„Friedenslogik muss das Leitmotiv sein.“

16. August 2022

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Rede von Jochen Vogler zum Hiroshima-Tag in Wuppertal am 6. August 2022.

Archivbild: Jochen Vogler beim Ostermarsch Wuppertal am 20.04.2019.

Kleiner Junge und dicker Mann – little boy und fat man – so wurden die Atombomben benannt, die die Städte Hiroshima und Nagasaki ausgeklinkt aus einer Höhe von 10 000 Metern binnen Sekunden auslöschten. Über 100 000 Menschen starben sofort. Das war heute vor 77 Jahren in Hiroshima und drei Tage später in Nagasaki. Das war eine wirkliche Zeitenwende. Seitdem gehören Atomwaffen zum gegenseitigen militärischen Macht- und Abschreckungsarsenal.

Schon seit den ersten Planungen zur westdeutschen Wiederaufrüstung in den 1950er Jahren war es das Bestreben der damaligen Regierung unter Konrad Adenauer, auch Zugriff auf Atomwaffen zu haben. Geprägt wurde der Begriff der „taktischen Atomwaffen“, die nach den Worten Adenauers „nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie“ seien. Trotz des erfahrenen Wissens um die Wirkung der Atombomben erinnern wir uns noch an ähnliche Verharmlosungsstrategien zur Beruhigung der Bevölkerung. Mit der Aktentasche über den Kopf und ABC-Masken sollte den Strahlungen begegnet werden.

Auch in der aktuellen militärischen Rüstungspropaganda werden sogenannte Mini-Atomwaffen als Einsatzmöglichkeiten dargestellt. Bis heute bedrohen uns rund 28.000 Atomwaffen im Besitz der neun Atomwaffenstaaten (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Israel, Indien, Nordkorea und Pakistan).

Im Laufe der Jahrzehnte gab es dann vernünftige politische Initiativen, um den Einsatz von Atomwaffen zu verhindern. Vor allem internationale Vereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion mit den Vertragsnamen ABM-Vertrag, INF-Vertrag und seit den 1990er Jahren fortgesetzte START-Verträge zur Rüstungskontrolle verhinderten bisher den Einsatz von Atomwaffen. Beunruhigen muss, dass seitens der USA alle Verträge gekündigt wurden.

Aktuell findet bei den Vereinten Nationen die 10. Überprüfungskonferenz des 1970 unterzeichneten Nichtverbreitungsvertrags für Atomwaffen (NVV) statt. UN-Generalsekretär António Guterres  erklärte dazu in dramatischen Worten, dass die Welt sich in einer „Zeit nuklearer Gefahr befinde, wie es sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat“. Die Menschheit laufe „Gefahr, die Lehren zu vergessen, die in den schrecklichen Feuern von Hiroshima und Nagasaki geschmiedet wurden“. Die Welt sei „nur ein Missverständnis oder eine Fehlkalkulation von der nuklearen Vernichtung entfernt“. Diese Konferenz dauert noch bis zum 26. August. Ob diese Konferenz Fortschritte bringen kann im Hinblick auf verbindliche Abrüstungsvereinbarungen ist ungewiss.

In ihrer Rede vor den Vereinten Nationen betonte die deutsche Außenministerin die hehre Absicht der Bundesregierung, aktiv daran mitzuwirken. Aber sie sagte auch: „Der brutale Angriffskrieg Russlands macht deutlich, dass Nuklearwaffen leider eine bittere Realität sind.“ Und erklärte: „Der Einsatz für nukleare Nichtverbreitung und nukleare Abschreckung sind in diesen Zeiten kein Widerspruch.“

Damit wird die Politik der nuklearen Teilhabe der Bundesregierung bekräftigt.

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Grußwort an die NVV-Konferenz ausführte: „Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf,“ und Russland seine Verpflichtungen als NVV-Gründungsmitglied erfüllen werde, wird derzeit von der westlichen Wertegemeinschaft als unglaubwürdige Rhetorik ignoriert und zurückgewiesen.

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine muss so schnell wie möglich beendet werden. Dies gelingt aber keinesfalls mit der fortgesetzten Sanktionspolitik gegenüber Russland. Die Entwicklung zeigt, Russland ist dadurch nicht zu „ruinieren“ , wie es unsere Außenministerin durchsetzen will. Und mit den weiteren Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine lässt sich dieser Krieg auch nicht beenden. Das kann nur gelingen mit Verhandlungen. Zur Entwicklung tragfähiger Verhandlungsformate fehlt der deutschen Regierung allerdings jegliche Phantasie und auch jeglicher Wille.

Immer spürbarer wird jetzt, dass die ausufernde Sanktionspolitik schädliche Rückwirkungen für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft hat. Der Weg aus dieser Sackgasse geht nur im Rückwärtsgang. In der Welt haben sich inzwischen zahlreiche Krisen angesammelt. Um diese Welt bewohnbar zu erhalten, sind politische Anstrengungen jenseits von Profit- und Kriegslogik erforderlich. Friedenslogik muss das Leitmotiv sein.