6. Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz
NRW. Der Medienunternehmer Klaus Kelle will vom 1. bis 3. Oktober die 6. „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ in Nordrhein-Westfalen durchführen. Als Referenten der Veranstaltung unter dem Motto „Demokratie und Rechtsstaat“ werden der aus der SPD ausgeschlossene Publizist Thilo Sarrazin, der frühere Umweltsenator Prof. Fritz Vahrenholt, der CDU-Politiker Arnold Vaatz, Prof. David Engels, Präsident der „Oswald-Spengler-Society“, der ehemalige Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, Dr. Gerhard Papke, Marcel Luthe, ehemals FDP, nun Freie Wähler, der ehemalige BND-Chef Gerhard Schindler und – als einzige Frau – Astrid Passin angekündigt. Thematisch wolle man sich mit der Klima-Hysterie, dem Islam, Terrorismus, China, Ungarn, dem Failed State Berlin und der Familie befassen, heißt es auf der Internetseite von Klaus Kelle. Den genauen Ort der Veranstaltung wolle man nicht öffentlich machen, sondern den angemeldeten Teilnehmern zu einem späteren Zeitpunkt persönlich mitteilen, „damit nur die Menschen kommen, die auch eingeladen und willkommen sind“, heißt es dort. An der letzten Veranstaltung in Erfurt konnten – unter Coronabedingungen – 304 Menschen teilnehmen. Beworben wird die Veranstaltung u.a. mit einer Anzeige in der „Jungen Freiheit“ (hma).
hma-meldungen 18-2021
17. September 2021
AfD, Berlin, Bonn, Joa, Kirschblütenbewegung, Klaus Kelle, NRW, RLP, Wahlkampf, Worms
60 Millionen für einen historischen „Freizeitpark“?
16. September 2021
Zur geplanten Gedenkstätte in Stukenbrock
75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus raffte sich die nordrhein-westfälische Landesregierung endlich auf, 1000 € für jeden der 60.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die von 1941 bis 1945 in dem System der Sennelager eingekerkert, misshandelt und ausgebeutet worden waren, in die Hand zu nehmen, um an sie und die Geschichte zu erinnern – so jedenfalls wurde der Beschluss in der Öffentlichkeit kommuniziert. Dass es dabei mitnichten um eine angemessene Erinnerung geht, wurde durch die bekannt gewordene Machbarkeitsstudie (MBS) des Ateliers Brückner deutlich, über die seit dem Frühjahr 2021 öffentlich diskutiert wird, obwohl sie eigentlich nur intern vorgestellt wurde. Vielleicht ist das ja ein geschickter Schachzug, um vorab zu eruieren, wie ein solches Konzept in der gesellschaftlichen Debatte ankommen würde. Jedoch vermittelt das Handeln der zuständigen Behörden eher den Eindruck eines Dilettantismus als den eines strategischen Vorgehens, mit dem man mögliche Widerstände im Vorfeld abfangen wollte.
Ähnlich sehen das auch die Akteure vor Ort, die sich seit mehr als fünf Jahrzehnten – oftmals gegen den Widerstand der NRW Landesregierung und insbesondere der ostwestfälischen Regionalregierung – um die Erinnerungsarbeit kümmerten. 1967 fand die erste Gedenkaktion „Blumen für Stukenbrock“ statt. Er war die Zeit, als sich Teile der bundesdeutschen Gesellschaft aufmachten, die Schützengräben des Kalten Krieges zu verlassen. „Der Russe“ war nicht mehr das allseits geteilte Feindbild. Es war die Zeit der „neue Ostpolitik“ und der Verträgen mit Moskau und Warschau. Und dabei begann man, sich an diesem Ort der Opfer der faschistischen Verbrechen – insbesondere im Krieg gegen die Sowjetunion – zu erinnern. Etwa 300.000 sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter waren in diesen Lagern, 65.000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter wurden hier unter den unmenschlichen Bedingungen umgebracht. Aber es ging hier nicht nur um die quantitative Dimension der Verbrechen. Die Erinnerungsarbeit der Friedensbewegung und Antifaschisten hinterfragte die Lebenslüge der bundesdeutschen Gesellschaft, dass die Verbrechen insbesondere an der Ostfront allein das Werk der SS oder Einsatzgruppen gewesen sei und nicht der Wehrmacht. Stukenbrock war zudem Ort geschichtspolitischer Auseinandersetzung, wie die Beseitigung der Symbole der Roten Armee am Mahnmal zeigt, wo bis heute um die Wiederherstellung des originalen Zustandes des Mahnmals gerungen wird. An dieser Stelle einen Gedenkort zu errichten, hätte einen großen gesellschaftlichen Wert, ist aber auch eine geschichtspolitische Herausforderung.
Die „Machbarkeitsstudie“ der Agentur Brückner
Der theoretische Ansatz der Agentur gibt sich sehr fachkompetent. „Das Lager wird überall gemacht“ lautet das Leitnarrativ der thematischen Konzeption. Hiermit werde die Funktion des Lagersystems (Durchgangslager und Ausgangspunkt für den Arbeitseinsatz im Wehrkreis VI, der etwa der Fläche des heutigen NRW entspricht) betont. Zudem beschreibe es das Phänomen, dass das Lager überall in der deutschen Gesellschaft angekommen sei: Im Bergbau, in Industrie- und Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft oder in Behörden und Kirchen, die als Arbeitgeber die Kriegsgefangenen einsetzten.
Im Fokus der Gedenkstätte stehe also nicht allein das Lager „an sich“ als geschlossener Lagerkomplex, sondern die Institutionalisierung von tausenden „Lagern“ in der Gesellschaft. Interessant seien vor allem die dezentrale Organisation von Arbeitskraft (der Kriegsgefangenen) in der gesamten deutschen Gesellschaft und damit die Verantwortung auch der „ganz normalen Deutschen“ für die Etablierung, den Erhalt und die Effektivität des Lagersystems. Im Zuge der angestrebten Verknüpfung von Forschungen zur Identität der Gefangenen mit Verlaufsdaten über die Gefangenschaft werde sich so ein differenziertes Bild über das Lagersystem und dessen Dynamik ergeben, so der Anspruch der Agentur.
Was hier so kritisch mit dem Blick auf die „Volksgemeinschaft“ formuliert wird, entpuppt sich jedoch bei genauerer Betrachtung als Entlastung der tatsächlich Verantwortlichen. Im Konzept findet sich kein Hinweis zu denjenigen, die den Faschismus an die Macht brachten, die die Expansionsziele mit ihren Rohstoff- und Profitinteressen definierten, die von seinem Vernichtungskrieg im Osten direkt profitierten („Was kommt nach dem ersten Tank, das ist der Vertreter der Deutschen Bank!“), und denjenigen, die die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen für ihre Profitinteressen ausplünderten. Natürlich waren die „gewöhnlichen Volksgenossen“ notwendig, dass dieses System an der Heimatfront auch funktionierte, aber die eigentlich Verantwortlichen der Verbrechen waren sie nicht. Selbst wenn man die Möglichkeiten der Korrumpierung einbezieht – der „Volksgenosse“ war Mittäter, aber nicht der Verantwortliche. Wer aber die Mittäter zur Verantwortung zieht, die eigentlichen Profiteure aber ausblendet, kann keinen realistischen Blick auf die Wirklichkeit des faschistischen Systems ermöglichen.
Ein geschichtspolitisches Ärgernis ist die Enthistorisierung der geplanten Gedenkstätte durch die Bearbeitung von so genannten „Zeitschichten“. Natürlich hat es an diesem Ort in der zeitlichen Abfolge verschiedene Nutzungen gegeben. Wenn man aber versucht, die „Zeitschichten“ übereinanderzulegen, dann verschwindet die qualitative Bedeutung der jeweiligen Ereignisse. Jupp Asdonk, Rosa Rosinski und Hermann Taube vom Rosa Luxemburg Club Bielefeld kritisieren daher: „Das Konzept ‚Zeitschichten‘ verdeckt mit der geografischen Übereinstimmung des Ortes entscheidende politische Differenzen. Es will auch die ‚Nachgeschichte des Lagers‘ thematisieren, d.h. die Nutzung als Internierungslager für angeklagte Nazi-Funktionäre, als Lager für Flüchtlinge und Vertriebene (‚Sozialwerk Stukenbrock‘), schließlich für Aussiedler aus der DDR. ‚Auch die Geschichte dieser Lagererfahrungen wird die Gedenkstätte erzählen‘, denn: ‚Die Auseinandersetzung mit dem Ankommen in einer ‚neuen Heimat‘ ist in der heutigen Einwanderungsgesellschaft aktueller denn je.‘ Die faschistischen Verbrechen sind in diesem Gestaltungsrahmen nur eine erste Zeitschicht.“
Dieser politischen Ambivalenz scheint sich die MBS bewusst gewesen zu sein, weshalb in vorauseilender Rechtfertigung behauptet wird, durch eine Thematisierung von Flucht und Vertreibung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Kontext der Erinnerung an die deutsche Verantwortung für den Krieg und für Kriegsverbrechen werde die Gefahr jeglicher Relativierung gebannt. Auf diese Weise würden zugleich tiefgreifende Nachwirkungen des Krieges in Deutschland und Europa nachvollziehbar.
Dazu solle die Zeit des Sozialwerks einen eigenständigen Beitrag leisten, „das Bewusstsein für die Bedeutung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken.“ Als Ort für diese Auseinandersetzung ist das noch vorhandene Gebäude des Sozialwerks auf dem Gelände vorgesehen, in dem eine eigene Ausstellung eingerichtet werden soll. Damit bestehe die Möglichkeit, einen – angesichts globaler Flüchtlingsbewegungen – aktuellen Bezug zwischen Krieg und Kriegsfolgen in den Blick zu nehmen. Die Gedenkstätte könne so über einen Gedenkort der Erinnerung an die Gräuel der NS-Zeit hinausgehen und die Konsequenzen von Diktatur und Krieg im Sinne der Mahnung an das Schicksal der darunter leidenden Menschen aufzeigen. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass es im Kern darum geht, der historischen Bausubstanz eine eigenständige Funktion in der Gedenkstättenkonzeption zuzuweisen.
Wie problematisch das Konzept der „Zeitschichten“ ist, erklärt der Mitbegründer des Arbeitskreises „Blumen für Stukenbrock“ Werner Höner. Für ihn bildet es faktisch das Einfallstor für geschichtsrevisionistische Perspektiven:
„Es ist nicht statthaft, all diese Menschen zu Opfern zweier Diktaturen zu machen, wie das von Elmar Brook, einem Mitglied des Lenkungsausschusses, gefordert wird. Eine solche Aussage wäre eine eindeutige Geschichtsfälschung.“ Stattdessen müsse es darum gehen, in der Gedenkstätte kenntlich zu machen, dass viele Gefangene im Lager nicht nur furchtbar gelitten, sondern auch Widerstand geleistet hätten
Diese Ausblendung der historischen Dimension des Kriegsgefangenenlagers wird auch darin deutlich, dass der sowjetische Ehrenfriedhof, um dessen Erhaltung und Ausgestaltung es in der Vergangenheit erhebliche Auseinandersetzungen gegeben hat, in der MBS nur randständig in Erscheinung tritt. In der „Partitur“ der Konzeption taucht er ganz am Ende auf, wird aber in der inhaltlichen Begründung weder ausgeführt noch angemessen integriert. Dort heißt es: „Bereit gestellt werden soll audio(visuelles) Zeitzeug:innen-Material eingebunden in den örtlichen Kontext.“ Was darunter zu verstehen ist, wird jedoch nicht gesagt.
Vermittlungsarbeit als zentrale Funktion
Als zentrale Aufgabe einer zukünftigen Gedenkstätte wird die Vermittlungsarbeit genannt. Hier sieht die Agentur den historischen Ort als „in einem hohen Maße anschlussfähig für Gegenwartsfragen (z. B. Gruppenprozesse und -identitäten bzw. Zugehörigkeit: Aushandlung von Dabeisein und Ausgrenzen; Handlungsspielräume für individuelle Ermächtigungen) und damit auch für (zukünftige) Generationen einer Einwanderungsgesellschaft attraktiv.“ Gleichzeitig erträumt man sich „Begegnungen mit Angehörigen ehemaliger Kriegsgefangener und Besucher:innen aus ganz Europa (Austausch- und Versöhnungsarbeit), z.B. mit dem Kooperationspartner der Gedenkstätte, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, u.a. bei der gemeinsamen Ausrichtung internationaler Begegnungen.“
Da die Agentur selber erkennbar über wenig pädagogische Eigenkompetenz verfügte, hat man sich für diesen zentralen Bereich externen „Sachverstand“ eingekauft. Warum man dafür aber ausgerechnet „Klett MINT“ ausgewählt hat, das zu diesem Thema keinerlei Expertisen besitzt, wird beim genaueren Hinsehen deutlich. Es geht bei den genannten „Bildungspotenzialen“ überhaupt nicht um den historischen Gedenkort, sondern hier werden abstrakte Bildungsvorstellungen wie eine Schablone dem historischen Ort übergestülpt.
In Zeiten von Corona-Einschränkungen wird in Schulen und Universitäten von digitalisierten Bildungs- und Vermittlungsformen geredet. Dass dabei jedoch die Inhalte und die Vermittlungsprozesse aus dem Blick geraten, dämmert zunehmend den Lehrkräften. Auch in der MBS findet man kein Vermittlungskonzept, sondern ein Digitalisierungskonzept, in das Inhalte gezwängt werden sollen. Man beruft sich dabei auf Erfahrungen anderer Gedenkstätten, die mit Video-Walks und andere zeitgemäße Möglichkeiten der digitalen Visualisierung Einzelbesuchern, für die keine Gruppenführung angeboten werden kann, Anregungen und Informationen vorhalten. Für pädagogische Vermittlungsprozesse mit jungen Menschen bedarf es aber andere Überlegungen und praktische Voraussetzungen für gemeinschaftliches Aneignen der am Ort gesammelten Eindrücke und Erfahrungen. So hat Jens-Christian Wagner, der jetzige Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, deutlich kritisiert, dass mit dem Besuchskonzept und dem „Vermittlungsangebot“ vor allem auf Kurzzeitbesichtigungen orientiert wird, die eigentlich nur wenige Erkenntnisfortschritte bringen können.
Für den Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“, der seit vielen Jahren gemeinsam mit der Gewerkschaftsjugend am Gedenkort Bildungsangebote, z.B. in Form von Workcamps umsetzt, kritisiert Hubert Kniesburges: „Die Gedenkstätte Stalag 326 ist ein antifaschistischer Lernort zum Gedenken und zur Erinnerung an das gigantische Verbrechen, das durch bewussten Rechtsbruch der faschistischen Wehrmacht den gefangenen Soldaten der Roten Armee den Schutz der Genfer Konvention entzog. Die sich daraus ergebenen Bildungsangebote richten sich vor allem an die Jugendlichen der allgemeinbildenden Schulen wie auch Bildungsangebote für Erwachsene beispielsweise in der Präventionsarbeit gegen Rassismus und Neofaschismus oder der Demokratiebildung. Hier liegen die Besucherpotentiale und ansprechende, zielgruppengerechte Angebote können sie erschließen. Hier hat die Machbarkeitsstudie eine entscheidende Schwäche.“
„Touristische Einbindung“?
Notwendig ist es, bei einer MBS die potenziellen Zielgruppen in den Blick zu nehmen. Immerhin sollte man eine Vorstellung davon haben, für wie viele Menschen und insbesondere welche Besuchergruppen eine solche Gedenkstätte eingerichtet werden soll. An diesem Punkt gewinnt man besonders den Eindruck, dass die Agentur entweder keinen Blick für die Realität hatte oder aber ihre Ergebnisse unter der Maßgabe formulierte, dem Auftraggeber eine 60 Mio. Euro Investitionssumme schmackhaft zu machen. So glaubt man in der Auflistung der potenziell Interessierten (genannt werden Schulen, Universitäten, Jugendgruppen, Vertriebenenverbände, Justizvollzugseinrichtungen, Kirchengemeinden, Migrant:innenorganisationen etc.) für jede Gruppe ein „objektives“ Interesse definieren zu können. Es bleibt jedoch schleierhaft, ob diese Besucherzahlen, die von der Agentur auf 200.000 Besucher im Jahr summieren wurden, überhaupt realistisch sind. Dass sich die Agentur Brückner dabei an Untersuchungen zu Besuchergruppen der KZ Gedenkstätte Dachau, die seit über 60 Jahren international etabliert ist, bzw. dem „Naziwallfahrtsort“ Obersalzberg orientieren, zeigt ihre Wirklichkeitsferne.
Auch die Ausführungen der Agentur „KulturGold“ zum Komplex der „touristischen Einbindung“ kann man nicht anders als „schön reden“ bezeichnen. Tatsächlich wird behauptet, die Gedenkstätte Stalag 326 sei aufgrund ihrer Lage bzw. der derzeitigen Anbindungen sowohl für den privaten als auch öffentlichen Verkehr erreichbar. Wer schon einmal versucht hat, am Wochenende mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Gedenkstätte zu erreichen und wieder zurückzufahren, wird jedoch eines Besseren belehrt. Auch heißt es, es sei eine Infrastruktur vorhanden, auf der aufgebaut werden könne, man müsse nur einige Maßnahmen zur besseren Ausschilderung der Gedenkstätte treffen. Dazu gehöre die Beantragung und Errichtung von touristischen Unterrichtungstafeln und Wegweisern an der A33 und A2 sowie entlang von Bundes- und Landstraßen, die zur Gedenkstätte führen, oder die Ausschilderung der Gedenkstätte an Rad- und Wanderwegen in und um Schloss Holte-Stukenbrock. Allen Ernstes schlagen die Autoren vor, die Besucher des Freizeitparks „Safariland Stukenbrock“ anzusprechen, auf ihrem Heimweg einen Zwischenstopp an der Gedenkstätte einzulegen. Daher bedürfe es baulicher Maßnahmen zur Schaffung von ausreichend Parkplätzen für PKW und Busse auf der Grundlage des errechneten Besuchsszenarios. Einen Parkplatz-Engpass hat der Verfasser vor Ort nur an jenen Tagen erlebt, wenn der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ ihre Kundgebung zum Antikriegstag durchführt. Das war jedoch überschaubar.
Ganz anders sieht es Hubert Kniesburges: „In der deutschen Erinnerungskultur nehmen die Verbrechen der deutschen Wehrmacht an den sowjetischen Kriegsgefangenen einen kaum wahrnehmbaren Platz ein. Entsprechend unbekannt und wenig beachtet sind die Orte der Verbrechen. Das Stalag 326 ist eines der größten auf deutschen Boden. Das schlägt sich auch in den Besucherzahlen nieder. Die neu gedachte Gedenkstätte wirkt sich zweifellos auf die Besucherzahlen aus. Doch wird er dann auch zum touristisch interessanten Ort?“
Stattdessen verweist er im Zusammenhang mit dem Stichwort „touristische Einbindung“ auf eine historische Parallele: „Als Ausflugsort hat das Stalag 326 schon einmal hergehalten. Der ehemalige Gefangene W.I. Schimanskij schildert in seinen Aufzeichnungen: „An den Sonntagen kam zum Lager das gut gekleidete deutsche Publikum der Umgebung, um uns, die ersten sowjetischen Gefangenen zu begaffen. Allen Anschein nach bereitete ihnen diese Besichtigung unser Leiden großes Vergnügen und uns erdrückte fast die ohnmächtige Erbitterung über solche Demütigung unserer menschlichen Würdigung.“ (Aus „Das Lager 326 – Augenzeugenberichte – Fotos – Dokumente, herausgegeben vom Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock, S. 97f) Vielleicht sollten die Macher der MBS einmal über solche Aussagen von Betroffenen nachdenken …
Doch für sie ist die „touristische Einbindung“ vorrangig ein Thema der Vermarktung. In dem umfangreichen Kapitel zum „Marketing“-Konzept gewinnt man den Eindruck, dass sich die Autoren der MBS ihr Bild von Gedenkstätten und deren Pädagogik nur äußerlich angeeignet haben. Hier finden sich nämlich Schlagworte des „kleinen 1×1“ für Marketing-Anfänger, aber keine ernstzunehmenden Vorschläge, die sich auf die Spezifik einer Gedenkstätte beziehen. Denn was soll der Hinweis auf „Business to Business“ oder „Business to Consumer“ in diesem Kontext? Sehen die Autoren der Studie eine Gedenkstätte einfach nur als „touristisches Business“? Wie anders ist es zu verstehen, dass man eine Vernetzung zur „Tourismus Destination“ Teutoburger Wald als zielführend ansieht? Es fehlt nur noch der Vorschlag, die Gedenkstätte könnte „zielgruppenspezifische“ Angebote für „Vatertags Ausflüge“ anbieten, um die intendierten Besucherzahlen zu erreichen.
Eine vernichtende Bilanz der antifaschistischen Akteure
Die MBS mit ihren Handlungsempfehlungen wird von der Mehrheit der Initiativen, die sich seit Jahrzehnten in Stukenbrock für ein würdiges geschichtspolitisches Gedenken engagieren, abgelehnt. Insbesondere wird der Umgang mit der Zivilgesellschaft kritisiert. Werner Höner betont: „Es ist, will man eine würdige Gedenkstätte schaffen, nicht nachvollziehbar, dass bei deren Konzeption der Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock mit seinen reichen Erfahrungen und auch Verdiensten um das Gedenken in Stukenbrock aus offenbar politischen Gründen ausgeschlossen wurde.“
Tatsächlich wurde die Agentur Brückner von einer Arbeitsgruppe beraten, die – so die Aussage des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) – sich aus Mitarbeiter:innen der LWL-Kulturabteilung, des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte, dem LWL-Museumsamt, der LWL-Archäologie, dem LWL-Medienzentrum, dem LWL-Preußenmuseum und dem Land NRW (Landeszentrale für politische Bildung) zusammensetzte. Als gesellschaftliches Feigenblatt war noch der Förderverein der Gedenkstätte zugelassen.
Beim aktuellen Stand der Diskussion fordern Jupp Asdonk, Rosa Rosinski und Hermann Taube: „Die Gedenkstätte Stalag 326 – und der Friedhof der sowjetischen Kriegsgefangenen – sollten auch weiterhin Orte würdiger Trauer für die Angehörigen der damaligen Opfer bleiben, Orte des Gedenkens und des Forschens nach Verschwundenen oder Ermordeten und der wissenschaftlichen Unterstützung dieses Forschens. Gleichzeitig wünschen wir uns eine tiefgehende Aufarbeitung der Verbrechen der Nazizeit im Rahmen der neuen Gedenkstätte. Ebenso wichtig ist ein breites Engagement der Zivilgesellschaft, um die Entstehung von menschenverachtenden Einstellungen und Haltungen, von „völkischer Ideologie“ und „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) zu verstehen und diesen menschenverachtenden Diskursen entgegen zu treten.“
In dem Aufruf zum diesjährige Gedenken „Blumen für Stukenbrock“ wird betont: „Eine geplante Gedenkstätte von nationaler Bedeutung in Stukenbrock, die die Verbrechen der Wehrmacht verdeutlicht, die das Leiden der Gefangenen für die Besucher erlebbar macht und die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung vom Hitler-Faschismus würdigt, sollte ein deutliches Zeichen sein, aus der Vergangenheit zu lernen.“
Wenn dafür ein Teil der 60 Mio. Euro genutzt werden könnte, hätte der Beschluss des Landtags etwas Positives bewirkt. Es steht jedoch zu befürchten, dass die Landesregierung und der LWL ihr Konzept ohne Einbindung der zivilgesellschaftlichen Akteure durchsetzen wollen. Da dies sicherlich nicht vor dem Jahre 2022 beginnen wird, könnte die Gedenkstätte Stukenbrock und ihre inhaltliche Ausrichtung ein spannendes Thema für den 2022 anstehenden Landtagswahlkampf werden.
Ulrich Schneider
Ulmer Höh‘ – Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus
15. September 2021
Düsseldorf, Gefängnis, Rezension
Es gibt zahlreiche historische Studien zu verschiedenen faschistischen Lagern und Haftstätten, aber Veröffentlichungen zu Haftorten, die als reguläre Gefängnisse bzw. Zuchthäuser vor der NS-Zeit und auch zu Zeiten der Bundesrepublik weitergenutzt wurden, sind eher die Ausnahme. Sehr oft fehlen die Dokumentenzugänge, wenn es denn überhaupt den politischen Willen gibt, die Geschichte solcher Haftanstalten aufzuarbeiten. Bedeutet das doch auch, sich mit Kontinuitäten im politischen Strafvollzug beschäftigen zu müssen, die bis heute immer noch verdrängt werden.
Eine Ausnahme liefert das umfangreiche Werk von Bastian Feermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf über das Gefängnis „Ulmer Höh‘“, das im Frühjahr 2021 erschienen ist. Er hatte zwei gute Voraussetzungen für diese Arbeit. Erstens wurde die ursprüngliche Haftanstalt im Jahre 2011 geräumt und damit der historische Ort, der im gesellschaftlichen Bewusstsein durchaus einen festen Platz hatte, nicht mehr unmittelbar mit der weiterhin bestehenden Justizvollzugsanstalt verknüpft. Zweitens hatte er Zugriff auf mehrere hundert Akten von Häftlingen, die während der NS-Zeit dort eingekerkert waren, die durch Auslagerungen kriegsbedingte Zerstörungen überstanden hatten, da sie – so geplant – für die Zeit „nach dem Endsieg“ genutzt werden sollten. Die militärische Zerschlagung des NS-Regimes hat diese Aktenbestände für die historische Forschung gerettet. Bastian Feermann konnte sie für seine Untersuchung nutzen.
Das Gefängnis in der Ulmenstraße war eine der zentralen Haftstätten im Rheinland. Das Gefängnis mit Gefängniskrankenhaus wurde bereits 1893 eröffnet. „In die Schlagzeilen geriet das Gefängnis vor allem wegen der Aufstände und Meutereien während der Novemberrevolution 1918/19 und bei den Separatistenunruhen 1923“ (45), bei denen auch Albert Leo Schlageter hier einsaß. Die Nazis machten seine Zelle zu einer Kultstätte, zu der SS-Leute pilgerten, wie der antifaschistische Widerstandskämpfer Wolfgang Langhoff, der 1933 hier inhaftiert war, berichtete. „Nach Besichtigung der Zelle kamen sie gewöhnlich zu uns. Sie ließen sich aufschließen und gafften uns an, als wenn sie im Zoo wären.“ (239) Trotz Reform des Strafvollzuges in der Weimarer Republik blieben die Haftbedingungen so angespannt, dass 1931 in Berichten von „Meuterei“ unter den Gefangenen gesprochen wurde.
Diese Haftstätte wurde seit der Machtübertragung an die Nazis als Instrument des faschistischen Terrorapparates ausgebaut. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 wurden mehr als 300 „verdächtige“ Düsseldorfer hier in „Schutzhaft“ eingekerkert. Die meisten waren Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Nach einem statistischen Überblick waren in Derendorf in den Jahren 1933 bis 1945 zehntausende Menschen inhaftiert.
„Viele dieser Gefangenen waren völlig unschuldige Bürgerinnen und Bürger: politische Gegner, gesellschaftliche Außenseiter, jüdische Männer und Frauen, Künstler und Journalisten, Homosexuelle, Sinti, Kirchleute oder Pazifisten, ausländische Zwangsarbeiter oder angebliche ‚Wehrkraftzersetzer‘,“ wie es im Klappentext des Buches heißt. Problematisch ist dabei die Begrifflichkeit „unschuldig“. Zurecht gibt es seit einiger Zeit unter der Überschrift, „Niemand war zurecht im Konzentrationslager“ eine Debatte zur Rehabilitierung von „Asozialen“, die in Konzentrationslager verschleppt wurden. Gleichermaßen müsste bei der Betrachtung der Häftlinge des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf geprüft werden, ob deren Verurteilung auf der Grundlage von kriminellem Handlungen erfolgte oder ob es nicht eher ein Verstoß gegen die faschistischen Vorstellungen von „Volksgemeinschaft“-konformen Handeln darstellte.
Beispielsweise waren hier zahlreiche Männer wegen Verstoß gegen § 175, der Homosexualität auch unter Erwachsenen unter Strafe stellte, inhaftiert. Der § 175 war aber gleichzeitig Ausdruck eines NS-Gesellschaftsbildes, so dass Verurteilte – wie in der Studie zurecht erfolgt – als Opfer faschistischer Verfolgung zu betrachten sind. In mehreren Kapiteln wird dokumentiert, dass seitens der Anstaltsärzte an ihnen schlimme medizinische Verbrechen verübt wurden, insbesondere Sterilisationen und Kastrationen. Bezeichnend für die fehlende Bereitschaft, dies nach 1945 als Verbrechen einzugestehen, ist die 1960 erschienene Todesanzeige für den leitenden Anstaltsarzt, der diese Verbrechen durchgeführt hat. In der Anzeige hieß es, er habe seit 1929 „segensreich an dem Gefängnis in Düsseldorf-Derendorf“ gewirkt. (430)
Neben den Anstaltsärzten beschäftigt sich die Studie ausführlich auch mit dem sonstigen Personal, von der Leitung, über den Schließern bis zu den Anstaltsgeistlichen, die weniger „christlichen Beistand“ leisteten, sondern ebenfalls Teil des Haftsystems waren.
Ein großes Verdienst des Bandes ist der Umfang, der den verschiedenen Häftlingsgruppen eingeräumt wird. Dabei zeichnet die Dokumentation am Beispiel von Einzelschicksalen Phase der Entwicklung der Haftanstalt und gleichzeitig die Behandlung von bestimmten Häftlingskategorien anschaulich nach.
So kommt Wolfgang Langhoff, der Theaterregisseur und Kommunist, der später seinen Erinnerungsbericht „Die Moorsoldaten“ über das KZ Börgermoor schrieb, mit seinen Erinnerungen über die Frühphase der Gefängnisses zu Wort. Am Beispiel von Rudi Goguel, der bis zu seinem Prozess in Düsseldorf inhaftiert war, wird die „Haft-Odyssee“ nachgezeichnet. Und am Beispiel von Wilhelm Knöchel, der aus den Niederlanden zu Verhören bei der Düsseldorfer Gestapo kam, wurde die Geschichte der Tuberkulose-Station anschaulich gemacht.
Eigene Kapitel beschäftigen sich mit dem Schicksal katholischer Geistlicher, die hier als Nazigegner inhaftiert waren, mit der Selektion „asozialer“ Häftlinge und den Schikanen und Misshandlungen jüdischer Häftlinge durch die Exekutivbeamten des „Judenreferates“ Düsseldorf. (347 ff) Das Gefängnis wurde dabei integraler Bestandteil der faschistischen Rassepolitik.
Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der Inhaftierung von Frauen in Derendorf. Der Frauentrakt war in den 1930er Jahre mit etwa 150 weiblichen Häftlingen, zumeist politischen Gegnerinnen, belegt. Beschrieben wird in der Dokumentation das Schicksal u.a. von Klara Matthies (später verheiratet mit Karl Schabrod) und Doris Franck (verheiratet mit Klaus Maase).
Hervorzuheben ist, dass in den Schlusskapiteln die politischen und gesellschaftlichen Repressionen in der BRD – wenn auch knapp – thematisiert werden, „weil auch in den ersten Nachkriegsjahrzehnten immer noch viele Homosexuelle (§ 175) oder Kommunisten (Verbot der KPD 1956) hier inhaftiert waren. Es kam vor, dass schwule Männer oder ehemalige kommunistische Widerstandskämpfer zum zweiten Mal in ihrem Leben in die ‚Ulm‘ einfuhren und vorher von denselben Polizeibeamten verhaftet, von denselben Staatsanwälten angeklagt und von denselben Richtern verurteilt wurden wie schon einmal vor 1945.“ (424) In dieser Aufzählung fehlt nur der Hinweis, dass sie im Gefängnis ebenfalls auf dieselben Schließer stoßen konnten. Dies wird u.a. am Schicksal von Hanna Eggerath gezeigt. Sie war die Tochter von Mathilde Eggerath, die 1936 als Widerstandskämpferin in der „Ulm“ inhaftiert war. 1954 saß nun Hanna als Mitglied der FDJ mehrere Wochen in dieser Haftanstalt ein.
Die Studie lässt in persönlichen Zeugnissen, Tagebüchern, Briefen, Erinnerungsberichten und weiteren Dokumenten die Häftlinge selber zu Wort kommen. Das ergibt eine Unmittelbarkeit, die die grausame Haftrealität nicht hinter statistischen Größen oder allgemeinen Dokumenten verschwinden lässt. Bemerkenswert ist, dass die Opfer der faschistischen Verfolgung, auch wenn sie aus Gründen verfolgt wurden, die bis heute nicht diskriminierungsfrei sind, nicht aus vorgeblichen „Angehörigen-Schutz“ anonymisiert wurden, wie es leider in anderen Studien oftmals geschieht. Nur so scheint es mir möglich, Opfern faschistischer Ausgrenzung und Stigmatisierung ihre Würde wieder zurückzugeben.
Ulrich Schneider
Bibliographie
Bastian Fleermann, Ulmer Höh‘ – Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus, 488 S., Düsseldorf 2021, ISBN 9-783-7700-6044-3
Antikriegstag 2021 in Stukenbrock
8. September 2021
Seit 1967 wird in Stukenbrock auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof durch den Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ den hier bestatteten sowjetischen Kriegsgefangenen gedacht. Die Überlebenden, die nicht von den Nazis durch Hunger und Arbeit ermordet worden waren, hatten unmittelbar nach der Befreiung einen Obelisken errichtet, der in kastrierter Form noch heute steht. Wir dokumentieren die Rede, die Annelie Buntenbach in diesem Jahr anlässlich des Antikriegstags am 04.09.2021 gehalten hat. Buntenbach gehörte zuletzt dem geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand an.
Über die Gräberfelder dieses Ehrenfriedhofs zu gehen, vor den Massengräbern zu stehen, macht mich immer wieder fassungslos. Fassungslos, wütend und traurig darüber, was Menschen anderen Menschen antun können. 65.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden hier zu Tode gequält, Gefangene aus Polen, Frankreich, Italien und Jugoslawien sind im Stalag 326 in Stukenbrock ums Leben gekommen.
Auch im 82. Jahr nach Beginn des grauenhaften Vernichtungskriegs der Nazis haben wir allen Anlass, den Antikriegstag zu nutzen, um uns bewusst zu machen, wohin das Wiedererstarken von Nationalismus und Militarismus, von Menschenfeindlichkeit und Rassismus führen kann. Deshalb bin ich froh, Sie/Euch hier zu sehen, froh, dass so viele gekommen sind, gut, dass Ihr da seid!
Gerade droht sich in Deutschland ein weiteres Mal die fatale Spirale von Aufrüstung und Krieg weiter zu drehen: noch mehr Geld für Rüstung, noch mehr Auslandseinsätze, noch mehr NATO und sog. internationale Verpflichtungen – und das in dem Jahr, wo die Bundeswehr nach zwanzig Jahren sinnlosem Einsatz aus Afghanistan abgezogen worden ist und die Taliban wieder übernommen haben. Wie absurd und lernresistent ist das denn?
Nein, sehr geehrte Frau Kramp-Karrenbauer, sehr geehrter Herr Maas, die Niederlage in Afghanistan hat ihren Grund nicht darin, dass die Ziele nicht klar genug definiert waren. Mit Krieg kann man weder erfolgreich Terror bekämpfen noch westliche Demokratie exportieren. Mit Krieg werden die Probleme nicht gelöst, sondern eskaliert. Und daran ändert sich auch nichts, wenn man einen blutigen Krieg mit zahllosen zivilen Opfern und getöteten oder traumatisierten Soldaten nicht Krieg nennt, sondern Auslandseinsatz.
Der Abzug der Truppen, die überstürzte Evakuierung, die so viele Menschen in Lebensgefährdung zurücklässt, ist ein Debakel und ein Beispiel politischer Verantwortungslosigkeit. Wer sich z.B. in NGOs engagiert hat, für medizinische Versorgung in Afghanistan, für Frauenrechte, für Menschenrechte, hat ein Recht auf unsere Unterstützung. Und dass die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge die Staaten des Westens überfordern würde, halte ich für ausgemachten Unsinn. Hier ist die Staatengemeinschaft, auch die Bundesregierung, dringend gefordert, Verantwortung zu übernehmen!
Diese akuten Fragen brauchen eine schnelle Antwort, aber das ersetzt nicht die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Desaster in Afghanistan, mit Militär, Aufrüstung und Krieg.
Die Bundesregierung hat 59 Mrd. Euro in den Afghanistaneinsatz investiert, die USA 2 Bio Dollar. Dieses Geld ist fast restlos in Militär und NATO-Strukturen geflossen und an die korrupten Warlords. Die humanitäre und materielle Lage der Bevölkerung hat es nicht verbessert. Die Armut der Menschen auf dem Lande ist nach wie vor groß, an den miserablen Zugangsmöglichkeiten zu Bildung, gerade von Frauen und Mädchen, hat sich in der Fläche nichts verbessert.
Stattdessen hat die Bevölkerung in Afghanistan zahllose zivile Tote und Verwundete zu beklagen, durch die Bombardierung von Hochzeitsgesellschaften, Tanklastzügen und anderem mehr. Den hehren Werten, über die in den Talkshows gesprochen wurde – Frauenrechte, Demokratie, Beteiligung, Zugang zu Bildung – hat dieser Militäreinsatz der NATO das Land keinen Schritt näher gebracht. Ich bin davon überzeugt, dass diese Ziele mit Krieg auch nicht zu erreichen sind,
das ist noch nie gelungen, auch nicht im Irak oder in Syrien.
Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Entsendung von deutschem Militär nach Afghanistan gab es von Anfang an nicht, auch nicht 2001. Möglichkeiten ziviler Intervention spielte von vornherein nie eine Rolle, es ging ausschließlich um Krieg, Krieg an der Seite der USA. Die Debatte darüber hat Schröder damals erfolgreich verhindert, indem er die Entscheidung über die Entsendung der Bundeswehr im Bundestag mit der Vertrauensfrage verknüpft hat. Damit ging es nur noch um die Handlungsfähigkeit der rot-grünen Koalition und nicht um die absehbar immensen Probleme eines Kriegs am Hindukusch. Mit diesem souveränen Umgang mit der parlamentarischen Demokratie hat er erreicht, dass diejenigen, die für den Einsatz waren, dagegen gestimmt haben und viele, die dagegen waren, dafür, eine miserable Grundlage für einen Einsatz, der 20 Jahre dauern sollte, um dann so fatal zu scheitern.
Eine ernsthafte Aufarbeitung des Afghanistan-Desasters ist auch deshalb nötig, um nicht ständig denselben fatalen Fehler zu wiederholen und reflexhaft, wenn sich internationale Krisen zuspitzen, mit dem völlig untauglichen Mittel Militär zu reagieren, statt die Wege der Diplomatie viel intensiver und engagierter auszureizen, auf die unterschiedlichen zivilen Formen der Krisenintervention zu setzen und auf langfristige Lösungen. Dabei hätten wir alle wirklich viel zu gewinnen!
Leider geht die Bundesregierung im Moment in die entgegengesetzte Richtung: Deutschland steht auf dem siebten Platz der Länder mit den größten Rüstungsausgaben. Unter den Top-Ten-Staaten weist der deutsche Verteidigungshaushalt mit einem Plus von über fünf Prozent die größten Zuwachsraten auf. Für das laufende Jahr liegt er bei knapp 47 Milliarden Euro. Ginge es nach Merkel, Laschet und der CDU, sollte Deutschland bis 2030 die NATO-Zielvorgabe erfüllen und zwei Prozent des BIP in den Wehretat stecken – und ihn damit noch einmal um mehr als 20 Mrd. erhöhen.
Dagegen, liebe Freundinnen und Freunde, werden wir uns mit allem Nachdruck wehren! Was für eine Verschwendung von gesellschaftlichen Ressourcen! Gerade die Coronakrise hat doch gezeigt, wie wichtig der Zugang zu guter Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit für alle ist, und zwar unabhängig vom Geldbeutel. Statt das Geld in einer so unsinnigen Aufrüstungsspirale zu verpulvern, brauchen wir es dringend für die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit!
Die Hoffnung, dass der Fall des Eisernen Vorhangs zu einer stabileren globalen Friedensordnung führen würde, zu multilateraler Kooperation, hat sich leider nicht erfüllt. Stattdessen hat das internationale Wettrüsten inzwischen unfassbare Ausmaße erreicht, alle Atommächte stecken Unsummen in die Modernisierung ihrer Nuklearwaffen.
Mit der neuen NATO-2030-Strategie, bei der Deutschland eine tragende Rolle spielt, soll der Weg zur NATO als einer Interventionsallianz für Militäreinsätze außerhalb des Bündnisgebiets bereitet werden. Mit einer Stärkung der nuklearen Abschreckung und Plänen für eine stärkere militärische Präsenz im indopazifischen Raum setzt die NATO gezielt auf Konfrontation gegenüber Russland und China, Eskalationsrisiko inbegriffen. Dabei bin ich davon überzeugt, dass wir eine stabile globale Friedensordnung nicht gegen, sondern nur mit Russland erreichen können, und auch mit China. Eine Welt ohne Atomwaffen, das ist nicht Schnee von gestern, sondern drängender denn je – dazu soll die nächste Bundesregierung ihren Beitrag leisten und endlich den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unterzeichnen!
Aufrüstungsirrsinn gedeiht bekanntlich am besten hinter verschlossenen Türen und scheint das Licht öffentlicher Aufmerksamkeit nicht gut zu vertragen, lasst uns also den Kampf für Frieden und Abrüstung zum öffentlichen Thema machen, zum Thema in diesem Bundestagswahlkampf!
Esther Bejerano hat einmal gesagt: „Es gibt keine Gegenwart und keine Zukunft ohne Vergangenheit. Ich bin besorgt, denn ich sehe gegenwärtig Parallelen zur damaligen Zeit. Damit sich so etwas nicht wiederholt, dürfen wir nicht schweigen, sondern müssen mit Mut zusammenstehen gegen Rassismus.“ Esther Bejerano war KZ-Überlebende, Mitglied im Mädchenorchester von Auschwitz, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees. Sie hat sich viele Jahre mit großem Kampfgeist und Energie gegen das Vergessen und das Wiedererstarken von Nazis engagiert hat. Sie hat uns mit ihren Erinnerungen, ihren Lesungen und Konzerten Mut gegeben,
liebe Esther, du wirst uns bitter fehlen! Ich bitte um einen Applaus für eine großartige Frau!
Begegnungen mit Zeitzeugen sind inzwischen immer seltener möglich, umso wichtiger ist das Gedenken und sind die Orte, an denen die Erinnerung wachgehalten wird. Nicht in musealer Verkrustung, sondern im stets neuen Versuch, Zugänge gerade für jüngere zu erschließen, Zugänge zu dem durchlebten Schrecken und zu den Menschen, die gelitten und gekämpft haben.
Dieser Ort, der Stalag 326, der Ehrenfriedhof, hat seine besondere Geschichte, weil er zeigt, wie sehr gerade die Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion von den Nazis als Untermenschen behandelt durch Zwangsarbeit ausgebeutet, gequält und umgebracht wurden. Er hat eine besondere Geschichte auch deshalb, weil hier in Stukenbrock die Überlebenden selbst 1945 ihre Befreiung mit in die Hand genommen haben. Sie haben noch ihre letzten Kraftreserven mobilisiert, sind geblieben, um ihren ermordeten Kameraden ein Denkmal zu setzen, bevor sie diesen Ort des Elends verlassen haben – „Möge es ewig daran erinnern, was Faschismus ist.“
Dieses Erinnern hätte nicht lange gehalten, wenn es nach den politischen Institutionen und Behörden der jungen Bundesrepublik gegangen wäre. Dieser Ort hier ist dem Vergessen entwunden worden durch eine Initiative der Zivilgesellschaft, durch engagierte Menschen aus Kirchen, Gewerkschaften, Kommunisten und Sozialdemokraten. Der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ hat den Stalag auch gegen den antikommunistischen Zeitgeist der Bundesrepublik ins öffentliche Bewußtsein gerückt, u.a. indem sie jedes Jahr zum Antikriegstag Gedenkveranstaltungen durchgeführt haben und Blumen auf die Gräber legen, bis heute. Ich möchte all denjenigen, die sich in den vergangenen Jahren für diesen Ort der Erinnerung an den NS-Terror und die Verbrechen der Wehrmacht stark machen, ganz herzlich Danke sagen.
Ich freue mich über die Chance, die Gedenkstätte Stalag 326 in Stukenbrock weiterzuentwickeln. Wenn dafür jetzt die öffentlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, ist das eine große Chance, allerdings keineswegs ein Selbstläufer, weder bei der Finanzierung noch beim konkreten Konzept.
Der Stalag, der Ehrenfriedhof – das sind Orte, an denen Geschichte ganz konkret und plastisch greifbar wird, vom Leiden der Opfer, der Grausamkeit der nationalsozialistischen Täter, hin zur Verantwortung der Wehrmacht und dem Elend der Zwangsarbeit… Solche Orte müssen genutzt werden, um mehr Menschen an die Auseinandersetzung mit den Greueltaten des Nationalsozialismus heranzuführen, gerade die jüngere Generation. Dabei tut politisch-historische Bildung not, aber auch wissenschaftliche Analyse und Begegnung.
Gut, dass der Landtag NRW dazu die Initiative ergriffen hat – und dank denjenigen, die die Brücken dafür gebaut haben, da waren dicke Bretter zu bohren. Die Finanzzusage des Bundes macht Hoffnung darauf, dass es auch eine echte Chance zur Realisierung gibt.
Jetzt kommt es auf die nächsten Schritte an – und damit meine ich wirklich eine Entwicklung, die Schritt für Schritt vorangebracht wird. Dabei darf man sich nicht durch Besucherzahlen unter Druck setzen lassen, die bestenfalls langfristig erreicht werden können. Entscheidend ist vielmehr, Expertinnen und Experten, aber auch alle regionalen Akteure einzubeziehen, die anderen Gedenkstätten der Region. Es gibt ja in OWL eine lebendige Erinnerungskultur, darüber bin ich sehr froh. Außerdem gibt es spannende Erfahrungen aus guter Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Gedenkstätten für sowjetische Kriegsgefangene wie Zeithain und Sandbostel, die für Stukenbrock genutzt werden können.
Wir brauchen ein gemeinsames Konzept und kein Gegeneinander, wo die einen im Kampf um Aufmerksamkeit und Besucher in Konkurrenz zu andern gedrängt werden. Dieser Prozess muß transparent sein und eng begleitet durch die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die in der Erinnerungsarbeit, in der politisch-historischen Bildung mit ihren vielfältigen Zielgruppen und Anknüpfungspunkten unverzichtbar sind, damit Erinnerungsarbeit auch Dauer hat und in die Breite wirken kann, in die Schulen, in die Betriebe, in die ganze Gesellschaft.
Darauf muss übrigens schon jetzt, bei der Gründung der Stiftung, geachtet werden.
Da muss die rechtliche Form passen, um die Zivilgesellschaft auf Dauer einbeziehen zu können, dafür braucht es eine Stiftung bürgerlichen Rechts.
Die neue, größere Gedenkstätte, die entstehen soll, muss diesem Ort hier gerecht werden – das heißt auch, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und der Rolle der Wehrmacht, mit der Zwangsarbeit im Zentrum steht. Ein Museum kann nicht das Engagement der Zivilgesellschaft ersetzen. Wenn das Ziel aktive Erinnerungskultur ist, bezieht ein Museum diese vielfältigen Initiativen ein, ermutigt und unterstützt sie. Ein Erinnern wie heute hier würde es ohne das Engagement der Zivilgesellschaft nicht geben. Wir stellen uns alle gemeinsam der Verantwortung, die aus diesem Erinnern für die Zukunft folgt.
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Das ist die Botschaft und die Verpflichtung, die uns die Opfer und Überlebenden der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hinterlassen haben.
In Deutschland hat in den vergangenen Jahren mit der AfD eine Partei in den Parlamenten Fuß gefaßt, die ein Sammelbecken von Nazis und Rassisten ist, die – das sollte spätestens nach Chemnitz dem letzten klargeworden sein – offen Schulter an Schulter mit gewalttätigen Neonazis auf der Straße steht.
Sie hat das Koordinatenkreuz in der Republik nach rechts verschoben, macht Unsägliches wieder sagbar und geht mit unerträglicher Menschenverachtung und Ausgrenzung auf Stimmenfang. Ihr Lebenselexier ist die Hetze gegen Geflüchtete und Migranten, sie beschwört die Angst vor „dem großen Austausch“. Auch im Bezirk Ostwestfalen der AfD nimmt der völkische Nationalismus gefährliche weltverschwörerische Dimensionen an. Etwa wenn der Verband gegen die „wahnwitzige Idee der Entdeutschung“ zur „Heimatverteidigung“ aufruft.
Zum völkischen Nationalismus der AfD gehört auch, dass sogenannte Patrioten die „1000jährige deutsche Geschichte“ beschwören. Höcke, Spitzenfunktionär der AfD, greift immer wieder zu NS-Vokabular. Im Sachsen-Anhalt Wahlkampf beendete er seinen zentralen Auftritt mit der Parole der SA: „Alles für Deutschland!“ Davor wollte er seine innerparteilichen Gegner „ausschwitzen“. Und auch der nordrheinwestfälischen AfD ist es nicht einmal ein Parteiausschluss-Verfahren wert, wenn sich ihr Landesvize und Bundestagskandidat Helferich zum „freundlichen Gesicht des NS“ und „demokratischen Freisler“ erklärt.
Einer solchen Partei müssen wir entschieden und in aller Klarheit entgegentreten.
Sie ist nicht wählbar, sie gehört im Wahlkampf auf kein Podium, mit ihr kann und darf es keine Zusammenarbeit geben und erst recht keine Regierung, in welchem Bundesland auch immer. Dafür stehen alle Demokratinnen und Demokraten in der Verantwortung, auch diejenigen, die zum konservativen Spektrum gehören. Gerade von ihnen brauchen wir ein klares Bekenntnis zu demokratischen Werten, zu Weltoffenheit und Menschenwürde.
Wenn offener Nationalsozialismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dann muss auch unser Widerstand da ankommen. Wir werden uns nicht mit einer Partei des völkischen Nationalismus wie der AfD als neue Normalität in den Parlamenten unserer Republik abfinden, nicht in den Betrieben, nicht auf den Marktplätzen. Für diese Auseinandersetzung werden wir langen Atem brauchen – aber ich bin sicher, den haben wir! Wo nämlich viele engagierte Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen, ist kein Platz für Nazis.
Lassen Sie uns gemeinsam der gesellschaftlichen Spaltung durch Rassismus und Rechtspopulismus entgegentreten mit einer klaren Haltung von Weltoffenheit, Respekt, demokratischem Engagement und Solidarität. Dafür brauchen wir viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Ich wünsche uns dabei allen Erfolg.
Herzlichen Dank!
hma-meldungen 17-2021
6. September 2021
CSU, Deutsche Militärzeitschrift, Die Rechte, IB, Identitäre Bewegung, KenFM, Ochsenreiter
Themen: Chefredakteur verstorben // Ken FM // Bundesparteitag „Die Rechte“ // IB fürht Alpenlager durch
Chefredakteur verstorben
Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur der „Deutschen Militärzeitschrift“ und ab 2011 auch des extrem rechten Magazins „Zuerst!“, ist am 18.August verstorben. Der 1976 im Allgäu geborene Ochsenreiter begann seine politische Karriere im konservativen Milieu von Junge Union und CSU. 1995 gehörte er zu den Autoren des bei Ullstein verlegten Sammelbandes „Wir 89er“, der einer jungen Generation von „Gegen-68ern“ einen Namen geben sollte, wie es Dieter Stein in seinem Nachruf auf Ochsenreiter in der „Jungen Freiheit“ (35-2021) schreibt. Von 2001 bis 2004 arbeitete Ochsenreiter für die „Junge Freiheit“. Im Zuge eines polnischen Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit einem Brandanschlag in der Ukraine übersiedelte er 2019 ins Moskauer Exil. Ein faires Verfahren hielt Ochsenreiter für ausgeschlossen. Nach zwei Herzinfarkten verstarb der „Investigative Grenzgänger“, so Dieter Stein, im Alter von 45 Jahren in einem Moskauer Krankenhaus (hma).
Transformation begonnen
Schon im Frühjahr dieses Jahres gab es Hinweise darauf, dass der Betreiber der Internetseite KenFM, „Ken Jebsen“ (eigentlich Moustafa Kashefti) Deutschland verlassen will. Wer heute KenFM aufruft, landet nun auf der Webseite „apolut“. Diese bezeichnet sich als „unabhängige Medienplattform, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu den unterschiedlichsten Themen mehr als nur eine einzige Perspektive anzubieten“. Künftig soll es Video-Interviews mit Personen der Zeitgeschichte und Video-Serien geben, so die Betreiber von „apolut“. Alle früheren Inhalte von KenFM sind über die neue Internetseite abrufbar. Die Ziele der neuen Betreiber, „Meinungsfreiheit und Pressefreiheit“, könnten aber nur dann erreicht werden, „wenn die bisherigen Unterstützer von KenFM die Transformation zu apolut mittragen und apolut mit einem Dauerauftrag unterstützen“, heißt es auf der Webseite von „apolut“, welche künftig von der apolut GmbH in Berlin um die Geschäftsführerin Lena Lampe betrieben wird (hma).
Demonstration gegen das Versammlungsgesetz NRW
31. August 2021
Demonstration, Düsseldorf, Versammlungsgesetz
Wir dokumentieren die Rede von Silvia Rölle, Landessprecherin der VVN-BdA NRW auf der Demonstration gegen das Versammlungsgesetz am 28.08.2021 in Düsseldorf.
Warum stehe ich hier als Vertreterin VVN-BdA Vereinigte Verfolgte des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten NRW?
Wir sind die Organisation, die von den von Faschisten verfolgten Widerstandkämpfer- und -kämpferinnen gegründet wurde.
Ich hatte das Glück noch Widerstandkämpfer:innen kennen zulernen und von deren Mut, den schrecklichen Erlebnissen und Erfahrungen zu hören und davon zu lernen. Von Max, einer dieser mutigen Widerstandskämpfer, weiß ich, dass der Faschismus nicht aus dem Nichts heraus entstanden ist. Max hat mir gesagt, dass die sozialen und demokratischen Rechte bis aufs Blut verteidigt werden müssen. Warum hat er das gesagt?
Er mußte mit erleben, dass die staatlichen Organe in der Weimarer Republik von Kaisertreuen und Militaristen durchsetzt waren. Die Weimarer Republik wurde aus ihrer Mitte sturmreif geschossen. Ich sage nur Blutmärz und Blutmai in Berlin. Die Nazis wurden von den Herren der Industrie und den Banken salonfähig gemacht. Von den Kreisen, die an den Millionen KZ-Opfern und am Krieg Milliarden verdient haben und mit der Gründung unserer Republik wieder verdienen.
Max mußte nach Gründung der Bundesrepublik erleben, dass in den Schaltzentralen der Justiz und der Polizei Nazis unangetastet blieben und weiter Karriere machten. So waren auch die ersten 4 Präsidenten des Landeskriminalamtes in NRW Nazis und Kriegsverbrecher. Viele sagen auch, dass die Institution Polizei eine, soweit man das so sagen kann, faschistische „DNA“ hat.
Zur gleichen Zeit wurde den Widerstandskämpfern nur selten Ehre zuteil. Im Gegenteil – die Organisation der Widerstandskämpfer:innen war vom Verbot bedroht und VVN -Mitglieder erhielten Berufsverbot. Ich bin mir sicher, dass die braunen Flecken auf der weißen Westen unseres Landes bei der 75-Jahrfeier nicht erwähnt wurden.
Max hat die Grundrechte im Grundgesetz, trotz vieler fehlender Sozialrechte, immer wieder verteidigt. Er mußte erleben, dass das Grundgesetz seit bestehen über 100 mal geändert und die Kernstücke seiner demokratischen Inhalte beraubt wurde.
Aber stehen wir jetzt vor dem Faschimus? Nein, wer das behauptet verharmlost den Faschismus.
Max hatte Sympathie für die Menschen, die in den 60 Jahren auf die Straße gingen und gegen Krieg und für Demokratie demonstrierten.
Er zeigte mir, in wievielen Gesetzen an der Demokratie gesägt wurde:
Hier nur einige, wenige Beispiele:
1968 Notstandsgesetze, die den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ermöglichen und der Bundesregierung sehr weitreichende Befugnisse erteilt.
1972 Berufsverbote, die hauptsächlich gegen Linke angewandt angewandt wurden.
2005 Neuordnung der Bundeswehr. Im Spannungs- und Notstandsfall sollen die Reservisten zur ”Hilfeleistung im Inland” herangezogen werden. Unter den Reservisten sind zahlreiche Rechtsextremisten und Neonazis. Diese Reservisten hocken jetzt in den Kommandozentralen der Rathäusern und können im schlimmsten Fall die zivile Verwaltung aushebeln.
1976 das Anti-Terror-Gesetz- angeblich nur zur Bekämpfung der RAF. Rücknahme nach Zerschlagung der RAF?– Fehlanzeige!
Danach folgten diverse Anti-Terror- Gesetze, die die Hürden für Hausdurchsuchungen herabgesenken, Beweisverfahren im Strafprozess zu Lasten Beschuldigter vereinfachen, Zwangsmittel der Strafverfolgungsbehörde ausgebauen und Ausweitung der Telefonüberwachung, Raster- und Schleppnetzfahndung.
Die sich daraus ergebenden Konsequenzen haben die Demonstranten gegen den G 20-Gipfel in Hamburg haut- und knochennah erlebt und erlitten. Eine einseitige, gnadenlose Strafverfolgung gegen Demonstranten folgte. Strafverfolgung gegen gewaltätige Polizeibeamte ? Fehlanzeige!
Max sagte mir, dass ich mir nichts gefallen lassen und alles hinterfragen solle.
Ich frage mich, wen gefährden die jungen Menschen in den Maleranzügen? Wir sollten stolz auf sie sein! Mit dem Versammlungsgesetz werden diese jungen Menschen kriminalisiert.
Der Nobelpreisträger Heinrich Böll u.a. ehrenwerte Persönlichkeiten haben sich vor den Atomraketen-Silos des kalten Krieges gesetzt und diese blockiert. Heute – kämen sie da gar nicht mehr dahin.
Gandhi wird in den höchsten Tönen gelobt und besonders sein ziviler Ungehorsam.Wie paßt dieses Gesetz dazu?
Max würde heute sagen, wer Versammlungen verbietet, verbietet morgen Streiks von Arbeitern. Lämmer, denen man das Fell abziehen will muß man vorher in einen engen Pferch sperren.
Der enge Pferch sind die undemokratischen Gesetze, die u.a. Versammlungen verbieten.
Hören wir auf Max und kämpfen gegen dieses Versammlungsgesetz.
hma-meldungen 15-2021
10. August 2021
AfD, Basis, Beckamp, Berlin, Ein Prozent, Helferich, Köln, NRW, Schwerin
AfD-Spitze will Ämtersperre für Helferich
NRW/Dortmund. Geht es nach dem Willen des AfD-Parteivorstandes, darf der nordrhein-westfälische AfD-Bundestagskandidat Matthias Helferich zwei Jahre lang kein Parteiamt mehr wahrnehmen. Ein entsprechender Antrag wurde von der AfD-Spitze an das Landesschiedsgericht der AfD in NRW gestellt. Dieses muss nun darüber entscheiden, ob eine Ämtersperre „wegen erheblichen Verstoßes gegen die Ordnung und Grundsätze sowie die Satzung der Partei“ beschlossen wird. Der auf den aussichtsreichen siebten Platz der Landesliste NRW zur Bundestagswahl gewählte Helferich hatte sich in einem Chat als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnet. Dies sei jedoch lediglich eine Fremdzuschreibung von linken Bloggern gewesen, die er „persifliert“ habe, führte er in einem Video aus. Für einen Parteiausschluss Helferichs hatte es im AfD-Parteivorstand keine Mehrheit gegeben. Für den Co-Vorsitzenden der AfD in NRW, Michael Schild, sei dies eine „zu geringe Massnahme“, so Schild gegenüber der „Neu Ruhr/Neue Rhein Zeitung“. Helferich, Jurist aus Dortmund, ist einer der beiden stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD in NRW. Der Jugendverband der AfD, die „Junge Alternative“ in NRW, hatte Helferich als ihren Spitzenkandidaten bezeichnet (hma).
AfD-Wahlkampfauftakt in Schwerin
Schwerin. Die AfD will ihre Auftaktveranstaltung zur Bundestagswahl am 10. August in Schwerin durchführen. Diese soll um 18 Uhr im Alten Garten, gegenüber dem Schweriner Schloss, unter dem Motto „Deutschland. Aber normal“ stattfinden. Als Redner werden die beiden Spitzenkandidaten der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, sowie Leif-Erik Holm und Nicolaus Kramer angekündigt. Gemeinsam wolle man „ein starkes und unübersehbares Zeichen für ein normales Deutschland“ setzen, heißt es auf der Internetseite der AfD (hma).
„Ein Prozent“-Livestream mit Roger Beckamp
Köln. Das extrem rechte Netzwerk „Ein Prozent“ hat einen Livestream mit dem Kölner AfD-Landtagsabgeordneten Roger Beckamp erstellt. Mit Beckamp wollte „Ein Prozent“ „über das Thema Gegenkultur reden“. Herausgekommen sei „ein Gespräch, das eigentlich jeder AfD-Vertreter hören müsste“, heißt es auf der Internetseite von „Ein Prozent“. Beckamp mache nämlich etwas, was viele AfD-Abgeordnete nicht tun. Er nutze seine Pauschalen vom Landtag, „um gute, patriotische und sinnvolle Projekte zu unterstützen“. Vor kurzem habe Beckamp bekannt gegeben, dass er künftig 500 Euro monatlich an die Computerspielschmiede Kvltgames aus Österreich geben wolle. Das sind die Entwickler des Videospiels, das wegen Diskriminierung von der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ auf ihren Index gesetzt wurde. Warum verstehen nicht mehr AfD-Parlamentarier, „wie wichtig das patriotische, außerparlamentarische Vorfeld – sprich die Jungs und Mädels auf der Straße, in den Redaktionsstuben und hinter den Kameras – ist? Beckamp wolle, dass dieses Wissen „fest in der DNA der AfD eingefügt“ werde, heißt es auf der Internetseite von „Ein Prozent“ (hma).
Militante Basis
NRW. Der 48jährige Mann, der am 1.August auf dem „Querdenker“-Aufmarsch in Berlin zu Tode kam, war ein Gründungsmitglied der Partei „dieBasis“ aus NRW. Nach Auskunft der Partei hatte dieser schon an der ersten großen Demonstration am 01.08.2020 in Berlin teilgenommen und dort einen LKW gefahren. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Berlin hatte der Mann am Sonntag eine Sperrkette der Polizei durchbrochen und dabei einen Polizisten umgerissen. Der Polizeibeamte verfolgte den Flüchtenden und brachte ihn zu Boden. Er wurde wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte vorläufig festgenommen. Nach dem Transport zur Identitätsfeststellung und weiteren Vorgangsbearbeitung erlitt der 48jährige einen Herzinfarkt. Ein Rettungswagen brachte den Mann in die Intensivstation der Charité, wo der Mann am Abend verstarb. Es wurde ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet (hma).
hma-meldungen 14-2021
10. August 2021
Ballweg, Compact, GegenUni, Konservativer Aufbruch, Otte, Werte Union
Der 1. August in Berlin: Ballweg im „Compact“-Interview
Berlin. Die geplante Großdemo der „Querdenker“-Szene am 1.August in Berlin wirft ihre Schatten voraus. Die Online-Ausgabe der extrem rechten Zeitschrift „Compact“ hat am 17.Juli Michael Ballweg von „Querdenken-711“ interviewt. Auf der Demonstration am 1.August vergangenen Jahres in Berlin sei man noch ein recht unorganisierter Haufen gewesen, so Ballweg. Dieses Jahr sei man viel besser vernetzt und wisse, wer was kann und wer wo am besten eingesetzt werden könne. In diesem Jahr habe man sogar einen Satellitenwagen zur Verfügung, erklärt Ballweg. Man müsse also einen Satelliten abschalten, damit die Demonstration nicht mehr live übertragen werden kann. Eigentlich wolle man vom 1. bis zum 29.August in Berlin bleiben, so Ballweg. Denn am 29.August soll es die nächste große Demonstration in Berlin geben. Man werde sehen, inwieweit sich genügend Teilnehmer motivieren lassen, ihren Sommerurlaub in Berlin zu verbringen. Am 1.August will man auf der Bühne „ein tolles Konzept für die Bundestagswahl vorstellen“. Die Bundesregierung werde da massiv unter Druck gesetzt. Man wolle eine Alternative präsentieren, ohne Werbung für irgend eine Partei zu machen. „Mit der Corona-Krise haben die Kräfte, die sie in die Welt gesetzt haben, einfach übertrieben“, so Ballweg. Organisiert wird die Anreise zur Demonstration unter dem Motto „Sommer der Freiheit“ u.a. mit Bussen. Von mehr als 80 Haltestellen im ganzen Land werden Busse nach Berlin fahren. Organisiert von Kaden-Reisen in Plauen (hma).
hma-meldungen 14-2021 weiterlesen »Nachruf auf Willi Hoffmeister
10. August 2021
Bundesverdienstkreuz, Friedensbewegung, Nachruf, Ostermarsch, Willi Hoffmeister
Unser Kamerad Willi Hoffmeister ist am 3.8.2021 im Alter von 88 Jahren verstorben.
Willi Hoffmeister wurde 1933 im Landkreis Lübbecke geboren. Willi hatte als Kind die Schrecken des Krieges und des Faschismus erlebt. Seine Eltern waren Antifaschisten und sein Onkel Franz wurde schon 1934 als Kommunist im KZ eingekerkert. Onkel Franz kam krank nach elfjähriger Haft aus dem KZ zurück und gab ihm mit auf dem Weg: „Junge, tu alles, damit es nie wieder zu Faschismus und Krieg kommt.“ Diese Aufforderung wurde zu seinem Leitspruch:
1948 war er Mitbegründer einer FDJ-Gruppe im Landkreis Lübbecke.
Nach dem Verbot der FDJ blieb Willi seiner Überzeugung treu und wurde Mitglied der KPD. Er ließ sich von den starken staatlichen Repressionen gegen Kommunisten und Antifaschisten nicht einschüchtern und wurde Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und der DKP. Willi organisierte sich in der Gewerkschaft. Zuerst bei der ÖTV und später bei der IG Metall. Er wurde Vertrauensmann und später freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Aus Protest gegen die Remilitarisierung unter Adenauer mit dem Ziel Atomwaffen zu besitzen entstand die Ostermarschbewegung. 1961 führte der erste Ostermarsch Ruhr von Duisburg nach Dortmund, quer durch das Ruhrgebiet. Willi war von Anfang an dabei. Die ersten zehn Jahre als Mitdemonstrant. Ab 1971 als Mitorganisator und in den letzten Jahrzehnten war er einer der Organisatoren des heutigen Ostermarsch Rhein-Ruhr. Es nicht vermessen zu behaupten, dass ohne Willi der Ostermarsch Rhein-Ruhr in der heutigen Form wohl nicht mehr bestehen würde.
Er engagierte sich seit Jahrzehnten in der Friedens- und Ostermarschbewegung, dem Dortmunder Friedensforum, der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), dem Kasseler Friedensratschlag, der Friedensversammlung Rhein-Ruhr (früher Ostermarsch Rhein-Ruhr-Komitee), dem Bündnis „Dortmund gegen rechts“, dem Runden Tisch „Nordstadt gegen rechts“.
Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit kämpfte er für Frieden, eine bessere, gerechtere Welt und gegen Faschismus. Zuhören können und bei Problemen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, das war ihm immer wichtig und zeichnete ihn aus.
Am 30.07.2021 bekam Willi das Bundesverdienstkreuz am Krankenbett verliehen. Willi sah diese Auszeichnung sehr kritisch. Er nahm sie nur an, da er damit seine und die Arbeit seiner Mitstreiter*innen in der Friedensbewegung und in der antifaschistischen Arbeit gewürdigt sah.
Willis Tod reißt eine große Lücke in der Friedensbewegung und im antifaschistischen Kampf. Wir werden versuchen seine Arbeit fortzusetzen.
hma-meldungen 13-2021
14. Juli 2021
Antaios-Verlag, Berlin, Die Rechte, Epoch Times, Mönchengladbach, Niedersachsen, NPD, Rostock, Schnellroda
Themen: OVG gibt Stadt Mönchengladbach Recht // „Tag der offenen Tür“ in Schnellroda // Neuer Landesvorstand in Niedersachsen // NS-Rostock verboten // „Epoch Times“ als Printausgabe
OVG gibt Stadt Mönchengladbach Recht
Mönchengladbach/Münster. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat entschieden, dass die Stadt Mönchengladbach während des Europawahlkampfes im Jahr 2019 zu Recht von der NPD verlangt hat, Wahlplakate mit der Aufschrift „Stoppt die Invasion: Migration tötet“ abzuhängen. Die NPD kam der Aufforderung nach, hängte die Plakate wieder ab und klagte gegen die Entscheidung. Das Oberverwaltungsgericht sieht in den Aussagen des Plakates den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Das Wahlplakat ziele darauf ab, alle Migranten mit Mördern gleichzusetzen, vor denen Deutsche überall Angst haben müssten. Das Plakat vermittle den Eindruck, dass es sich um eine Vielzahl an örtlichen Vorfällen gehandelt habe. Dies negiere in der Gesamtschau die Menschenwürde der hier lebenden Migranten und sei geeignet, durch das Schüren von Hass den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen. Die NPD hat gegen das Urteil Revision eingelegt (hma).