung führen wird. Die von Ihnen angesprochene Alternative, dass eine Ihnen genehmere Person dies übernehmen könne, ist aus den bereits genannten Gründen nicht annehmbar. Aus eben diesen Gründen halten wir die Realschule Stadtmitte aktuell nicht für den geeigneten Ort, die Ausstellung zu zeigen. Wir bieten Ihnen stattdessen an, sie mit den Schüler:innen ab dem 8. November in der vier.zentrale zu besuchen. Gerne können wir dort auch Termine für Führungen vereinbaren.
Mit freundlichen Grüßen
S. Rölle
Vorsitzende der Kreisorganisation
der VVN-BdA Mülheim an der Ruhr e. V.
Karl-Heinz Zonbergs
Mitglied des Kreisvorstands