Gedenkveranstaltung am Mahnmal Wenzelnberg 2022

24. April 2022

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Petra Lindenau spricht für die VVN-BdA Solingen.

Nach zwei Jahren „stillen Gedenkens“ konnte in diesem Jahr wieder eine Veranstaltung am Mahnmal Wenzelnberg stattfinden. Hier liegen 71 Tote aus dem Gefängnis Remscheid Lüttringhausen und aus dem Wuppertaler Gefängnis, die auf Befehl von Generalfeldmarschall Modell von der GESTAPO noch in den letzten Kriegstagen 1945 ermordet worden sind. Alljährlich findet hier eine Gedenkfeier statt, an der in wechselnder Verantwortung die Städte Wuppertal, Langenfeld, Solingen, Remscheid und Leverkusen beteiligt sind. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung von der Stadt Solingen durchgeführt. Wir dokumentieren die Rede, die Petra Lindenau von der VVN-BdA Solingen gehalten hat. Weitere Fotos finden sich hier.

Sehr geehrte Anwesende,
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Liebe Schülerinnen und Schüler,

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Ein Zitat aus der Todesfuge geschrieben von einem der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter des 20. Jahrhunderts Paul Celan geboren 1920 als Paul Antschel in Czernowitz, heute Tscherniwzi in der Westukraine, nahm sich 1970 in Paris das Leben.
Er litt sein Leben lang darunter, dass er seine Eltern, die deportiert und ermordet worden waren, vor den Deutschen nicht hatte retten können, während er durch zufällige Abwesenheit davon gekommen war.

24 Millionen Menschen wurden ermordet, starben durch Hunger, Krankheiten, als Zwangsarbeiter oder als Soldaten allein in dem Gebiet der damaligen Sowjetunion, zu der auch die heutige Ukraine und Weißrussland gehörten.

In dem aktuell restaurierten zuerst 1986 erschienenen Film des Regisseurs Elem Germanowitsch Klimow, Komm und sieh, eigentlich idi i smotri, also geh und sieh heißt es im Nachspann, dass wie im Film, in dem die Bewohner eines Dorfes von der abziehenden deutschen Armee in eine Scheune gesperrt und verbrannt wurden, ähnlich mit 628 Dörfern Weißrusslands verfahren wurde. Das ist die Geschichte.

Das Wissen darum schwindet gegen Null. Es gibt Schulbücher zur Gesellschaftslehre, die den Krieg im Osten mit folgendem Text bedenken, wörtlich und komplett abgeschrieben, heißt es:
“Am 22. Juni 1941 ließ Hitler die Sowjetunion überfallen, obwohl er mit diesem Land einen Nichtangriffspackt geschlossen hatte. Hitler beabsichtigte nicht allein einen militärischen Sieg, sondern führte einen Vernichtungskrieg gegen die Slawen. Den Truppen der deutschen Wehrmacht folgten Einheiten der Gestapo, der Polizei und der SS und ermordeten alle Juden, die sie erreichen konnten.
Die Weite des Landes und der ungewöhnlich starke Winter stoppten den deutschen Vormarsch. Die Niederlage bei der russischen Stadt Stalingrad 1942/43 kennzeichnete die Wende.“

Zur Erinnerung: dieser Text steht so und nicht mehr in einem deutschen Schulbuch von 2014, um den Krieg gegen die Länder der Sowjetunion abzubilden.
Nur zwei Sätze ebenso verkürzt wie unerklärt folgen noch an anderer Stelle des Schulbuches unter der Überschrift „Kriegsende“:
„Frankreich und vor allem die Sowjetunion brachten auch deutsche Kriegsgefangene in ihre Länder und ließen sie dort schwere Arbeit verrichten. Erst 1952 ließ die Sowjetunion die letzten Kriegsgefangenen frei.“

Wir finden uns hier ein, heute am 24. April 2022, wie alljährlich, ausgenommen in den letzten beiden Jahren der Pandemie, die nur eine Kranzniederlegung erlaubten, weil wir uns erinnern und die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht vergessen wollen.

Am 13. April 1945 wurden an dieser Stelle 71 Insassen aus dem Zuchthaus Remscheid – Lüttringhausen und dem Polizeipräsidium Wuppertal von ca. 100 Gestapo-, Kripobeamten, Schutzpolizisten und der Polizeibereitschaft erschossen und vergraben.

Wehrte Anwesende, Sie kennen die Geschichte, eines von vielen „Endphasenverbrechen“.
Als gesichert gilt, dass das Wenzelnberg-Massaker ein Befehl war des Oberbefehlshabers West, Generalfeldmarschall Walter Model vom 7. April 1945.
Er, der Hauptverantwortliche hatte sich am 21. April 1945 selbst erschossen.

Zur Aufarbeitung wurden die Aussagen des Polizeidirektors Engelhardt entscheidend.

Er berichtete der Militärregierung, dass mindestens 500 Gefangene abgeholt werden sollten, die Reduzierung auf 60 von ihm ausgewählte rechnet er sich als Widerstand an. Dass von Engelhardt nur 8 der aus politischen Gründen Inhaftierten für den Transport ausgesucht waren, er andere zu Außenarbeiten weggeschickt oder versteckt haben soll, wurde auch hier an diesem Ort in Reden als Akt der Menschlichkeit und Solidarität gewertet.
Wahrheit oder Mythos, wir wissen es nicht genau.
Eine weitsichtige Vorbereitung der Entlastung für die Nachkriegszeit liegt nahe.

Engelhardt war Zuchthausdirektor, das darf bei seiner Entlastung nicht vergessen werden. In Zuchthäusern wurde misshandelt, Nahrung entzogen, Zwangsarbeit angeordnet, ausgebeutet bei gefährlichen Arbeiten wie Bombenentschärfen, „massiv in das weitere Leben der Häftlinge ein ..(gegriffen).
Wurden ungünstige Beurteilungen verfasst, waren Gefangene in größter Gefahr, bei den nächsten „Abgaben an die Polizei“ … auf Transport in die Konzentrationslager zu geraten.“
Zitiert nach einem Aufsatz des Historikers Stephan Stracke „Die Morde in der Wenzelnbergschlucht“ aus dem Buch: „In letzter Minute“.

Viele Akten sind gelesen, Vieles ist aufgearbeitet, gewollte Widersprüchlichkeiten führten zu keiner Verurteilung.
77 Jahre nach dem Kriegsende bleibt noch immer viel, das gesucht, gelesen, beurteilt werden sollte.

Die Stadt Solingen hat 2019 entschlossen gehandelt. Der Forschung und Darstellung des lokalen Geschehens in der Zeit des Nationalsozialismus wird ein Ort zur Verfügung gestellt.

Die Mitglieder und Freunde der VVN/BdA Solingen waren Jahre darum bemüht, die bedrohten, verfolgten, entwürdigten oder getöteten Solinger ArbeiterInnen und alle, die nicht einverstanden waren mit Nationalsozialismus und Krieg angemessen zu würdigen, öffentlich zu dokumentieren, einen finanzierten Ort zur Ausstellung zu finden.

Die Ablehnung des Denkmalschutzantrages für die Gebäude der „Bergischen Arbeiterstimme“, der angekündigte Abriss sammelte Solinger Bürger aus Organisationen, Politik und privat Interessierte hinter dem „Nein“ zu dem auch in Solingen häufig gehörten Satz: „Es muss doch einmal gut sein“.

Am 4. Mai 2019 stimmte in den Räumen der vhs eine Mehrheit der um die 120 anwesenden SolingerInnen dem Vorhaben, der inzwischen entstandenen Arbeitsgruppe eine Bildungs- und Gedenkstätte in Solingen an einem Ereignisort zur Zeit des Nationalsozialismus einzurichten, zu.

Am 18. 9. 2019 wurde der Verein Max-Leven Zentrum offiziell gegründet, vergrößert sich, ist aktiv in einigen Projekten und sieht gespannt der Entstehung des neuen Sparkassengebäudes zu, in dem das Zentrum Raum an historischer Stelle in der Max-Leven-Gasse, dem ehemaligen Standort der Bergischen Arbeiterstimme bekommt, eine Zentrale für Bildung und Forschung zu Solinger Arbeiterbewegung, Verfolgung, Widerstand und angrenzenden Themen.

„… und laut zu sagen: Nein.“ Ist der Titel, der treffend den Inhalt spiegelt, der Ausstellung, die die erste große Arbeit des Vereins und das zweite Ereignis ist, der Zeit, in der wir uns hier nicht treffen konnten, über das ich berichte.

Ohne das Stadtarchiv, Stephan Stracke, Daniela Tobias wäre die Ausstellung nicht umfangreich, aussagekräftig, gerichtsfest, eindrucksvoll gestaltet, vielleicht nicht entstanden. Alle weiteren an Recherche, Texten und Präsentation Beteiligten werden im Katalog zur Ausstellung genannt.

Auf 63 Tafeln werden im Kontext der politischen Ereignisse Schicksale aus Solingen präsentiert.

Menschen, die sich nicht abgefunden, die trotz Schikanen und Bedrohungen durch Polizei, Behörden, KollegInnen, Nachbarn, sogar Verwandte auch nach 1933 versucht haben, Widerstand zu leisten, in Organisationen oder auch im Alltag, bei der Arbeit, beim Einkauf oder Hilfen für Familien von Inhaftierten leisteten, Eingaben an Gerichte formulierten, fokussiert die Ausstellung.

Verantwortliche wie der Solinger Architekt Paul Blobel für das Töten von 30000 jüdischen Menschen in der Schlucht von Babi Yar und in Nürnberg zum Tode verurteilt, werden beschrieben, wie auch Fritz Gräbe, ebenfalls Solinger und Architekt, eingesetzt in Wolhynien, heute Ukraine und Belarus, der in Nürnberg aussagte, der seine jüdischen Arbeiter vor dem Tod bewahrte, nachdem er die Massaker miterlebt hatte, der wegen seiner Aussagen Hetzkampagnen erleben und emigrieren musste.

Einige Menschen wurden gerettet, viele andere ermordet, weil sie eine andere Politik wollten, weil sie Juden, Sinti oder einfach anders waren, nicht der geforderten Norm entsprachen. Von Solingern, die „Nein“ sagten, erzählt die Ausstellung, Fotos aus privaten Sammlungen, Ablichtungen von Originalen des Stadtarchivs, von Gestapounterlagen, ergänzen sie.

Jeweils eine bis drei Tafeln zeigen beispielhaft die Solinger Arbeiterbewegung, Jüdisches Leben und Judenverfolgung, Christlichen Widerstand, Euthanasie, Zwangsarbeit, Kriegsfolgen und das Kriegsende in Solingen.

Zum 75. Kriegsende sollte die Ausstellung eröffnet werden, zum 76. wurde die Eröffnung gestreamt, zum 77. am 8. Mai 2022 beginnt das diesjährige Begleitprogramm mit einer Führung zum Kriegsende, dabei wird der Wenzelnberg wesentlich sein und Karl Bennert, der die völlige Zerstörung von Solingen-Wald mit verhinderte und die Aufklärung der Ereignisse dieses Ortes hier forcierte.

Den 8. Mai zum Feiertag erklären, wünschte Esther Bejarano, bevor sie als eine der letzten ZeitzeugInnen, KZ-Überlebende am 10. Juli 2021starb. Einige Städte z. B. Bochum unterstützen mit einer Gedenkveranstaltung für Esther Bejarano diesen Wunsch.
Kann es einen bessern Grund für einen Feiertag geben, als das Kriegsende?

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, so steht es in dem Schwur von Buchenwald.

Niemand hat das Recht Menschen zu töten.

Der Krieg in der Ukraine ist sofort zu beenden.
Nichts rechtfertigt, den Tod, den Verlust der Lebensgrundlagen, erzwungene Flucht aus dem gewohnten Leben. Es muss andere Wege geben, auch wenn es stimmt, dass die Mitgliedsstaaten der Nato ihre Versprechen gebrochen, Waffen geliefert, Länder rund um Russland hochgerüstet haben.
Der bewaffnete Angriff Russlands ist in jedem Fall zu verurteilen.

Jetzt sollten alle Beteiligten ihre ganze Kraft in die Beendigung dieses Krieges und der anderen Kriege setzen. Jede weitere Waffe erzeugt Eskalation, jede weitere Eskalation verstärkt die Gefahr der Ausweitung des Krieges. Niemand darf es wagen, den Einsatz atomarer Waffen zu riskieren. Diese sollten für immer geächtet und beseitigt werden.

Die Politik muss dringend für andere Konzepte sorgen, diese Vorstellungen haben die Teilnehmer der Ostermärsche 2022 eindrucksvoll bestätigt und zeigen Umfragen in der Bevölkerung, dass trotz ein durch unsere Medienverantwortlichen vermitteltes Bild der Zustimmung Menschen differenzierter denken und sich entsprechendes Handeln von der Politik wünschen.

Ebenso wollen wir das „Ja“ zum Sondervermögen von 100 Mrd im Sinne von Frank Werneke, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, verstanden wissen.
Ja, zu mehr öffentlicher Daseinsvorsorge.
Es ist nicht zu verantworten, die nächsten Generationen, die Jugend für den Rest ihres und des Lebens ihrer Nachkommen zu verschulden, so dass lebenswichtige Maßnahmen nicht mehr finanziert würden, Bildung für alle ausgesetzt werden müsste, weil dafür kein Geld mehr vorhanden wäre.

„Und so werden sie in Büchern und ihren Kollegs, in ihren Kirchen und in ihren Lesezirkeln davon sprechen, wie heilig, wie notwendig und wie edel der Krieg ist, sie werden das Sterben der anderen loben und wie süß es sei ….
Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein“

Kurt Tucholsky, „Die Verteidigung des Vaterlandes“ in die Weltbühne Nr. 40, 6. 10. 1921

Vielen Dank!