Wiederentdeckt: Der Bericht „Rettet die Kinder!“
14. Juli 2019
Erschütternde Schicksale von aus KZs befreiten Kindern
Das Komitee ehemaliger politischer Gefangener in Hamburg hat in der Zeit nach 1945 viel Kraft aufgewendet, um den Kindern zu helfen, die in Konzentrationslagern gelitten haben oder Söhne und Töchter von Inhaftierten waren. Sie wurden in Heimen in Norddeutschland betreut. Über diese Arbeit für die Kinder hat das Komitee im Jahr 1946 der neu gegründeten VVN berichtet. Das Interzonensekretariat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes fasste diese Berichte in einem Heft zusammen, das lange verschollen war. Es ist nun im Archiv der VVN-BdA NRW wieder aufgetaucht. Gert Levi, Psychotherapeut aus Köln und einer der Autoren von „Kinder des Widerstandes“, hat den Text des erschütternden Dokuments auf seine Homepage (hier) gestellt und mit einer Einleitung versehen.
„Rettet die Kinder!“ Einleitung
Widerstand….. doch was war und was ist (alles) „Widerstand“?
„Schon das nackte und alltägliche Überleben war Widerstand“, sagte mir einmal Sarah Goldberg. Meine Eltern schlossen sich beide dieser Haltung sofort an.
Und es erfolgten tausende Geschichten und Erzählungen und es erfolgte vor allen Dingen uns „Kindern“ gegenüber das große Schweigen.
Und natürlich gab es ein „Ranking“ unter den Überlebenden. Es gab ein „Ranking“ zwischen denen, die in Internierungslagern und denen, die in Konzentrationslagern ihr Leben fristen mussten, zwischen denen, die zivilen Widerstand in jedweder Form geleistet hatten und denen, die sich bewaffnet den Nazischergen entgegengestellt haben.
In den Kreisen der „Oral History“ wurde und wird gestritten, gelacht und auch geweint.
Sarah Goldberg und Yvonne Yospa, die nach und in Belgien geflohene Kinder versteckt hatten, schilderte die Tragik, in der diese Kinder und auch die in der ihre Eltern steckten. Eltern, die ihre Kinder weggeben müssen, damit sie vielleicht, aber auch nur vielleicht überleben.
Chassia Bialitzka, eine Ghettokämpferin der Hashomer Hazair im polnischen Bialystok, sammelte diese Kinder nach 1945 und der Befreiung der Lager in Polen ein und schleuste sie nach Palästina.
Manchmal erzählten diese Heldinnen auch etwas über den psychischen und physischen Zustand in dem sich die Überlebenden, Kinder, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen damals in der Folge befanden und im Endeffekt war das alles überhaupt nicht in Worte zu fassen.
Von Psychotherapie habe ich von den Überlebenden nie etwas gehört.
Vielleicht bin ich selbst deshalb auch Psychotherapeut geworden.
Der Horror hörte nicht 1945 schlagartig auf. Er ging für die Überlebenden weiter und drohte immer wieder sich auch auf uns „Kinder und Nachkommen“ zu übertragen.
In der Folge veröffentlichen wir einen, auch für uns „Profis“ der mündlichen Überlieferungen unserer Angehörigen, erschütternden Text.
Heute und im hier und jetzt sehe ich Bilder im Fernsehen zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Alle Vergleiche hinken und gar dieser.
Eine Mutter streckt ein Kind einer Helferin mit orangenem Helm entgegen. Die Bilder aus der Vergangenheit werden in meinem Kopf zur Ikonografie der Gegenwart.
Wir reden über „Posttraumatische Belastungsstörungen“ (PTBS), als ein klinisches Phänomen nach Traumatisierungen, das psychotherapeutisch behandelt werden muss, um nicht zu chronifizierten.
Unsere Angehörigen kamen nicht in die Gunst der Psychotherapie nach all dem, was sie erlebt hatten, erleben mussten. Nach 1945 ging der Kampf für sie weiter und er wurde von ihnen an uns, „Kinder des Widerstands“ weitergegeben und das ist gut so.
Köln, den 09.07.2019
G. Levy