Berlin kuscht vor bayerischem Geheimdienst
8. Dezember 2019
Ulrich Sander kommentiert die Verweigerung der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA-Bundesvereinigung vor dem Hintergrund der Entschädigungsgeschichte
In Anerkennung der Tatsache, „daß der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des Deutschen Volkes und Staates war“, hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates im Jahre 1953 das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) beschlossen.
Unter den Entschädigten befanden sich auch die kommunistischen Widerstandskämpfer, denn 70 Prozent des Widerstandes war kommunistisch, stellte das Institut für Zeitgeschichte fest. Die Politiker versahen jedoch das Gesetz mit einem Paragrafen, der allen die Entschädigung versagte, die gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (FDGO) verstießen, und das waren nach Meinung der Obrigkeit Bürgerinnen und Bürger, die das KPD-Verbot nicht einhielten. So behaupteten es die Behörden und fügten Hinterbliebenen des Arbeiterwiderstandes erhebliches Unrecht zu. Manche mussten sogar ihre bezogenen Leistungen zurückzahlen.
Es waren jedoch nicht nur angebliche Verstöße gegen die FDGO, die das Unrecht begründeten. So fand ich in den Unterlagen meines verstorbenen Schwiegervaters das Gutachten des Starpsychiaters der Nazizeit Prof. Bürger-Prinz, der nach 1945 dafür sorgte, dass der Mann keine Entschädigung erhielt, – als 18jähriger ein Jahr lang mit auf dem Rücken gefesselten Händen im KZ Fuhlsbüttel zu vegetieren, das konnte nicht zu den schweren Depressionen in der Nachkriegszeit geführt haben, schrieb der Prof. (Er war zuständig; zu einem anderen Gutachter durfte unser lieber Artur Burmester nicht gehen.) Aus dem Jahr 1966 stammt dieses Gutachten eines der höchsten 131er (das sind im öffentlichen Dienst in der BRD /West wiedereingestellte Nazi-Funktionäre) und Nazi-Mediziners/Psychiaters, Prof. Hans Bürger-Prinz. Er bescheinigte meinem Schwiegervater, dass ihm keine Entschädigung zukomme, denn »der Kläger nahm die Risiken einer Verfolgung im Sinne einer mehr oder weniger bewusst gewählten Selbstbewährung im Einsatz für die Idee auf sich, unterscheidet sich darin also gegenüber der unausweichlich Situation eines rassisch Verfolgten«.
Das Unrecht der Verweigerung von Entschädigung wurde teilweise wieder gutgemacht, als die Bundesländer auf Anregung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und der Grünen regionale Härtefonds einrichteten, aus denen „vergessene Opfer“ und auch die Kommunisten Entschädigungsgelder bezogen. „Vergessen“ waren unter anderem auch die Schwulen und Lesben, die Roma, die Opfer der Wehrjustiz und die Euthanasiegeschädigten.
Dieser Tage lebt nun das Unrecht aus der Zeit des Kalten Kriegs wieder auf. Der Organisation des „aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleisteten Widerstands“, der VVN-BdA, wurde vom Finanzamt Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen mit der Begründung, sie sei vom Verfassungsschutz in Bayern zur „linksextremistischen“ und verfassungsfeindlichen Vereinigung erklärt worden. Berlins Finanzverwaltung verlangt aufgrund dieser Erklärung zig Tausende Euro Steuern von der VVN-BdA. Nichts ist mit dem „Verdienst um das Wohl des Volkes“, wie es im BEG heißt.
Die Behörde des rot-rot-grünen Senats behauptet, sie sei zu der Maßnahme gegen die VVN-BdA verpflichtet, weil die VVN-BdA im bayerischen (!) Verfassungsschutzbericht erwähnt wird. Ansonsten steht sie in keinem weiteren. Die Hauptstadt hat sich nach den Weisungen eines bayerischen Regionalgeheimdienstes zu richten?
Das Finanzamt formuliert keinerlei Begründung außer den Verweis auf Bayern.
Und was steht nun im bayerischen VS-Bericht? In den beiden genannten Verfassungsschutzberichten (2016, 2017) heißt es: „Vielmehr werden (von der VVN-BdA) alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt.“
Belege werden für die Behauptung nicht aufgeführt. Es gibt keinerlei Veröffentlichung (und auch keine unveröffentlichten Beschlüsse) eines Vertretungsorganes der VVN-BdA, in denen die parlamentarische Demokratie als „potenziell faschistisch, zumindest aber als Vorstufe zum Faschismus“ betrachtet wird. Und es kann sie auch nicht geben, weil kein Antifaschist in der VVN-BdA einen solchen Unsinn äußern würde: Kapitalismus führe zwingend zum Faschismus. Ein Vertreter der VVN-BdA erklärte gegenüber dem Finanzamt: „Wir sind gerne bereit, regelmäßige Publikationen aus fünf Jahren (2013 bis 2017) oder auch mehr vorzulegen, damit sich der Sachbearbeiter beim Finanzamt selbst davon überzeugen kann, dass die Behauptung über das Verhältnis der VVN-BdA zur parlamentarischen Demokratie frei erfunden ist.“ Die VVN-BdA tritt hingegen für die Menschenrechte und die Grundrechte aus der Verfassung ein. Sie steht auf dem Boden des Grundgesetzes.
Auch im neuen VS-Bericht findet sich nichts, was die angebliche Ablehnung des parlamentarischen Systems durch die VVN-BdA begründen könnte. Es wird dort zunächst ein Zitat aus einem persönlichen Artikel von mir, der in der UZ vom 31. März 2017 erschienen ist, wiedergegeben: „In dieser Situation ist von breitesten Bündnissen der Blick auf unsere deutsche Verantwortung vor der Geschichte zu richten: Abrüstung und kein Krieg von deutschem Boden aus, kein Ramstein, kein Kalkar, keine Speerspitze im Münsterland. Zutreffend die VVN-BdA-Losung mit Blick auf den Hauptfeind im eigenen Land: ‚Deutsche Großmachtträume platzen lassen‘.“
Sodann wird das Zitat so kommentiert: „Damit bezieht sich Sander (Bundessprecher der VVN-BdA) auf eine Schrift von Karl Liebknecht, wonach die Hauptgefahr für den Frieden vom deutschen Militarismus ausgehe, weshalb der Hauptfeind im eigenen Land stehe. Die Veröffentlichung des Artikels der VVN-BdA in der Zeitung ‚uz‘ verdeutlicht die Akzeptanz und ideologische Nähe der VVN-BdA zur DKP.“
Ich stimmte in meinem Beitrag der altbekannten These zu, dass die Antikriegsbewegung die Verantwortung für das Geschehen im eigenen Land trägt und sich nicht mit den nationalistischen Kräften des eigenen Landes gemein macht, die gegen andere Länder ins Horn stoßen. Das ist ein Grundsatz seit über hundert Jahren. Was die Einschätzung, dass man die Schuld nicht auf andere abwälzen sollte, mit einer Bekämpfung der parlamentarischen Demokratie zu tun haben soll, ist völlig irrig. Der bayerische VS bringt es fertig, eine Beziehung des Grundsatzes zu Karl Liebknecht herzustellen und ihn zu verunglimpfen. Er ist bekanntlich vor etwas mehr als 100 Jahren von den selben rechten Kräften ermordet worden, die heute noch ihr Unwesen treiben. Die Losung vom Hauptfeind gab Liebknecht im Jahre 1915 aus, zu einem Zeitpunkt, in dem es keine Demokratie gab, sondern eine die Freiheitsrechte und Menschenrechte unterdrückende Kaiserherrschaft und Militärdiktatur. Im Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern ist man offenbar der Auffassung, die Menschen hätten sich im Jahre 1915 nicht gegen den auch von deutschen Kräften entfesselten Krieg wehren dürfen, sondern ihre Nachbarvölker mit Krieg überziehen sollen. Jeder, der nicht dieser Meinung ist, sei ein Linksextremist. Zudem wird gegen Karl Liebknecht polemisiert und im Nachhinein indirekt den Mördern an Karl und Rosa Recht gegeben.
Mitglieder der VVN-BdA wurden und werden vielfach öffentlich geehrt. All die Ehrungen wären kaum möglich, wenn es sich – außer im Kopf eines Verfassungsschutzmitarbeiters aus Bayern – bei der VVN-BdA tatsächlich um eine verfassungsfeindliche Organisation handelt. Und auch die Welle von Solidaritätsschreiben an die VVN-BdA, das positive Medienecho zugunsten des Antifaschismus der VVN-BdA bekunden: Die VVN-BdA ist gemeinnützig wie der gesamte Antifaschismus.