NRW-Finanzämter drohen der VVN-BdA mit Entzug der Gemeinnützigkeit – Weitere Reaktionen

31. März 2019

Die Reaktionen auf den angedrohten Entzug der Gemeinnützigkeit für die Landesvereinigung NRW und mehrere Kreisvereinigungen in Nordrhein-Westfalen sind zahlreich und von einer großen Solidarität geprägt. Medial ist das Thema Gemeinnützigkeit mit Attac verknüpft, sowie mit weiteren Bestrebungen gegen die Deutsche Umwelthilfe und inzwischen auch gegen Campact. Solidaritätserklärungen erfolgen zahlreich von Einzelpersonen, Gewerkschaften, Parteien und anderen Organisationen, hinzu kommt ein gestiegenes Interesse an einer Mitgliedschaft in der VVN-BdA.

Einzig Sandro Abbate legt im „Freitag-Blog“ am 07.03.2019 unter der Überschrift „NRW-Finanzämter drohen der VVN/BdA“ einen Schwerpunkt auf die VVN-BdA NRW. Anders als bei Attac liegt der angegebene rechtliche Grund für die drohende Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch nordrhein-westfälische Finanzbehörden in der Nennung der VVN-BdA im bayerischen Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“. Abbate schreibt: „Innerhalb der einzelnen Kreisverbände werden nach wie vor von Zeitzeugen und Angehörigen der jüngeren Generationen die Auseinandersetzung mit den Ursachen von Faschismus und Krieg geführt, über neofaschistische Strukturen und Aktivitäten aufgeklärt und Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Faschismus abgehalten. Wenn solche ehrenamtliche Arbeit nicht wertvoll und gemeinnützig ist, was ist es dann?“

Mit einem „Offenen Brief an NRW-Ministerpräsident Laschet und NRW-Landesfinanzminister Lienenkämper – VVN-BdA muss gemeinnützig bleiben!“ wenden sich 18 Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen aus den Reihen der Die Linke, der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen sowie eines fraktionslosen Abgeordneten am 22.03.2019 gegen die rückwirkende Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Sie machen zudem deutlich, dass und warum der angebenene Grund nicht greift.

In Dortmund spricht der Rat der Stadt – auf einen gemeinsamen Antrag der Fraktion Die Linke & Piraten, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – am 28.03.2019 der VVN-BdA seine Solidarität aus. Einen ausführlichen Bericht über die Ratssitzung mit den einzelnen Positionen und deren Hintergründe ist im Dortmunder „nordstadtblogger“ unter dem Titel „Rechtsextremisten sind gemeinnützig – kritischen Stimmen droht dagegen Aberkennung: Stadtrat Dortmund setzt Zeichen“ nachzulesen. Im Ergebnis fordert der Rat der Stadt Dortmund die NRW-Landesregierung mit einer Mehrheit von 58 gegen 32 Stimmen auf, „alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA beizubehalten“.

Öffentlich thematisiert wird die drohende Aberkennung in der Regel im Zusammenhang mit Attac. So geht Alexander Völkel im Dortmunder „nordstadtblogger“ am 04.03.2019 auf beide laufende Verfahren ein. Markus Bernhardt schreibt in der „jungen Welt“ unter dem treffenden Titel „Gesinnungssteuerrecht kommt“ am 20.03.2019 über die Situation bei Attac, campact und der VVN-BdA und erwähnt auch die solidarische Unterstützung aus der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner und -gegnerinnen (DFG-VK) und der nordrhein-westfälischen Linkspartei. Zu den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern zählen beispielsweise auch der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte und Essen stellt sich quer. Die Petition „Gemeinnützigkeit der VVN-BdA erhalten“ auf der inzwischen selbst von der Aberkennung der Gemeinnützigkeit bedrohten Petitionsplattform Campact zählt Stand heute weit über 4.000 Unterstützerinnen und Unterstützer.

Für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht

Sebastian Bähr untersucht im Neuen Deutschland unter der Überschrift „Zu politisch fürs Gemeinwohl“ am 02.03.2019 die Wirkung des Urteils des obersten Finanzgerichts zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac und stellt fest, dass die Argumentation des Gerichts „vor allem eine konservative Sichtweise auf Gesellschaft“ stütze, „in der Parteien die hauptsächlichen politische Akteure“ seien. Das Engagement „großer Teile der Zivilgesellschaft für eine gerechtere, solidarische, nachhaltigere Gesellschaft“ werde „als Partikularinteresse ausgelegt und als nicht förderungswürdig deklariert.“ Bähr kommt zu dem Schluss, dass Gemeinnützigkeit zu einem politischen Kampfinstrument geworden ist, angesichts Bestrebungen der CDU der Umwelthilfe, und Bestrebungen der FDP der Tierrechtsorganisation PETA die Gemeinnützigkeit aberkennen zu lassen. Auch die drohende Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA durch nordrhein-westfälische Finanzämter findet hier Erwähnung. Dagegen haben sich mehr als 80 Vereine und Stiftungen, darunter Attac, Amnesty International und Brot für die Welt in der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung zusammengeschlossen und setzen sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht ein.

„Förderung des demokratischen Staatwesens“ anerkennen

Attac hat unterdessen am 19.03.2019 öffentlich erklärt, notfalls vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen um „die Gemeinnützigkeit von selbstlosem politischem Engagement“ dort zu verteidigen. Unabhängig davon fordert Attac die Bundestagsabgeordneten dazu auf, Rechtssicherheit zu schaffen, die Abgabenordnung als Grundlage des Gemeinnützigkeitsrechts deutlich zu erweitern und die Entscheidung von politischen Fragen nicht den Finanzämtern zu überlassen.

Gemeinnütziger Rechtsextremismus

Auf der anderen Seite kommt auch ans Licht, welche rechten und extrem rechten Vereine als gemeinnützig gelten. So thematisierte Matthias Meisner am 05.03.2019 im „Tagesspiegel“ die Gemeinnützigkeit des Vereins „Uniter“, in dem ein harter Kern der Mitglieder nach Bericht eines Informanten Waffendepots angelegt habe, und des rechten Hetz-Portals „JouWatch“, das als Vereinszweck die „Förderung der Volksbildung“ angebe. Volksbildung durch Volkbildung oder was?

Auch das Fernseh-Magazin „Panorama“ berichtet am 28.03.2019 – nicht zum ersten Mal und ausführlicher als der Tagespiegel – über „Steuer: Vorteile für rechtsradikale Vereine“. Über den rechtslastigen „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ gelangt man zum „Bund für Gotterkenntnis“, der „schon vor Jahren seine Gemeinnützigkeit verloren“ habe, da er sich auf die antiparlamentarische, rassistische und antisemitische Ideologie des Erste-Weltkriegs-Generals Ludendorf und dessen Frau berufe. Gemeinnützig sei jedoch die „Ludendorff-Gedenkstätte“ in Tutzing am Starnberger See. Gemeinnützig sei auch die „Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft“ in Hamburg, eine „1962 vom einstigen Goebbels-Referenten Hugo Wellems“ mit gegründete Einrichtung, die eine Scharnierfunktion zwischen Rechtsextremisten und der AfD erfülle.

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