Für breite Diskussion über Gedenkarbeit

13. Dezember 2022

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Zwei Ausstellungen in der Steinwache Dortmund vorgeschlagen

Dortmund war bisher eine der wenigen Städte, in denen die Rolle der Nazitäter aus den Eliten offiziell in der Erinnerungsarbeit thematisiert wurde. Oberhausen hat seine Ausstellung umgestaltet, die früher unter dem Motto „Faschismus kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapital gemacht“ stand. Ebenso Essen. Ganz auf kapitalismuskritische Aussagen verzichtet die Ausstellung in der Wewelsburg, welche die Geschichte der SS darstellen soll und auf die Darstellung der IG Farben und des Freundeskreises des Reichsführers SS und der IG Farben verzichtet. Der Freundeskreis versorgte die Massenmordorganisation mit Finanzen, und ihm gehörten Personen an, die nach 1945 Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ausübten. Und nun also auch Dortmund?

Dortmunder Bürgerinnen und Bürger haben einen Bürgerantrag an die Stadt gerichtet, um sowohl die bisherige Ausstellung zu bewahren als auch eine Erweiterung anzuregen.

Die Antragssteller:innen: Günther Bennhardt, Annette Budde, Sigrid Czyrt, Klaus Dillmann, Jannis Gustke, Hajo Koch, Dietmar Kompa, Georg Marschefski, Monika Niehaus, Traute Sander, Ulrich Sander, Peter Sturm, Norbert Weidlich, Sonja Wolle. Wer sind sie? Es sind Angehörigen von Opfern der Steinwache, ehem. Lehreri:nnen, eine Architektin, Journalisten, Jugendleiter, Verwaltungsangestellte, Gewerkschafter, ein Liedermacher.

Erstens: Medienerklärung
Bürgerantrag zur Gedenkstätte Steinwache
Eine Gruppe von Dortmunder Bürgerinnen und Bürgern hat dem Rat der Stadt Dortmund einen Bürgerantrag nach § 24 Gemeindeordnung von NRW (Anregungen und Beschwerden) zugeleitet, der Änderungen am Plan für die Umgestaltung der Gedenkstätte Steinwache vorsieht.
Bei den Antragssteller:innen handelt es sich um an der Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit interessierte Bürger:innen. Sie sind erst jetzt in der Lage, ihre Vorstellungen zu präsentieren und endlich eine breite öffentliche Diskussion über die Erinnerungsarbeit in Dortmund einzufordern. Denn Informationen über die Umgestaltung der Gedenkstätte Steinwache liegen erst seit rund fünf Wochen – seit der Präsentation des Stadtarchivs – und aus der Berichterstattung der RuhrNachrichten vom 7. und 9. November 2022 sowie des Nordstatbloggers der Öffentlichkeit vor. Zitat aus RN: „So verwandelt sich die Steinwache“ und „Fest steht, dass die seit 1992 in der Steinwache gezeigte und schon 1981 konzipierte Dauerausstellung unter dem Titel ‚Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933 bis 1945‘ a u s g e d i e n t hat.“ Letzterer Bemerkung wird entschieden widersprochen.
Es geht den Antragstellern um den Erhaltung der Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945“ bei gleichzeitiger Schaffung der geplanten Ausstellung „Das Haus und seine Insass:innen“ (neuer Arbeitstitel lt. Stadtarchiv, vorher war auch ‚Polizei und Gesellschaft in der Nazizeit‘ im Gespräch). Beide Austellungen sollten im Gebäudekomplex Steinwache (jetzt Auslandsgesellschaft) und Polizeigefängnis zur Steinwache geschaffen bzw. erhalten werden. Damit könnte ein Neubau entfallen und das denkmalgeschützt Gedäudeensemble im Zustand zwischen 1933und 1945 bewahrt werden. Kosten könnten gespart werden.
Vorgeschlagen wird: Die Stadtverwaltung als Vermieterin der jetzt von der Auslandsgesellschaft genutzten Räume führt mit der Auslandsgesellschaft Gespräche über eine einvernehmliche Regelung zum Umzug in ein leerstehendes Gebäude der Innenstadt.
Das vorgestellte Konzept ermöglicht die harmonische Verbindung der bislang leider nur alternativ diskutierten Ausstellungen. Zudem könnte mit der insassenbezogenen Ausstellung (zur Gestapo und zu Häftlingen) auch die Vorgeschichte der Polizeiwache geschildert werden. Diese war ab 1906 entstanden als Ort der Bewachung und wohl auch Einschüchterung der Arbeiterbevölkerung in der Nordstadt, einem „Unruheherd“.
Die Antragsteller:innen waren und sind für die Beibehaltung der Ausstellung „Widerstand und Verfolgung“ am Gedenkort Polizeigefängnis Steinwache. Sie wurde ursprünglich von aktiven Widerstandskämpferinnen und -kämpfern, Zeitzeugen und Familienangehörigen des Dortmunder Widerstands gestaltet und verfügt daher über eine historische Authentizität, die es gerade für nachfolgende Generationen zu erhalten gilt. Die Darstellung des Widerstandes sowohl der einzelnen Kämpfer als auch der organisierten Bewegungen ist unverzichtbar. Ebenso der Rolle der Albert Vögler, Fritz Springorum Emil Kirdorf und der Ruhrlade, denn die historische Funktion Dortmunds für den Nazismus kann nicht nur dargestellt werden mit Ausführungen darüber, was innerhalb eines Gebäudes geschah. Entscheidende Personen jener Zeit haben die Steinwache nie betreten.
In der Begründung des Antrags wird daher besonders hervorgehoben: “Die Ausstellung ‚Widerstand und Verfolgung‘ thematisiert auch die Vorgeschichte der sogenannten ‚Machtergreifung‘ und richtet dabei den Fokus auf die Rolle der Eliten bei der Etablierung der nazistischen Diktatur. Dieser zentrale Aspekt wird in der heutigen Erinnerungskultur häufig vergessen. Die faschistische Diktatur war kein ‚brauner Spuk‘, der am 30. 1. 1933 über Deutschland hereinbrach und sich nach dem 8.5. 1945 wieder verflüchtigte. Für die Antragsteller:innen ist dagegen die Frage nach den personellen und strukturellen Ursachen des Faschismus, darunter die Rolle der ökonomischen Eliten, ein unverzichtbarer Bestandteil antinazistischer Aufklärungsarbeit. – Schließlich: Mit dem Verzicht auf einen teuren Neubau wird dem Denkmalschutz an der Nordseite des Hauptbahnhofes wirkungsvoll genüge getan.”
Unterzeichner:innen: Günther Bennhardt, Annette Budde, Sigrid Czyrt, Klaus Dillmann, Jannis Gustke, Hajo Koch, Dietmar Kompa, Georg Marschefski, Monika Niehaus, Traute Sander, Ulrich Sander, Peter Sturm, Norbert Weidlich, Sonja Wolle.
Für die Richtigkeit Monika Niehaus.

Hier der Text des Bürgerantrags:
Betr.: Umgestaltung der Gedenkstätte Steinwache
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Westphal!
Wir legen Ihnen und dem Rat der Stadt Dortmund nach § 24 Gemeindeordnung von NRW (Anregungen und Beschwerden) den folgenden Bürgerantrag vor und bitten um zeitnahe Bearbeitung.
Wenn der Antrag in den entsprechenden Ausschüssen etc. diskutiert wird, würden wir uns freuen, als Sachverständige hinzugezogen zu werden.
Bei den Antragssteller:innen handelt es sich um an der Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit interessierte Bürger:innen. Sie sind erst jetzt in der Lage, ihre Vorstellungen zu präsentieren, da Informationen über die Umgestaltung der Gedenkstätte Steinwache erst seit rund fünf Wochen und aus der Berichterstattung der RuhrNachrichten vom 7. November 2022 der Öffentlichkeit vorliegen. Zitat aus RN: „So verwandelt sich die Steinwache“ und „Fest steht, dass die seit 1992 in der Steinwache gezeigte und schon 1981 konzipierte Dauerausstellung unter dem Titel ‚Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933 bis 1945‘ a u s g e d i e n t hat.“
Der Bürgerantrag lautet:

  1. Die Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945“ verbleibt am jetzigen Standort im Gefängnis der Steinwache. Das denkmalgeschützte Gefängnis erhält keinen Anbau und dokumentiert so weitgehend den Zustand zwischen 1933 und 1945.
  2. Der Gebäudeflügel der ehemaligen Polizeiwache wird leergezogen und für die geplante Ausstellung „Das Haus und seine Insass:innen“ (neuer Arbeitstitel lt. Stadtarchiv, vorher auch ‚Polizei und Gesellschaft in der Nazizeit‘) umgebaut. Damit wird dann auch dieser Gebäudeteil selbstverständlicher Teil der erweiterten Gedenkstätte. Die Kosten für den Umbau werden durch den Verzicht auf den Gefängnisanbau ausgeglichen. Der Verzicht auf den Umbau ist notwendig auch aus Gründen des Denkmalschutzes.
  3. Die Stadtverwaltung als Vermieterin der jetzt von der Auslandsgesellschaft genutzten Räume führt mit der Auslandsgesellschaft Gespräche über eine einvernehmliche Regelung zum Umzug. Ein leerstehendes Gebäude der Innenstadt wird für den Raumbedarf der Auslandsgesellschaft umgebaut. Mit dem Umzug der Weiterbildungseinrichtung wird die City auch am Abend belebt.
    Begründung:
    Das vorgestellte Konzept ermöglicht die harmonische Verbindung der bislang leider nur alternativ diskutierten Ausstellungen. Es bietet sowohl Raum für die Realisierung der neuen Ausstellung „Das Haus und seine Insass:innen“ (wie der Arbeitstitel lautet; mit Insass:innen sind auch Polizisten gemeint) als auch für die Beibehaltung der bisherigen Ausstellung „Widerstand und Verfolgung“. Die Ausweitung der Gedenkstätte auf die Räumlichkeiten der historischen Polizeiwache (heute Sitz der Auslandsgesellschaft, für die ein geeigneter Ort sicher zu finden wäre) erschließt den idealen Ausstellungsraum auch für ein Thema wie „Polizei und Gesellschaft“. Ein besserer Ort für die kritische Aufarbeitung der Polizeigeschichte als die eigentliche Steinwache ist schwer vorstellbar.
    Mit der Polizei- und Insass:innen-Ausstellung in der Steinwache (Vordergebäude) würde zugleich unterstrichen, dass sich die bisherige Ausstellung „Widerstand und Verfolgung“ bereits am denkbar geeignetsten Ort befindet – nämlich im Gefängnistrakt hinter der historischen Polizeiwache.
    Die Antragsteller:innen waren und sind für die Beibehaltung der Ausstellung „Widerstand und Verfolgung“ an eben diesem Gedenkort. Sie wurde ursprünglich von Aktiven, Zeitzeugen und Familienangehörigen des Dortmunder Widerstands gestaltet und verfügt daher über eine historische Authentizität, die es gerade für nachfolgende Generationen zu erhalten gilt.
    In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Besonderheiten hervorzuheben. „Widerstand und Verfolgung“ thematisiert auch die Vorgeschichte der sogenannten „Machtergreifung“ und richtet dabei den Fokus auf die Rolle der Eliten bei der Etablierung der faschistischen Diktatur. Dieser zentrale Aspekt wird in der heutigen Erinnerungskultur häufig vergessen. Die faschistische Diktatur war kein „brauner Spuk“, der am 30. 1. 1933 über Deutschland hereinbrach und sich nach dem 8.5. 1945 wieder verflüchtigte. Für die Antragsteller:innen ist dagegen die Frage nach den personellen und strukturellen Ursachen des Faschismus, darunter die Rolle der ökonomischen Eliten, ein unverzichtbarer Bestandteil antinazistischer Aufklärungsarbeit.
    Schließlich: Mit dem Verzicht auf einen teuren Neubau wird dem Denkmalschutz an der Nordseite des Hauptbahnhofes wirkungsvoll genüge getan.
    Unterzeichner:innen:
    Klaus Dillmann, Dietmar Kompa, Georg Marschefski, Monika Niehaus, Traute Sander, Günther Bennhard, Ulrich Sander, Hajo Koch, Sonja Wolle, Peter Sturm, Jannis Gustke, Sigrid Czyrt, Annette Budde, Norbert Weidlich

Ulrich Sander