Immer wieder nur Reflexe gegen Antifaschist*innen

4. Februar 2021

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von Knut Maßmann

Es ist schon erstaunlich. Wir leben in einem Land, in dem eine für die extreme Rechte offene Partei die Grenze des Sagbaren in Richtung völkischer und faschistischer Inhalte immer weiter verschoben hat und damit erfolgreich in den Bundestag und alle Landtage eingezogen ist. Ein Land, in dem eine faschistische Terrorgruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ jahrzehntelang sich mit Banküberfällen finanzieren und wahllos Migranten ermorden konnte, Morde, die die Polizei als „Döner-Morde“ im Umfeld der Ermordeten aufklären wollte und zu deren Aufklärung der „Verfassungsschutz“ genannte Inlandsgeheimdienst nichts beizutragen wußte. Ein Land, in dem sogenannte „Einzeltäter“ aus dem faschistischen Milieu sogar Attentate auf Politiker verüben können und darauf außer Sonntagsreden keine angemessene Reaktion erfolgt.

Doch in diesem Land sorgt sich ein sozialdemokratischer Innenminister einer SPD-CDU-Koalition über eine Gefahr durch Linksextremisten, nachdem unbekannte Täter in Braunschweig und Hannover auf dem Gelände der Landesaufnahmebehörden Fahrzeuge und Gebäude in Brand gesteckt hatten. Aufgefordert hatte den Innenminister der Bund Deutscher Kriminalbeamter, der „Organisationen wie die linksextremistische Antifa mit einem Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz“ (Quelle) belegt haben will. Ich erinnere mich noch gut an ein Kooperationsgespräch im Polizeipräsidium meiner Heimatstadt vor einer angemeldeten Demonstration gegen rechte Gruppen. Ein junger Polizeibeamter brachte angesichts des Namens unserer Organisation, der VVN-BdA, die Befürchtung zum Ausdruck, jetzt würde „Die Antifa“ kommen. Offenbar sind diese merkwürdigen Vorstellungen einer Organisation namens „Die Antifa“ nicht nur bei jungen Polizeibeamt*innen verbreitet.

Gegen den Vorstoß des sozialdemokratischen Innenministers regte sich schnell Protest. Innerhalb von knapp zehn Tagen haben mehr als 530 Personen und mehr als 260 Institutionen die Niedersächsische Erklärung „Antifaschismus lässt sich nicht verbieten“ unterschrieben. Darin heißt es unter anderem:

Wer links und rechts, wie beim Hufeisenmodell, gleichsetzt, verteidigt nicht die Demokratie, sondern diffamiert und bekämpft die, die für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschiedlich sein können. Insbesondere in diesen Zeiten braucht es keine Verbote, sondern vielmehr Förderung und Teilnahme an Antifa. Es braucht eine starke Zivilgesellschaft, die sich antifaschistisch engagiert und sich rechten Ideologien entschlossen entgegen stellt. Es braucht weiterhin die Arbeit antifaschistischer Aktivist*innen, die mit ihren Recherchen maßgeblich zur Aufklärung rechter Anschläge und Aufdeckung rechter Netzwerke beitragen. Und es braucht lauten Protest, wenn versucht wird, Antifaschismus zu deligitimieren und zu kriminalisieren.

https://wirsindalleantifa.wordpress.com/

Inzwischen hat der SPD-Innenminister von Niedersachsen einen scheinbaren Rückzug vollzogen und erklärt, er wolle nur noch die Gemeinnützigkeit von Vereinen überprüfen lassen, wenn sie ihre Ziele mit Straftaten verfolgen würden. Doch die Auswirkungen einer solchen Politik kennt die VVN-BdA, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten sehr gut. Im von einem rotrotgrünen Senat regierten Berlin wurde der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen, weil sie regelmäßig im Bayerischen (!) Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch beeinflusst“ genannt wurde. Auch das globalisierungskritische Netzwerk attac und der Verein campact verloren ihre Gemeinnützigkeit, weil „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung (…) keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt.“ In welchem Land lebe ich eigentlich?

Die Erklärung wurde bereits von zahlreichen Personen und Organisationen auch außerhalb Niedersachsens hier unterschrieben und kann auch weiterhin unterschrieben werden.