Spät entschädigt, nachträglich enteignet

18. November 2018

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Der Kampf um die Entschädigung von Naziopfern geht weiter

Nina Hager / Ulrich Sander

Die wenigen noch lebenden Opfer des Nazi-Terrors wurden 2017 vom Finanzminister Schäuble einer besonderen Spar-Maßnahme unterzogen. Im Dienste der „schwarzen Null“ wurde den Beziehern von Entschädigungsrenten im Fall von Pflegebedürftigkeit die BEG-Rente und andere Entschädigungsleistungen auf ein „Heimtaschengeld“ zusammengestrichen. Jahrzehnte hatten sie um ihre Würde kämpfen mussten, nämlich, dass ihre Verfolgung „nationalsozialistisches Unrecht“ war, Bundesvorsitzende der VVN-BdA Conny Kerth sagte dazu: „Das ist perfide und schlicht unanständig. Wir fordern den jetzigen Finanzminister Scholz auf, diese unwürdige Behandlung der NS-Verfolgten sofort zu beenden.“

Lange und vergeblich kämpften wir gegen den Paragrafen 6 des Bundesentschädigungsgesetzes, der Kommunisten die Entschädigung absprach, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 angeblich die FDGO bekämpft hätten, z.B. durch Verstoß gegen das KPD- und FDJ-Verbot. Es gab noch weitere „vergessene Opfer“ denen erst Mitte der 80er Jahre teilweise eine Härtegeldregelung zu Teil wurde.

Ende der 80er Jahre hatten sich vor allem die Grünen für die Forderungen der außerparlamentarischen Bewegung zugunsten dieser Opfer eingesetzt. Härtefallregelungen wurden länderweise erkämpft, sind keine Bundesregelung.

In diesem Zusammenhang entstand der Bundesverband Info. u. Beratung für NS-Verfolgte in Köln; die VVN-BdA war Gründungsmitglied zusammen u.a. mit Aktion Sühnezeichen.

André Baumann, der Sohn des am 5. Juli im Alter von 97 Jahren in Bremen verstorbenen Kriegsgegners und Friedenskämpfers Ludwig Baumann hat nun kürzlich eine Nachzahlungsforderung der Generalzolldirektion Köln erhalten. Er soll knapp 3.500 Euro zahlen, die sein Vater als Verfolgter des Nazi-Regimes angeblich zu viel erhalten habe. Grund sei, dass sein Vater – der war 1942 desertiert, wurde gefasst, saß zehn Monate in der Todeszelle, wurde dann „begnadigt“ und überlebte trotz KZ, Zuchthaus und Strafbataillon – seinen Umzug in ein Pflegeheim nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte. Damit wurde ein skandalöser Umgang mit den noch lebenden – anerkannten – Verfolgten und Kämpfern gegen das Nazi-Regimes öffentlich. Denn wenn, so die Regelung, diese in ein Pflegeheim kommen, kann die Opferrente um fast die Hälfte gekürzt und in ein „Heimtaschengeld“ umgewandelt werden, weil die Betroffenen ja im Heim angeblich „voll“ versorgt würden. Diese Kürzung wurde 2014 durch eine Änderung bei den Härtefallrichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) von Wolfgang Schäuble (CDU) verfügt.
Das Ganze ist kein bürokratischer Akt. Nein. Der Vorgang zeigt, wie heute noch in diesem Land mit der faschistischen Vergangenheit und jenen, die verfolgt wurden, umgegangen wird. Und der Groko-Sozialdemokrat Olaf Scholz hat damit heute offensichtlich kein Problem. Jedenfalls hat er sich zur Kürzung und dem aktuellen Vorgang offenbar bislang nicht geäußert. Noch im November 2015 hatte der heutige Vizekanzler und Bundesfinanzminister, damals Hamburgs Erster Bürgermeister, gemeinsam mit Ludwig Baumann ein Denkmal für Deserteure eingeweiht.
Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, und Ulla Jelkpe, innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei im Bundestag, nannten am 1. August in einer Presseerklärung die Regelung „beschämend und diskriminierend“. „Wir fordern, dass die Opferrenten für Heimbewohner nicht gekürzt werden und das Finanzministerium auf jegliche Rückzahlungsforderungen verzichtet“, erklärten Korte und Jelpke. Bei der Opferrente handele es sich um einen „Ausgleich für das erlittene Unrecht“. Dieses werde nicht geringer, wenn der Überlebende in ein Heim umzieht. Und sie erinnerten: „Das Unrecht wird vielmehr noch größer, wenn ein Staat, der sich jahrzehntelang geweigert hat, überhaupt irgendeine Entschädigung zu zahlen, und der die verantwortlichen NS-Täter größtenteils ungeschoren ließ, den Opfern im hohen Alter die Leistungen wieder zusammenkürzt.“
Sie hätten noch hinzufügen können, dass im Westen Deutschlands Kommunisten, die zu den ersten gehörten, die entschiedenen Widerstand geleistet hatten, die verfolgt und eingesperrt wurden, als angebliche Feinde der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ keine Entschädigungszahlungen erhalten konnten, wenn sie nach dem KPD-Verbotsurteil verurteilt worden waren.  Das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 (rückwirkend zum 1. Oktober 1953 verabschiedet) verwehrte zudem Homosexuellen und Edelweißpiraten sowie Euthanasiegeschädigten Zahlungen, wie es auch „Deserteuren“ wie Baumann Zahlungen verweigerte. Betroffen war ein Großteil der Sinti und Roma. Der Bundesgerichtshof behauptete in seinem Skandalurteil vom 7. Januar 1956 (AZ IV ZR 211/55), Sinti und Roma seien aufgrund ihrer „asozialen“ Eigenschaften und nicht aus rassischen Gründen verfolgt worden. Manche Gerichte verweigerten bei „sinnlosen“ Widerstandshandlungen die Entschädigung; sinnvoll war nur das, was zum Sturz der Regierung hätte führen können, 20. Juli etwa. Es dauerte teilweise fast 50, 60 Jahre, ehe – manchen bis heute nicht – vielen jener, die noch lebten, ein wenig Gerechtigkeit widerfuhr. Regelungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz waren lange vor der „Wende“ von 2000 ausgelaufen; es gibt nur noch Härtefallregelungen. Jüdische Opfer aus Osteuropa erhielten erst nach Ende des Kalten Krieges Zahlungen. Wenn diese jedoch eine kleine Opferzusatzrente aus Russland bezogen, so wurde diese von den Pflegegeldregelungen und Hartz IV-Zahlungen abgezogen – eine Kürzung ähnlich der im Falle Baumann.  Im Mai 1997 wurde beschlossen Opfer der Nazi-Militärjustiz zu entschädigen, dabei blieben einige Gruppen ausgeschlossen. 1998 wurde das NS-Unrechtsaufhebungsgesetz verabschiedet, das Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“ rehabilitierte.
Im Jahr 2000 richtete der Bundestag die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ein, die symbolische Entschädigungsleistungen für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aus Osteuropa, Israel und den USA bereitstellte und in den Folgejahren auszahlte. Die Überlebenden erhielten eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7 700 Euro. Kriegsgefangene – die größte Gruppe waren Angehörige der Sowjetarmee – sowie zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Westeuropa blieben ausgeschlossen.

Ein Änderungsgesetz vom 23. Juli 2002 zum Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege rehabilitierte pauschal homosexuelle Opfer des faschistischen Regimes und die Deserteure der Wehrmacht und ein Zweites Änderungsgesetz vom 24. September 2009 schließlich auch die wegen „Kriegsverrats“ verurteilten Opfer der faschistischen deutschen Militärjustiz.
Allerdings begründeten diese Gesetze noch keinen Entschädigungsanspruch.
Nach 1990 wurden zwar Ansprüche aus der DDR übernommen, aber Kämpfern gegen den Faschismus die Ehrenpension gekürzt, sie wurden mit allen anderen Opfern des Nazi-Regimes gleichgestellt. Gravierender war jedoch, dass – entsprechend des Einigungsvertrages – zugleich Regelungen geschaffen wurden, um Entschädigungsrenten zu verweigern, abzuerkennen oder zu kürzen. In alter antikommunistischer Tradition wurden in der Folge früheren SED- und DDR-Staatsfunktionären Ehrenpensionen aberkannt. Dazu wurde beispielsweise im März 1997 innerhalb weniger Tage ein Gesetz geändert und im Bundestag abgenickt. Nur die PDS-Abgeordneten stimmten damals dagegen, die Grünen enthielten sich.
Nachdem der jetzige Skandal öffentlich wurde, teilte ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nur mit, dass eine Änderung der bestehenden Regelung „nicht vorgesehen“ sei. Die Fraktion der Partei „Die Linke“ will das Thema nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen.