Ulmer Höh‘ – Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus

15. September 2021

, ,

Es gibt zahlreiche historische Studien zu verschiedenen faschistischen Lagern und Haftstätten, aber Veröffentlichungen zu Haftorten, die als reguläre Gefängnisse bzw. Zuchthäuser vor der NS-Zeit und auch zu Zeiten der Bundesrepublik weitergenutzt wurden, sind eher die Ausnahme. Sehr oft fehlen die Dokumentenzugänge, wenn es denn überhaupt den politischen Willen gibt, die Geschichte solcher Haftanstalten aufzuarbeiten. Bedeutet das doch auch, sich mit Kontinuitäten im politischen Strafvollzug beschäftigen zu müssen, die bis heute immer noch verdrängt werden.

Eine Ausnahme liefert das umfangreiche Werk von Bastian Feermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf über das Gefängnis „Ulmer Höh‘“, das im Frühjahr 2021 erschienen ist. Er hatte zwei gute Voraussetzungen für diese Arbeit. Erstens wurde die ursprüngliche Haftanstalt im Jahre 2011 geräumt und damit der historische Ort, der im gesellschaftlichen Bewusstsein durchaus einen festen Platz hatte, nicht mehr unmittelbar mit der weiterhin bestehenden Justizvollzugsanstalt verknüpft. Zweitens hatte er Zugriff auf mehrere hundert Akten von Häftlingen, die während der NS-Zeit dort eingekerkert waren, die durch Auslagerungen kriegsbedingte Zerstörungen überstanden hatten, da sie – so geplant – für die Zeit „nach dem Endsieg“ genutzt werden sollten. Die militärische Zerschlagung des NS-Regimes hat diese Aktenbestände für die historische Forschung gerettet. Bastian Feermann konnte sie für seine Untersuchung nutzen.

Das Gefängnis in der Ulmenstraße war eine der zentralen Haftstätten im Rheinland. Das Gefängnis mit Gefängniskrankenhaus wurde bereits 1893 eröffnet. „In die Schlagzeilen geriet das Gefängnis vor allem wegen der Aufstände und Meutereien während der Novemberrevolution 1918/19 und bei den Separatistenunruhen 1923“ (45), bei denen auch Albert Leo Schlageter hier einsaß. Die Nazis machten seine Zelle zu einer Kultstätte, zu der SS-Leute pilgerten, wie der antifaschistische Widerstandskämpfer Wolfgang Langhoff, der 1933 hier inhaftiert war, berichtete. „Nach Besichtigung der Zelle kamen sie gewöhnlich zu uns. Sie ließen sich aufschließen und gafften uns an, als wenn sie im Zoo wären.“ (239) Trotz Reform des Strafvollzuges in der Weimarer Republik blieben die Haftbedingungen so angespannt, dass 1931 in Berichten von „Meuterei“ unter den Gefangenen gesprochen wurde.
Diese Haftstätte wurde seit der Machtübertragung an die Nazis als Instrument des faschistischen Terrorapparates ausgebaut. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 wurden mehr als 300 „verdächtige“ Düsseldorfer hier in „Schutzhaft“ eingekerkert. Die meisten waren Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Nach einem statistischen Überblick waren in Derendorf in den Jahren 1933 bis 1945 zehntausende Menschen inhaftiert.
„Viele dieser Gefangenen waren völlig unschuldige Bürgerinnen und Bürger: politische Gegner, gesellschaftliche Außenseiter, jüdische Männer und Frauen, Künstler und Journalisten, Homosexuelle, Sinti, Kirchleute oder Pazifisten, ausländische Zwangsarbeiter oder angebliche ‚Wehrkraftzersetzer‘,“ wie es im Klappentext des Buches heißt. Problematisch ist dabei die Begrifflichkeit „unschuldig“. Zurecht gibt es seit einiger Zeit unter der Überschrift, „Niemand war zurecht im Konzentrationslager“ eine Debatte zur Rehabilitierung von „Asozialen“, die in Konzentrationslager verschleppt wurden. Gleichermaßen müsste bei der Betrachtung der Häftlinge des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf geprüft werden, ob deren Verurteilung auf der Grundlage von kriminellem Handlungen erfolgte oder ob es nicht eher ein Verstoß gegen die faschistischen Vorstellungen von „Volksgemeinschaft“-konformen Handeln darstellte.
Beispielsweise waren hier zahlreiche Männer wegen Verstoß gegen § 175, der Homosexualität auch unter Erwachsenen unter Strafe stellte, inhaftiert. Der § 175 war aber gleichzeitig Ausdruck eines NS-Gesellschaftsbildes, so dass Verurteilte – wie in der Studie zurecht erfolgt – als Opfer faschistischer Verfolgung zu betrachten sind. In mehreren Kapiteln wird dokumentiert, dass seitens der Anstaltsärzte an ihnen schlimme medizinische Verbrechen verübt wurden, insbesondere Sterilisationen und Kastrationen. Bezeichnend für die fehlende Bereitschaft, dies nach 1945 als Verbrechen einzugestehen, ist die 1960 erschienene Todesanzeige für den leitenden Anstaltsarzt, der diese Verbrechen durchgeführt hat. In der Anzeige hieß es, er habe seit 1929 „segensreich an dem Gefängnis in Düsseldorf-Derendorf“ gewirkt. (430)
Neben den Anstaltsärzten beschäftigt sich die Studie ausführlich auch mit dem sonstigen Personal, von der Leitung, über den Schließern bis zu den Anstaltsgeistlichen, die weniger „christlichen Beistand“ leisteten, sondern ebenfalls Teil des Haftsystems waren.

Ein großes Verdienst des Bandes ist der Umfang, der den verschiedenen Häftlingsgruppen eingeräumt wird. Dabei zeichnet die Dokumentation am Beispiel von Einzelschicksalen Phase der Entwicklung der Haftanstalt und gleichzeitig die Behandlung von bestimmten Häftlingskategorien anschaulich nach.
So kommt Wolfgang Langhoff, der Theaterregisseur und Kommunist, der später seinen Erinnerungsbericht „Die Moorsoldaten“ über das KZ Börgermoor schrieb, mit seinen Erinnerungen über die Frühphase der Gefängnisses zu Wort. Am Beispiel von Rudi Goguel, der bis zu seinem Prozess in Düsseldorf inhaftiert war, wird die „Haft-Odyssee“ nachgezeichnet. Und am Beispiel von Wilhelm Knöchel, der aus den Niederlanden zu Verhören bei der Düsseldorfer Gestapo kam, wurde die Geschichte der Tuberkulose-Station anschaulich gemacht.
Eigene Kapitel beschäftigen sich mit dem Schicksal katholischer Geistlicher, die hier als Nazigegner inhaftiert waren, mit der Selektion „asozialer“ Häftlinge und den Schikanen und Misshandlungen jüdischer Häftlinge durch die Exekutivbeamten des „Judenreferates“ Düsseldorf. (347 ff) Das Gefängnis wurde dabei integraler Bestandteil der faschistischen Rassepolitik.
Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der Inhaftierung von Frauen in Derendorf. Der Frauentrakt war in den 1930er Jahre mit etwa 150 weiblichen Häftlingen, zumeist politischen Gegnerinnen, belegt. Beschrieben wird in der Dokumentation das Schicksal u.a. von Klara Matthies (später verheiratet mit Karl Schabrod) und Doris Franck (verheiratet mit Klaus Maase).

Hervorzuheben ist, dass in den Schlusskapiteln die politischen und gesellschaftlichen Repressionen in der BRD – wenn auch knapp – thematisiert werden, „weil auch in den ersten Nachkriegsjahrzehnten immer noch viele Homosexuelle (§ 175) oder Kommunisten (Verbot der KPD 1956) hier inhaftiert waren. Es kam vor, dass schwule Männer oder ehemalige kommunistische Widerstandskämpfer zum zweiten Mal in ihrem Leben in die ‚Ulm‘ einfuhren und vorher von denselben Polizeibeamten verhaftet, von denselben Staatsanwälten angeklagt und von denselben Richtern verurteilt wurden wie schon einmal vor 1945.“ (424) In dieser Aufzählung fehlt nur der Hinweis, dass sie im Gefängnis ebenfalls auf dieselben Schließer stoßen konnten. Dies wird u.a. am Schicksal von Hanna Eggerath gezeigt. Sie war die Tochter von Mathilde Eggerath, die 1936 als Widerstandskämpferin in der „Ulm“ inhaftiert war. 1954 saß nun Hanna als Mitglied der FDJ mehrere Wochen in dieser Haftanstalt ein.

Die Studie lässt in persönlichen Zeugnissen, Tagebüchern, Briefen, Erinnerungsberichten und weiteren Dokumenten die Häftlinge selber zu Wort kommen. Das ergibt eine Unmittelbarkeit, die die grausame Haftrealität nicht hinter statistischen Größen oder allgemeinen Dokumenten verschwinden lässt. Bemerkenswert ist, dass die Opfer der faschistischen Verfolgung, auch wenn sie aus Gründen verfolgt wurden, die bis heute nicht diskriminierungsfrei sind, nicht aus vorgeblichen „Angehörigen-Schutz“ anonymisiert wurden, wie es leider in anderen Studien oftmals geschieht. Nur so scheint es mir möglich, Opfern faschistischer Ausgrenzung und Stigmatisierung ihre Würde wieder zurückzugeben.

Ulrich Schneider

Bibliographie
Bastian Fleermann, Ulmer Höh‘ – Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus, 488 S., Düsseldorf 2021, ISBN 9-783-7700-6044-3