Helmuth und Greta – Über die Widerständigkeit damals und heute
30. April 2019
Frauen sollen nur dann etwas werden könne, wenn sie „etwas leisten“. Die 16jährige Greta Thunberg hat etwas geleistet, was unmöglich erschien: Die Welt aufgerüttelt. Aber diese Leistung wird z.B. von der FDP heruntergemacht. Dass unabhängige junge Menschen etwas leisteten, was Gleichaltrige (jene mit der Gnade der späten Geburt) nicht schafften, – siehe Weiße Rose, Edelweißpiraten und jugendliche „Rundfunkverbrecher“ -, das wird bis heute nicht anerkannt. Am autonomen Jugendwiderstand wirkten über 250 Jugendliche mit, die von 1933 bis 1945 von den Nazis als Widerstandskämpferinnen und -kämpfer zum Tode verurteilt und ermordet wurden. Allein in der Zeit von der ersten Flugblattverteilung der Weißen Rose im Juni 1942 bis zur letzten Gerichtsverhandlung gegen Weißen-Rose-Mitglieder im Oktober 1943 wurden fast 50 ebenfalls sehr junge Widerstandskämpfer verurteilt und hingerichtet. Sie sind weithin unbekannt geblieben. Greta ruft zum Widerstand. Und es gibt Vorbilder.
Für Ossietzky schrieb Ulrich Sander den Beitrag „Helmuth und Greta“:
Vor meinem Bücherregal hängt eine Stofftasche mit der eigenwilligen Aufschrift „helMUTh hÜBENer – Wir denken daran“. In der Sofaecke befindet sich ein Kissen mit dem Text „What would Helmuth do?“ Beides sind Geschenke der Stadtteilschule Helmuth Hübener in Hamburg-Barmbek. Es sind Anfertigungen im Rahmen eines Wettbewerbs der Schülerinnen und Schüler. Der Wettbewerb wird alle zwei Jahre veranstaltet, seit die Schule sich den Namen des jungen Widerstandskämpfers gegeben hat. An der Auswahl des Namens durfte ich teilnehmen, und das kam so: Einer Lehrerin im Schwangerschaftsurlaub hatte man gesagt: Du hast Zeit, nun suche mal einen Namen für unsere Schule, die bisher schlicht Benzenbergweg-Schule hieß. Man dachte so an eine Art Geschwister-Scholl-Schule, aber diesen guten Namen gibt es oft. Jedoch junger Widerstand sollte es sein. So wurden im Internet Karl Heinz Jahnkes und meine Forschungen zu dem Thema gefunden, und ich schlug den Namen Helmuth-Hübener-Schule vor. Die Schulkonferenz stimmte zu.
Helmuth Hübener wurde 17-jährig zum Tode verurteilt und am 27. Oktober 1942 in Berlin-Plötzensee ermordet. Er war ein Verwaltungslehrling aus Hamburg, der jüngste vom Volksgerichtshof zum Tode Verurteilte. Im Radio hatte er überraschende aufklärende BBC-Sendungen gehört und ihre Inhalte zu Flugblättern verarbeitet, die er gemeinsam mit drei Freunden verteilte. Manche Flugblätter befassten sich mit dem von Nazideutschland gestarteten Bombenkrieg. Hübener warnte: Dieser Krieg wird auch über uns kommen. Und tatsächlich: Die eifrigen Nachbarn, die da in Hammerbrook Hübeners Flugblätter nicht beachteten, aber gehorsam zur Gestapo trugen, sie kamen vermutlich alle im Gomorrha-Feuersturm 1943 ums Leben. Wer heute durch die Stadtteile Hammerbrook, Hamm und Horn geht, sieht an den Hauseingängen hundertfach die Inschrift; „Zerstört 1943 – Wiederaufgebaut 195..“. Unter den Toten waren auch Helmuth Hübeners Großeltern und seine Mutter. Er musste schon vorher sterben, weil er die Wahrheit verkündet hatte.
Wie geschildert, schreiben die Schüler Helmuth Hübeners Namen mit den Großbuchstaben darin: MUT ÜBEN. Und sie fragen: „What would Helmuth do?“ Was würde er tun?
Eine Antwort finde ich in der Schülerzeitung jener Schule. Es geht um Greta Thunberg in Hamburg, „die junge Rebellin“ aus Schweden. Greta ist so jung wie Helmuth war, als er seine ersten Flugblätter verteilte. Greta war am 25. Januar erstmals in Hamburg und wirkte dort an der „Fridays for Future“-Demo vor dem Hamburger Rathaus mit. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut“, zitiert die Schülerzeitung die Demo-Teilnehmerinnen und -teilnehmer. „Wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel aufhalten kann, deshalb liegt es in unserer Verantwortung, dagegen etwas zu tun.“
„What would Helmuth do?“ Er wäre sicher an Gretas Seite. Er schrieb einst in seinem Flugblatt: „Es wird sich was ändern, wenn alles sich rührt, – und dann hat Hitler auskalkuliert.“
Die Schülerzeitungsmacher schreiben: Die Schülerinnen und Schüler sehen sich „als Jugendbewegung, organisieren sich basisdemokratisch über Whats-App-Gruppen in ganz Deutschland“. Helmuth hatte diese Möglichkeit nicht; aber auch er nutzte die damals neuste Technik. Surfte herum und fand im Radio die BBC. Es gab seinerzeit noch drei weitere Gruppen, die so ähnlich handelten wie Helmuths Widerstandskreis: Auslandsradio hören und das Gehörte verbreiten – versehen mit eigenen Kommentaren. In München und Wien gingen die Gruppen gar zum Bau eines Senders über, und in Erfurt machte man es wie in Hamburg. Alle Jugendlichen wurden schwer bestraft, der junge Münchner Walter Klingenbeck starb ebenfalls durch Henkershand.
Diejenigen, die sich mit dem Schicksal der jungen Widerstandskämpferinnen und -kämpfer befassten, ziehen die Lehren: Sie nutzen die Möglichkeit zu handeln, bevor der Widerstand das Leben kosten kann. Aber es kann unser aller Leben kosten, wenn alles so weiterläuft wie bisher: Das Klima geht kaputt, aber es kann vorher noch mehr kaputtgehen: durch Bomben und Krieg. Helmuth würde es sicher tun: Die Frage des Krieges in den Jugendbewegungen thematisieren.
Die Schülerzeitung Der Papierflieger sei nochmals zitiert: „Greta Thunberg geht es nicht um Bekanntheit, sondern um eine Klimagerechtigkeit und einen lebenswerten Planeten. Zur heutigen Zeit wollen die Menschen immer und immer mehr Geld verdienen, dabei ist egal wie es der Natur schadet. Unsere Biosphäre wird dabei geopfert, wenn die Umwelt erst einmal zerstört ist, dass das Klima der Erde sich wandelt, so dass die Erderwärmung die Pole schmelzen wird, dann gibt es kein Zurück mehr.“
Auch Helmuth Hübener ging es nicht um Bekanntheit, konnte es nicht gehen. Dass jedoch die Gleichaltrigen ihn nach 1945 nicht bekannt gemacht haben, ist schon bedrückend. Die Kohl und Augstein, die Gleichaltrigen nahmen die Gnade der späten Geburt in Anspruch. Günter Grass machte eine Ausnahme: Er zitierte in „Örtlich betäubt“ einen Artikel von mir über die Jungen aus Hamburg.
Kürzlich startete die Bewegung „Parents for Future“. In den Unterlagen des Zuchthauses Plötzensee fand ich einen überraschenden Bezug zur Elterngeneration. Am Tag, da Hübener hingerichtet wurde, mussten am selben Ort auch Gustav Richter und sein 22-jähriger Sohn Rudolf sterben. In der Urteilsbegründung hatte es geheißen: „Der Angeklagte Rudolf Richter hat als Dienstverpflichteter in einem Rüstungsbetrieb seine Arbeitskameraden angereizt, durch Verminderung der Rüstungserzeugung zur Beendigung des Krieges beizutragen. Auch hat er marxistische Bücher und zersetzende Aufzeichnungen verbreitet […]“ Dem kommunistischen Arbeiter Gustav Richter warf die Anklage vor, dass er seinen Sohn nicht „anders erzogen“ und ihn in seinem Widerstand bestärkt habe.
Bestärken wir alle den Widerstandsgeist unserer Kinder und Enkel – bevor es zu spät ist!